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Streit über EU-Notfallplan: Beim Gas schwindet die europäische Einigkeit


Streit über Sparplan
Beim Gas bröckelt Europas Einigkeit – auch wegen Deutschland


Aktualisiert am 25.07.2022Lesedauer: 6 Min.
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Ursula von der Leyen: Die EU-Kommissionpräsidentin muss ihren Vorschlag zum Gassparen gegen heftige Kritik verteidigen.Vergrößern des Bildes
Ursula von der Leyen: Die EU-Kommissionpräsidentin muss ihren Vorschlag zum Gassparen gegen heftige Kritik verteidigen. (Quelle: Future Image/imago-images-bilder)

Die EU soll Gas sparen, um sich für einen russischen Lieferstopp zu rüsten. Doch es zeichnet sich Widerstand ab – vor allem gegen die gegenseitige Hilfe.

Die EU setzt auf Solidarität: Wenn das Gas knapp wird, sollen sich die Staaten gegenseitig unterstützen. Die Kommission will zudem, dass alle Länder Gas sparen, um sich auf eine Verschärfung der Krise vorzubereiten. Am Dienstag kommen die Energieminister zu einem Sondertreffen in Brüssel zusammen. Schon vorher ist klar: Es wird wohl Streit geben.

Die Solidaritätsregel ist nicht neu: Die sogenannte SoS-Verordnung ("Security of Supply", Versorgungssicherheit), wurde bereits vor fünf Jahren beschlossen. Darin ist vorgesehen, dass Haushalte sowie für Gesellschaft und Wirtschaft essenzielle Unternehmen wie Krankenhäuser Vorrang genießen. Außerdem ist dort die gegenseitige Unterstützung im Notfall festgeschrieben.

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Nach geltendem Recht müsste demnach die Industrie eines Landes den Nachbarländern Gas abgeben, wenn dort die Haushalte oder die vorrangigen Unternehmen nicht mehr versorgt werden können. Der genaue Ablauf müsste dann zwischen den betroffenen Staaten ausgehandelt werden – mit Österreich und Dänemark hat die Bundesregierung solche Abkommen bereits geschlossen.

Von der Leyen rechnet mit komplettem Gasstopp

Dass der Notfall samt der Solidaritätsregel kommen könnte, hält die EU-Kommission für möglich. Präsidentin Ursula von der Leyen schlug vorigen Mittwoch ernste Töne an: "Wir müssen uns auf eine vollständige Unterbrechung der russischen Gasversorgung vorbereiten", sagte sie. Schon in der Vergangenheit habe man gesehen, dass Russland versuche, Druck auf die EU auszuüben, indem es die Gaslieferungen reduziert.

Daher will die EU-Kommission mit einem Notfallplan alle Mitgliedstaaten zum Gassparen zwingen können, wenn sie nicht freiwillig ihren Verbrauch ausreichend senken. 15 Prozent weniger als der Durchschnittsverbrauch der vergangenen fünf Jahre für den Zeitraum zwischen August 2022 und März 2023 sind zunächst das Ziel – mit welchen Maßnahmen, bleibt den Staaten selbst überlassen. Dafür müssten wohl sowohl die Industrie als auch Privathaushalte Gas einsparen. Verpflichtend könnten Einsparungen werden, wenn die EU-Kommission wegen einer Unterversorgung mit Gas akute Notsituationen befürchtet. Dann sind auch Vorgaben von mehr als 15 Prozent möglich.

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"Der Kreml ist kein verlässlicher Partner"

Der Vorschlag steht am Dienstag auf der Tagesordnung des Sondertreffens der EU-Energieminister. Am Tag zuvor betont von der Leyen: "Der Kreml ist kein verlässlicher Partner für die Energieversorgung Europas." Daran habe auch die Wiederaufnahme der Lieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland nichts geändert, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.

Doch schon jetzt zeichnet sich ab, dass es mit der Solidarität nicht weit her ist: Einige Länder haben bereits ihren Widerstand gegen die Pläne angekündigt – auch weil sie glauben, der Plan nütze vor allem Deutschland. Teilweise wollen sie sich auch an bereits geltendes Recht nicht mehr halten.

Ungarn will noch mehr Gas von Putin

Am Donnerstag war der ungarische Außenminister Peter Szijjarto überraschend zu Besuch in Moskau. Sein Land will in diesem Jahr 700 Millionen Kubikmeter russisches Gas zusätzlich kaufen – und schlägt damit die Gegenrichtung zur EU ein. Es gehe um die Energiesicherheit seines Landes, so Szijjarto. Der Kreml prüfe die Anfrage, erklärte sein russischer Kollege Sergej Lawrow.

Zuvor hatte Ungarn bereits den Notstand ausgerufen: Ab August soll kein Gas mehr an andere EU-Länder geliefert werden. Die EU-Kommission untersucht, ob dieser Schritt rechtmäßig ist.

Der Regierung von Viktor Orbán wurde bereits mehrfach vorgeworfen, die Brüsseler Russlandpolitik teils zu torpedieren und trotz des Angriffskrieges gegen die Ukraine weiterhin die Nähe zum Kreml zu suchen. Am Wochenende erklärte Orbán die westliche Russland-Strategie für gescheitert. Man müsse mit Moskau verhandeln, die Sanktionen würden Russland nicht erschüttern, so der rechtsnationale Politiker.

Polen: Solidarität mit Deutschland nur unter Bedingungen

Aus der nationalkonservativen Regierungspartei Polens, PiS, wurde in der vergangenen Woche Kritik am Solidaritätsprinzip laut – insbesondere in Bezug auf Deutschland. Man sei immer bereit zu helfen, aber im Fall von Deutschland müssten erst einige Meilensteine erreicht werden.

Als Beispiele nannte Generalsekretär Krzysztof Sobolewski die "Frage der Kriegsreparationen" oder eine Entschuldigung Deutschlands dafür, die Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 immer als rein wirtschaftliches Projekt dargestellt zu haben. Polen hatte von Anfang an davor gewarnt, dass Russland die Gasleitungen als politisches Druckmittel nutzen könnte. Polen hat sich in den vergangenen Jahren weitgehend unabhängig von russischem Gas gemacht. Der Füllstand der Gasspeicher ist mit mehr als 90 Prozent deutlich höher als in Deutschland.

"Wir können keine Opfer bringen"

In Südeuropa kritisiert man hingegen vor allem das Vorgehen der EU-Kommission. So sagte die spanische Ministerin für ökologischen Wandel, Teresa Ribera, am vergangenen Mittwoch: "Wir können doch keine Opfer bringen, zu denen wir nicht gefragt worden sind." Sie erklärte, im Gegensatz zu anderen Ländern hätten die Spanier beim Energieverbrauch nicht über ihre Verhältnisse gelebt. Der Notfallplan der Kommission sei weder der effektivste, noch der effizienteste, noch der fairste.

Auch die portugiesische Regierung hat ihren Widerstand gegen den Notfallplan angekündigt. Der Vorschlag der EU-Kommission sei "unhaltbar", erklärte der Staatsminister für Umwelt und Energie, João Galamba, am vergangenen Donnerstag gegenüber der Zeitung "Público". "Wir konsumieren Gas aus absoluter Notwendigkeit", versicherte er.

"Griechenland ist vorbereitet"

Der griechische Energieminister Kostas Skrekas stellte sich ebenfalls gegen den Sparvorschlag der EU. Er sagte einem griechischen Radiosender: "Griechenland ist vorbereitet." Die notwendige Infrastruktur, um einen russischen Lieferausfall auszugleichen, sei vorhanden. "Daher sind wir nicht mit einer pauschalen, obligatorischen Senkung des Verbrauchs einverstanden." Griechenland ist noch zu 40 Prozent von russischem Gas abhängig.

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Weiter erklärte Skrekas, eine Einsparung von 15 Prozent in Griechenland heiße nicht, dass das dort gesparte Gas nach Deutschland fließen könne. Es gebe keine leeren Pipelines, die gefüllt werden könnten. "Es ist merkwürdig, dass die Kommission diese Ankündigung ohne ernsthafte Konsultation gemacht hat", kritisierte er den Vorschlag.

Die Regierung von Zypern stellt sich ebenfalls gegen den Sparplan – vor allem, weil Zypern gar keinen Zugang zum europäischen Gasnetz habe. "Er sollte nicht für Zypern gelten, solange die Insel nicht direkt an das Erdgasnetz der EU angeschlossen ist", zitiert das Magazin "Politico" einen Regierungsvertreter.

Habeck: "Europäische Solidarität wichtiger denn je"

Die Bundesregierung begrüßt das Vorhaben der EU-Kommission hingegen. "Europäische Solidarität ist in diesen Zeiten wichtiger denn je", so Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). "Denn wenn die Gasversorgung in einem oder mehreren Mitgliedstaaten in Schwierigkeiten gerät, dann hat das letztlich Auswirkungen auf alle EU-Länder."

Es ist bisher jedoch noch unklar, wie viel Deutschland noch sparen müsste, um das Kommissionziel von 15 Prozent zu erreichen. Habeck hatte aber bereits auf Bundesebene engagierte Sparziele vorgegeben. Hier lesen Sie mehr dazu.

Das Wirtschaftsministerium geht auf Grundlage von Zahlen des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft davon aus, dass der Gasverbrauch bis einschließlich Mai in diesem Jahr gut 14 Prozent unter dem des Vorjahres lag. Rechnet man den Einfluss der Temperatur heraus, seien es noch 6,4 Prozent. Deutlich rückläufig sei auch die Stromerzeugung aus Gas. Diese sei im gleichen Zeitraum um 14 Prozent niedriger gewesen als im Jahr zuvor.

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Von der Leyen verteidigt Sparplan

Kommissionschefin Ursula von der Leyen argumentierte vor dem Energieministertreffen ähnlich wie der deutsche Wirtschaftsminister: "Auch Mitgliedstaaten, die kaum russisches Gas beziehen, können sich den Folgen eines möglichen Lieferstopps in unserem Binnenmarkt nicht entziehen", so die deutsche Politikerin vom Montag.

Die Kommission schätzt, dass ein Lieferstopp einen Einbruch der Wirtschaftsleistung um im Durchschnitt 0,9 bis 1,5 Prozent nach sich ziehen könnte. "Deshalb ist es wichtig, dass alle Mitgliedstaaten die Nachfrage drosseln, dass alle mehr speichern und mit denjenigen Mitgliedern teilen, die stärker betroffen sind", ergänzte von der Leyen.

Von der Leyen gab sich trotz der Kritik aus den Mitgliedsstaaten optimistisch. "Ich bin sicher, dass sich die Energieminister ihrer Verantwortung bewusst sind", so die Kommissionschefin. Damit ihr Sparplan angenommen wird, braucht es eine qualifizierte Mehrheit: 15 Staaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentierten, müssen zustimmen.

Streit vor dem ukrainischen Gast?

Jedoch arbeiten wohl einige der Länder, die den Kommissionsvorschlag kritisiert hatten, an einem Gegenentwurf: Der griechische Minister Skrekas habe angekündigt, er und seine spanische Kollegin Ribera arbeiteten an einem offenen Brief, berichtet "Politico". Dieser solle von den Gegnern des EU-Vorschlags unterzeichnet werden. Skrekas zufolge könnten dazu unter anderem Frankreich, Italien, Malta und die Slowakei gehören.

Es dürften somit harte Verhandlungen werden. Europäische Einigkeit sieht anders aus – und das ausgerechnet vor dem ukrainischen Energieminister Herman Haluschtschenko. Wie t-online aus EU-Kreisen erfuhr, wird dieser als Gast zu einem gemeinsamen Mittagessen mit seinen EU-Kollegen am Rande des Treffens erwartet.

Verwendete Quellen
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