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Kanzlerkandidat Robert Habeck: Ist für ihn bald alles vorbei?


Robert Habeck
Aus der Zauber?


Aktualisiert am 20.02.2025Lesedauer: 9 Min.
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Robert Habeck: Seine großer Zaubertrick hat nicht funktioniert. Und jetzt? (Quelle: Marcus Brandt/dpa/dpa-bilder)
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Robert Habeck wollte für die Grünen Kanzler werden. Doch sein Plan ging nicht auf. Jetzt könnte für ihn bald alles vorbei sein.

Es ist der Dienstag vergangener Woche, die letzte Sitzung des Bundestages und das letzte Mal, dass Robert Habeck die große Selbstbeschwörung seines Wahlkampfs auf nationaler Bühne vortragen kann. Habeck tritt ans Pult und breitet die Arme aus, als würde er kurz resignieren. "So reden wir hier miteinander", sagt er. "Gucken zurück, beschäftigen uns mit den vergangenen drei Jahren, verfallen in die Oppositionsrituale oder analysieren die Vergangenheit."

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Doch diese Wahl, sagt Habeck, werde "nicht über die Vergangenheit entschieden, sondern wie wir die Zukunft gestalten". Hört mir bloß auf mit dem Gestern, reden wir übers Morgen. So muss man das verstehen.

Habeck wird dann über die Klimakrise sprechen, über E-Autos und Quanten-Computing. Doch dieser Satz, den er im Wahlkampf bei allen wichtigen Auftritten so ähnlich sagt, ist für ihn mehr als die Einleitung seines Wahlprogramms. Es ist sein Versuch, die Vergangenheit abzustreifen.

Jedenfalls alles Unangenehme. Das Chaos der drei Ampeljahre, die schmerzhaften Kompromisse, die kleinen Fehler und auch die großen wie das Heizungsgesetz. Als dürfe für die Wahlentscheidung der Menschen nur wichtig sein, was Politiker für die Zukunft versprechen und nicht, was sie in der Vergangenheit getan haben.

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Man darf davon ausgehen, dass Robert Habeck das selbst nicht glaubt. Es ist von Beginn an seine Strategie, um als grüner Kanzlerkandidat mit Ampelvergangenheit überhaupt eine Chance zu haben. Sein Versuch eines großen Zaubertricks: Der Große Habeckoudini zersägt sich selbst – und trennt den Gestern-Robert schmerzfrei vom Morgen-Robert.

Wer Robert Habeck in diesen Wochen begleitet, wer bei den Grünen mit Vertrauten und Kritikern spricht, muss sagen: Das hat nicht funktioniert. Die Grünen kommen in den Umfragen seit Wochen nicht vom Fleck. Die Union ist doppelt so stark, selbst die SPD etwas stärker. Ob die Grünen weiter regieren können, ist unsicher wie nie. Habecks politische Zukunft auch.

Es liegt natürlich an vielen Dingen, dass es nicht funktioniert hat: an eigenen Fehlern, einem rauen politischen Umfeld und Anti-Grünen-Kampagnen. Aber eben vor allem daran, dass Habecks Abspaltung vom Gestern-Robert eine Schwäche hat, die sie mit allen Zaubertricks gemein hat: Sie ist nur eine Illusion.

Neue Gesichter für den großen Zaubertrick

Wer die Grünen und ihre Probleme im Wahlkampf besser verstehen will, muss einige Monate zurückblicken. Es ist September, mit der Landtagswahl in Brandenburg ist für die Grünen gerade die achte Wahl in Folge verloren gegangen. Aus fünf Landesregierungen sind sie ausgeschieden, bundesweit stehen sie nur noch bei elf Prozent. Die Grünen-Chefs Ricarda Lang und Omid Nouripour stellen sich in Berlin vor die Mikrofone.

Brandenburg sei "ein Zeugnis der tiefsten Krise unserer Partei seit einer Dekade", sagt Nouripour mit Tränen in den Augen. Lang sagt: "Es braucht neue Gesichter, um diese Partei aus der Krise zu führen." Sie treten zurück und mit ihnen der gesamte Bundesvorstand.

Ihr Rücktritt ist die erste öffentlich sichtbare Vorbereitung für Robert Habecks Wahlkampf als Kanzlerkandidat der Grünen. Und eine wichtige Zutat für seinen großen Zaubertrick, die Abspaltung vom Gestern-Robert. Der Rücktritt soll ein Zeichen des Neuanfangs sein. Ein Abschluss mit dem erfolglosen Teil der Vergangenheit, damit Robert Habeck im Wahlkampf erfolgreich sein kann.

Und so beginnt dummerweise alles mit einem großen Missverständnis.

Keine Kamala – und wenig Widerspruch

Denn im Herbst hoffen einige Grüne noch auf etwas, das nie aufgehen konnte: einen Kamala-Effekt wie in den USA. Als Joe Biden dort zugunsten von Kamala Harris zurücktritt, sieht es für einige Zeit so aus, als könnten die Demokraten doch noch gegen Donald Trump gewinnen. Aber schon lange bevor Harris die Wahl dann deutlich verliert, weisen kritische Grüne auf den sehr sichtbaren Haken dieser Analogie hin.

Mit Joe Biden ist der Kandidat selbst zurückgetreten, um Platz für ein neues Gesicht zu machen. Robert Habeck aber ist immer noch da. Das alte Gesicht soll das mit Abstand wichtigste werden im grünen Wahlkampf. Daran ändern die Rücktritte der anderen Gesichter: gar nichts. Was die Rücktritte ändern: Quasi die komplette Parteizentrale muss sich neu aufstellen und einarbeiten, wenige Wochen vor Beginn des Wahlkampfs.

Habeck installiert seine Vertraute Franziska Brantner als Parteivorsitzende. Doch beim Rest der Aufstellung verlieren sich die Grünen in wochenlangen Flügelkämpfen und Proporzfragen. Die Chance für einen kraftvollen Aufbruch zieht vorbei. Ebenso folgenreich: Wichtige Mitarbeiter verlassen die Parteizentrale, Mitarbeiter mit einer unschätzbaren Eigenschaft in Wahlkämpfen: Erfahrung.

Habeck setzt vor allem auf sein angestammtes Umfeld. Ein Umfeld, so berichten es Grüne, das ihn primär in seinem Kurs bestätigt. Damit fehlt offenbar wie so oft bei Spitzenpersonal etwas Entscheidendes: ausreichend Widerspruch.

Sie müssen ihm erst mal zuhören

Es geht trotzdem gut los. Die Grünen halten sich aus dem Handgemenge heraus, das das Ende der Ampel zwischen SPD und FDP bedeutet. Habecks Strategie für den Wahlkampf steht eh seit Monaten. Auf seinem Krönungsparteitag Mitte November und in allen Wochen seitdem legt er sie mit seiner unbestreitbaren Fähigkeit dar, Politik aus den Konflikten der Zeit herzuleiten und als schlüssige Geschichte zu erzählen.

Die Wahlkampagne ist so sehr auf Habeck persönlich zugeschnitten wie seit Jahrzehnten nicht bei den Grünen. Auf Habecks wichtigsten Plakaten steht "Ein Mensch. Ein Wort". Es ist der scheinbar simple Versuch, ihr hochkompliziertes Kernproblem zu lösen: Die Leute vertrauen den Grünen nicht mehr, hören ihnen nicht mal mehr zu, so beschreiben es damals Parteimitglieder. Bevor man ihnen überhaupt mit Inhalten kommen kann und den Erfolgen in der Ampel, dem Ausbau der Erneuerbaren Energien oder der Unabhängigkeit von Putins Gas, muss sich das ändern.

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Habeck setzt sich zu Beginn mit den Leuten an ihre Küchentische, um sie für seine Kanäle anschließend in die Kamera sagen zu lassen, wie ernst sie sich genommen fühlten und wie wenig sie das von einem Politiker erwartet hätten. In seiner Bewerbungsrede auf dem Parteitag erzählt er vom Schwimmen mit seinem Sohn und wie der ihn angeblich überzeugt habe, es zu versuchen mit der Kandidatur. Habeck ganz heimelig.

Und zumindest die Neugier scheint anfangs zurückzukehren. Die Umfragewerte steigen von 11 auf 14 Prozent, die Mitgliederzahlen wachsen auf neue Rekordhöhen. Als der Wahlkampf im Januar so richtig beginnt, sind die Hallen voll, viel voller als erwartet. So wird es bleiben. Aber außerhalb der Hallen bleiben die grünen Probleme. Genau wie der Gestern-Robert.

Improvisiert – und verplappert

An einem Sonntag Mitte Januar spricht Robert Habeck in eine Kamera der ARD. Er wird gefragt, ob die Grünen die private Krankenversicherung abschaffen wollen, weil sie ja für eine Bürgerversicherung seien. Dann hat er offenbar einen folgenreichen Einfall.

Habeck antwortet nicht allgemein, also zum Beispiel: Ja, ja, ganz genau, wir wollen mittelfristig eine Bürgerversicherung, in die dann alle einzahlen, wodurch mehr Geld in die Kassen kommt, um so den Anstieg der Beiträge zu stoppen. Nein, Habeck greift nur einen kleinen Teil aus dem Konzept Bürgerversicherung heraus: Er will Sozialabgaben auch auf Kapitalerträge erheben. Und tut dann so, als sei das ohne größere Reform machbar.

Es war wohl eine spontane Idee, das so im Fernsehen zu erzählen. Jedenfalls wird das nachher kolportiert. Und damit war es ein typischer Habeck. In seiner Partei wird er für sein Improvisationstalent bewundert und gefürchtet, je nachdem, ob es klappt oder nicht. Dass er immer wieder versucht, die typischen Polit-Stanzen und Nicht-Antworten zu meiden, schätzen auch seine Gegner als seine größte Stärke. Doch es führt eben auch zu kleineren und größeren Katastrophen.

Wer soll die Abgabe genau zahlen? Und wie wollen die Grünen ans Geld der Millionäre rankommen, die sie damit treffen wollen? Auf alle diese komplizierten Fragen geben sie in den folgenden Tagen keine Antworten. Schlicht, weil es kein schlüssiges Konzept gibt. Währenddessen schwadronieren die politischen Gegner vom "großen Habeck-Klau" (FDP) oder einem "Frontalangriff auf unser Erspartes" ("Bild").

Es ist Unsinn, aber wirkmächtiger Unsinn. Denn es erinnert an einen Teil des Gestern-Robert, den er loswerden will. Die Episode ruft das Bild vom Dampfplauderer wach. Von jemandem, der zwar schöne Reden halten kann, aber die Details nicht draufhat.

Es ist ein unfaires Bild, aber es verfängt bei mehr Leuten, als ihm lieb sein kann. Vor allem, wenn es sich mit berechtigter Kritik mischt. Wieso sollte Habeck nicht erklären müssen, wie er das alles genau machen will? Immerhin verlangt er das in diesen Tagen für die nicht gegenfinanzierten Steuerversprechen der Union auch.

Es ist ein großes Schlamassel. Und als wäre das nicht schlimm genug, folgt wenige Tage später für die Grünen ein weiteres.

Habeck will nichts sagen

An einem Montagmittag wird in der Parteizentrale der Grünen plötzlich umgebaut. Mitarbeiter wuchten ein zweites Redepult auf die Bühne. Journalisten müssen kurzfristig eine Stunde länger auf die Pressekonferenz warten. Es gibt offensichtlich Gesprächsbedarf im Bundesvorstand. Spätestens jetzt ist den Grünen die Aufmerksamkeit der Republik gewiss.

Kurz zuvor war in der Partei aus einem mutmaßlichen Belästigungsskandal eine mutmaßliche Intrige geworden. Viele Medien finden das deutlich spannender. Eine Bezirkspolitikerin hat unter falschem Namen falsche Vorwürfe gegen den Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar erhoben. Die Sache hat Gelbhaar seine Kandidatur für den Bundestag gekostet. Und jetzt war alles erfunden?

Mit einer Stunde Verspätung tritt nicht nur wie geplant Parteichefin Franziska Brantner, sondern mit ihr auch Parteichef Felix Banaszak auf die Bühne. Sie verurteilen die "kriminelle Energie" der Betrügerin, berichten aber auch von sieben weiteren Grünen, die ihre Vorwürfe gegen Gelbhaar aufrechterhalten. Und sie setzen eine neue Kommission ein, um alles aufzuarbeiten. Wie schlimm die Vorwürfe sind? Wie die Kommission arbeiten soll? Das beantworten sie auch Tage später nicht.

Wer gar nicht erst da ist und wer auffällig wenig zu der ganzen Sache sagt, ist Robert Habeck. Einer RTL-Moderatorin richtet sein Team in diesen Tagen vor einem Interview sogar aus, er werde keine Fragen zum Fall beantworten. So jedenfalls stellt es RTL dar, die Grünen dementieren nicht. Sie wollen den Skandal weit weghalten von ihrem Kandidaten. Doch einer Reporterin Fragen ausreden zu wollen, ist mehr als ein Affront.

Dabei ist die Sache an sich schon fatal genug. Und jetzt offenbart sich auch noch, dass die Grünen ein Kernproblem des Wahlkampfs von Annalena Baerbock 2021 nicht behoben haben: das schlechte Krisenmanagement.

Brandmauer und grüne Bredouille

Nur wenige Tage später ist schon wieder alles anders in diesem kurzatmigen Wahlkampf. In Aschaffenburg tötet ein Asylbewerber aus Afghanistan einen zwei Jahre alten Jungen und einen Passanten. Der Asylbewerber war ausreisepflichtig, aber nicht ausgereist. Die Migrationspolitik ist mit einem Mal das bestimmende Thema im Wahlkampf.

Friedrich Merz präsentiert einen Fünf-Punkte-Plan, will die Grenzen für Asylbewerber dichtmachen. Um seine folgenlose Absichtserklärung im Bundestag durchzubringen, lässt er sich von der AfD zur Mehrheit verhelfen. Ein echtes Gesetz scheitert Tage später nur knapp.

Deutschland streitet plötzlich über Brandmauern und Tabubrüche. Wieder gehen Hunderttausende gegen den Rechtsruck auf die Straße. Die Grünen bringt das alles in eine Bredouille. Sie sind ehrlich besorgt, das darf man ihnen glauben, hoffen aber auch auf Rückenwind für ihren Wahlkampf. Zugleich glauben sie, nicht dauernd nur sagen zu können, was sie in der Migrationspolitik alles nicht mitmachen wollen.

Also veröffentlicht Habeck seinen eigenen Zehn-Punkte-Plan. Doch auch das geht schief. Die Grüne Jugend Niedersachsen wirft ihm vor, sich "an rechten Narrativen" zu orientieren mit einer "menschenfeindlichen Abschiebepolitik". Die Kritik ist harsch, trifft aber einen Nerv im linken Flügel. Statt den Demonstrierenden ein Angebot zu machen, verschreckt Habeck sie mit einem Alleingang und Law-and-order-Politik, so sehen es nicht wenige. Die Realos wiederum ärgern sich über die Querschüsse der Linken.

Den Grünen wird zum Verhängnis, dass sie ihren Kurs in der Migrationspolitik seit Jahren nicht geklärt haben. Auf Parteitagen werden die fundamentalen Differenzen zwischen den Flügeln jedes Mal mit Formelkompromissen und Halbsätzen zugekleistert. Manche Realos fordern schon länger eine Richtungsentscheidung. Und kritisieren, dass Habeck sie scheut. Der macht es also wieder mal niemandem recht. Den Gestern-Robert wird er auch parteiintern nicht los.

Der erhoffte Rückenwind im Wahlkampf? Bleibt aus.

Geht's weiter – oder war's das?

Als Robert Habeck am Sonntag für das TV-"Quadrell" im RTL-Studio am Rande Berlins steht, wird er gar nicht mehr gefragt, wie ernst er das mit dem Kanzleramt wirklich meint. Er wird gefragt, ob er im Zweifel zurücktreten würde, wenn die Union das zur Bedingung für eine Koalition mit den Grünen macht.

Für die letzten Tage setzen die Grünen wieder auf ihre Kernthemen. So wollen sie zumindest Stammwähler mobilisieren. Vom großen Bündnis einer neuen Mitte, von dem Habeck schon 2021 geträumt hat, müssen sie sich wieder lange vor dem Wahltag verabschieden. Und diesmal trägt Habeck selbst die Verantwortung.

Noch kann alles halbwegs gutgehen. Wenn die Grünen mit Habeck über den 14,8 Prozent von Baerbock 2021 landen zum Beispiel. Oder wenn sie weiter mitregieren können. Vielleicht könnte Habeck dann sogar Finanzminister werden unter einem Kanzler Friedrich Merz, wie er es sich wünscht. Alles nicht unmöglich.

Doch wenn das nicht klappt? Dann dürfte es ungemütlich werden bei den Grünen. Ob Habeck mit in die Opposition geht, ist sehr ungewiss. Es könnte das vorzeitige Ende seiner politischen Karriere sein. Aus der Zauber.

Verwendete Quellen
  • Viele Treffen, Gespräche, Veranstaltungen im grünen Wahlkampf 2025
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