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Nato-Gipfel in London: Macrons "Hirntod"-Angriff schlug ein wie eine Bombe


Nato-Gipfel in London
Es schlug ein wie eine Bombe

Von Patrick Diekmann, London

Aktualisiert am 03.12.2019Lesedauer: 5 Min.
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US-Präsident Donald Trump trifft den französischen Präsidenten Emmanuel Macron während des Nato-Gipfels in London.Vergrößern des Bildes
US-Präsident Donald Trump trifft den französischen Präsidenten Emmanuel Macron während des Nato-Gipfels in London. (Quelle: ap-bilder)

Die Nato feiert 70-jähriges Jubiläum. Doch statt einer Feier gibt es beim Gipfel in London hauptsächlich Streit. Erdogan droht mit Blockade, ausgerechnet Trump verteidigt das Militärbündnis gegen Macron.

Mitten in London steht ein Clown. Ein Mann hat sein Gesicht weiß angemalt, in der Hand hat er eine alte Zeitung. Er ist als Charlie Chaplin verkleidet. Mit einer übergroßen Briefmarke, die Donald Trump als Naziführer darstellt, demonstriert er gegen den Nato-Gipfel und gegen den Besuch des US-Präsidenten in der britischen Hauptstadt.

Der traurige Clown ist das Sinnbild des diesjährigen Nato-Jubiläums. Die Allianz feiert in London ihr 70-jähriges Bestehen, eigentlich ein Grund zur Freude für die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten. Doch statt einer Feier brechen alte und neue Konflikte auf. Das Nato-Treffen ist das Klischee einer Familie, die an Weihnachten zusammenkommt, um sich während dieser Zeit die ganze Zeit zu streiten. Besonders der Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der die Nato kürzlich für hirntot erklärte, schlug in der Allianz ein wie eine Bombe. Am Ende scheint sich die Nato lediglich auf einen neuen gemeinsamen Feind einigen zu können.

Trump eröffnet Gipfel im Alleingang

Bereits am Dienstagmorgen startet Donald Trump mit einem Angriff auf Frankreich und Deutschland. Mit einer spontanen Pressekonferenz eröffnet der US-Präsident den Nato-Gipfel damit quasi im Alleingang. Zuvor hatte er Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zum Frühstück getroffen, eine Tradition bei jedem Gipfel. Doch es wurde auch zur Tradition, dass Trump danach verbal auf einen Verbündeten losgeht. Im Jahr 2018 keilte der US-Präsident gegen Deutschland, wegen einer angeblichen Nähe der Bundesrepublik zu Russland.

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Ein Jahr später geht Trump in London auf Frankreich los. Wir haben einen unglaublichen Geist, was die Nato betrifft, vielleicht mit Ausnahme von einem Land", meint der US-Präsident. Dieses Land, von dem er redet, habe einige Anmerkungen gemacht, die "verheerend" für die Militärallianz seien. Trump meint Macron, der der Nato kürzlich den "Hirntod" bescheinigt hatte. "Beleidigend", "respektlos", sogar "gefährlich" sei das gewesen, sagt Trump.

Hier attackiert Donald Trump den französischen Präsidenten:

Diese Worte kommen ausgerechnet von dem US-Präsidenten, der die Nato in der Vergangenheit als "obsolet" bezeichnete und sicherheitspolitisch eine teilweise kompromisslose "America First"-Politik verfolgt. Nicht zuletzt dadurch, dass die USA unter Trump ihre Führungsrolle in der Nato immer weniger wahrnehmen wollen, entsteht ein Vakuum, welches kein anderes Land in dem Bündnis füllen kann und möchte. Die aktuellen Existenzsorgen der Nato resultieren auch aus dem Rückzug der USA.

Konflikt mit Erdogan eskaliert

Und auch der Konflikt zwischen Frankreich und den USA hat weitreichendere Gründe als die Äußerungen des französischen Präsidenten. Die US-Regierung setzte kurz vor dem ersten Gipfeltag in London ein Verfahren zur Einführung neuer Strafzölle auf französische Produkte in Gang. Der Grund: Frankreich hat eine Digitalsteuer beschlossen, die Washington für "diskriminierend" hält.

Aber es ist nicht der einzige Konflikt, der schon vor dem offiziellen Beginn des Gipfels eskaliert. Denn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert nach Trumps Pressekonferenz die Bündnismitglieder auf, die in Nordsyrien tätige Kurdenmiliz YPG als "Terrororganisation" einzustufen. Passiere dies nicht, "dann werden wir gegen alle hier anstehenden Schritte sein", sagte Erdogan. Eine Erpressung, die Türkei droht mit Blockade. Nach türkischen Medienberichten hat Ankara bereits ein Veto gegen die weitere Verstärkung der Nato-Verteidigung in den baltischen Staaten und Polen gegenüber Russland eingelegt.

Der türkische Präsident will sich in der Türkei vor allem innenpolitisch profilieren, wohlwissend, dass die Nato nicht geschlossen die kurdische Miliz verdammen kann, die viele Nato-Staaten im Kampf gegen die Terrormiliz IS unterstützten. Aber auch das zeigt wiederum das Fahrwasser, indem sich die Nato aktuell befindet: Erst nationale Interessen, dann die kollektive Verantwortung für die Allianz.

Versuchte Schadensbegrenzung

Auch in bilateralen Gesprächen am Nachmittag konnten viele dieser Konflikte nicht beigelegt werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte, die Wogen bei einem Treffen mit Erdogan zu glätten. Sie bewertete ein Vierertreffen mit Erdogan, Macron und dem britischen Premier Boris Johnson zu Syrien positiv. Es habe gezeigt, "dass Begegnungen doch immer gut sind", auch wenn noch ein "längerer Diskussionsprozess" bevorstehe. Welche Ergebnisse diese Diskussionen hatten, sagte Merkel nicht.

Auch Trump und Macron trafen sich am Nachmittag. Auch ihre Differenzen konnten bei dem Treffen offensichtlich nicht ausgeräumt werden. Trump schlägt zwar sanftere Töne an. Mit Blick auf eine französische Digitalsteuer spricht er von einem "kleinen Streit".

Doch Macron spielt das Spiel nicht mit – er widerspricht Trump in einigen Punkten offen. Auf eine Spitze von Trump, ob Macron nicht "ein paar nette" Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) haben wolle, mahnt Macron Ernsthaftigkeit an. Die gefangenen Kämpfer seien ein kleiner Teil eines übergreifenden Problems. Der IS sei noch nicht besiegt. Mit Blick auf Trumps Kritik an den Verteidigungsausgaben sagt er, es gehe bei der Nato nicht nur um Zahlen.


Trump reitet auf ihnen herum – weil sie ihm nützen dürften. Dass die Nato-Partner mehr für die Verteidigung ausgeben wollen, wertet der Amerikaner als seinen Verdienst. Ein Jahr vor der US-Wahl kommt Trump die Rolle des Retters nicht ungelegen. Bezeichnete er die Nato in der Vergangenheit als "obsolet", sagt er nun: "Die Nato dient einem großartigen Ziel." Seit er Präsident sei, habe sich die Nato verändert. Trump sagt sogar: "Ich bin ein größerer Fan der Nato geworden."

Nur ein gemeinsamer Feind schweißt zusammen

Macron könnte sich unterdessen mit seinen "Hirntod"-Äußerungen in eine politisch gefährliche Sackgasse manövriert haben. Bislang hat sich kein relevanter Bündnispartner öffentlich hinter ihn gestellt. Lediglich der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) ging einen kleinen Schritt auf ihn zu, indem er die Einberufung einer Expertenkommission vorschlug, die bis zum nächsten Gipfel im Jahr 2021 Vorschläge zur Stärkung der politischen Zusammenarbeit erarbeiten könnte.

Trotzdem hat die Äußerung das Bündnis dazu gebracht, über die Zukunft der Nato zu debattieren. Besonders die Europäer denken offen darüber nach, sicherheitspolitisch unabhängiger von der Nato zu agieren. Dies würde die Bedeutung der Nato mindern.

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Es ist die zentrale Frage, ob die Nato noch eine gemeinsame Linie findet. Viel wird von der Abschlusserklärung am Mittwoch abhängen, auch als Symbol für die Handlungsfähigkeit des Bündnisses. Und nur wenig schweißt so gut zusammen, wie ein gemeinsamer Feind.

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Die Nato ringt in London erstmalig um die Positionierung gegenüber China. Der wachsende Einfluss der Volksrepublik biete "Chancen", stelle aber auch vor "Herausforderungen", heißt es im Entwurf der Gipfelerklärung. Stoltenberg betonte, die Allianz wolle China nicht als "neuen Gegner" einstufen. Aber die Volksrepublik wird aktuell von der Nato als größere Bedrohung wahrgenommen als Russland. Die Konflikte mit Moskau versuchen mittlerweile viele Staats- und Regierungschefs von Nato-Staaten zu deeskalieren, auch in London.


Im Fokus stehen einmal mehr die Konflikte untereinander. Ausgerechnet beim Jubiläum in London liegen die Risse in der Allianz offen. Stoltenberg versucht diese stopfen und einseitige Kritik zu vermeiden. Dabei stellt sich aber auch der Nato-Generalsekretär nicht immer geschickt an. "Das Frühstück mit dem US-Präsidenten war schön", meint der Nato-Generalsekretär bei einer Diskussion in der Westminster Hall am Dienstagmorgen. "Die Amerikaner haben wie immer gezahlt." Diesen Scherz dürfte man in Washington nicht gerne hören.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche vor Ort
  • Mit Material von dpa und afp
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