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Bedrohung für Deutschland: Sicherheit zum Nulltarif wird es nicht mehr geben


Unsichere Zeiten
Sicherheit zum Nulltarif wird Deutschland nicht mehr kriegen

MeinungVon F. Priess und P. Fischer-Bollin, Konrad-Adenauer-Stiftung

Aktualisiert am 19.08.2022Lesedauer: 5 Min.
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Olaf Scholz und Robert Habeck: Deutschland muss sich einer neuen Realität anpassen, fordern Frank Priess und Peter Fischer-Bollin von der Konrad-Adenauer-StiftungVergrößern des Bildes
Robert Habeck und Olaf Scholz: Deutschland muss sich einer neuen Realität anpassen, fordern Frank Priess und Peter Fischer-Bollin von der Konrad-Adenauer-Stiftung (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)

Deutschland hatte es sich bequem gemacht, nun zerplatzen alte Gewissheiten spätestens angesichts des russischen Angriffskriegs. Es ist Zeit für neue Strategien.

Ein neuer globaler Systemkonflikt – hier die westlich orientierten Demokratien, dort die autoritären Großmächte China und Russland – ist mit Händen zu greifen. Gleichzeitig scheuen viele diese an den Kalten Krieg erinnernde Rhetorik, und wieder, wie damals, gibt es relevante Länder, die sich auf keinen Fall auf eine Seite schlagen möchten. Vieles ist nicht schwarz oder weiß, große Grauflächen überwiegen. Das wirft nicht zuletzt Fragen für die eigene Strategie auf.

Frank Priess ist stellvertretender Leiter Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung, einer der CDU ideell nahestehenden Denkfabrik, die sich unter anderem für die europäische Verständigung einsetzt.

Sicher scheint, dass gerade für Deutschland die schönen, einfachen Zeiten vorbei sind: Mehr oder weniger zum Nulltarif die eigene Sicherheit an die USA auslagern, mit billiger russischer Energie Wettbewerbsvorteile gewinnen und die Energiewende finanzieren, im Austausch mit China Arbeitsplätze sichern und die Leistungsbilanz stärken. Auf diesen drei Pfeilern ruhte das deutsche Modell, alle drei Pfeiler bröckeln oder sind schon eingestürzt.

Man hätte Putin nur zuhören müssen

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt, dass es ohne die Sicherheitsgarantien der USA nicht geht, dort allerdings ist die Geduld mit trittbrettfahrenden europäischen Alliierten nicht unendlich. Was Donald Trump seinerzeit bewies und auch Joe Biden nicht ignoriert. Will man die USA bei der Stange halten, wird man deutlich mehr tun müssen – der Begriff der "Zeitenwende" allein reicht nicht aus. Es müssen Taten folgen.

Die USA werden die europäische Nützlichkeit auch an der Art der Unterstützung im Kampf um die weltweite Vormacht mit China messen – hier bedarf es intelligenter Aufklärung, wo China tatsächlich "systemischer Rivale" oder gar "Gegner" geworden ist, wo es als Wettbewerber ernster zu nehmen ist als bisher und wo es, nicht zuletzt bei der Lösung von Menschheitsfragen wie dem Klimawandel, Partner bleiben sollte.

Dr. Peter Fischer-Bollin ist Leiter Analyse und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Erste Ansätze bieten die China-Strategie der EU und die Indo-Pazifik-Leitlinien der Bundesregierung, bei der Ausbuchstabierung der nationalen Sicherheitsstrategie wird das Thema wieder aufgerufen. Die aktuelle Verschärfung der Auseinandersetzungen um Taiwan erwischt da alle Akteure auf dem falschen Fuß. Auch die Regierung Biden ist alles andere als glücklich über den Besuch von Parteifreundin Nancy Pelosi. Nicht alles, was symbolisch stark wirkt, ist auch hilfreich – ein Hinweis, der übrigens auch für bejubelte Auftritte der deutschen Außenministerin passt.

Und schließlich Russland: Warum eigentlich wird Diktatoren – und als solcher hat sich Wladimir Putin mit der Knebelung der heimischen Zivilgesellschaft, interner Gleichschaltung und der Verfolgung jeglicher Opposition längst entpuppt – nie geglaubt, wenn sie sich zu ihren Absichten äußern und diese durch konkrete Aktionen untermauern?

Abschied von der German Angst?

Man konnte in Georgien, auf der Krim, in der Ostukraine, in Syrien, in Nordafrika, aber auch bei Cyberangriffen auf demokratische Wahlen anderswo oder gar Morde und Mordversuche mitten in Europa erkennen, in welche Richtung es hier ging. Das ignoriert zu haben, gehört leider über lange Zeit zu den Konstanten deutscher Politik. Immerhin scheint es jetzt robuster zugehen zu wollen. Hoffen wir, dass uns die bekannte "German Angst" nicht einmal mehr im Wege steht.

Resilienter müssen Deutschland und Europa werden, das hat sich inzwischen herumgesprochen, Projekte gibt es viele. Ob die Implementierung damit Schritt halten kann, ob Europa auch jenseits des Anspruchs, moralische Weltmacht zu sein, wirtschaftlich und geopolitisch Boden gutmacht, sei dahingestellt. Es reicht nicht, symbolträchtig den EU-Kandidatenstatus zu verleihen; vor allem in der Nachbarschaft braucht es konkrete Signale an potenzielle Freunde und externe Rivalen.

Sie geht über die Ukraine und Moldau hinaus, umfasst den Westbalkan, aber auch den Nahen Osten und die Anrainer auf der anderen Seite des Mittelmeers. Aktuell wirkt die Europäische Union aufnahme- und erweiterungsunfähig, 27 erfolgreiche Ratifikationsprozesse lassen sich für die Aufnahme kaum eines Landes absehen, von Norwegen vielleicht abgesehen.

Es bedarf dringender interner Reformen, wahrscheinlich auch Vertragsänderungen. Gleichzeitig ist der Binnenmarkt – das bisher einzig wirksame Machtinstrument der EU – zu stärken und zu komplettieren, ist die Eurozone wetterfest zu machen. Und ja: Der europäische Pfeiler der Nato gehört dringend gestärkt! Ferner bedarf es Wachsamkeit und Engagement bei weltweiter Standardsetzung, engerer Bindungen an Zukunftsmärkte bei neuen Freihandels- und Investitionsabkommen, einer europäischen Innovationsoffensive, die um die internationale Spitzenstellung kämpft. Der Themenkomplex Umwelt und Energie bietet sich besonders an. Die Mittel sind da, die Köpfe auch, was fehlt, ist manchmal der politische Mut.

Europa muss das Beste hoffen

Das weltweite Gewicht Europas schrumpft, auch im günstigsten Falle. Darauf muss man reagieren. Ein Mittel der Wahl ist sicher weiterhin der enge Schulterschluss mit den Vereinigten Staaten und die Hoffnung, dass die Polarisierung dort spätestens 2024 nicht erneut Blüten treibt, wie sie von 2016 bis 2020 zu sehen waren und der Reputation der USA erheblichen Schaden zugefügt hat – ebenso wie dem "westlichen Camp" insgesamt. Es braucht ferner die enge Bindung an "like-minded countries", allen voran Großbritannien in Europa, aber auch Japan, Australien, Neuseeland, Südkorea.

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Wie sich demokratische Angehörige der "BRICS"-Staatengruppe wie Indien, Brasilien und Südafrika, aber auch wichtige Player am Golf entscheiden, ist nicht banal. Den Wettbewerb um Herzen und Hirne dort müssen wir intensiv führen, die G7 und ein von China geführtes BRICs+ sind schon in Stellung gegangen. Weltweit, auch das haben die zurückliegenden Jahre gezeigt, sind wache Zivilgesellschaften und nicht zuletzt die junge Generation auch im "globalen Süden" Partner, die es zu unterstützen gilt. Zu unserer Interessenorientierung gehört eben auch weiterhin, Demokratie weltweit zu fördern, ihre Akteure zu stärken.

Soziale Rechte gegen individuelle Freiheitsrechte in Stellung zu bringen und den Demokratiebegriff für sich zu entern, das ist die erkennbare Taktik von Ländern wie China etwa in den Vereinten Nationen – man darf sie damit nicht davonkommen lassen. Das heißt allerdings auch, dass Deutschland, Europa, die USA dringend an ihrer weltweiten Glaubwürdigkeit arbeiten und die kritisch zu sehende Vergangenheit glaubwürdig aufarbeiten müssen. Hier hat gerade Deutschland nicht die schlechtesten Referenzen.

Von einem "Ökosystem der Allianzen" hat Tyson Barker vom European Council on Foreign Relations (ECFR) in "The Economist" am 14. Mai 2022 gesprochen. Und wahrscheinlich hat er recht, auch wenn der Kampf um ein regelbasiertes multilaterales System nicht aufgegeben werden darf. Unterschiedliche Partnerschaften kann man sich dabei vorstellen – nicht jeder Geschäftspartner ist auch ein Wertepartner, konzentrische Kreise unterschiedlicher enger Beziehungen lassen sich vorstellen. Für all das aber bedarf es strategischen Denkens – und auch hier haben Deutschland und Europa noch spürbaren Nachholbedarf.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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