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Dieser umstrittene Vorschlag könnte das Rentenproblem lösen


Rentenanpassung
Dieser umstrittene Vorschlag könnte das Rentenproblem lösen


Aktualisiert am 05.08.2021Lesedauer: 6 Min.
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Ältere Frau mit Unterlagen (Symbolbild): Die gesetzliche Rente braucht Reformen, sind sich Experten einig. Aber welche?Vergrößern des Bildes
Ältere Frau mit Unterlagen (Symbolbild): Die gesetzliche Rente braucht Reformen, sind sich Experten einig. Aber welche? (Quelle: PeopleImages/getty-images-bilder)

Die Rente steht vor einem Finanzierungsproblem. Jetzt hat einer der Chefs der Rentenversicherung selbst vorgeschlagen, die gesetzliche Altersvorsorge an die Inflation zu koppeln. Was taugt diese Idee?

Wer aktuell in Rente geht, weiß, dass die Zahlungen der Rentenversicherung jedes Jahr erhöht werden – oder zumindest nicht unter das aktuelle Niveau fallen. Die Zuwächse bei den Zahlung richten sich nach der Lohnentwicklung des vergangenen Jahres, also danach, wie stark die Gehälter der Arbeitnehmer in Deutschland gestiegen sind.

Damit aber könnte es bald vorbei sein, zumindest wenn es nach Andreas Schwarz geht. Schwarz ist nicht irgendwer, er leitet als Geschäftsführer den Rentenversicherungsträger in Baden-Württemberg, ist also das, was man durchaus als ein "hohes Tier" im System der Rentenversicherung bezeichnen darf.

In einem Interview mit der "Stuttgarter Zeitung" schlug er jüngst vor, darüber nachzudenken, die jährliche Rentenanpassung von den Löhnen loszulösen und stattdessen an die Inflationsrate zu koppeln. Mehr zur Rentenanpassung lesen Sie hier.

Die Inflationsrate gibt an, wie sich die Verbraucherpreise in Deutschland entwickeln, also ob Sie sich von Ihrem Geld mehr oder weniger leisten können. Für das Jahr 2020 etwa hätte das zur Folge, dass die Renten lediglich um 0,5 Prozent und nicht um 3,45 Prozent wie im Westen gestiegen wären.

So funktioniert der umstrittene Rentenvorschlag

Ganz so jedoch würde Schwarz die Anpassung der Renten nicht gestalten, er denkt weiter. Konkret kann er sich die Rentenanpassungen in zwei Phasen vorstellen: Die ersten paar Jahre der Rente würden sich die Zahlungen nach den Löhnen des Vorjahres richten. Danach, so Schwarz, würde die Rentenanpassung nur von der Inflationsrate abhängen.

"Wer mit 65 in den Ruhestand geht, wechselt in einen anderen Lebensabschnitt, will aber am Wohlstandsfortschritt der Beschäftigten weiterhin teilhaben", sagte der DRV-Mann der "Stuttgarter Zeitung".

Doch irgendwann habe man als Rentner andere Bedürfnisse: die medizinische Versorgung oder die Pflege. "Das sind aber Themen, die in andere Versicherungsbereiche gehören. Muss ich also über 20 Jahre den Zuwachs mitnehmen, den jemand hat, der jeden Tag schaffen geht?", so Schwarz weiter. "Wenn ich nur noch den Inflationsausgleich bekomme, heißt das, dass die Kaufkraft erhalten bleibt – das ist doch viel."

"Rente steht vor einem gewaltigen Finanzierungsproblem"

Einen prominenten Fürsprecher dieser Idee hat Schwarz schon: Oliver Holtemöller. Der Ökonom ist stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Er hat bereits 2017 zur Koppelung der Rentenanpassung an die Inflationsrate geforscht.

"Die Rente steht vor einem gewaltigen Finanzierungsproblem", sagt er im Gespräch mit t-online. "Die Einnahmen reichen schlicht nicht mehr." Was er damit meint, ist in der Politik seit Jahren bekannt: Durch die demografische Entwicklung in Deutschland, die rückläufige Geburtenrate sowie die steigende Lebenserwartung also, kommen immer mehr Beitragsempfänger auf immer weniger Beitragszahler. Das Problem verschärft sich noch einmal, wenn in wenigen Jahren die sogenannten Babyboomer in Rente gehen.

Dazu kommt: Auch die Zuwanderung, auf die manch ein Politiker für die Rente setzt, wird weniger. Um die gesetzliche Rente dabei dauerhaft zu finanzieren, müssten Berechnungen zufolge 400.000 Erwerbstätige nach Deutschland kommen – pro Jahr.

Diese Stellschrauben gibt es bei der Rente

"Es gibt letztlich drei entscheidende Stellschrauben bei der gesetzlichen Rente", sagt Holtemöller. "Wir können erstens die Rentenbeiträge deutlich erhöhen." Zurzeit liegt der Beitragssatz bei 18,6 Prozent.

"Zweitens könnten wir das Renteneintrittsalter anheben. Das hätte den Vorteil, dass wir sowohl mehr Erwerbstätige als auch weniger Beitragsempfänger hätten, was die Rentenkasse schont", erklärt der Ökonom. Solch ein Vorschlag kam bereits jüngst vom Arbeitgeberpräsidenten Rainer Dulger.

"Die dritte Möglichkeit ist, die Höhe der Rentenzahlungen anzupassen." In dem Fall wäre man bei dem Vorschlag von DRV-Mann Schwarz – oder, wie Holtemöller es ausdrückt: "Die Politik sollte darüber nachdenken, die Produktionsfortschritte, die sich in der Lohnentwicklung widerspiegeln, zu nutzen, um zur Finanzierung der Rente beizutragen."

Warum diese Idee so umstritten ist, wird schnell klar, wenn man die konkreten Auswirkungen betrachtet. "Man muss so ehrlich sein und sagen: Koppelt man die Rentenanpassung nur noch an die Inflationsrate, kommt das einer Rentenkürzung im Vergleich zum Status quo gleich", so der Ökonom.

"Das Rentenniveau wird in dem Fall sinken"

Je älter ein Rentner werde, sagt Holtemöller, desto weiter entferne er sich von den aktuellen Löhnen. "Das Rentenniveau wird in dem Fall sinken", so Holtemöller.

Das Rentenniveau zeigt das Verhältnis zwischen einer sogenannten Standardrente, auch Eckrente genannt, zum Einkommen eines aktuellen Durchschnittsverdieners an. Die Eckrente basiert auf der Regelaltersrente und gibt an, wie hoch die gesetzliche Rente eines Durchschnittsverdieners nach 45 Beitragsjahren ist.

Beim aktuellen Rentenniveau von rund 48 Prozent bedeutet das: Nach 45 Beitragsjahren erhalten Rentner mindestens 48 Prozent des Durchschnittsverdienstes, der dann aktuell herrscht.

Sinkt das Rentenniveau, heißt das also nicht, dass die individuell ausgezahlte Rente sinkt. Es bedeutet lediglich, dass die Renten insgesamt langsamer steigen als die Verdienste. Mehr dazu lesen Sie hier.

Rentenniveau ist politisches Tabuthema

"Das Rentenniveau ist ohnehin eine irreführende Statistik. Ich halte es daher nicht für allzu problematisch, wenn das Rentenniveau sinkt, solange dies nicht zu absoluten Rentenkürzungen führt und sozial ausgewogen gestaltet wird", so Holtemöller.

In der Politik ist das Rentenniveau dagegen ein Tabuthema. So gab Olaf Scholz, SPD-Kanzlerkandidat, unlängst eine Rentengarantie ab. "Die SPD garantiert ein stabiles Rentenniveau", sagte der Vizekanzler der Deutschen Presse-Agentur. Auch die Grünen wollen das Rentenniveau bei aktuell 48 Prozent stabilisieren, die Linke will es gar erhöhen – auf 53 Prozent.

Wer besonders von dem Vorschlag profitiert

"Die Politik übersieht einen wichtigen Vorteil des Inflationsausgleichs", gibt Holtemöller zu bedenken. "Der Vorschlag ließe höhere Zahlungen zu Beginn der Rente zu als jetzt." Im letzteren Fall wäre es so, dass besonders Menschen mit kürzerer Lebenserwartung davon profitieren. "Sie haben am Rentenbeginn eine höhere Rente als jetzt, die jedoch im Laufe der Zeit nicht mehr so stark steigt."

Die Statistik besage: "Je niedriger die Rente, desto geringer die Lebenserwartung." Letztlich könne das System sozial gerechter gestaltet werden als das jetzige.

"Körperlich hart arbeitende Menschen mit geringem Einkommen und kürzerer Lebenserwartungen haben wenig davon, wenn ihre Rente erst im hohen Alter deutlich gestiegen ist", so der Ökonom. "Und diejenigen, die für später vorsorgen wollen, können die vergleichsweise höheren anfänglichen Rentenzahlungen nutzen, um sie zu sparen oder anzulegen." Der Vorschlag ließe sich sogar mit einem Wahlrecht ausgestalten, schwärmt der Ökonom.

Dass die Idee nach der Bundestagswahl dagegen tatsächlich umgesetzt wird, gilt als unwahrscheinlich. "Alle Vorschläge, die die Beitragszahler entlasten könnten, gehen mit Einbußen der Rentner einher. Diese stellen aber eine besonders große Wählergruppe dar", sagt Holtemöller. "Dabei braucht es dringend eine Änderung des Rentensystems."

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Landes-Rententräger wollen nichts zur Idee sagen

Dieser Umstand sollte eigentlich auch der Deutschen Rentenversicherung selbst sowie ihren regionalen Trägern bewusst sein. t-online hat deshalb alle Rentenversicherungsträger angefragt und sie um eine Einschätzung zu der Idee gebeten.

Von vielen jedoch kam keine Antwort, von manchen lediglich der Hinweis, man äußere sich nicht zu den Aussagen eines anderen Trägers. Und die Rentenversicherung im Bund verwies auf die Rentenkommission, die Anfang 2020 ihre Ergebnisse vorstellte. Die Expertenrunde habe sich gegen den Vorschlag entschieden.

"Ein solcher Umstieg stellt danach eine deutliche Abkehr von dem seit 1957 geltenden Grundsatz dar, nach dem Rentenanwartschaften und Renten entsprechend der Lohnentwicklung dynamisiert werden." Dieser Grundsatz der "lohndynamischen Rente" trage maßgeblich zur Akzeptanz der gesetzlichen Rentenversicherung bei und stelle die Beteiligung der Rentnerinnen und Rentner an der Wohlstandsentwicklung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sicher, heißt es von der DRV Bund mit Verweis auf die Rentenkommission weiter.

DRV-Mann rudert zurück

Auch Andreas Schwarz selbst rudert mittlerweile zurück. "Die Aussagen von Herrn Schwarz im der 'Stuttgarter Zeitung' gegebenen Interview beziehen sich auf eine nach der Bundestagswahl zu führende Reformdiskussion, an der möglichst alle im Bundestag vertretenen Parteien beteiligt werden sollten", lässt ein Sprecher auf Anfrage von t-online ausrichten.

"Herr Schwarz hat nicht die Absicht, mit seinen Überlegungen in den zurzeit geführten Bundestagswahlkampf einzuführen, da hier ein wahltaktisches Kalkül im Vordergrund stehen würde."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Oliver Holtemöller
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