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Corona-Krise: "Von neun Kunden am Tag kann ich nicht leben"


Termin-Shopping in Rheinland-Pfalz
Ist das ein Modell für ganz Deutschland? Ein Ortsbesuch

Von Mauritius Kloft

Aktualisiert am 02.03.2021Lesedauer: 4 Min.
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Aylin Öztürk: Die 26-Jährige betreibt einen Brautmodenladen in Neunkirchen.Vergrößern des Bildes
Aylin Öztürk: Die 26-Jährige betreibt einen Brautmodenladen in Neunkirchen. (Quelle: Privat/T-Online-bilder)

Rheinland-Pfalz öffnet den Einzelhandel: Gegen einen Termin lässt das Bundesland seit Montag Shopping zu. Kann das ein Vorbild für andere Länder sein? Ein Ortsbesuch.

Aylin Öztürk lächelt. Sie steht vor unzähligen Hochzeitskleidern in ihrem stilvoll geschmückten Geschäft. "Ich bin sehr froh, endlich wieder Menschen in meinem Laden zu haben", sagt sie. Die 26-Jährige betreibt den Brautmodenladen "Fairytale" im 500-Einwohner-Örtchen Neunkirchen, im nördlichen Rheinland-Pfalz.

Erstmals seit Beginn des Dezember-Lockdowns empfängt sie an diesem Montagmittag wieder Kunden in ihrem Laden – nach vorheriger Terminvereinbarung, mit Maske und Abstand. "Es fühlt sich fast so an wie immer", sagt sie. "Der echte Kontakt zu den Kunden hat mir sehr gefehlt."

Rheinland-Pfalz geht beim Öffnen der Geschäfte einen Sonderweg. Während im ganzen Land vor allem der Run auf die Friseure und die Baumärkte groß ist, sieht es an Rhein und Mosel, in der Pfalz und im Westerwald anders aus. Hier kündigte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) vergangene Woche an, auch das "Termin-Shopping" ermöglichen zu wollen – zusätzlich zu "Click & Collect" also nun "Click & Meet".

Konkret heißt das: Nach vorheriger Vereinbarung dürfen Ladenbetreiber Einzeltermine für Vor-Ort-Besuche im Geschäft vergeben. Wichtigste Regel dabei: Es darf immer nur ein Hausstand das Geschäft betreten. "Das ist zum Beispiel für Bekleidungsgeschäfte und Brautmodenläden eine Perspektive", so Dreyer.

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"Die Kundinnen können die Kleider endlich wieder anfassen"

Bislang hatte Öztürk, die ihren Laden erst im März 2020, kurz vor dem ersten Lockdown eröffnete, nur Beratung per Videochat angeboten. "Wenn die Kundinnen es mochten, konnten sie die Brautkleider auch abholen und zu Hause anprobieren", sagt sie. "Doch gegen das Anprobieren im Laden, wenn ich direkt beraten kann, ist das natürlich nichts."

Auch die 18-jährige Schülerin Lilly freut sich. Sie ist die erste Kundin an diesem Montag und sucht ein Kleid für die Zeugnisübergabe Ende März. "Der Abiball fällt zwar aus, wir wollten uns aber dennoch hübsch anziehen", sagt sie. "Eine schöne Alternative in der Lockdown-Zeit."

Neben Hochzeitskleidern bietet Öztürk auch eine Vielzahl an Abendkleidern an – grün, schwarz, rot, blau oder glitzernd. "Nun können die Kundinnen die Kleider endlich live sehen und anfassen", so die Einzelhandelskauffrau.

"Es kann nur eine Übergangslösung sein"

Szenenwechsel, Montabaur, rund 20 Kilometer Luftlinie von Öztürks kleinem Laden. Auch hier, in dem 12.000-Einwohner-Ort, wirkt die Innenstadt belebt. Viele Menschen sind froh, dass die Geschäfte wieder offen sind. Etwa Marika Bach, die durch die kleine Fußgängerzone des Ortes schlendert. Die Rentnerin kauft, so sagt sie, "schon seit 30 Jahren" im Laden "Modeteam" ein.

Klar, dass sie dies auch am ersten Tag der Wiedereröffnung macht. Eine hellgrüne Daunenjacke hat sie sich ausgesucht. "Ich möchte die kleinen Lädchen gerne unterstützen", sagt Bach. "Es ist besser so einkaufen zu gehen als gar nicht."

Ähnlich sieht es Thomas Scherer. Er ist Geschäftsführer des Handelsverbandes Rheinland-Pfalz. "Es freut mich, dass Termin-Shopping hier möglich ist", sagt er. "Allerdings kann das nur eine Übergangslösung sein."

Der Grund sei betriebswirtschaftlicher Natur. "Für große Geschäfte lohnt es sich kaum, nur für einen Hausstand zu öffnen", sagt Scherer. "Für beratungsintensive Läden ist es dagegen eine schöne Sache."

Termin-Shopping sei "Sache fürs Herz"

Doch selbst wenn es sich nicht rechne, sei das Signal wichtig: "Der Mensch ist ein soziales Wesen, er braucht nun mal Kontakte." Oder anders ausgedrückt: "Das Termin-Shopping ist mehr eine Sache fürs Herz und die Seele als für den Geldbeutel." Auch Rentnerin Bach ist froh, dass sie wieder in ihre Stammlädchen kann. "Es ist zwar nur eine Behelfslösung, aber immerhin."

Neben Rheinland-Pfalz möchten auch andere Bundesländer nachziehen. Im kleinen Nachbarland, dem Saarland, ist Termin-Shopping seit diesem Montag ebenfalls möglich – erst einmal begrenzt auf eine Woche. Dann wird erneut geschaut. Auch aus anderen Bundesländern dröhnen Forderungen nach Öffnungen, etwa in Hessen. Die Staatskanzlei will den Bund-Länder-Gipfel offenbar nutzen, um sich mit den anderen Bundesländern diesbezüglich abzustimmen.

Dass ausgerechnet Rheinland-Pfalz vorprescht und den Handel öffnet, finden viele erstaunlich. Längst verweisen viele Beobachter auf die bevorstehende Landtagswahl am 14. März. Bei ihr will der CDU-Mann Christian Baldauf Dreyer ablösen. Bis jetzt hat die Ampelkoalition der 60-Jährigen die Nase vorn, die Geschäftsöffnung light dürfte ihrem Ansehen beim Volk zumindest nicht schaden.

"Natürlich lässt es sich nicht leugnen, dass in zwei Wochen Wahl ist", sagt auch Handelsverbandschef Scherer. "Aber unseren Vorschlag gab es schon seit Dezember. Es wird höchste Zeit, dass es nun eine Öffnungsperspektive gibt."

Auch Öztürk findet, dass das Termin-Shopping schon viel früher hätte möglich sein können. "Wir passen hier voll auf: Die Abstände können locker eingehalten werden, alle tragen Masken – und die Kundinnen lassen ohnehin ihre Kontaktdaten da."

"Von neun Kunden am Tag kann ich nicht leben"

Das funktioniert auch im Buchladen "Logo" in Westerburg, einer Kleinstadt zwischen Montabaur und Neunkirchen. Seit dem Lockdown Mitte Dezember bietet Simone Brög, die Inhaberin des Ladens, eine Abholstation für die Bücher an – sowie Beratung per Telefon oder WhatsApp. "Das klappt wunderbar – die Kunden nehmen es an", sagt sie. "Doch was fehlt, sind die Kleinigkeiten, die nur vor Ort gekauft werden." Damit meint sie etwa Tischkalender oder kleine Schokoladentäfelchen.

"Etwas, das man spontan sieht und gerne mitnimmt", so Brög. Sie hoffe, dass die Kunden dort beim Termin-Shoppen wieder zuschlagen. Doch bei aller Freude gebe es auch Probleme. "Da wir zwischen den Kunden ausreichend lüften und desinfizieren müssen, kann ich am Tag nicht viele Leute hineinlassen", sagt sie. "Klar ist: Von neun Kunden am Tag kann ich nicht leben."

Sie hofft deshalb, dass Shoppen bald wieder normal möglich ist. "Viel länger darf es nicht mehr dauern", oder – um es positiv auszudrücken: "Wir freuen uns darauf, wenn es wieder richtig losgeht."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräche vor Ort
  • Telefongespräch mit Thomas Scherer
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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