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Andrea Orcel: Unicredit-Chef will die Commerzbank um jeden Preis


Der letzte Dealmaker
Ein unbeirrbarer Machtmensch im Maßanzug


25.07.2025 - 11:27 UhrLesedauer: 7 Min.
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Andrea Orcel: Der Unicredit-CEO will sich unbedingt die Commerzbank einverleiben. (Quelle: IMAGO/Luigi Mistrulli / ipa-agency.net/imago)
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Er macht Milliarden-Deals, eckt an, will mehr. Andrea Orcel ist kein gewöhnlicher Banker. Jetzt kämpft er um die Commerzbank – als wäre es sein letztes Spiel.

Er ist brillant und gefürchtet zugleich. Ein Mann, der Deals einfädelt, an denen sich andere die Finger verbrennen. Einer, der nicht lockerlässt, wenn er etwas will. Und derzeit will Andrea Orcel vor allem eins: die Commerzbank.

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Seit über drei Jahrzehnten bewegt sich der italienische Banker an der Spitze des globalen Investmentbankings. Ob bei Merrill Lynch, UBS oder jetzt bei Unicredit. Andrea Orcel hat sich einen Ruf erarbeitet, der zwischen Bewunderung und Abneigung changiert.

Die einen nennen ihn den "Ronaldo des Bankings", nicht nur wegen seines Talents, sondern auch wegen seines Ehrgeizes. Andere bezeichnen ihn als "high maintenance", also als jemanden, der hohe Ansprüche stellt und schwierig im Umgang ist. Kaum jemand in der Branche polarisiert so sehr wie Andrea Orcel.

Aktuell arbeitet Orcel an einem seiner ambitioniertesten Vorhaben: der Fusion von Unicredit mit der deutschen Commerzbank. Ein Projekt von europäischer Tragweite. Aber auch ein Feldzug gegen politischen Widerstand, gewerkschaftliche Blockaden und öffentliche Kritik.

Wer also ist dieser Mann, der ganze Bankhäuser verändert? Was treibt ihn an? Und wird die Commerzbank der Schlusspunkt seines Lebenswerks – oder seine größte Niederlage?

Römisches Bildungsbürgertum

Andrea Orcel wird 1963 in Rom geboren, wächst in einem Umfeld auf, das Leistung fördert. Sein Vater leitet ein kleines Leasingunternehmen, seine Mutter arbeitet für die Vereinten Nationen. Das Elternhaus liegt in Rom, im gutbürgerlichen Milieu.

Orcels Mutter drängt früh auf gute Bildung – nicht nur im italienischen, sondern auch im internationalen Sinne. Sie schickt ihren Sohn auf das Lycée français Chateaubriand, eine der renommiertesten Schulen der Stadt. Das französische Gymnasium genießt einen guten Ruf und ist ein wichtiger Akteur im französischen Bildungssystem im Ausland.

Dort lernt Orcel nicht nur Französisch, sondern auch: Disziplin, Struktur, Wettbewerbsgeist. Wer sich durchsetzen will, muss schnell begreifen, wie man sich behauptet. Nach dem Schulabschluss studiert Orcel an der traditionsreichen Universität La Sapienza in Rom Volkswirtschaftslehre und schließt mit summa cum laude ab, der bestmöglichen Bewertung.

Doch Orcel strebt nicht nur nach akademischem Wissen, er hat den Anspruch, international Karriere zu machen. Es zieht ihn weiter nach Frankreich, an die Insead Business School in Fontainebleau, eine der renommiertesten Kaderschmieden des internationalen Managements. Hier ticken die Uhren schneller, der Ton ist härter.

Spätere Wegbegleiter beschreiben ihn als ehrgeizig, leistungsgetrieben und konkurrenzorientiert – Eigenschaften, die ihn später zum idealen Dealmaker machen werden. Früh wird klar: Orcel will keine Nebenrolle spielen. Er will Einfluss haben. Und ist bereit, dafür den steinigen Weg zu gehen.

Vom Investmentbanker zum europäischen "Dealmaker"

Seinen Einstieg in die Finanzwelt macht Orcel 1987 bei Midland Montagu im Bereich Fixed Income, also im Geschäft mit festverzinslichen Wertpapieren. Ein solider Anfang. Doch der junge Italiener will mehr. Bald folgt der Wechsel zu Goldman Sachs, dann zur Boston Consulting Group. Die große Bühne betritt er 1992: Merrill Lynch. Orcel steht nun dauerhaft im Scheinwerferlicht.

Zwei Jahrzehnte bleibt der heute 62-Jährige bei dem US-Vermögensverwalter und steigt zum global einflussreichen Investmentbanker auf. Sein Name steht bald für eine aggressive Dealmaker-Mentalität, für Geschwindigkeit und für Erträge. Er fädelt milliardenschwere Übernahmen ein, unter anderem 2007 die legendär gewordene und letztlich verheerende Übernahme der ABN Amro durch ein Banken-Konsortium – nur wenige Monate vor Ausbruch der globalen Finanzkrise.

Der 100-Milliarden-Dollar-Deal wird heute als Inbegriff eines überhitzten, ego-getriebenen Bankensektors gesehen. Kritiker werfen den beteiligten Managern Kurzsichtigkeit und Selbstüberschätzung vor, auch Andrea Orcel, der die Übernahme als einer der Hauptberater orchestriert. Denn der Deal ruiniert nicht nur die Käuferbanken Royal Bank of Scotland (RBS) und Fortis, sondern gefährdet das gesamte Finanzsystem und wird zum Sinnbild für die Exzesse vor der Finanzkrise.

Orcel selbst hingegen kassiert für die größte Bankenübernahme der Geschichte laut einem Bericht des "Wall Street Journal" einen Bonus von 38 Millionen Dollar. Es ist diese Art von Erfolg, die ihn berühmt macht – und berüchtigt.

2012 wechselt Orcel zur Schweizer UBS Group. Dort soll er die angeschlagene Investmentbank wieder auf Kurs bringen. Er verschlankt Strukturen, reduziert risikoreiche Geschäftsbereiche und richtet den Fokus stärker auf beratungsintensive, margenstarke Aktivitäten wie das Kapitalmarktgeschäft. Gleichzeitig bindet er Leistungsträger und versucht, neue Großkunden zu gewinnen. Orcels Strategie ist klarer denn je: Effizienz, Ergebnisorientierung und Disziplin – auch wenn das intern zu Spannungen führt.

Zwischen Brillanz und Wutanfällen

Mehrere Zeitungsporträts beschreiben, wie Orcel als Banker und Manager tickt. Die "Financial Times" charakterisiert ihn als äußerst wettbewerbsorientiert, mit einem hitzigen Temperament und der Neigung, auch mal laut zu werden. Führungskräfte berichten in den "Financial News London", dass er "oft aggressiv gegenüber Kollegen" sei.

Während der Restrukturierung bei der UBS weigert sich Orcel beharrlich, die Arbeitszeiten der Juniorbanker anzupassen – selbst nachdem ein Praktikant unter den Arbeitsbedingungen gestorben ist. Ein anderes Mal versteht Orcel den Einwand der Bereichsleiter, nicht nur zu sparen, sondern auch Wachstumschancen zu identifizieren, als Widerspruch zu seinem Kurs.

Laut einem Bericht der "Financial Times" schreit er den erfahrenen Dealmaker Joe Reece so laut an, dass dieser aufsteht und den Raum verlassen will – woraufhin Orcel ihn weiter verbal attackiert. Der Vorfall landet bei der Personalabteilung und beim Vorstand. Reece verlässt die Bank kurz darauf.

Ein Mitarbeiter der UBS, der anonym bleiben wollte, beschreibt Orcel als den besten Banker, mit dem er je zusammengearbeitet habe, und als den schlechtesten Manager, den er je erlebt habe.

Orcels damalige Rolle bei der UBS wird auch politisch eingeordnet: Branchenkenner vermuten, dass Orcel vor allem deshalb den Posten als Präsident der Investmentbank übernommen hat, weil er sich Chancen ausrechnete, CEO Sergio Ermotti zu beerben – einen früheren Kollegen, den er bereits bei Merrill Lynch "ausgestochen" haben soll.

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Die Übernahmeschlacht um die Commerzbank

Nach einem kurzen und konfliktreichen Abstecher zur spanischen Santander-Bank, der in einem öffentlich ausgetragenen Streit endet, wechselt Orcel erneut: Seit 2021 ist er CEO der Unicredit. Das italienische Geldhaus bringt ein Marktgewicht von etwa 95 Milliarden Euro auf die Waage und spielt damit in einer Liga mit Santander, UBS und BNP Paribas.

Von seinem Mailänder Chefsessel aus verfolgt Orcel sein wohl kühnstes Projekt: die Expansion zur kontinentaleuropäischen Großbank – notfalls auch gegen Widerstände. Orcel ist an einem Punkt angekommen, an dem er kaum noch jemandem etwas beweisen muss – außer sich selbst. Und vielleicht ist genau das sein größter Antrieb.

Die Übernahme der deutschen Commerzbank ist nicht nur ein Deal. Es ist Orcels persönlicher Feldzug. Ein strategisches Manöver, um zur größten Bank Europas, der britischen HSBC, aufzuschließen. Und womöglich der Versuch, ein Ausrufezeichen hinter sein Lebenswerk zu setzen.

Überraschender Schachzug ohne Gegenwehr

Der Vorstoß beginnt im September 2024: Unicredit steigt überraschend mit 4,5 Prozent bei der Commerzbank ein – just in dem Moment, in dem sich der deutsche Staat erstmals teilweise von seinem Aktienpaket trennt. Nur wenige Wochen später hat Orcel den Anteil bereits auf über 9 Prozent ausgebaut und sich weitere Optionen auf knapp 19 Prozent gesichert.

Die ersten Reaktionen auf den Einstieg von Unicredit bei der Commerzbank sind eine Mischung aus Überraschung, Skepsis und wachsendem Widerstand – vor allem wegen der Art und Weise, wie der Einstieg erfolgte: leise und ohne vorherige Ankündigung. Ein wohl lange vorbereiteter und kluger Schachzug Orcels.

Während der Unicredit-Chef im Hintergrund die Übernahme koordiniert, geht er selbst in die Offensive. Er schreibt Briefe an Bundeskanzler Friedrich Merz und Finanzminister Lars Klingbeil. Er wirbt für eine Fusion beider Banken, wobei er von der Tochter Hypovereinsbank unterstützt wird. Sein Argument: Eine grenzüberschreitende Fusion würde nicht nur zwei Banken verbinden, sondern auch die Finanzlandschaft Europas neu ordnen – ganz nach seinem Geschmack.

Sein Ton ist höflich, aber bestimmt. Er erkennt politische Befindlichkeiten an und bietet Garantien: Das Filialnetz solle erhalten bleiben, der Hauptsitz könne in Deutschland liegen und die lokale Entscheidungskompetenz würde gewahrt. Doch die Botschaft ist klar: Der Deal liegt auf dem Tisch. Und Orcel will ihn durchsetzen.

Die Reaktionen? Kühl bis frostig. Merz und Klingbeil lehnen offen ab. Das Bundesfinanzministerium verweist ihn höflich an das Commerzbank-Management. Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp stellt unmissverständlich klar, dass sie keine "ständige Einmischung von außen" wünsche. Verdi-Chef Frank Wernicke warnt vor dem Verlust Tausender Arbeitsplätze. Und Betriebsratschef Sascha Uebel fordert Orcel auf, seine Aktien zu verkaufen und "nach Hause zu gehen".

Orcel sieht Ablehnung als Chance

Was andere als Ablehnung verstehen, sieht Orcel als Anfang für konstruktive Verhandlungen über alternative Lösungen. Seine Argumente sprechen eine klare Sprache: Unicredit hält mittlerweile 19,2 Prozent der Aktien direkt – das ist eine Sperrminorität und bedeutet Einfluss auf strategische Entscheidungen der Hauptversammlung. Zusätzlich kontrolliert Unicredit weitere 8,72 Prozent über Finanzinstrumente wie Optionen oder Derivate.

In Summe ergibt das eine theoretische Zugriffsmöglichkeit auf rund 28 Prozent der Stimmrechte. Die Bundesrepublik hat mit 12,11 Prozent Anteilen an der Commerzbank deutlich an Einfluss verloren, sowohl formal als auch symbolisch. Das schwächt ihre Rolle als Fusionsverhinderer deutlich und spielt Orcel in die Karten.

Ein Mann der Extreme

Mit der Übernahme der Commerzbank steht Andrea Orcel erneut im Zentrum eines Spiels, das er liebt und besser beherrscht als viele andere. Ein Rückzug kommt für den ehemaligen Investmentbanker nicht infrage.

Er verfolgt seine Visionen mit eiserner Konsequenz. Er ist diplomatisch in der Ansprache, aber unnachgiebig in der Sache. Wo andere lavieren, entscheidet er. Wo andere zaudern, handelt er. Und während andere auf Kompromisse setzen, testet Orcel immer wieder die Grenzen des Machbaren.

Doch gerade dieser Stil ist es, der ihn zur Zielscheibe macht. Denn Orcel verkörpert eine Generation von Bankern, die wenig Interesse an Routinen und am klassischen Bankalltag haben, sondern gestalten wollen. Auch wenn das bedeutet, anzuecken, und dabei manches Porzellan zerbricht.

Aus strategischer Sicht sitzt Orcel am längeren Hebel. Doch der Besitz von Aktien ist noch keine Übernahme. Für den Unicredit-Chef steht viel auf dem Spiel. Er will die Commerzbank um jeden Preis. Viele werden ihm den Erfolg nicht gönnen. Doch am Ende traut man es kaum jemandem mehr zu als ihm.

Verwendete Quellen

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