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Lockdown in Deutschland: Was würde eine zweite Corona-Welle bedeuten?


Nach Gütersloh
Was würde eine zweite Corona-Welle für Deutschland bedeuten?


28.06.2020Lesedauer: 8 Min.
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Volle Fußgängerzone: Ein erneuter Lockdown hätte große Auswirkungen auf die Bundesrepublik.Vergrößern des Bildes
Volle Fußgängerzone: Ein erneuter Lockdown hätte große Auswirkungen auf die Bundesrepublik. (Quelle: imago-images-bilder)

Im Kreis Gütersloh passiert das, wovor viele Menschen Angst haben: Das Virus ist zurück – und mit ihm der Lockdown. Was passiert, wenn es bald schon ganz Deutschland wieder trifft? Ein Überblick.

Eine Dreiviertelmillion Menschen erleben in diesen Tagen genau das, wovor Experten seit vielen Wochen warnen: Das Virus ist zurück – und mit ihm Kontaktbeschränkungen, Schließungen aller Schulen und Kitas und das Aus für fast alle kulturellen und sozialen Veranstaltungen. Der Coronavirus-Ausbruch in den Kreisen Gütersloh und Warendorf zieht nicht nur den ersten regionalen Lockdown in Deutschland nach sich, sondern ist auch der Beginn eines möglichen Horrorszenarios für die gesamte Republik.

Denn was wäre, wenn das Coronavirus nicht nur lokal entflammt, sondern sich erneut mit voller Wucht über alle Bundesländer ausbreitet? Noch scheint ein solches Szenario nicht sehr wahrscheinlich. Die Corona-Fallzahlen bewegen sich in Deutschland weiterhin weit unter dem Niveau des Frühjahrs. Doch wie schnell sich das ändern kann, zeigt ein Blick ins Ausland. Auch in den USA oder Israel waren die Maßnahmen gegen das Virus zunächst erfolgreich. Beide Länder lockerten ihre Corona-Maßnahmen. Und das Virus kam zurück.

Eine zweite Corona-Welle würde vermutlich auch in Deutschland nicht nur erneut zahlreiche Todesopfer fordern, sondern auch das gesamte Leben im Land zum Erliegen bringen. Doch was würde der unvermeidliche Lockdown konkret für unser Land bedeuten? Könnte die deutsche Wirtschaft ein neuerliches Herunterfahren überhaupt überstehen? Wäre das Gesundheitssystem dafür gewappnet? Wie würde die Politik reagieren? Wie die Bürger zu ihren Entscheidungsträgern stehen? Was würde die Situation mit der Psyche der Menschen machen? Und was wären die Auswirkungen auf den Sport? Ein Überblick.

Was würde das für Kanzlerin Merkel und ihre Regierung bedeuten?

Ganz schwer vorherzusagen. Man muss feststellen, dass die Bundeskanzlerin in der Krise erneut viele Menschen mit ihrer Arbeit und ihrem unaufgeregten Auftreten zu überzeugen weiß. Die Bundesbürger honorieren das mit einer außerordentlich hohen Zufriedenheit mit ihrer Leistung, höher als die jedes anderen Spitzenpolitikers in Deutschland, wie die jüngste Erhebung des ZDF-Politbarometers vom Freitag zeigt. Davon kann auch ihre Partei, die CDU, profitieren, die bei der Forschungsgruppe Wahlen in dieser Woche 40 Prozent erreicht – so viel wie zuletzt im August vor drei Jahren.

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Beispiele aus anderen Ländern zeigen gleichwohl, wie rasch sich die Stimmung gegen die Regierenden drehen kann. In Russland etwa sind die Beliebtheitswerte von Präsident Wladimir Putin drastisch eingebrochen. Ein Großteil der Bevölkerung ist unzufrieden mit seinem Krisenmanagement. Sie trauen zudem den offiziellen Corona-Statistiken nicht, die nach Meinung vieler Experten nicht das wahre Ausmaß der Pandemie in Russland widerspiegeln. Kein bisschen besser steht Donald Trump da.

Wenige Monate vor der Wahl ist der US-Präsident in ein tiefes Umfrageloch gestürzt. Während die Fallzahlen in den Vereinigten Staaten steigen und steigen, wächst der Unmut über das Krisenmanagement des Präsidenten, das launenhaft und unkoordiniert wirkt.

Es zeigt sich also: Dort wo die Bevölkerung den Eindruck gewinnt, die politische Führung habe die Krise nicht im Griff, wächst der Druck auf die Entscheidungsträger massiv. In Deutschland fand die Krisenreaktion der Politik bislang insgesamt eine breite Zustimmung. Ob dies allerdings bei einem weiteren Lockdown mit womöglich noch tieferen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen weiterhin der Fall bleibt? Kaum abzuschätzen.

Was bedeutet das für die Chef-Frage in der Union?

Eigentlich sollte die Führungsfrage in der CDU schon längst geklärt sein. Für Ende April war die Wahl des Nachfolgers von Annegret Kramp-Karrenbauer angesetzt, die im Februar überraschend ihren Rücktritt angekündigt hatte. Doch Corona durchkreuzte diese Pläne.

Drei Kandidaten bemühen sich um den Vorsitz der Partei: Armin Laschet, Norbert Röttgen und Friedrich Merz. Noch im beginnenden Frühjahr sah es nach einem engen Rennen zwischen Laschet und Merz aus. Doch Corona hat auch hier die Karten neu gemischt. Zu Beginn der Krise schien es ein Vorteil für den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen zu sein, sich nahezu täglich mit öffentlichen Auftritten in der Krise profilieren zu können, während Merz zur Rolle des Zuschauers und Zwischenrufers verdammt war.

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Nun scheint Laschet sein Kurs frühzeitiger Lockerungen auf die Füße zu fallen, weil er nach den Corona-Ausbrüchen bei Fleischbetrieben in NRW neue Lockdowns verhängen muss. Merz scheint deshalb wohl nun in der besseren Position zu sein. Gleichsam ringt auch er mit seinem Profil. An seiner Lieblingsgegnerin Angela Merkel kann er sich in der Krise nicht abarbeiten. Sie hat nach Meinung vieler vieles richtig gemacht. Und Norbert Röttgen? Er gilt noch immer eher als Außenseiter im Rennen um das Amt.

Die Entscheidung bei der CDU soll im Dezember fallen – voraussichtlich, wenn sich die Krise nicht noch einmal zuspitzt. Schon jetzt gibt es Stimmen, die Großevents noch in diesem Jahr für unverantwortlich halten und eine Absage aller Parteitage bis in den Dezember fordern. Davon wäre auch die CDU betroffen. Vielleicht bleibt Kramp-Karrenbauer dann noch ein paar Monate länger Parteichefin, als sie es eigentlich wollte.

Könnte die Wirtschaft eine zweite Welle überstehen?

Das kommt darauf an, wie schwer die Maßnahmen zur Eindämmung einer zweiten Corona-Welle wären. Einen weiteren kompletten Shutdown des Landes über mehrere Wochen könnten viele Firmen kaum überleben. Die Konjunktur bräche endgültig zusammen, es drohte eine Massenarbeitslosigkeit, weil Hunderttausende Menschen in Kurzarbeit dann womöglich gekündigt würden. Der Grund: Viele Firmen halten sich nach der ersten Welle derzeit ohnehin nur schwerlich über Wasser – eine zweite würde ihnen den Rest geben.

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Was der Shutdown konkret bedeutet, erkennt, wer sich etwa die Situation im stationären Einzelhandel anschaut. Für ihn wäre ein solcher Shutdown eine Katastrophe. Bereits im jüngsten Lockdown führten die Geschäftsschließungen zu horrenden Umsatzrückgängen und Verlusten. Beispiel H&M: Gerade erst wurde bekannt, dass der Modehändler durch die weltweiten Schließungen seiner Filialen im ersten Quartal rund 470 Millionen Euro Verlust gemacht hat. Auch das Aus der 62 Kaufhäuser von Karstadt und Kaufhof hängt stark mit den Umsatzausfällen während der Corona-Krise zusammen. Unabhängig von einer zweiten Welle rechnen Experten deshalb schon jetzt – und nicht nur im Handel – mit einem Pleite-Herbst.

Würde die zweite Welle nicht nur Deutschland, sondern zeitgleich auch andere Länder und Volkswirtschaften treffen, hätte dies zudem verheerende Auswirkungen auf das deutsche Exportgeschäft. Schon im April gingen die Ausfuhren im Rekordtempo zurück – weil es in anderen Ländern keine Abnehmer für Waren "made in Germany" gab und weil Zulieferungen aus Fabriken in anderen Ländern fehlten.

Muss der Staat dann ein weiteres Konjunkturpaket auflegen – und könnte er sich das überhaupt leisten?

Von Ersterem ist auszugehen. Schon jetzt diskutiert die Politik eher über das Wann als über das Ob eines zweiten staatlichen Programms, um die Wirtschaft weiter anzukurbeln. Unabhängig von einer etwaigen zweiten Welle gehen viele Experten davon aus, dass die Summe von rund 130 Milliarden Euro als Stimulus für die Wirtschaft kaum ausreichen wird.

Gäbe es absehbar eine zweite Welle, müsste der Staat je nach Härte des Lockdowns definitiv noch einmal tief in die Tasche greifen. Dann nämlich stünden viele Unternehmen endgültig vor dem Aus und müssten, will der Staat ihr Überleben sichern, mit noch weit mehr Geld gerettet werden.
Ob sich der Staat eine solche weitere, womöglich weit größere Summe Geld leisten kann, hängt von ihrer tatsächlichen Höhe ab. Fakt ist: Schon über die jetzt veranschlagten Milliarden und damit verbundenen neuen Kredite hätten viele Ökonomen vor der Krise noch gesagt, dass sie der Staat kaum schultern kann. Jetzt zeigt sich, dass es aus Alternativlosigkeit doch geht, doch gehen muss.

Könnte das Gesundheitssystem eine zweite Welle überhaupt verkraften?

Die erste Pandemiewelle konnte Deutschland so gut wie kaum ein anderes Land meistern. Es gab verhältnismäßig wenig Tote. Die Anzahl der Intensivbetten ist seitdem massiv heraufgeschraubt worden, bislang sind die Kapazitäten zu keinem Zeitpunkt ausgeschöpft gewesen. In einem Zentralregister tragen Kliniken in ganz Deutschland ihre freien Intensivbetten ein. Aktuell gibt es davon 32.500 – 65 Prozent davon sind belegt, allerdings gerade einmal 364 von Covid-19-Patienten (Stand: 26. Juni 2020).

Wenn eine zweite Welle Deutschland genauso schlimm träfe wie die erste, wenn es um die Anzahl der Patienten mit schweren Verläufen geht, wäre die Bundesrepublik gut für einen erneuten Ausbruch gerüstet. Hinzu kommt: In der Zwischenzeit gibt es keine Engpässe mehr bei Desinfektionsmitteln und Schutzkleidung. Zudem können Praxen und Labore mittlerweile viel mehr Patienten testen. Die Test-Kapazität lag Anfang des Jahres noch bei wenigen tausend. Mittlerweile können bis zu 170.000 Menschen pro Tag auf das Coronavirus getestet werden. Kurzfristig errichtete Corona-Krankenhäuser, etwa auf dem Berliner Messegelände, sind in der ersten Welle noch nicht einmal zum Einsatz gekommen.

Was würde eine zweite Welle für die Psyche der Menschen bedeuten?

Wer Gütersloh als Vorschau für einen erneuten deutschlandweiten Lockdown deutet, dem fällt zweierlei auf: Zum einen wie gelassen die Menschen mit den erneuten Einschränkungen umgehen: Die Schlangen vor den provisorischen Corona-Testzentren sind hunderte Meter lang, viele Bürger nehmen die Wartezeit mit einem Schulterzucken hin. Doch das ist nur die eine Seite. Denn bereits jetzt sind auch andere Emotionen zu beobachten: "Die Menschen sind verzweifelt, wütend, enttäuscht oder niedergeschlagen oder alles zusammen – und das sind ganz normale Gefühle, die bei einer frustrierenden Situation eintreten, die als Rückschritt empfunden wird", sagt etwa die Diplom-Psychologin Ulrike Scheuermann.

Dabei ist der Lockdown in Gütersloh nicht einmal mit dem bundesweiten Shutdown von vor drei Monaten zu vergleichen: Denn er ist kurz – in der nächsten Woche soll er bereits wieder enden. Es gelten zwar Kontaktbeschränkungen, Cafés und Restaurants dürfen aber weiterhin geöffnet sein. Das komplette Leben ist also nicht heruntergefahren, wie es vielerorts in Deutschland im März dieses Jahres war. Kommt dies erneut auf uns alle zu, "wäre es bitter für uns, denn wir würden dann sehen, dass der erhoffte Erfolg nicht eingetreten ist. Trotzdem würden wir natürlich alle wieder mitmachen müssen", ist sich Scheuermann sicher.


Dennoch hat die Psychologin auch Hoffnung, dass sich ganz andere Reaktionen offenbaren könnten. Schließlich ist Deutschland bislang so glimpflich aus der Krise gekommen wie kaum ein anderes Land. Dies könnte auch in einem Zusammenhaltsgefühl münden: "Auch das ist möglich und es wäre optimal, wenn wir das hinkriegen würden."

Was würde das für die Sportwelt bedeuten?

Die Bundesliga-Saison 2020/2021 soll aller Voraussicht nach im Oktober beginnen – zunächst ohne Zuschauer, jedoch mit der Hoffnung, dass die Anhänger im Laufe der Spielzeit auf die Ränge zurückkehren. Eine zweite Welle, ein bundesweiter Lockdown würde den Profifußball endgültig zum Erliegen bringen.

Unvorstellbar, dass sich Politik, Wissenschaft und Gesellschaft in einer solchen existenziellen Krise auf weitere Sonderregelungen für DFL und DFB einigen würden. Stattdessen würde eine weitere Zwangspause für den Fußball und weitere Sportarten endgültig ein Vereinssterben mit sich bringen, das sich – schneller als einem lieb sein mag – zu einem Massenphänomen entwickeln könnte.

Bereits dieses Frühjahr zeigte die Corona-Krise auf, wie erschreckend kurzsichtig deutsche Profiklubs wirtschaften. Es war traurig, einem Traditionsverein wie Schalke 04 dabei zuzusehen, wie er öffentlich um die Zahlung von TV-Geldern in Höhe von zwölf Millionen Euro bettelt, um die Zahlungsfähigkeit aufrechterhalten zu können. Klar dürfte derweil auch sein: Ohne Produkt, sprich Livefußball, werden die Rechteinhaber um Pay-TV-Sender Sky sicher kein zweites Mal finanziell in die Bresche springen.


Noch härter als den Volkssport Fußball würde eine zweite Welle jedoch die Randsportarten treffen. Und da sprechen wir nicht einmal von Disziplinen wie Faustball oder Bogenschießen, sondern von Handball, Eishockey, Basketball. Sportarten, die in normalen Zeiten Tausende von Zuschauern in ihren Arenen begrüßen. Bleiben diese jedoch noch länger weg, bleiben auch die Kassen der Klubs leer. Denn ihnen kann kein großer Rechteinhaber zur Seite springen – auch weil der Fußball sich in den vergangenen Jahrzehnten so prominent im deutschen Fernsehen ausgebreitet hat.

Es mag wie ein Horrorszenario klingen, aber: Können HBL, BBL und DEL im Herbst nicht wieder mit der Hoffnung auf zahlende Gäste starten, droht Deutschland nicht nur ein Vereins-, sondern gar ein Ligasterben. Die Bundesrepublik wäre plötzlich ein sportliches Entwicklungsland.

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