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Nord Stream: Wer hat die Pipelines gesprengt? Drei Theorien im Überblick


Die drei Theorien zum Anschlag
Wer hat Nord Stream gesprengt?


Aktualisiert am 14.05.2023Lesedauer: 4 Min.
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Leck an Nord Stream 1: Greenpeace hat die Pipeline selbst begutachtet. (Quelle: t-online)

Der Anschlag auf Nord Stream ist noch nicht aufgeklärt. Die Ermittlungen zu den Explosionen laufen. Diesen drei Theorien folgen Journalisten.

Die deutsch-russischen Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 sind am 26. September 2022 von Unbekannten zerstört worden. Dafür wurden für drei Explosionen jeweils mehrere Hundert Kilo militärischer Sprengstoff verwendet. Das Motiv ist unklar, da die Pipelines zum damaligen Zeitpunkt bereits kein Gas mehr nach Europa lieferten. Russland hatte im Zuge des Angriffs auf die Ukraine den Export über Nord Stream 1 gestoppt, die Bundesregierung hatte das Projekt Nord Stream 2 beendet.

Noch ist der Anschlag am Grund der Ostsee vor der dänischen Insel Bornholm nicht aufgeklärt. In Deutschland, Dänemark und Schweden ermitteln Strafverfolgungsbehörden zur Sabotage. Aus diesen Verfahren sind bislang nur wenige Details öffentlich geworden. Einen sicheren Schluss lassen sie nicht zu. Durch Medienberichte haben sich aber drei – unterschiedlich wahrscheinliche – Theorien zu mutmaßlichen Tätern etabliert. Der Überblick.

Die Spur nach Russland

Kurz nach den Explosionen fiel der Verdacht auf Russland, da sich ein solcher Anschlag in das Bild der hybriden Kriegsführung gegen den Westen fügen würde. Mutmaßungen von Experten zufolge hätte der Kreml die Anschläge auf die damals stillgelegten Pipelines nutzen können, um öffentlich seine Fähigkeiten zu demonstrieren, die kritische Infrastruktur der Nato anzugreifen – und gleichzeitig Strafzahlungen verhindert, obwohl der russische Staatskonzern Gazprom entgegen laufender Verträge die Lieferungen über Nord Stream 1 einstellte.

Ende März wurden durch Recherchen von t-online erstmals belastbare Spuren zu dieser Theorie öffentlich. Demnach waren wenige Tage vor den Explosionen, am 21. und 22. September, Spezialschiffe des russischen Militärs für Unterwasseroperationen am Tatort. Sicherheitskreise nannten sechs konkrete Schiffe, deren Fahrt über Satellitenbilder und Positionsdaten zum Teil nachvollzogen werden konnte. Darunter die "SS-750", die mit einem Mini-U-Boot ausgestattet ist, und die beiden Schlepper "Aleksander Frolow" und "SB-123" mit Lastkränen.

Wenige Wochen später konkretisierte sich die Spur: Das dänische Verteidigungsministerium bestätigte der Tageszeitung "Information" zunächst, die dänische Marine habe 112 Fotos der Schiffe angefertigt – dann sogar, dass 26 der Fotos die "SS-750" zeigen. Mittlerweile haben die vier skandinavischen Rundfunksender SVT, NRK, DR und Yle in einer Recherchekooperation auch die Anwesenheit der "SB-123" belegen können. Dafür haben sie Funksprüche ausgewertet, die ein ehemaliger britischer Militärgeheimdienstler abgefangen hat.

Experten halten diese Theorie für das bislang plausibelste Szenario, da die Ausrüstung der Schiffe exakt für diese Art von Operationen geeignet ist. Ob Ermittler das mit tieferem Kenntnisstand ähnlich beurteilen, ist nicht bekannt. Der zuständige schwedische Staatsanwalt bestätigte, die Fotos seien bereits Teil der Ermittlungen. Höchstwahrscheinlich sei ein staatlicher Akteur verantwortlich. Die Täter hätten "in dem Wissen gehandelt, dass sie Spuren hinterlassen würden".

Die Spur zur Segeljacht

Eine dieser hinterlassenen Spuren führt zu einer Segeljacht, die deutsche und dänische Ermittler ausfindig gemacht haben. Die ARD und "Die Zeit" berichteten zuerst darüber. Demnach identifizierte der Generalbundesanwalt die "Andromeda" als mögliches Tatfahrzeug. An Bord fanden sich Spuren des verwendeten Sprengstoffs. Vieles des kolportierten Tathergangs gilt allerdings in Expertenkreisen als äußerst unwahrscheinlich. Auch die Ermittler selbst schließen nicht aus, dass es sich um vorsätzlich falsch gelegte Spuren handelt.

Den Berichten zufolge wurde die deutsche Jacht unter Vorlage professionell gefälschter Pässe von einer polnischen Briefkastenfirma angemietet. Sie soll sich im Besitz zweier ukrainischer Staatsbürger befinden. Zeitgleich erschien in der "New York Times" ein Bericht auf Grundlage unbestätigter Informationen aus US-Sicherheitskreisen, es werde eine "pro-ukrainische Gruppe" verdächtigt.

In den deutschen Berichten hieß es, eine sechsköpfige Crew sei in Rostock an Bord gegangen, die aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin bestanden habe. Von dort aus sei die "Andromeda" Anfang September 2022 in See gestochen und habe mehrere Häfen um Bornholm angesteuert. Nach mehreren Wochen sei die Jacht ungereinigt zurückgegeben worden.

Auch wenn Ermittler der Spur folgen: Experten aus Militär, Nachrichtendiensten und dem professionellen Tauchen halten das geschilderte Szenario für wenig plausibel.

Der militärische Sprengstoff war vermutlich rund 15 Millionen Euro wert und könnte nur aus staatlichen Quellen beschafft werden, wo er vermisst würde. Er müsste in die EU geschmuggelt worden sein, ohne entdeckt zu werden. Ob er an Bord der kleinen Jacht und dort ohne Hilfsmittel zum Einsatz gebracht werden könnte, ist fraglich. Die Taucher müssten über professionelle Ausbildung verfügen, wie sie fast nur Militärexperten haben. Für die Operation wäre erhebliche logistische Vorarbeit notwendig gewesen. Entsprechende Wetterbedingungen herrschten vermutlich nur in kurzen Zeiträumen.

Hershs US-Geschichte

Als unwahrscheinlichstes Szenario gilt eine Tatversion, die der langjährige US-Journalist Seymour Hersh auf seinem Blog verbreitet hat. Demnach hätten die USA die Pipeline unter Mithilfe von Norwegen gesprengt. Vor allem in antiamerikanischen Kreisen der Rechten und Linken wurden die Mutmaßungen begeistert aufgegriffen. Sie spielen in der russischen und chinesischen Propaganda eine maßgebliche Rolle, weil sie die Möglichkeit bieten, die transatlantischen Verbündeten zu spalten. Es gibt allerdings keinerlei Hinweise darauf, dass die Veröffentlichung zutrifft.

In Journalistenkreisen gilt Hershs Veröffentlichung als unseriös, weil sie gegen professionelle Standards verstößt. Der Autor beruft sich auf lediglich eine Quelle, die er nicht nennt. Weitere Belege liefert er nicht. Gleichzeitig hat der gesamte Bericht eine Detailtiefe – von der vermeintlichen Planung in höchsten Regierungskreisen bis zur technischen Ausführung auf operativer Ebene – durch die die angebliche Quelle leicht identifizierbar wäre. Wenn es überhaupt eine Quelle geben sollte, die einen derartigen Einblick hat. Viele der Schilderungen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Viele Details allerdings, die sich überprüfen lassen, haben sich als falsch herausgestellt. Das betrifft das vermeintlich verwendete Schiff der norwegischen Marine und das vermeintlich verwendete Flugzeug der norwegischen Luftwaffe. Andere Details sind höchst widersprüchlich und unlogisch. Im Laufe der Geheimoperation wurden laut Hersh zum Beispiel immer mehr Verbündete informiert. Und ein weiteres Detail gibt möglicherweise einen Hinweis auf den Wahrheitsgehalt des Artikels: Jahre zuvor hatte Hersh ein zentrales Zitat wortgleich bereits in einem Artikel über den Tod von Osama bin Laden verwendet. Diese Story stellte sich ebenfalls als falsch heraus.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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