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"Die Flüchtlingsrücklage wird benutzt, um Haushaltslöcher zu stopfen“


Steuerzahler-Präsident Holznagel
"Der XXL-Bundestag kommt uns teuer zu stehen"

InterviewVon Sabrina Manthey, Rüdiger Schmitz

Aktualisiert am 14.09.2018Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Reiner Holznagel, Präsident Bund der SteuerzahlerVergrößern des Bildes
Reiner Holznagel, Präsident Bund der Steuerzahler (Quelle: imago-images-bilder)

Mit Blick auf die Debatte über den Bundeshaushalt 2019 und die Finanzplanung bis 2022 fordert der Präsident des Bundes Deutscher Steuerzahler, Reiner Holznagel, eine besonnenere Ausgabenpolitik.

t-online.de: Herr Holznagel, die Verhandlungen über den Haushalt 2019 laufen gerade. Die Ziele sind klar: Die Schwarze Null soll auch in dieser Legislaturperiode halten, der Haushalt ohne Neuverschuldung auskommen. Das hört sich gut an. Sind Sie als Chef des Bundes der Steuerzahler zufrieden?

Reiner Holznagel: Nein, das bin ich nicht. Die Situation ist bei Weitem nicht so gut, wie Bundesfinanzminister Olaf Scholz sie in seinen Reden darstellt. Denn sein Finanzplan bis zum Jahr 2022 offenbart die unsolide Finanzpolitik der großen Koalition. Von Ausgewogenheit kann keine Rede sein. Die Schwarze Null kann nur gehalten werden, weil die Flüchtlingsrücklage benutzt wird, um Haushaltslöcher zu stopfen.

Sie reden von den 24 Milliarden Euro, die bereitgestellt wurden, um die Kosten in Folge der Flüchtlingskrise zu bestreiten.

Richtig. Ohne diese Rücklage, die in den vergangenen Jahren durch unerwartete Haushaltsüberschüsse gebildet wurde, müsste die Koalition jetzt entweder neue Schulden aufnehmen, mehr Steuern erheben oder bei den Ausgaben sparen. Wenn die Rücklage aufgebraucht ist, was nach Scholz' Plänen 2022 der Fall sein wird, wird erneut der Weg der Verschuldung beschritten.

Flüchtlingsrücklage: In der Flüchtlingsrücklage haben sich bisher 24 Milliarden Euro angesammelt. Laut Gesetz werden Etatüberschüsse des Bundes dort geparkt. Aktuell können die Kosten für Unterbringung, Verpflegung und Sprachkurse für Geflüchtete jedoch aus dem laufenden Etat bestritten werden. Immer wieder werden Forderungen laut, das Geld für andere Zwecke wie zum Beispiel Steuersenkungen einzusetzen.

Was sollte Ihrer Meinung nach mit der Rücklage geschehen?

Wir hätten uns gewünscht, dass damit Schulden getilgt werden. Substanzschulden müssen zurückgezahlt werden. Davon würden auch künftige Generationen profitieren. Eine andere Maßnahme wäre die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags, der aktuell knapp 19 Milliarden Euro in die Kassen spült. Dies wäre für die Glaubwürdigkeit der Politik notwendig. Stattdessen verlagert sich die Diskussion, ob der Soli weiterbestehen soll – als Rentensoli zum Beispiel.

Aber die Staatschuldenquote sinkt. 2019 soll der Schuldenstand zum ersten Mal seit Jahren unter die im EU-Stabilitätspakt vorgeschriebene Marke von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fallen.

Das stimmt. Aber die stoische Betrachtung von Quoten vermittelt oft einen falschen Eindruck. Die Wirtschaftskraft ist gestiegen und deshalb sinkt die Schuldenquote. Das hat nichts damit zu tun, dass der Bund aktiv Schulden abbaut.

Sie kritisieren die expansive Ausgabenpolitik. Aber höhere Sozialabgaben, eine bessere Infrastruktur und eine gesicherte Rente sind doch erst einmal was Gutes.

Durchaus, wir müssen uns allerdings fragen, in welchen Größenordnungen, Verhältnissen und Wirkungen diese Ausgaben durchgeführt werden. Der Bundeshaushalt wächst mittelfristig um knapp zehn Prozent, die Investitionen für die teils marode Infrastruktur jedoch unterdurchschnittlich um weniger als acht Prozent. Auf der anderen Seite steigen die Sozialausgaben drastisch – insbesondere die Ausgaben für die Rente – um mehr als 17 Prozent. Hier besteht ein deutliches Ungleichgewicht zugunsten der Sozialtransfers. Schon heute fließen mehr als 50 Prozent des Bundesetats in Sozialausgaben, insbesondere in den Rentenzuschuss. Diese Unwucht wird bis 2022 noch deutlich zunehmen. Daher wünsche ich mir hier ein moderateres und ausgewogeneres Agieren.

Die Höhe der Rente besitzt für viele Bürger eine große Bedeutung. Trotzdem würden Sie den Rotstift ansetzen. Kritiker werfen Ihnen deswegen soziale Kälte vor.

Das Problem ist, dass es kein politisches Gesamtkonzept gibt. Wir haben verschiedene Stellschrauben: den Steuerzuschuss, das Renteneintrittsalter, den Beitragssatz oder das Rentenniveau. Der Finanzminister will einseitig das Rentenniveau auf 48 Prozent fixieren. Da kann man nur orakeln, wie er das machen will, wenn er die anderen Stellschrauben ausblendet. Diese Maßnahme würde zusätzlich bis zu 100 Milliarden Euro kosten. Wo das Geld herkommen soll, beantwortet er nicht – ein reines Ablenkungsmanöver, um der SPD wieder Wähler zu bringen. Was mir in dieser Diskussion generell zu kurz kommt, ist die private Altersvorsorge.

Damit lässt sich aber das steigende Problem der Altersarmut, das viele Menschen bewegt, nicht so einfach vom Tisch wischen. Nach einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird für mehr als die Hälfte der 55- bis 65-Jährigen im Ruhestand die gesetzliche Rente nicht ausreichen, um ihren aktuellen Konsum und ihre Wohnung finanzieren zu können.

Das große Problem ist derzeit die Wohlstandssicherung im Ruhestand. Die Rentenzahlungen, samt betrieblicher und privater Vorsorge, werden – auch im Zuge der Finanzkrise – geringer ausfallen als geplant. Selbst wenn wir die Durchschnittsrente bei 48 Prozent stabilisieren, selbst wenn wir den Steuerzuschuss noch weiter erhöhen, selbst wenn wir die Mütterrente weiter ausbauen, wird es nicht reichen, um den Wohlstand wirklich zu sichern. Hinzu kommt die steigende steuerliche Belastung der Renten. Das betrifft die Mitte der Gesellschaft – meines Erachtens die größten Verlierer.

Trotzdem sagen Sie, die Ausgaben für die Rente sind zu hoch.

Wir haben im sozialen Bereich viele Maßnahmen, die zwar politisch gewollt, aber gar nicht zielorientiert wirken. Zum Beispiel die Mütterrente, die wahnsinnig viel Geld verschlingt. Man hätte Obergrenzen und eine Bedürftigkeitsprüfung einführen sollen und nicht nach dem Gießkannen-Prinzip. Im Grunde muss bei jeder Sozialleistung evaluiert werden, ob diese zielgerichtet und effizient eingesetzt wird. Da gibt es hohe Transfers, die ihre von der Politik gewollte Wirkung gar nicht erreichen. Doch hier sträubt sich die Politik, weil den Menschen dann wieder etwas weggenommen wird. Daher müssen wir etwas auf die Bremse treten, weil im Sozialetat auch Erwartungen und Anwartschaften zementiert werden, die uns in schlechteren Zeiten enorm auf die Füße fallen werden.

Die im Finanzplan 2019 bis 2022 geplanten Investitionen befinden sich mit 151,6 Milliarden Euro auf Rekordniveau. Sind die jährlich 37,9 Milliarden Euro gut investiert?

Nicht notwendigerweise. Auch hier muss nach der Effizienz gefragt werden. Wir brauchen eine Überprüfbarkeit, ob die gewährten Finanzmittel tatsächlich ihr Ziel erreichen. Seien wir ehrlich: Viele politische Entscheidungen werden getroffen, die nichts mit Effizienz und Wirksamkeit zu tun haben – auch bei Subventionen. Wir fördern immer noch den Kohleabbau und gleichzeitig die Erneuerbaren Energien. Alle kriegen etwas, ein Wettbewerb findet nicht mehr statt.

In der aktuellen Regierung haben wir durch Überhangs- und Ausgleichsmandate 709 Abgeordnete, 79 mehr als in der letzten Periode. Was kostet uns das zusätzlich?

Auch hier sehe ich die Felle davon schwimmen. Die 709 Abgeordneten sorgen für erhebliche Mehrkosten. Verglichen mit der Regelgröße von 598 Bundestagsabgeordneten sind das 75 Millionen Euro reine mandatsbezogene Mehrkosten. Der XXL-Bundestag kommt uns teuer zu stehen.

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Die Anzahl der Abgeordneten wird aber durch das Bundeswahlgesetz vorgegeben. Das ist Teil unserer demokratischen Grundordnung.

Mehr Abgeordnete erzeugen aber nicht mehr Demokratie. Im Gegenteil, die Prozesse werden komplizierter. Die Abgeordneten haben in ihren Fraktionen im Plenum nicht mehr die Möglichkeit, sich einzubringen. Im Endeffekt brauchen wir eine Reform des Wahlrechts. Wir brauchen eine absolute Obergrenze für Bundestagsabgeordnete. 500 Abgeordnete sind genug. An diesem Grundsatz halten wir fest. Mit den Landesparlamenten, dem EU-Parlament und auch den parlamentarischen Vertretungen der Kommunen mangelt es uns nicht an demokratischer Vertretung.

Vereinfacht gesagt, müssten dann die 709 Abgeordneten beschließen, dass ein Teil von ihnen überflüssig ist. Das macht natürlich niemand gerne.

Ich halte dieses System für indiskutabel. Wir als Verband halten uns noch bis Ende Herbst zurück. Wenn dann nichts in Richtung Wahlrechtsreform kommt, werden wir Druck aufbauen. Denn dieses Thema erregt die Steuerzahler. Es macht die Menschen wütend, dass die Parteien über alle Fraktionen hinweg nicht die Kraft beziehungsweise den Willen für eine Reform aufbringen, die in erster Linie bei ihnen selbst greift.

Auch der doppelte Regierungssitz kostet einiges an Steuergeldern. Ist die Aufteilung Bonn und Berlin noch zeitgemäß?

Nein, das ist ein Relikt aus alten Zeiten, das uns viel Geld kostet – nicht nur in Form von Reisekosten, sondern auch von Arbeitszeitverlusten, von Reibungs- und Entscheidungsverlusten. Dieses Prinzip des doppelten Regierungssitzes ist widersinnig. Regelrecht absurd, wenn wir uns vor Augen führen, dass am Bonner Dienstsitz des Bundesjustizministeriums drei Personalstellen registriert sind, die 218.000 Euro teilungsbedingte Kosten verursachen – also knapp 73.000 Euro pro Dienststelle. Wir brauchen dringend einen Fahrplan, wie wir den Rest-Umzug nach Berlin organisieren wollen. Das hat auch etwas mit der Planungssicherheit der Beamten und Angestellten zu tun. Die können sich weder in der einen noch in der anderen Stadt richtig einrichten, wenn sie nicht wissen, ob und wann ein Umzug kommt.

Von wie viel Geld reden wir in diesem Zusammenhang?

Das lässt sich nicht genau beziffern. Das ist ja das Ärgerliche: Die Ministerien legen nicht klar und offen die Kosten auf den Tisch. Nur zur Orientierung: Pro Jahr fallen rund 22.000 Dienstreisen an. Durch die Pleite von Air Berlin bleibt vielen Beamten nur noch der Zug oder das Auto. Damit haben die Arbeitszeitverluste erheblich zugenommen. Da jedes Ministerium seine Daten für den Teilungskostenbericht erhebt, wie es will, ist hier eine Vergleichbarkeit und Aufschlüsselung leider nicht gegeben – ein unhaltbarer Zustand.

Herr Holznagel, vielen Dank für das Gespräch.

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