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Wladimir Putin: Vorsicht, der russische Präsident ist erfolgreicher als wir denken


Tagesanbruch
Er ist erfolgreicher als wir denken

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 18.03.2022Lesedauer: 7 Min.
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Wladimir Putins Rhetorik verfängt überall auf der Welt.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putins Rhetorik verfängt überall auf der Welt. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

während Wladimir Putin in der Ukraine weiterhin Kinder, schwangere Frauen, Journalisten und Sanitäter umbringen lässt, wollte er am Mittwoch in einer Fernsehansprache unbedingt noch eine Drohung gegen das eigene Volk loswerden.

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Neben zahlreichen Hasstiraden auf den Westen und die Ukraine warnte der russische Präsident jene Mitbürger, die es wie die russische Redakteurin Marina Owsjannikowa wagen, seine "Spezialoperation" das zu nennen, was sie ist: ein völkerrechtswidriger, mörderischer Krieg gegen unschuldige Menschen. Und Putin drohte auch jenen kritischen Russen, die gerade zu Tausenden das Land verlassen:

"Das russische Volk wird immer in der Lage sein, wahre Patrioten von Verrätern zu unterscheiden." Er griff dann sogar zu einem Vergleich, der an die Rhetorik der Nationalsozialisten erinnert: "Das russische Volk wird diese Verräter einfach ausspucken wie eine Fliege, die versehentlich in seinen Mund geflogen ist. Eine solche natürliche und notwendige Selbstreinigung der Gesellschaft wird unser Land nur stärken."

Fassungslosigkeit reicht angesichts solcher Sätze und Taten längst nicht mehr aus. Die neue Einigkeit und Handlungsfähigkeit des Westens ist deshalb bitter nötig – und zum Glück auch in den notorisch gespaltenen USA zu beobachten.

Als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fast zeitgleich zu Putins TV-Tirade per Video zum US-Kongress sprach, erhoben sich die Mitglieder von Demokraten und Republikanern von ihren Sitzen. Minutenlanger Applaus brandete auf. Betroffenheit und schockierte Gesichter gab es überall, als Selenskyj noch ein verstörendes Video auf der Leinwand abspielen ließ, das die täglichen Gräueltaten der Russen zeigt.

In seltenster Einstimmigkeit hatte der US-Senat zuvor schon eine Resolution, die Putins Kriegsverbrechen untersuchen soll, verabschiedet. Auch der US-Präsident nannte den russischen Präsidenten kurz darauf wortwörtlich einen Kriegsverbrecher. Hier berichtet meine Kollegin Marianne Max, wie Experten akribisch versuchen, seine Taten zusammenzutragen. Hinzu kommen neue Sanktionen und massive Militärhilfen der US-Regierung – und weitere Verhandlungsversuche.

All das ist äußerst bemerkenswert. Es darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Putinisierung des Westens – und vor allem der USA – weit fortgeschritten ist. Sie reicht von Verharmlosung, über Nachahmung bis hin zur Verherrlichung.

Es fielen längst russische Bomben auf ukrainische Städte, als der ehemalige Präsident Donald Trump die "Smartheit" Putins noch immer bekräftigte. Lob verteilte der Anführer der Republikanischen Partei an Kongressabgeordnete wie Marjorie Taylor Greene, die an faschistisch anmutenden Veranstaltungen mit "Putin, Putin"-Rufen teilgenommen hatte.

Inzwischen ringt sich Trump immerhin Sätze ab, die nach einer Distanzierung klingen: "Ich denke, er hat sich verändert. Es ist eine sehr traurige Sache für die Welt. Er hat sich sehr verändert." Der eigentlich zu bekämpfende Tyrann aber regiere nördlich der USA, heißt es bei vielen Republikanern immer wieder. Justin Trudeau, der kanadische Präsident, und der Kulturkampf gegen die Liberalen bleiben vielfach das erklärte Feindbild.

Während Journalisten des Senders Fox News von Putins Truppen in der Ukraine getötet werden, darf der rechtskonservative Moderator Tucker Carlson im gleichen TV-Kanal weiterhin Kremlpropaganda verbreiten. Nach dem perfiden Motto "Ich stelle nur Fragen" reicht Carlson damit russische Rechtfertigungsagenda immer wieder an ein Millionenpublikum in den USA weiter.

"Jemand muss erklären, warum es in der Ukraine gefährliche biologische Waffen gibt", ist so ein Satz. Er spielt mit den von Russland vorgebrachten Vorwürfen, die bis heute nicht belegt sind. "Das Pentagon lügt dazu – warum?", ist so eine Frage, die Carlson stellt, und die objektiv falsch ist.

Aber es gibt für Carlson eben keine falschen Fragen. "Warum hassen Sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin?", fragte er noch wenige Stunden vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine. Um dann nachzuschieben: "Hat Putin mich jemals einen Rassisten genannt? Hat er gedroht, mich zu feuern, weil ich ihm nicht zustimme?"

Im russischen Staatsfernsehen wird angesichts solcher Szenen nur allzu gerne auf den auch in Ungarn sehr beliebten Tucker Carlson als vernünftige US-Stimme verwiesen. Weil er deshalb in den USA inzwischen als Verräter beschimpft wird, beklagte der Fox-News-Mann jüngst die Hexenjagd gegen ihn.

Mit rhetorischen Tricks, wie Carlson sie anwendet, lassen sich die Putinversteher und Freunde autoritärer Strukturen weltweit vereinen – auch dann, wenn es etwa um eine angeblich vorherrschende "Cancel Culture" geht, also das Bestreben, Personen oder Organisationen zu ächten, die diskriminierend handeln oder diskriminierende Aussagen tätigen. Republikaner beschäftigten sich noch in den ersten Tagen von Putins Krieg fast ausschließlich mit der Frage, wie man gegen um sich greifende politische Korrektheiten vorgehen müsse.

Ausgerechnet der russische Präsident Putin trieb diese Strategie in seiner jüngsten TV-Ansprache auf die Spitze: Der Westen und dessen dekadente Gesellschaften wollten nichts anderes, als "Russland zu canceln", also abzuschaffen, sagte er.

Putin weiß damit auch die russisch-orthodoxe Kirche an seiner Seite. Deren höchster Vertreter Kyrill I. rechtfertigte Russlands Vorgehen in der Ukraine jüngst damit, dass es um das "metaphysische" Ziel, die "sogenannten Werte" des Westens abzuwehren, ginge.

In einer homophoben Tirade trug der orthodoxe Patriarch vor, der Konflikt mit der Ukraine sei die Fortsetzung eines grundlegenden Kulturkonflikts zwischen der russischen Welt und den westlichen liberalen Werten, die etwa in Schwulenparaden Ausdruck fänden. Als "homosexuelle Propaganda" ist in Russland schon lange jegliches Engagement für Gleichberechtigung verboten, weil das angeblich Minderjährige gefährde. Die religiösen Rechten in Russland sind dabei der engste Partner Putins.

Diese Erzählung vom angeblich "verschwulten" und verweichlichten Westen ist für Putins imperialistische Propaganda neben historischen Ansprüchen und Vorwürfen gegen die Nato zentral. Nur findet sie sich längst nicht mehr nur in Moskau. Sie zieht sich wie ein Nervengift ausgerechnet auch durch das vor Putin warnende Polen, das schon "LGBTQ-freie-Zonen" eingeführt hatte, durch Ungarn mit seinem Anti-LGBTQ-Gesetz und es reicht bis in die USA, zum Beispiel nach Florida.

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Dort wurde vor wenigen Tagen ein von Kritikern als "'Don't say gay'-Bill" bezeichnetes Gesetz verabschiedet. Demzufolge soll es künftig untersagt sein, Schülerinnen und Schüler bis zu einem bestimmten Alter über Homosexualität aufzuklären. Sonst sei, so heißt es in vorgebrachter und aus Russland bekannter Sorge, das Kindeswohl gefährdet.

Es gibt derlei gefährliche Entwicklungen im Westen, der gerade auch deshalb so geeint ist, weil er seine gemeinsamen Werte wie Demokratie und Freiheit wiederentdeckt hat – und gerade auch deshalb von Putin verachtet wird. Diktaturen ziehen ihre Stärke immer auch aus der gewaltsamen Unterdrückung und Diskriminierung von Minderheiten. Wie weit dies, gepaart mit aggressivem Nationalismus, führen kann, müssen die Menschen in der Ukraine derzeit täglich erleiden.

Der Zweifel an der Demokratie, der Hass gegen die Freiheit und gegen Minderheiten wird überall auf der Welt gesät, auch in vermeintlich gefestigten Staaten. "Wehret den Anfängen", ist eine bisweilen zur Floskel verkommene Redensart, an die man aber leider oft genug erinnern muss. Die Verherrlichung und Verharmlosung von Putin ist vielerorts beängstigend. Es gibt diese frühen Indikatoren, diese Warnungen von Menschenrechtsorganisationen.

Der Westen muss solche Warnsignale viel ernster nehmen – auch zu Hause. Und entschiedener dagegen vorgehen – gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich. Denn Putins Krieg in der Ukraine mag für ihn in einem Desaster enden, aber in vielen Ländern sind seine ideologischen Strategien des Hasses und der Spaltung bereits erfolgreicher, als den meisten lieb sein dürfte.


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USA-Korrespondent in Washington
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Mit Material von dpa.

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