Er hat einen Plan
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Wirtschaftsminister Habeck will das Problem der stockenden Gaslieferungen durch Versteigerungen angehen. Wie das funktionieren soll.
Deutschland droht die Gaskrise: Die Lieferungen aus Russland stagnieren auf niedrigem Niveau, Ersatz ist noch nicht ausreichend vorhanden und die Industrie in vielen Bereichen weiterhin abhΓ€ngig. Nun soll Energie gespart werden β Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schlΓ€gt dazu ein Auktionsmodell vor, mit dem die Verteilung von Gas in der Industrie geregelt werden soll.
t-online erklΓ€rt, wie die Gasversorgungslage aktuell ist, wie die Auktionen funktionieren sollen und was die Industrie von dem Vorschlag hΓ€lt.
Wie abhΓ€ngig ist Deutschland noch von russischem Gas?
Die AbhΓ€ngigkeit von russischem Gas ist in den vergangenen Monaten gesunken. Aktuell machen die Gaslieferungen aus Russland laut Bundesregierung noch 38,2 Prozent der Gesamtmenge aus. Vor Beginn des Ukraine-Krieges waren es ΓΌber 50 Prozent. Ohne russisches Gas geht es bislang allerdings bei Weitem nicht.
Die Wirtschaft leidet bereits deutlich unter den hohen Energiepreisen, den LieferengpΓ€ssen und den Unsicherheiten an den internationalen MΓ€rkten, die durch den Krieg entstanden sind. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat jetzt seine Konjunkturprognose fΓΌr das laufende Jahr dementsprechend deutlich korrigiert.
Im Januar war der Industrieverband noch von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP)von 3,5 Prozent ausgegangen. Mittlerweile rechnet er nur noch mit 1,5 Prozent. Und auch das nur unter der Voraussetzung, dass Deutschland weiterhin "hinlΓ€nglich russisches Gas" bekomme.
Welche Menge dabei "hinlΓ€nglich" sei, will BDI-PrΓ€sident Siegfried Russwurm nicht prΓ€zisieren. Doch schon jetzt ist absehbar: Die aktuell flieΓenden 40 Prozent kΓΆnnten es schwierig machen, die Gasspeicher vor dem diesjΓ€hrigen Winter aufzufΓΌllen. Eine kurzfristige Unterbrechung hΓ€tte "katastrophale Folgen".
Bereits jetzt ist die Lage "angespannt", wie die Bundesnetzagentur am Dienstag mitteilte. Noch gilt die erste Stufe des "Notfallplans Gas". Dieser Plan regelt, wie die Bundesregierung im Krisenfall das verbleibende Gas verteilt. Doch ein Bericht der "Welt" am Mittwochabend legte nahe, dass die zweite Stufe bald ausgelΓΆst werden kΓΆnnte (t-online berichtete).
Wie weit sind die Vorbereitungen fΓΌr den nΓ€chsten Winter?
Die Gasspeicher sind aktuell zu rund 57 Prozent gefΓΌllt. Laut Branchenverband Ines belΓ€uft sich das Gasspeichervolumen in Deutschland insgesamt auf einen Energiegehalt von maximal rund 256 Terawattstunden. Das entspricht etwa einem Viertel des jΓ€hrlichen Gasverbrauchs in Deutschland (rund 1.000 Terawattstunden). "Dieses Speichervolumen alleine kann Deutschland zwei bis drei durchschnittlich kalte Wintermonate mit Gas versorgen", sagt die Bundesregierung.
Die Frage, wie lang die aktuelle SpeicherfΓΌllung ausreichen dΓΌrfte, lΓ€sst sich dennoch nur nΓ€herungsweise beantworten. Rein rechnerisch kΓΆnnten die rund 57 Prozent FΓΌllvolumen gut ein bis anderthalb Monate unverΓ€nderten Verbrauch decken. Allerdings hat diese Rechnung viele unbekannte Variablen. Volle Speicher gelten unabhΓ€ngig davon als unabdingbar fΓΌr den kommenden Winter β die nΓ€chste Heizperiode beginnt bereits in 12 Wochen. Lesen Sie hier, wie die unterschiedlichen Szenarien fΓΌr den kommenden Winter aussehen.
Um die Speicher daher mΓΆglichst schnell zu fΓΌllen, soll Gas nicht mehr verstromt werden. Stattdessen soll vermehrt Strom aus Kohle gewonnen werden. Ein entsprechendes Gesetz soll am 8. Juli vom Bundesrat beschlossen werden. Zudem wird mit Hochdruck daran gearbeitet, FlΓΌssiggas-LΓΆsungen fΓΌr Deutschland zu finden. Im Winter sollen dafΓΌr bereits erste schwimmende LNG-Terminals zum Einsatz kommen.
Was hat Wirtschaftsminister Habeck vorgeschlagen?
Habeck plant ein Gasauktionsmodell. Dieses soll industriellen Gasverbrauchern Anreize bieten, Gas einzusparen. Industriekunden sollen ihren Verbrauch gegen ein Entgelt verringern. Wie hoch dieses Entgelt ausfΓ€llt, regelt dabei die Auktion. Das dadurch frei werdende Gas kann dann eingespeichert werden.
Einen Γ€hnlichen Vorschlag hatte der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus MΓΌller, vor einigen Wochen unterbreitet. Dabei orientierte er sich an vergleichbaren Modellen aus dem Kohle- und Strommarkt.
So kΓΆnnte analog zum Mechanismus beim Kohleausstieg auch Gas eingespeichert werden. Das lΓ€uft wie folgt ab: Die Firmenkunden bieten um die HΓΆhe staatlicher EntschΓ€digungszahlungen, das niedrigste Gebot erhΓ€lt den Zuschlag. Dahinter steht der Gedanke, dass diejenigen, die niedrige Gebote abgeben, am ehesten auf das Gas verzichten kΓΆnnen und durch die EntschΓ€digungszahlungen auf Alternativen ausweichen kΓΆnnen, die ohne die ZuschΓΌsse zu teuer wΓ€ren. Im Ernstfall kΓ€me dann das Gas noch an all jene Betriebe, die am wenigsten darauf verzichten kΓΆnnen.
Der Auktionsvorschlag ist auch eine Antwort auf die schwelende Debatte rund um den "Notfallplan Gas". Dieser regelt das Vorgehen der Bundesregierung im Falle einer Gasknappheit. Allerdings geht daraus nicht klar hervor, welche Branchen vorrangig behandelt wΓΌrden (lesen Sie hier, wie der "Notfallplan Gas" funktioniert). In den jΓΌngsten Wochen gab es daher im t-online-Interview die Forderung des BauernprΓ€sidenten Joachim Rukwied, die Lebensmittelindustrie zu priorisieren.
Wie steht die Industrie dazu?
Die Industrie unterstΓΌtzt den Vorschlag. Am Rande des Tages der Industrie nannte BDI-PrΓ€sident Russwurm den Auktionsvorschlag einen "gescheiten Mechanismus". "Das Auktionsmodell wird helfen, denn damit kΓΆnnen die Unternehmen alternative, teurere Wege gehen", so Russwurm weiter.
In der Industrie gebe es Einsparpotenziale, die bislang aus KostengrΓΌnden nicht genutzt wΓΌrden. Durch die Auktion lasse sich dieses Problem mit einem marktwirtschaftlichen Hebel angehen. Was das in der Praxis bedeuten kΓΆnnte, fΓΌhrte Russwurm auf Nachfrage von t-online aus: Unternehmen kΓΆnnten etwa wieder auf ihre alten Γlbrenner zurΓΌckgreifen oder Vorprodukte, die bei der Herstellung viel Gas benΓΆtigen, aus anderen LΓ€ndern einfΓΌhren. Das trΓ€fe zum Beispiel auf die Chemieindustrie zu.
Wie soll weitere Energie gespart werden?
Die Auktionen sind nicht der einzige Weg, weniger Energie zu verbrauchen. Habeck stellte in einem Strategiepapier zuletzt noch eine Reihe weiterer MaΓnahmen vor: Manche davon richten sich auch an Privatpersonen, die grΓΆΓte Hebelwirkung hat allerdings die Industrie.
Um die Einspeicherung von Gas zu sichern, stellt die Bundesregierung schon in KΓΌrze eine zusΓ€tzliche Kreditlinie ΓΌber die Staatsbank KfW in HΓΆhe von 15 Milliarden Euro zur VerfΓΌgung, wie es aus Regierungskreisen hieΓ. Mit dem Kredit soll der sogenannte Marktgebietsverantwortliche Trading Hub Europe THE die nΓΆtige LiquiditΓ€t bekommen, um Gas einzukaufen und die BefΓΌllung der Speicher voranzutreiben.
Zudem bereite das Wirtschaftsministerium eine notwendige Ministerverordnung vor, um die "Gasersatzreserve" in Gang zu setzen. DafΓΌr sollen Kraftwerke, die bereits als Reserve zur VerfΓΌgung stehen, tΓΌchtig gemacht werden β um kurzfristig an den Markt zurΓΌckkehren zu kΓΆnnen. Dies ermΓΆglicht die verstΓ€rkte Nutzung von Kohlekraftwerken.
Auch Privatpersonen sind gefragt. In einer eigenen Aktion rief Habeck alle BΓΌrgerinnen und BΓΌrger dazu auf, Energie zu sparen. Zu den praktischen Tipps der Kampagne gehΓΆren dabei: Stand-by-Modus von ElektrogerΓ€ten abschalten und Stecker ziehen, Deckel auf den Kochtopf legen und die WΓ€sche drauΓen trocknen (alle Tipps finden Sie hier).
- Eigene Recherche
- GesprΓ€ch mit Siegfried Russwurm (BDI)
- Spiegel: "Bundesnetzagentur-Chef erwΓ€gt Versteigerung von Gasverbrauchsrechten"
- WDR: "Milliardenkredit, Kohle, Auktions-Modell: Das sind Habecks PlΓ€ne zum Gas-Sparen"
- Bundesregierung: "Gasversorgung: AbhΓ€ngigkeiten verringern"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa