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AKK fordert Schutzzone in Syrien: War es wirklich ein Fehler?


AKK fordert Schutzzone in Syrien
War es wirklich ein Fehler?

Eine Analyse von Jonas Schaible

Aktualisiert am 24.10.2019Lesedauer: 7 Min.
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Annegret Kramp-Karrenbauer kommt in Brüssel auf dem Nato-Gipfel an: Viel hängt davon ab, wie die Nato-Partner reagieren.Vergrößern des Bildes
Annegret Kramp-Karrenbauer kommt in Brüssel auf dem Nato-Gipfel an: Viel hängt davon ab, wie die Nato-Partner reagieren. (Quelle: Virginia Mayo/ap)

Annegret Kramp-Karrenbauer ist die SPD unter den Politikern: leichtes Ziel für Hohn und Spott. Ist ihr wirklich schon wieder ein schwerer Fehler unterlaufen? Und weiß man das schon?

Zu den Dingen, die offensichtlich sind und einen doch überraschen, wenn man sie erlebt, gehört der Druck, der auf den Spitzenpolitikern der allerersten Reihe lastet. Der Druck, die Aufmerksamkeit und auch die Unerbittlichkeit des öffentlichen Urteils wachsen nicht einfach gleichmäßig mit, je höher man steigt, sie nehmen exponentiell zu.

Man kann das in faszinierender Deutlichkeit an Annegret Kramp-Karrenbauer beobachten, die momentan wieder so unter Druck steht: Diesmal für den nicht in der Koalition abgestimmten Vorschlag, eine Schutzzone in Nordsyrien einzurichten. Sie stellt die Idee an diesem Donnerstag vor den Verteidigungsministern der Nato vor, als eigene Initiative, nicht als Vorschlag der Regierung.

Von den Reaktionen der anderen Verteidigungsminister hängt mit einem Mal viel ab. Vielleicht sogar Kramp-Karrenbauers Zukunft. Wenn sie keine Unterstützung bekommt, wenn ihr Vorstoß komplett verpufft, kann es sein, dass ihr das Partei und Öffentlichkeit nicht mehr verzeihen.

Von der Favoritin zur Chefin

Kramp-Karrenbauer hatte eine lange Karriere hinter sich, als sie in die allererste Reihe vorrückte. Sie war Ministerin für so ziemlich alles gewesen, Regierungschefin, CDU-Generalsekretärin, so etwas wie Angela Merkels auserkorene Nachfolgerin an der Parteispitze und im Kanzleramt. Druck war sie gewöhnt, Beobachtung durch Medien auch.

Solange sie Favoritin auf die Merkel-Nachfolge war, kam sie damit hervorragend zurecht. Die Parteibasis mochte sie, der Parteitag bejubelte sie, mit Medien ging sie souverän um. Ihr Wahlkampf gegen Friedrich Merz und Jens Spahn um den CDU-Vorsitz war diszipliniert, sie schmiedete Allianzen, setzte ihre Botschaften, hielt eine eindrucksvolle Rede, als es drauf ankam, und machte einfach keine Fehler.

Auf einmal war sie wirklich CDU-Chefin, nicht mehr nur Favoritin. Sie hatte auf einmal qua Amt wirklich ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur. Und alles wurde anders.

Auf einmal ist Kramp-Karrenbauer im ZDF-Politbarometer die unbeliebteste Politikerin. Auf einmal raunt man in Berlin, sie habe in der Partei wirklich gar kein Ansehen mehr. Auf einmal erzählt ein einst eher wohlgesinnter Politiker eines möglichen Koalitionspartners, er sei extrem desillusioniert. Auf einmal folgt auf jede ungeschickte Äußerung die Frage: Kann sie es noch?

Und, gesteigert, steht auf einmal die Frage im Raum: War es das? War diese Forderung nach einer UN-Schutzzone der eine Missgriff zu viel?

Was ist aktuell schon klar?

Nur, war sie das überhaupt zwingend, ein Fehlgriff? Ist das schon klar? Warum scheint das Urteil schon gefallen, bevor irgendetwas entschieden ist? Das hat natürlich mit dem Druck in der allerersten Reihe zu tun.

Es wäre einfach, das, was in den letzten zehn Monaten passierte, hämisch als Geschichte des Scheiterns zu erzählen, als Hüpfen von einem Fettnapf in den nächsten einer überforderten Politikerin. Es wäre andererseits auch einfach, sie als Geschichte der exzessiven Urteilsfreude der politischen Öffentlichkeit zu erzählen, die sich für nichts mehr erwärmen kann als für Oberflächlichkeiten und Machtkämpfe.

In diesem Fall liegt die Wahrheit vermutlich wirklich in der Mitte, nur wo genau, das lässt sich von außen schwer sagen.

Was sich sagen lässt, ist, dass Kramp-Karrenbauer, die vorher noch so souverän auftrat, nach ihrer Wahl zur CDU-Vorsitzenden wirkte wie ein Boxer, der unvermittelt hart getroffen wurde, und der seitdem taumelt und sich einfach nicht erholt. Sie bräuchte eine Pause, das Klingeln der Glocke, aber die Glocke klingelt nicht, weil es auf diesem Niveau keine Pause gibt.

An vielem selbst schuld

Was sich auch sagen lässt, ist, dass sie an vielem auch selbst schuld ist. Alles begann Anfang März auf einer Karnevalsveranstaltung mit einem als diskriminierend zu verstehenden Witz über Menschen, die weder Männer noch Frauen sind. Hätte man vermeiden können, hätte auch untergehen können. In der Union finden die wenigsten den Witz verwerflich. Die Kritik kam von links – aber sie etablierte das Bild der ungeschickten Parteichefin.

Kurz darauf kündigte sie ein neues "Newsroom"-Konzept an und sagte: "Beim Auftaktgespräch zum Werkstattgespräch haben wir beispielsweise keine Presse zugelassen. (…) In diese Richtung wird es weitergehen." Das klingt einfach so, als schätze sie die Pressefreiheit gering, auch wenn man ihr das ernstlich nicht unterstellen kann. Die Kritik, die vor allem aus Medien kam, erneuerte aber das Bild der ungeschickten Parteichefin. So etwas verändert dann schon die Wahrnehmung.

Und dann kam Rezo

Dann folgte der Umgang mit dem Youtuber Rezo und dessen Video "Die Zerstörung der CDU". Die Parteizentrale reagierte spät und unsouverän. Eine echte Chance hatte sie vermutlich nie, denn was hätte eine Partei, die jahrzehntelang Klimapolitik allenfalls halb ernst genommen hat, der Wucht eines Videos entgegnen sollen, in dem ihr unzureichende Klimapolitik vorgeworfen wurde? Es folgte eine Europawahl mit schlechtem CDU-Ergebnis – und in diesem Moment der Schwäche und der Frustration brach es über Kramp-Karrenbauer herein und aus ihr heraus.

In einer internen Wahlanalyse aus ihrer Parteizentrale wurde unter anderem einem "vermeintlichen Rechtsruck bei der JU" eine Mitschuld am schlechten Ergebnis der CDU bei jungen Wählern gegeben. Die Formulierung könnte man wohlwollend als Feststellung eines möglicherweise unzutreffenden Eindrucks eben eines solchen Rechtsschwungs verstehen, aber der neue JU-Chef Tilman Kuban, der selbst den Einzug ins Europaparlament verpasst und also einen verdammt schlechten Tag hatte, nahm sie als Angriff und nutzte sie zum empörten Gegenangriff auf Kramp-Karrenbauer.

Ein dankbares Ziel

Die wiederum fing an, laut darüber nachzudenken, wie man Youtuber regulieren könnte, weil (von Rezo) "Meinungsmache" betrieben worden sei – was sie auch auf vielfache Nachfragen nicht ausbuchstabieren konnte, und was nach dem Newsroom-Interview besonders kritisch aufgenommen werden musste.

Erstmals fiel da der Gesamteindruck zusammen mit parteiinternen Kämpfen und persönlichen Befindlichkeiten – und vermengte sich zu einem für die CDU-Chefin toxischen Gesamteindruck einer nun aber wirklich erfolglosen Parteichefin.

Von da an war Kramp-Karrenbauer so etwas wie die SPD unter den Politikerinnen: ein dankbares Ziel. Kopfnicken garantiert, wenn man wahlweise mitleidig oder hämisch feststellt, dass sie es wirklich nicht kann.

Vielleicht ist das ungerecht. Vielleicht stimmt es wirklich, jedenfalls, wenn man immer schon ans Kanzleramt denkt. Vielleicht ist es auch wirklich so, dass allein die Tatsache, dass die Frage gestellt wird, sie schon beantwortet, auch wenn das natürlich offensichtlich ein Zirkelschluss ist. In jedem Fall verselbstständigt sich so eine Außenwahrnehmung, Andrea Nahles könnte davon auch berichten.

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In jedem Fall prägen diese Erfahrungen auch die Wahrnehmung des Syrien-Vorschlags mit. Kramp-Karrenbauer, mittlerweile Verteidigungsministerin, sagte also, sie wolle eine Schutzzone in Nordsyrien. Der Außenminister hatte davon nur kurz aus einer SMS erfahren, der CSU-Chef erst aus den Medien. Und wieder brach es über sie herein. Die Urteile fielen schnell.

Dilettantismus oder ein kühner Vorstoß?

War das Dilettantismus, wie der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Carsten Schneider, sagt? Selbstüberschätzung? Allein der Versuch, der innen- und parteipolitischen Profilierung, wie der grüne Außenpolitiker Omid Nouripour vermutet?

Oder, das wäre die wohlmeinende Interpretation, war es vielleicht neben all dem anderen der Versuch, eine politische Initiative anzustoßen, die andernfalls wahrscheinlich hinter den Kulissen zwischen vielfältigen Bedenken erstickt würde?

Denn, und da unterscheidet sich dieser Fall doch arg von allen vorigen: Kaum jemand bestreitet ja, dass die türkische Invasion in Nordsyrien ein Bruch des Völkerrechts ist. Kaum jemand bestreitet auch, dass die Türkei Menschenrechtsverletzungen begeht. Kaum jemand bestreitet weiterhin, dass die Situation dem fast schon besiegten IS hilft und dass der Verrat an den kurdischen Anti-IS-Partnern unverzeihlich ist. Kaum jemand bestreitet auch, dass daran am besten etwas zu ändern wäre. Kaum jemand bestreitet schließlich, dass Europa nicht viel mehr tut, als leise Mitgefühl zu formulieren.

Deutschlands Außenpolitik könnte sich ändern

Wenn man also Fragen nach koalitions- und unionsinterner Kommunikation für einen Moment denen überlässt, die sie unmittelbar betreffen, also Mitgliedern der Koalition und der Union, und wenn man sich für einen Moment freimacht von der Idee, dass dieser Vorstoß selbstverständlich in die Reihe der Fehltritte Kramp-Karrenbauers gehören muss, dann lässt sich jedenfalls fragen, wie denn der außenpolitische Umgang Deutschlands mit der Lage in Syrien aussähe.

Würde sich etwas ändern?

Und müsste sich etwas ändern? Müsste dieses große, wichtige Land, Nato-Partner der Türkei, international angesehen als Mittler, nicht irgendetwas ändern, um wenigstens zu versuchen, einzugreifen?

Unterstellt, dass die Antwort auf die erste Frage "nein" lautet und auf die zweite "ja", verschiebt sich die Perspektive auf den Vorstoß Kramp-Karrenbauers: Dann wäre er riskant, aber kühn, und doch sehr verschieden von den früheren Kommunikationspannen. Erstens viel ernster. Zweitens viel politischer. Drittens noch nicht abschließend zu bewerten.

Das Urteil würde nämlich davon abhängen, wie internationale Partner reagieren, ob daraus etwas werden kann, ob sich den Menschen in Nordsyrien vielleicht doch helfen lässt und ob die Regierungspartner nach der ersten Wut über das Verfahren vielleicht doch gerade wegen der öffentlichen Diskussion versuchen, die Politik anzupassen. Es muss nicht damit enden, dass die malade Bundeswehr einen 40.000-Soldaten-Einsatz leitet – es ist sowieso unwahrscheinlich, dass Russland einem solchen Einsatz im UN-Sicherheitsrat zustimmen würde. Aber es könnte damit enden, dass der aktuelle Zustand nicht einfach als unveränderlich bedauert wird.


Dann wäre Kramp-Karrenbauers Vorstoß bei fairer Betrachtung kein Fehlgriff gewesen, sondern vielleicht sogar ein Erfolg oder wenigstens wirksam. Kommt es aber anders, passiert gar nichts, blockieren womöglich SPD oder CSU erst recht, weil sie sich überrumpelt fühlen, womit das Vorgehen Kramp-Karrenbauers politische Folgen über die Koalition hinaus hätte, dann würde dieser Vorstoß unweigerlich als Beleg genommen: dafür, dass Kramp-Karrenbauer einfach zu viele Fehler macht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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