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Läuft gegen Ferda Ataman eine "Rufmord-Kampagne"?


Wahl steht kurz bevor
Diese Personalie sorgt für Unstimmigkeit in der Ampel


Aktualisiert am 07.07.2022Lesedauer: 5 Min.
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Ferda Ataman: Sie ist zur Antidiskriminierungsbeauftragten gewählt worden.Vergrößern des Bildes
Ferda Ataman: Sie ist zur Antidiskriminierungsbeauftragten gewählt worden. (Quelle: Metodi Popow/imago-images-bilder)

Nach langer Zeit soll es erstmals wieder eine Antidiskriminierungsbeauftragte geben. FDP und Grüne sind sich uneins, ob Ferda Ataman die richtige Wahl ist.

Vier Jahre lang war die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vakant. Die von der Ampelregierung vorgeschlagene Politologin und Publizistin Ferda Ataman soll am heutigen Donnerstag als neue Beauftragte ernannt werden. Doch über ihre Personalie ist ein Streit entbrannt: Einige Abgeordnete der Opposition, aber auch der Ampel wollen ihrer Ernennung nicht zustimmen, in Zeitungen und sozialen Medien gibt es reihenweise Artikel, Tweets und Beiträge, die Ataman kritisieren. Ihre Unterstützer hingegen halten sie gerade wegen ihrer Biografie – sie ist Diversitäts-Expertin und arbeitet schon lange im Bereich Migration und Integration – für besonders geeignet. Andere sehen in der massiven Kritik an ihr gar eine "Rufmord-Kampagne". Doch worum geht es in diesem Streit eigentlich?

Ataman wolle eine "Integrationspolitik für alle Menschen – unabhängig von ihrer Herkunft", sagte sie einmal in einem Interview. Gebraucht werde "ein neues Verständnis von Zugehörigkeit, das nichts mit Vorfahren, Religion und Aussehen zu tun hat", sagte sie. Kritiker werfen ihr allerdings vor, sie würde etwa Deutsche verspotten, weil sie sie laut "Bild"-Bericht als "Kartoffeln" bezeichnet hatte. In einer Kolumne für den "Spiegel" verteidigte sie kurz darauf die Bezeichnung. Nachzulesen hier.

Kritik gibt es auch an einem Preis, der von Ataman als Teil der Organisation "Neue deutsche Medienmacher*innen" vergeben wird. Die "Goldene Kartoffel" wird symbolisch verliehen und soll auf diskriminierende Berichtserstattung aufmerksam machen. Die Bezeichnung eines Deutschen als Kartoffel sei allerdings ebenfalls diskriminierend, meinen Gegner. Kurzum: Kritiker sprechen ihr gänzlich eine Eignung für den Posten ab.

Andere verteidigen Ataman. Der Journalist Stephan Anpalagan ("Krautreporter", "Volksverpetzer") spricht in der "Frankfurter Rundschau" gar von einer "Rufmord-Kampagne" gegen sie. Es gebe falsche Behauptungen und viele der Anschuldigungen gegen die Politologin seien leicht mit Recherche auszuräumen. Das hätten viele Medien allerdings nicht getan. Auch die SPD-Chefin Saskia Esken spricht von einer "verleumderischen Kampagne".

Vorwurf: "Linke Aktivistin"

Kritik an der Ernennung der Politologin kommt vor allem aus Union und FDP. Der Parlamentsgeschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, sprach von einer "krassen Fehlbesetzung". Ataman sei eine "linke Aktivistin" und bisher vor allem mit "verbalen Ausfällen gegenüber Menschen ohne Migrationshintergrund" aufgefallen.

Die FDP-Politikerin Linda Teuteberg kündigte an, sie könne der Personalie im Bundestag nicht zustimmen. Die Liberale kritisierte unter anderem, dass Ataman eine Reihe von Tweets gelöscht haben soll, die sie möglicherweise in Bedrängnis gebracht hätten. "Ich persönlich fände es gut, wenn sich Frau Ataman von einigen früheren Aussagen klar distanzieren würde", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, der "Augsburger Allgemeinen" vom Donnerstag.

Doch offenbar gibt es auch unterschiedliche Meinungen in der FDP. Der NRW-Landesvorsitzende Joachim Stamp etwa verteidigt Ataman. Auf Twitter schreibt er, sie sei streitbar, aber keine Spalterin. "Es gibt Diskriminierungserfahrungen, die weder ich noch andere Blonde in unserem Land erleben und die damit verbundenen Verletzungen schwer nachvollziehen können. Die offene Gesellschaft braucht fairen Streit", so Stamp. Man müsse Gegensätze und Reibung aushalten, nur so entstehe Fortschritt. Fraktionsvize Konstantin Kuhle ging in der "Welt" aber von einer großen Zustimmung der FDP-Abgeordneten aus.

Auch unter Migranten ist Ataman umstritten. Ihr gehe es nur um "muslimisch geprägte MigrantInnen", kritisierte die Initiative MigrantInnen für Säkularität und Selbstbestimmung. Auch der Vorwurf, sie würde sich nicht kritisch mit dem Islam auseinandersetzen, steht im Raum. Doch das stimmt nicht. Der Reporter Anpalagan listet eine Reihe von Artikeln von Ataman aus den vergangenen Jahren auf (u.a. im "Spiegel"), in denen sie über Ehrenmorde, Zwangsehen, Clan-Kriminalität, Schwulenfeindlichkeit im Islam und Antisemitismus unter Muslimen geschrieben hat.

Am Mittwoch ist außerdem ein offener Brief in der "Jüdischen Allgemeinen" erschienen. Darin fordert der Autor und Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad von Kanzler Olaf Scholz, die Eignung Atamans noch einmal zu überdenken. Er bezeichnet ihre Ernennung als "klaren Verstoß gegen die Neutralität des Kanzlers und der des Staates. "Denn Frau Ataman steht der Kritik am Islam sehr ablehnend gegenüber und betrachtet sie als Rassismus. Sie lehnt den Begriff Islamismus ab und hält eine Diskussion über Clan-Kriminalität für diskriminierend", schreibt er. Ataman wolle ein Tribunal aufstellen, statt Wege zu suchen, Rassismus wirklich zu bekämpfen. Belege für diese Behauptungen nennt er nicht.

Streit mit Seehofer

Es ist nicht das erste Mal, dass Ataman im Fokus einer Kontroverse steht: 2018 bescheinigte sie dem vom damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eingeführten Heimatministerium etwa, das sei "vor allem Symbolpolitik für potenziell rechte Wähler". Der CSU-Politiker war so erbost, dass er im Juni 2018 nicht zum Integrationsgipfel ins Kanzleramt kam. Den Text von Ataman können Sie hier nachlesen. Der Reporter Stephan Anpalagan stellt aber klar: "Nirgendwo bezeichnet sie Seehofer als Rassisten, Rechtsextremen oder als Nazi. Nirgendwo erklärt sie eine Verachtung für das Wort Heimat. Im Gegenteil. Ataman empfiehlt Seehofer, er möge doch bitte ein 'positives Selbstbild für Deutschland anbieten'."

Das Thema Migration spielt in Atamans Werdegang schon lange eine Rolle: Sie studierte Politikwissenschaften mit dem Schwerpunkt "Moderner vorderer Orient", schon an der Universität konzentrierte sie sich auf die Themen Migration und Integration. Ihr erster Job nach dem Studium war eine Stelle bei dem CDU-Politiker Armin Laschet, der 2005 Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen wurde – und eine Redenschreiberin mit türkischem Hintergrund suchte.

2009 gründete sie das Netzwerk "Neue deutsche Medienmacher*innen" mit, das sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzt. Von 2010 bis 2012 leitete sie das Referat Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Eltern stammen aus der Türkei

Von 2013 bis 2016 führte Ataman, deren Eltern aus der Türkei nach Deutschland kamen, den Mediendienst Integration, eine wissenschaftliche Plattform für Journalisten zu den Themen Migration, Integration und Asyl.

Mit ihrem 2019 erschienenen Buch "Hört auf zu fragen. Ich bin von hier" löste Ataman eine Debatte über Zugehörigkeit in Deutschland aus. Wenig später sorgte sie mit ihrer "Spiegel"-Kolumne "Heimatkunde" für Aufruhr, in der es um die Frage ging, wie Deutsche ohne Migrationshintergrund genannt werden könnten.

Paus: Ataman ist "genau die Richtige"

Wegen ihrer Expertise wird die Ernennung von Ataman als neue Antidiskriminierungsbeauftragte auch von Organisationen wie dem Rat für Migration unterstützt.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) begrüßt die Personalie. Ataman sei "genau die Richtige" für die Stelle, sagte sie kürzlich. Sie stehe für großes Engagement für eine inklusive, demokratische Gesellschaft. Die Vize-Präsidentin des Bundestags, Katrin Göring-Eckardt (Grüne), schrieb auf Twitter, Ataman sei eine gute Wahl.

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann hat die Nominierung ebenfalls verteidigt. Viele Behauptungen gegen Ataman seien haltlos, sie sei "in jedem Fall" die Richtige für das Amt, sagte Haßelmann am Donnerstag im Deutschlandfunk. Ataman sei Expertin für Diversität, sie setze sich seit vielen Jahren für Vielfalt und gegen alle Formen der Diskriminierung ein. "Viel zu lange haben wir diese Antidiskriminierungsstelle und auch die Leitung der Stelle nicht ausreichend berücksichtigt."

Die Antidiskriminierungsstelle ist beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angesiedelt. Dass die Leitung, die bis 2018 Christine Lüders innehatte, jahrelang vakant war, hing damit zusammen, dass bisher das Ministerium den Posten besetzen konnte – wogegen es Klagen von Konkurrenten gegeben hatte. Erstmals hat nun der Bundestag das letzte Wort. Am Donnerstag entscheidet er, ob Ataman die neue Beauftragte wird.

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