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Wegen des Ukraine-Kriegs fast unbemerkt: Fehler der Ampel könnten sich noch rächen


Tagesanbruch
Das könnte sich noch bitter rächen

MeinungVon Sven Böll

Aktualisiert am 21.03.2022Lesedauer: 7 Min.
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Die Spannungen in der Regierung nehmen zu: Kanzler Olaf Scholz mit Annalena Baerbock und Christian Lindner.Vergrößern des Bildes
Die Spannungen in der Regierung nehmen zu: Kanzler Olaf Scholz mit Annalena Baerbock und Christian Lindner. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

wenn eine so gewaltige Krise wie der Ukraine-Krieg alles dominiert, wirken fast alle anderen Nachrichten irrelevant. Doch manchmal gehen durch die Konzentration auf das eine Thema Entwicklungen unter, die später an anderer Stelle zu größeren Problemen führen. Dass dann viele von der Wucht überrascht sind, liegt auch daran, dass sie nicht rechtzeitig aufgepasst haben.

Vielleicht blicken wir in ein paar Monaten auf eine Ampelkoalition, die nicht mehr allzu viel hinbekommt und fragen uns: Wie konnte das nur passieren?

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Viele werden dann argumentieren: Es lief ja nie wirklich super. Von Anfang an handelte es sich um ein Zweckbündnis, das aus der Regierungsunfähigkeit der Union geboren wurde. Die FDP hatte bei vielen Themen derart andere Positionen als SPD und Grüne, dass sie Sorge hatte, als bloßes Anhängsel einer rotgrünen Koalition zu enden.

Weil auf die Liberalen deshalb besondere Rücksicht genommen wurde, konnten sie sich im Koalitionsvertrag an vielen Stellen durchsetzen und den beiden anderen Partnern auch im Regierungsalltag immer wieder ihren Willen aufdrücken – wie bei der fragwürdigen Aufhebung fast aller Corona-Maßnahmen trotz der bislang heftigsten Infektionswelle. Dass die Koalitionäre notorisch ihren ach so guten Umgang miteinander betonten, diente bloß dazu, die inhaltlichen Konflikte zu überdecken.

Manch einer wird rückblickend aber womöglich auch sagen: Entscheidend waren der 17. und 18. März. Damals, als die Ampel gerade einmal 100 Tage im Amt war, zerstörte sie unnötig viel Vertrauen. Davon hat sie sich nie wieder richtig erholt.

Denn am vergangenen Donnerstag und Freitag gab die Koalition ein merkwürdig entrücktes Bild ab, weil sie binnen kurzer Zeit drei Fehler machte. Ob absichtlich oder nicht, spielt für das Ergebnis keine Rolle.

Nach der aufrüttelnden Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem Bundestag ging das Parlament nahtlos zur Tagesordnung über und gratulierte erst einmal Abgeordneten zum Geburtstag. Einen Antrag der Opposition auf eine spontane Debatte schmetterte die Ampel ab. Olaf Scholz, den Selenskyj direkt angesprochen hatte, äußerte sich erst später im Kanzleramt.

"Das war heute der würdeloseste Moment im Bundestag, den ich je erlebt habe", twitterte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Es stimmt: Inhaltlich wäre bei dieser Debatte nicht viel Neues herumgekommen. Aber es geht in der Politik eben oft auch um Symbolik. Dass Selenskyj eine eindringliche Rede halten würde, war klar. Die Koalition hätte also vorbereit sein können, nein: müssen.

Doch sie sendete an diesem Morgen das Bild einer unempathisch-bürokratischen Regierung in die Welt: Wir können doch hier nicht alles umschmeißen, wir haben doch eine Tagesordnung!

Das kann man so machen. Aber angemessen ist es nicht.

Das Verhalten der Koalition und insbesondere von Scholz war auch aus einem weiteren Grund merkwürdig. Man sieht sich immer zweimal im Leben, heißt es. Im Bundestag gilt allerdings: Man sieht sich zigmal in einer Wahlperiode. "Sie müssen mal aufpassen, dass sie nicht nach 100 Tagen schon so arrogant sind wie andere nach 16 Jahren", rief der Linken-Politiker Jan Korte dem Kanzler im Bundestag entgegen. Das Protokoll verzeichnete daraufhin "Beifall bei der Linken und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD".

Natürlich ist eine Regierung nicht auf die Opposition angewiesen, sie hat ja die Mehrheit. Nur gibt es derzeit zwei Vorhaben, an denen sich die Durchsetzungsfähigkeit des Kanzlers entscheidet – und bei der Scholz die Union braucht: das Gesetz zur Impfpflicht und die Einrichtung eines Sondervermögens für die Bundeswehr.

Für die Impfpflicht ab 18, wie der Kanzler sie sich wünscht, gibt es keine Regierungsmehrheit im Parlament. Das versucht die Koalition zu kaschieren, indem sie keinen eigenen Gesetzentwurf einbringt, sondern über fraktionsübergreifende Gruppenanträge beraten lässt. Der Trick ändert aber nichts an Scholz' Problem: Kommt die Impfpflicht ab 18 nicht, ist er beschädigt, nicht die Opposition.

Auch beim Sondervermögen für die Bundeswehr ist es fraglich, ob die Koalition eine eigene Mehrheit hätte. Scholz ahnte wohl auch bei diesem Thema, dass er eher der Chef einer Minderheitsregierung ist – und kündigte deshalb an, das Sondervermögen solle im Grundgesetz verankert werden.

Die Union teilt das Anliegen grundsätzlich und wird sich der nötigen Zweidrittelmehrheit deshalb nicht per se verweigern. Doch je schlechter Scholz die CDU/CSU-Fraktion behandelt (man denke nur an deren Zwangsversetzung im Parlament, wo sie nun neben der AfD sitzen muss), desto eher wird sie bei den 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr Maximalforderungen stellen. Dabei ist das Vorhaben bei den Grünen und der SPD-Linken eh schon nicht sonderlich beliebt.

Wie gesagt: Das kann man so machen. Aber geschickt ist es nicht.

Zumal die Fliehkräfte innerhalb der Koalition zuletzt erkennbar zugenommen haben. Sei es, weil Olaf Scholz selbst die Regierungsfraktionen mit seinem Plan für die Bundeswehr überrumpelte. Sei es, weil die anderen Koalitionäre von Christian Lindners Vorschlag für einen Tankrabatt aus den Medien erfuhren.

Oder sei es, weil die Liberalen sich mit dem Segen des Kanzlers beim neuen Infektionsschutzgesetz durchgesetzt haben: Seit Sonntag sind fast alle Corona-Maßnahmen weggefallen. Dass etwa Maskentragen beim Einkaufen noch Pflicht ist, hat nur damit zu tun, dass die Länder eine Übergangsfrist bis Anfang April nutzen.

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Dieses Gesetz, über das selbst die FDP-Anhänger gespalten sind, ist nicht nur bei SPD und Grünen unbeliebt, es düpierte auch den erst vor Kurzem eingesetzten Corona-Expertenrat. Und was in diesem Fall am schwersten wiegt: Es setzte zwei Jahren gemeinsamer Pandemiebekämpfung von Bund und Ländern ein jähes Ende.

Die Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag endete in einem Eklat, es gab erstmals keinen gemeinsamen Beschluss zu Corona – außer dem kühlen Satz: "Das Thema wurde erörtert." Darauf folgten rund zwei eng beschriebene Seiten mit Protokollerklärungen, in denen alle 16 Länder mit dem Bund abrechneten.

Am Freitag im Bundesrat war die Empörung noch immer groß. Dass die Länder gegen das Gesetz keinen Einspruch einlegten, lag nur daran, dass es dann gar keine Corona-Regeln mehr gegeben hätte.

Gut möglich, dass das Verhältnis zwischen vielen Ministerpräsidenten und dem Kanzler nun gestört ist. Und das in einem föderalen Staat, in dem der Bund ohne Unterstützung der Länder wenig erreichen kann.

Auch hier gilt: Das kann man so machen. Aber klug ist es nicht.

Der Eindruck einer unempathischen Regierung, eine gereizte Opposition im Bundestag, verprellte Länder im Bundesrat – das sind nicht die allerbesten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit der Koalition. Man muss deshalb kein notorischer Pessimist sein, um zu ahnen: Diese beiden Tage im März könnten sich für die Ampel noch bitter rächen.


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Sven Böll
Managing Editor t-online
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Mit Material von dpa.

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