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Asylstreit in Deutschland: Es fliegt auseinander, was zusammen gehört


Europas Asylpolitik
Es fliegt auseinander, was zusammen gehört

MeinungEin Kommentar von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 20.06.2018Lesedauer: 4 Min.
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Migranten warten am Hafen von Catania in Italien auf einen Gesundheitscheck: Eine europäische Lösung der Flüchtlingsfrage liegt in weiter Ferne, meint unser Autor Gerhard Spörl.Vergrößern des Bildes
Migranten warten am Hafen von Catania in Italien auf einen Gesundheitscheck: Eine europäische Lösung der Flüchtlingsfrage liegt in weiter Ferne, meint unser Autor Gerhard Spörl. (Quelle: Orietta Scardino/ANSA/ap)

Der Alarmismus der CSU im Asylstreit ist übertrieben, wie neue Zahlen zeigen. Doch auch Merkels und Macrons europäische Lösung ist nicht in Sicht – weil jeder seine eigene Mauer baut.

Die Vereinten Nationen haben gerade einige Zahlen veröffentlicht, die Beachtung verdienen. Auf der ganzen Welt sind 68,5 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Bürgerkrieg und politischer Verfolgung. Aus Syrien (6,2 Millionen), Afghanistan (2,6 Millionen) und dem Südsudan (2,4 Millionen) sind die meisten Menschen aufgebrochen.

Nach dieser Statistik lebten vergangenes Jahr in Deutschland 970.400 Flüchtlinge, wobei die Zahl der Zuzüge nach 2015 erheblich gesunken ist: von 280.000 im Jahr 2016 auf 187.000 im vorigen Jahr und in diesem Jahr werden es nach diesen Voraussagen noch weniger sein.

Daraus sind ein paar Folgerungen für den Machtkampf zwischen der Kanzlerin und der CSU zu ziehen: Deutschland ist nicht die große Attraktion für die Flüchtlinge der Welt, die im CSU-Jargon auch schon mal „Touristen“ heißen. Die meisten von ihnen warten in der Türkei, im Libanon und im Iran darauf, dass der Krieg in Syrien endlich aufhört und sie in ihre Städte und Dörfer zurück gehen können.

Das große Drama, das Horst Seehofer und Markus Söder beschwören, findet weder an den deutschen Grenzen noch in den Aufnahmezentren statt. Von Kontrollverlust kann keine Rede mehr sein. Die nationale Wende in der Asylpolitik ist nicht so unbedingt nötig, wie wir glauben sollen.

Eine europäische Lösung ist gefragt

Deshalb ist es auch richtig, dass Angela Merkel versucht, eine europäische Lösung anzustreben. Darauf hat sie sich am Dienstag mit Emmanuel Macron in Meseberg verständigt. Deutschland und Frankreich wollen „im Geiste Europas“ vorgehen. Die Frage ist nur: Was ist er, der "Geist Europas“?

Es galt einmal, dass sich Deutschland und Frankreich nur einigen müssen und der Rest in der Europäischen Union folgt. Es galt auch einmal, dass die Gemeinschaft aus Krisen gestärkt hervorgeht und sich folgerichtig weiterentwickelt, politisch wie wirtschaftlich. Beides gilt nicht mehr.

Die EU hat die Auswirkungen der Weltfinanzkrise wackelig überstanden, aber überstanden. Dafür hat sie Prinzipien geopfert und mit Solidarität verhindert, dass Griechenland oder Spanien oder Portugal aus dem Euro ausscheiden. Das Vorgehen war hoch umstritten, aber richtig so. So blieb zusammen, was zusammen gehört.

Der Geist Europas ist eine Nicht-mit-mir-Haltung

Die Flüchtlingspolitik ist die Zäsur. Da werden Prinzipien geopfert und Solidarität ist eine Mangelware. Da fliegt auseinander, was zusammen gehört.

Solidarität bestünde in der gerechten Verteilung der Asylberechtigten auf die Mitgliedsländer. Davon ist weder in Polen/Ungarn/Tschechien noch in Österreich oder im Baltikum die Rede. Der Geist Europas ist eine Nicht-mit-mir-Haltung. Dennoch lassen Merkel und Macron nicht nach. Sie wollen in den nächsten Tagen tingeln gehen und mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Órban und mit dem italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte über ein europäisches Asylrecht reden.

Schön wär's, wenn die beiden mitmachen würden. Freiwillig wohl kaum, also mit Druck. Deshalb wäre es gut, wenn Macron und Merkel mit einem Angebot kämen, das sie nicht ablehnen können: Entweder du drehst bei oder du musst die Folgen tragen. Sieht es danach aus? Nein.

Jeder baut seine Mauer

Was tun? An den europäischen Außengrenzen sollten die Flüchtlinge hereingelassen oder weggeschickt werden – so sagt es die deutsche Bundeskanzlerin. In dieser Perspektive wäre Libyen das ideale Außengrenzland, aber Libyen fällt aus: Chaos, rivalisierende Gruppen, keine Regierung, die den Namen verdient hätte. Also bleiben der Libanon und Jordanien mit ihren riesigen Flüchtlingslagern, es bleibt auch die Türkei, mit der ein Abkommen existiert, und dazu Griechenland und Italien, das von jetzt an allerdings Flüchtlingsschiffe aus seinen Häfen fern halten will.

Der europäische Geist ist von Donald Trump infiziert. Jeder macht seins. Jeder schaut, wo er bleibt. Jeder macht sein Land so dicht, wie er nur kann. Jeder baut seine Mauer.

Die Kleinen beugen sich nicht mehr den Großen. Sie wollen weniger Europa, nicht mehr. Sie wollen etwas von Europa haben und nur so wenig wie möglich geben. Sie sind zynisch und weil sie so viele sind, können sie sich gegenseitig in ihrer Abwehrhaltung bestärken.

Deutschland und Frankreich können nicht mehr so viel bewirken

Den anderen, den alten Geist verkörpern nur noch Deutschland und Frankreich. Das ist gut so, bewirkt aber nicht mehr so viel wie früher. Und irgendwann müssen die beiden Länder die Konsequenzen daraus ziehen.

Im eigenen Land hat Emmanuel Macron eine stabile Mehrheit und strotzt vor Reform-Elan, weshalb ihm der europäische Fehlschlag wenig anhaben kann. Für Angela Merkel folgt mehr daraus, weil sie politisch geschwächt ist und nach einer erfolglosen Europatour der destruktiven Kraft der CSU ausgeliefert bleibt.

Der Machtkampf geht weiter, auch wenn die Wirklichkeit das Drama nicht hergibt, das Söder und Seehofer daraus machen.

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