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Ukraine-Konflikt: "Muss dringend innerhalb der Bundesregierung geklärt werden"


Ukraine-Konflikt
"Die Menschen sind sehr besorgt"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

Aktualisiert am 06.02.2022Lesedauer: 5 Min.
Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Russische Soldaten bei einer Übung in der Region Iwanowo: Durch die Präsenz an der Grenze zur Ukraine übt das Land Druck auf den Westen aus.Vergrößern des Bildes
Russische Soldaten bei einer Übung in der Region Iwanowo: Durch die Präsenz an der Grenze zur Ukraine übt das Land Druck auf den Westen aus. (Quelle: Vladimir Smirnov/imago-images-bilder)

Welche Rolle spielt die EU im Ukraine-Konflikt? Für EU-Außenpolitiker David McAllister ist ihr Einfluss größer als angenommen. Die Bundesregierung sollte aus seiner Sicht eine Entscheidung überdenken.

"Wo ist Olaf Scholz?", wurde zuletzt über den Kanzler im Netz gespottet. Viele Beobachter hatten den Eindruck, der Kanzler sei in Mitten der schwelenden Krise zwischen Russland und der Ukraine von der Bildfläche verschwunden – während sich Scholz' SPD ohnehin schwertut, eine gemeinsame Parteilinie zum Russland des Präsidenten Wladimir Putin zu finden.

Ähnlich hätte man allerdings in der letzten Zeit auch fragen können, wo sich die EU gerade in dem Konflikt befindet. Denn die harten Forderungen will Russland am liebsten alleine mit den USA verhandeln. David McAllister sieht das allerdings anders: Der CDU-Politiker und ehemaliger Ministerpräsident Niedersachsens ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im europäischen Parlament. Im Gespräch mit t-online spricht McAllister über Waffenlieferungen an die Ukraine, die Rolle der Bundesregierung in dem Konflikt und einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine.

t-online: Herr McAllister, Sie haben von Sonntag bis Dienstag mit einer Delegation des EU-Parlaments die Ukraine bereist. Wie haben Sie die Stimmung in dem Land wahrgenommen?

David McAllister: Die Menschen sind sehr besorgt. Gleichzeitig bleiben sie gelassen und ebenso entschlossen. Das habe ich selber in Mariupol gespürt, das nur wenige Kilometer von der Kontaktlinie in der Ostukraine entfernt liegt. Alle unsere Gesprächspartner wünschten sich eine friedliche und diplomatische Lösung des Konflikts.

Sie wollten während dieser Reise unter anderem herausfinden, was die EU für die Ukraine leisten kann. Was können und wollen Sie nun tun, was die Europäische Union bisher nicht getan hat?

Die Menschen in der Ukraine sind sehr dankbar, dass sich der politische Westen zur Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine bekennt. Die Europäische Kommission hat in dieser Woche ein neues Finanzhilfepaket in Höhe von 1,2 Milliarden Euro für die Ukraine angekündigt. Damit wollen wir das Land dabei unterstützen, bereits entstandene wirtschaftliche Schäden abzufedern und die eigene Widerstandsfähigkeit zu stärken, etwa bei Cyberattacken. Umgekehrt erwarten wir, dass die Ukraine die notwendigen Reformen beschließt und umsetzt, zum Beispiel bei der Rechtsstaatlichkeit und im Kampf gegen die Korruption. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für innenpolitische Grabenkämpfe. Gleichwohl müssen Anschuldigungen gegen frühere Regierungsvertreter lückenlos in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren aufgeklärt werden.

Damit meinen Sie wohl das Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko, den Sie auch in der Ukraine getroffen haben. Er wird gerade des Hochverrats beschuldigt.

Das ist ein Beispiel. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass es sich hier um politisch motivierte Verfahren handelt. Angesichts der akuten Bedrohung muss die Ukraine politische Geschlossenheit zeigen.

David McAllister (51), ist seit 2014 Abgeordneter der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Seit 2017 leitet er dort den Auswärtigen Ausschuss und ist zudem Vizepräsident der EVP. Zuvor war der CDU-Politiker zwischen 2010 und 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen. McAllister besitzt neben der deutschen auch die britische Staatsbürgerschaft.

Die Bedeutung Europas scheint in dem Konflikt eine untergeordnete zu sein: Konkret verhandeln vor allem die Russen mit den Amerikanern. Wie kann es sein, dass vor unserer Haustür ein Land in ein anderes einmarschieren könnte, die EU aber selbst offenbar nur eine Nebenrolle spielt?

Es gibt bilaterale Gespräche zwischen Russland und den USA. Ebenso finden Gespräche in anderen Konstellationen statt wie im NATO-Russland-Rat, bei der OSZE, bei den Vereinten Nationen oder im Normandie-Format. Hier sind auch EU-Mitgliedstaaten beteiligt. Mein Eindruck ist, dass hinter den Kulissen sehr eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet wird. Die Europäische Union und ihre transatlantischen Partner sind geschlossen und geeint in ihrer Analyse der Lage.

Ein Gegenbeispiel sind die unterschiedlichen Haltungen bei Waffenlieferungen. Deutschland ist dagegen, stattdessen will man ein Lazarett und 5.000 Helme liefern. Andere Länder wie etwa die baltischen Staaten, aber auch Nato-Staaten Großbritannien und die Türkei senden Waffen an die Ukraine. Behindert die Bundesregierung also die Geschlossenheit in der EU?

Die Rüstungsexportpolitik liegt in nationaler Kompetenz. Einige EU- und NATO-Staaten haben andere Auffassungen als die Bundesregierung. Das Europäische Parlament hat bereits im Dezember gefordert, dass es einen umfangreichen Sicherheitsdialog zwischen der Ukraine und der EU geben sollte. Das schließt auch Fragen der Lieferung von Waffen zur Selbstverteidigung ein.

Auch in Ihrer Partei, der CDU, gibt es Stimmen, die deutsche Waffen für die Ukraine fordern. Wie stehen Sie dazu?

Angesichts der Lage sollte die deutsche Bundesregierung bei einer konkreten Nachfrage der Ukraine die Bereitstellung von Gerät nicht kategorisch ausschließen. Stattdessen gilt es intensiv zu prüfen, ob die Ukraine unter diesen extrem schwierigen Umständen mit militärischen Ausrüstungsgütern zum Selbstschutz unterstützt werden könnte - und zwar in enger Abstimmung mit unseren EU- und NATO-Partnern. Das alles muss sorgfältig abgewogen werden. Ausnahmen von unserer traditionell restriktiven Haltung gibt es. So hat Deutschland 2014 den Kurden im Nordirak Waffen im Kampf gegen den Islamischen Staat geliefert.

Ein Umdenken zeichnet sich in der Regierung gerade nicht ab. Beobachter kritisieren, die Schwäche Europas hänge stark mit der Schwäche der SPD in der Bundesregierung zusammen, die sich mit einer klaren Linie in dem Konflikt schwertut. Ist die Partei außenpolitisch nicht auf der Höhe?

In der Ampelkoalition gibt es bei diesen Fragen unterschiedliche Auffassungen. Das muss dringend innerhalb der SPD und innerhalb der Bundesregierung geklärt werden. Es darf keinen Zweifel daran geben, dass Deutschland ein verlässlicher Partner ist. Die Botschaft gegenüber dem Kreml muss lauten, dass eine weitere militärische Aggression gegen die Ukraine massive wirtschaftliche und finanzielle Konsequenzen hätte.

Aber auch die Union tut sich schwer, die passenden Antworten zu finden. Ihr Parteivorsitzender Friedrich Merz warnt davor, Russland im Falle eines Einmarschs aus dem Zahlungssystem Swift auszuschließen. CSU-Chef Markus Söder will vermeiden, dass die Pipeline Nord Stream 2 nicht in Betrieb genommen wird. Ohne militärische Unterstützung der Ukraine und finanz- oder energiepolitische Sanktionen scheinen aber dem Westen die Hebel auszugehen.

Die Europäische Kommission hat in Abstimmung mit den 27 Mitgliedstaaten und unseren transatlantischen Partnern ein umfassendes Paket von Finanz- und Wirtschaftssanktionen vorbereitet für den Fall einer weiteren militärischen Aggression Russlands. Diese enge Koordinierung ist wichtig, denn im Ernstfall bräuchte es eine schnelle einvernehmliche Entscheidung aller EU-Mitgliedstaaten.

Die USA haben angekündigt, 2.000 Soldaten nach Deutschland und Osteuropa zu verlegen. Das wirkt so, als würden die Amerikaner nun mehr auf Abschreckung als auf Diplomatie setzen.

Es geht um Diplomatie und Abschreckung zugleich. Zusätzliche Truppen in Mittel- und Osteuropa zu stationieren, ist ein Zeichen der Verbundenheit mit unseren NATO-Bündnispartnern. Es dient dazu, sie vor einer akuten Bedrohung zu schützen. Diesen massiven russischen Truppenaufmarsch entlang der Grenzen zur Ukraine hat es in einer solchen Dimension seit Jahrzehnten nicht gegeben. Eine Truppenverlegung der NATO kann jederzeit wieder rückgängig gemacht werden. Diese Einheiten werden nicht dauerhaft verlegt, im Einklang mit der NATO-Russland-Grundakte von 1997.

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Russland argumentiert umgekehrt damit, dass man sich von der Präsenz der Nato im Osten bedroht fühlt. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, schlug zuletzt statt einem Nato-Beitritt seines Landes eine Beitrittsperspektive zur EU vor, weil das Putin aus seiner Sicht nicht provozieren würde. Wie stehen Sie dazu?

Jedes Land in Europa hat das Recht, souverän zu entscheiden, wie es sich außenpolitisch aufstellt. Die Ukraine hat sich als parlamentarische Demokratie für eine enge Zusammenarbeit mit der NATO und der EU entschlossen. Ein EU-Beitritt der Ukraine steht nicht an.

Gleichzeitig haben die USA betont, dass die neu entsendeten Truppen nicht in der Ukraine kämpfen werden. Stellt sich hier nicht wieder die Frage, dass sich Europa im Militär eigenständiger aufstellen muss?

Dieser Konflikt kann nur diplomatisch gelöst werden. Generell werbe ich seit langem dafür, dass wir zu einer enger abgestimmten, effektiveren und handlungsfähigeren europäischen Außen- und Sicherheitspolitik kommen. Es geht darum, den europäischen Pfeiler innerhalb der NATO zu stärken, um als Europäer souverän Entscheidungen zu treffen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit David McAllister am 3.2.2022
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