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Gaskrise: "Preise wie vor dem Ukraine-Krieg werden wir nicht wieder haben"


Preisanstieg
"Die Botschaft ist noch nicht bei jedem angekommen"


Aktualisiert am 16.10.2022Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Strom muss weiterfließen, wissen die Energieversorger. Doch Gaskrise, Kohleausstieg und zunehmend wütende Kunden erhöhen den Druck.Vergrößern des Bildes
Der Strom muss weiterfließen, wissen die Energieversorger. Doch Gaskrise, Kohleausstieg und zunehmend wütende Kunden erhöhen den Druck. (Quelle: IMAGO/mix1press)

Über Monate kroch der Gaskrisen-Winter näher, nun steht er kurz bevor. Ein Gespräch über den Frust bei den Energieversorgern und ihr Festhalten am Gas.

Im Frühjahr hätte wohl kaum jemand geglaubt, dass letztlich doch so viel Gas für die Winterreserve zusammenkommen würde. Doch die Kosten bleiben hoch, die geplante Gaspreisbremse kommt voraussichtlich erst im März und die Kundenhotlines der Energieversorger werden zur Telefonseelsorge.

Als Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) ist Kerstin Andreae so nah am Beben der deutschen Gaskrise wie wenige andere. Im Interview erzählt sie, wieso Gas nicht gleich Gas ist und wo sie bei katarischem LNG die Grenze ziehen würde.

t-online: Die Gasspeicher sind gut gefüllt. Doch aktuell verbrauchen Privathaushalte sogar mehr als im vergangenen Jahr. Auf was für eine Versorgungssituation müssen wir uns im Winter gefasst machen?

Kerstin Andreae: Die Versorgungslage ist stabil – das ist die gute Nachricht. Darüber hinaus sind in Deutschland private Haushalte und soziale Einrichtungen im Fall einer Mangellage besonders geschützt. Trotzdem ist Gassparen wichtig. Und auch wenn sich die Situation gerade wieder zu entspannen scheint, haben doch die ersten kälteren Tage gezeigt: Die Botschaft ist noch nicht bei jedem angekommen.

Wie wollen Sie die Menschen davon überzeugen?

Gassparen sichert nicht nur die Versorgung, sondern ist auch gut für den eigenen Geldbeutel. Ein Grad weniger zu heizen, spart etwa sechs Prozent des Verbrauchs.

Heizen Sie selbst schon?

Nein.

Für die Winterplanung ist Flüssiggas ein wichtiger Bestandteil, doch bislang gibt es nur Lieferzusagen über geringe Mengen. Kann das noch gelingen?

Wir brauchen langfristige Alternativen zu russischem Gas. Da ist die Politik gefragt, aber noch nicht am Ziel. Doch bei der Infrastruktur hat sich bereits einiges getan, sowohl was den Bau von LNG-Terminals und Pipelines in Deutschland als auch in den Exportländern betrifft.

Diese Langfristigkeit stellt die Bundesregierung aber vor einen Konflikt: Beispielsweise Katar fordert Lieferverträge von mehr als zehn Jahren. Klimaschützer wie etwa die Deutsche Umwelthilfe wollen die Genehmigungen zeitlich beschränken.

Dauerhafte Erdgaslieferungen und Klimaneutralität passen natürlich nicht zusammen. Dennoch sind längerfristige Verträge heute wichtig, um Vertrauen in den Märkten zu schaffen und auch um gute Preise verhandeln zu können. Es müssen allerdings keine Vertragslaufzeiten von 20 Jahren sein. Ich halte es dennoch für notwendig, Verträge über zehn bis zwölf Jahre abschließen zu können.

Selbst mit den Ersparnissen durch langfristige Verträge ist LNG deutlich teurer als Pipeline-Gas. Welche Kosten kommen da auf Verbraucher in den kommenden Wochen und Monaten noch zu?

Das lässt sich schwer sagen. Die Preise schwanken sehr stark, gerade erst sind die Gaspreise wieder gefallen. Ein wichtiger Faktor ist, wie kalt der Winter wird und wie schnell das Gas aus den Speichern aufgebraucht wird. Was wir aber mit Sicherheit wissen: Wir werden nicht wieder Preise wie vor dem Ukraine-Krieg haben.

Inwiefern ist die Gaspreisbremse da das richtige Instrument?

Die Entlastungen sind notwendig und sie beugen sozialen Verwerfungen vor. Und auch die Unternehmen sind derzeit mit Preisen konfrontiert, die sie nicht bezahlen können. Die jetzt von der Gaskommission vorgeschlagenen Maßnahmen bringen den privaten Gaskunden substanzielle Entlastungen. Es ergeben sich Entlastungen von rund 680 Euro in einem Ein-Personen-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von 8.300 kWh pro Jahr bis zu mehr als 2.000 Euro für einen Vier-Personen-Haushalt mit einem Jahresverbrauch von rund 25.000 kWh pro Jahr.

Klar ist aber auch: Die Haushalte werden trotz Gaspreisbremse im kommenden Jahr noch mehr für Gas zahlen müssen als noch vor einem Jahr. Daher bleibt Energiesparen das Gebot der Stunde, denn jede kWh, die nicht verbraucht wird, muss auch nicht bezahlt werden.

Sind soziale Verwerfungen nicht etwas weit hergeholt?

Leider nein. Aktuell bekommen es vor allem die Energieunternehmen ab. Ich habe gerade mit einem Geschäftsführer gesprochen, der von 8.000 Anrufen am Tag erzählt hat. Davon könnten maximal 30 Prozent beantwortet werden. In den Kundencentern werden bereits die Sicherheitsmaßnahmen verschärft und die Mitarbeiter psychologisch geschult. Die machen kaum noch Tarifberatung, sondern fangen vor allem die Wut, aber auch die Verzweiflung der Kunden ab.

Die Verzweiflung rührt oft daher, dass die Menschen sich mit ihrer Gasheizung lange sicher fühlten. Auch der BDEW warb im vergangenen Winter noch mit einem Flyer, auf dem es hieß "Die Gasheizung – auch langfristig eine gute Wahl". Inwiefern war das zu kurzsichtig?

Auch wir haben nicht gesehen, wie extrem sich die Lage durch den russischen Angriffskrieg verändert hat. Unsere Perspektive war und ist aber klar: Das große Ziel ist es, den Energiesektor klimaneutral zu gestalten. Wenn uns die Krise eins gelehrt hat, dann, dass der Wandel noch schneller kommen muss. Beim Strom wollen wir den Anteil der erneuerbaren Energien auf 100 Prozent bringen, aber Strom macht insgesamt nur 20 Prozent des Energiebedarfs aus. Gleichzeitig heizen immer noch rund 25 Prozent der Deutschen mit Öl. Klar ist: Die Wärmeversorgung wird auch in Zukunft viele Bausteine benötigen. Elektrifizierung und Einsparung ebenso wie eine grüne Fern- und Nahwärmeversorgung, aber auch den Einsatz erneuerbarer und dekarbonisierter Gase wie Wasserstoff und Biomethan. Sie ermöglichen, Gasheizungen und die weitverzweigte Gasinfrastruktur langfristig klimaneutral zu nutzen.

(Quelle: IMAGO/Stefan Boness/Ipon)

Kerstin Andreae

1968 im Baden-Württemberg geboren, studierte Andreae Politische Wissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Freiburg. 1990 trat sie den Grünen bei und hatte in den folgenden Jahren verschiedene Ämter auf Landesebene inne. Von 2002 bis 2019 war sie Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sie legte ihr Mandat nieder, um Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des BDEW zu werden.

Wieso hängen Sie weiter so sehr am Gas?

Die Wärmeversorgung ist ein saisonales Geschäft: Der höchste Bedarf liegt an kalten und dunklen Tagen. Da ist es gut, sich auf ein System mit zwei Komponenten verlassen zu können: grüner Strom und grüne Gase. Hinzu kommt, dass es dabei um 42 Millionen Wohnungen geht. Mehr als die Hälfte davon sind vor 1970 gebaut worden und nicht gut saniert. Da kommt man mit Alternativen wie Wärmepumpen nicht immer weit – die funktionieren nur in gedämmten Häusern effizient. Gleichzeitig ist die Hälfte der Wohnungen in Deutschland am Gasnetz angeschlossen. Da bietet sich Gas als Wärmelieferant optimal an. Aber Gas ist nicht nur Erdgas, sondern Biogas und andere dekarbonisierte Gase.

Das heißt, der deutsche Sanierungsstau kommt den Energieversorgern recht gelegen?

Oh nein! Ganz im Gegenteil. Wir brauchen dringend eine massive Sanierungswelle, um die Wärmewende zu schaffen. Die 42 Millionen Wohnungen bringen ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit. Welche Maßnahmen am besten geeignet sind, ist von Gebäude zu Gebäude unterschiedlich. Sie hängen vom Alter und Sanierungsstand des Hauses ab, wie auch von der vorhandenen Netzinfrastruktur und den regionalen Gegebenheiten. Wir müssen daher ganzheitlich an die Wärmewende herangehen.

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Wärmepumpen brauchen nur Strom, Gas ist dann raus. Wie schmerzhaft wird das für die Energiekonzerne?

Gar nicht. Meine Philosophie ist: Der Kuchen ist riesengroß. Wir werden alle Energiequellen brauchen, um das Ziel der klimaneutralen Wärmeversorgung zu organisieren. Wie wichtig synthetisches Gas dabei wird, hängt letztlich stark davon ab, ob wir schnell den Hochlauf von grünem Wasserstoff hinbekommen. Aber Fernwärme, Abwärme, Geothermie – alles wird nötig sein. Je früher die CO2-freien und erneuerbaren Energieträger zum Zuge kommen, umso besser.

Um synthetisches Gas zum Heizen zu produzieren, braucht es bis zu fünfmal mehr Strom als für den Betrieb einer Wärmepumpe. Inwiefern ist das sinnvoll?

Beim Wärmemarkt geht es nie nur um Energieträger: Wir haben in den Städten einen hohen Stand an Mietern, viele Eigentümer sind bereits im Rentenalter und schrecken vor einer Sanierung zurück. Wir brauchen pragmatische und bezahlbare Lösungen. Dazu gehört auch, die vorhandene, intakte Infrastruktur weiter zu nutzen. Das ist ein riesiger Vorteil. So können Gasheizungen oder auch Hybridlösungen, die erneuerbare Energien mit Gas kombinieren, sicher versorgt werden.

Da machen Sie es sich aber etwas einfach: Die Energiewirtschaft ist für mehr als ein Drittel der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich. Wann starten Sie durch?

Zunächst einmal haben wir seit 1990 mehr als 50 Prozent CO2-Emissionen reduziert – so viel wie kein anderer Sektor. Aber ohne Zweifel, wir müssen noch deutlich schneller werden. Wir haben in den vergangenen Monaten erlebt, was politisch möglich ist. Bei der gesamten Infrastruktur für Flüssiggas ging es auf einmal sehr schnell mit der Planung und Genehmigung für LNG-Terminals, weil wir das russische Erdgas schnell ersetzen müssen. Im bürokratischen Alltag ist dieser Sinneswandel noch nicht angekommen. Denselben Genehmigungswillen brauchen wir beim Netzausbau, beim Windkraftausbau und für die Solarenergie. Und zwar bis in die letzte Amtsstube.

Wurde nicht genau das von Wirtschaftsminister Robert Habeck jüngst zugesagt?

Versprechen sind das eine – was faktisch möglich ist, steht auf einem anderen Blatt. Dass die Regierung die Ausbauziele für Solar- und Windkraft hochgesetzt hat, ist für die Konzerne an sich fantastisch: Mit grüner Energie lässt sich viel Geld verdienen. Aber man braucht auch die Genehmigungen, die Flächen, das Material, die Fachkräfte. Das alles bereitet uns weiterhin Sorgen.

Gleichzeitig ist trotzdem schon viel möglich: RWE hat der Braunkohle jetzt den Rücken gekehrt. Wie groß ist der Druck auf andere Kohlekonzerne, ebenfalls 2030 aus der Kohle auszusteigen?

Es läuft sicher nicht so schnell, wie man es sich wünschen würde. Aber auch bei vielen anderen klassischen Energieunternehmen geht der Dampfer klar in Richtung Erneuerbare und Klimaneutralität. Beispielsweise LEAG plant aktuell die größte Fotovoltaikfläche Deutschlands auf einem ehemaligen Tagebaugelände. Da wird enorm investiert. Aber gerade in der aktuellen Situation lässt sich auch nicht kleinreden, dass es eine wichtige Aufgabe dieser Konzerne ist, Versorgungssicherheit zu schaffen.

Das heißt?

Das Ziel der Klimaneutralität ist unabdingbar. Aber dies muss gemeinsam mit verlässlicher Versorgung und bezahlbaren Energiepreisen erreicht werden. Diese drei Punkte muss man zusammendenken.

Viele Menschen sorgen sich tatsächlich inzwischen auch um Stromknappheit. Denn bislang hat Gas die Spitzenlast abgefangen. Rechnen Sie in diesem Winter mit Stromausfällen?

Einen Blackout halte ich für sehr unwahrscheinlich. Es kann aber zu Situationen kommen, in denen regional kurzfristig abgeschaltet werden muss. Das wäre jedoch kein klassischer Stromausfall, sondern ein kontrollierter Eingriff, um die Netze zu stabilisieren, damit die Versorgung deutschlandweit gesichert ist.

Zur Sicherung der Stromversorgung wollen die Netzbetreiber alle aktiven Kernkraftwerke weiterlaufen lassen, um die Grundlast zu erhöhen. Die Regierung ziert sich, will nur zwei am Netz lassen. Ist das der richtige Weg?

Wir halten es für den richtigen Weg, diese Kernkraftwerke zu nutzen, um die Netzstabilität zu gewährleisten.

Neben der AKW-Debatte ist auch die Diskussion über Fracking in Deutschland zurück. Die Methode wurde 2017 wegen möglicher Umweltschäden größtenteils verboten. Inwiefern sollte man das nun überdenken?

Die Risiken sind bekannt: Fracking kann das Trinkwasser gefährden und hierum sorgen sich richtigerweise die Wasserversorger in unserem dicht besiedelten Land. Aber wir sind durch die Kriegs- und Krisensituation in einer anderen Lage als noch vor ein paar Jahren, da muss die Regierung die Sachlage neu abwägen. Aber neben Fracking hat Deutschland auch andere Quellen, um Gas selbst zu produzieren: allen voran Biomethan.

Um mit Biogasanlagen deutlich mehr Energie zu produzieren, reichen weder Gülle noch Grünabfälle. Es bräuchte beispielsweise viel Futtermais, der Lebensmittelpflanzen von den Feldern verdrängen könnte. Ist das für Sie kein Konflikt?

Bis 2030 könnten in Deutschland pro Jahr 100 Terawattstunden Biomethan erzeugt werden. Dies entspricht etwa einem Fünftel der Erdgasmenge, die Deutschland im vergangenen Jahr an russischem Erdgas verbraucht hat. Dieses Potenzial wird aktuell jedoch bei Weitem nicht ausgeschöpft. Im Jahr 2021 wurden in Deutschland gerade einmal 10 TWh Biomethan erzeugt. Wichtig ist, dass wir uns damit keine zusätzlichen Probleme schaffen. Und das ist möglich: Für die genannte Produktionssteigerung von Biogas müssten keine zusätzlichen Energiepflanzen angebaut werden.

Es müssten nur die Kapazitäten der vorhandenen Biogasanlagen vollständig ausgenutzt werden. Fest steht: Wir werden viele Lösungen brauchen, um die bequemen russischen Gaslieferungen der letzten Jahrzehnte zu ersetzen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Kerstin Andreae
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