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SPD-Chef über Haushalts-Kompromiss: "Sind Sachen drin, die mir wehtun"


SPD-Chef Lars Klingbeil
"Eine Horde Jungs, die sich freut, dass Merkel weg ist"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel, Sara Sievert

Aktualisiert am 15.12.2023Lesedauer: 8 Min.
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SPD-Parteichef Lars Klingbeil: "Wir hatten auch in der Ampelregierung Auseinandersetzungen, die nicht optimal gelaufen sind." (Quelle: Dominik Butzmann)

Die Ampel schaut auf ein Jahr voller Krisen zurück. Extern, aber auch selbst verschuldet. SPD-Parteichef Lars Klingbeil zieht Bilanz, spricht über Einsparungen im Haushalt, die ihm besonders wehgetan haben – und sagt, was sich jetzt ändern muss.

Lars Klingbeil hetzt aus seiner schwarzen Dienstlimousine auf die Straße. In der linken Hand hält er eine abgenutzte Aktentasche, in der rechten sein Handy. Es ist kurz nach neun am Donnerstagmorgen, der SPD-Vorsitzende hat schon eine Reihe von Gesprächen hinter sich. Gerade ist er in einer Abstimmungsschalte mit seinem Wahlkreisteam.

"Tut mir total leid, ich muss hier noch mal ganz kurz sprechen", sagt er. Dann verschwindet Klingbeil hinter den Glastüren im Bundestag.

Es ist die letzte Sitzungswoche in diesem Jahr. Erst am Mittwoch hat sich die Ampel nach zähen Verhandlungen politisch auf einen Haushalt für das Jahr 2024 geeinigt. Seitdem laufen die Leitungen beim Parteichef der SPD heiß. Immer wieder leuchtet das Display seines Telefons auf. "Im Moment ist es echt noch mal krass viel", sagt er.

Aber so richtig ruhig war es im vergangenen Jahr eigentlich auch nie.

t-online: Herr Klingbeil, das Jahr 2023 neigt sich dem Ende zu. Was haben Sie politisch gelernt?

Lars Klingbeil: Es war ein Jahr mit wahnsinnig vielen Krisen. Vieles von dem, was passiert ist, war nicht vorhersehbar. Trotzdem würde ich sagen, dass es uns am Ende gelungen ist, vernünftig auf diese Krisen zu reagieren.

Waren nicht auch selbst verschuldete Krisen dabei?

Wenn ich auf die letzten Jahre zurückblicke, dann blicke ich auf eine Pandemie, den Krieg in der Ukraine, die Terroranschläge der Hamas in Israel. Das waren alles externe Krisen, die uns extrem gefordert haben und auch Folgen für unser Land hatten. Aber es stimmt, wir hatten auch in der Ampelregierung Auseinandersetzungen, die nicht optimal gelaufen sind. Zum Beispiel der Streit um das Heizungsgesetz oder die Kindergrundsicherung. Das sind Dinge, die im kommenden Jahr in der Regierung besser laufen müssen.


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Zuletzt gaben fast zwei Drittel der Deutschen an, sehr oder eher unzufrieden mit der Arbeit der Koalition zu sein. Wie überzeugen Sie die Menschen im Land, dass die nächsten zwei Jahre Ampel nicht so werden wie die ersten beiden?

Indem wir unsere Aufgaben erledigen. Dafür sorgen, dass anständige Löhne in diesem Land gezahlt werden, dass es genug bezahlbaren Wohnraum und ausreichend Kitaplätze gibt. Wenn die Ampel geräuschlos und vernünftig Probleme löst, dann wird das mit den Umfragen auch besser.

Aber von geräuschlos kann doch bislang in der Ampel keine Rede sein?

Deshalb sage ich ja, es muss anders werden. Es ist zum Beispiel ein wichtiges Signal, dass wir beim Haushalt diese Woche eine politische Einigung hinbekommen haben. Trotz der unterschiedlichen Positionen der drei Parteien. Das zeigt, es geht, wenn alle wollen.

Im November hatte das Verfassungsgericht Ihre Haushaltspläne für verfassungswidrig erklärt. Für 2023 mussten Sie nachträglich die Notlage erklären, 2024 wird der Bund vorerst mit einem Übergangshaushalt zurechtkommen müssen. Können Sie die Verunsicherung bei den Bürgerinnen und Bürger verstehen?

Ich verstehe jede Verunsicherung, die in den vergangenen drei Jahren durch vielfältige Krisen gewachsen ist. Natürlich hätte ich es deshalb gut gefunden, wenn wir in diesem Jahr auch im Parlament noch den Haken an den Haushalt bekommen hätten. Jetzt haben wir aber eine politische Verständigung, das ist gut und gibt erst mal Planungssicherheit für alle. Und wir werden das gleich im neuen Jahr zügig im Parlament abschließen.

Olaf Scholz sagte auf dem SPD-Parteitag vor einer Woche, es werde keinen Abbau des Sozialstaats geben. Sie hingegen wenige Tage später, dass Sparleistungen von allen erbracht werden müssten. Wer hat am Ende recht behalten?

Beides ist richtig. Die SPD hat in den Verhandlungen dafür gekämpft, dass nicht bei Alleinerziehenden oder bei Rentnerinnen und Rentnern gekürzt wird. Aber natürlich mussten sich alle drei Parteien bewegen. Ich bin ganz ehrlich: In diesem Kompromiss sind auch Sachen drin, die mir wehtun.

Was war für Sie der größte Einschnitt?

Dass die Spritpreise jetzt stärker steigen als geplant, hat mir am meisten wehgetan und bereitet mir für die Pendlerinnen und Pendler im ländlichen Raum auch ernsthaft Sorgen. Das alles müssten wir nicht tun, wenn wir die politischen Mehrheiten dafür hätten, die starren Regeln der Schuldenbremse zu reformieren. Daher muss der Fokus der Ampel 2024 auf der arbeitenden Mitte liegen. Wir werden uns noch stärker um die Leistungsträger in diesem Land kümmern.

Was hätte noch besser laufen können?

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich dafür gewesen bin, dass wir für die Ukraine-Unterstützung schon jetzt die Schuldenbremse aussetzen. Ich halte das auch politisch für gerechtfertigt.

Wurde das Aussetzen der Schuldenbremse nicht einfach zeitlich nach hinten verschoben?

Für mich war wichtig, dass diejenigen, die vom Staat in diesen Zeiten Sicherheit bekommen, also Rentnerinnen und Rentner, Alleinerziehende, Familien mit kleinen Einkommen, sich darauf weiter verlassen können. Und dass wir die Investitionen in die großen industriepolitischen Vorhaben fortsetzen, um die Arbeitsplätze der Zukunft zu schaffen. Das findet sich in dem Kompromiss wieder, genauso wie die Ukraine-Unterstützung. Aber um die in jedem Fall zu gewährleisten, auch, wenn es im nächsten Jahr mehr brauchen wird, haben wir uns eine Möglichkeit offengehalten.

Der höhere CO2-Preis trifft vor allem die unteren Einkommensschichten. Ist es in Zeiten der Krise das richtige Zeichen, vor allem bei sozial Schwächeren zu sparen?

Die Spritpreise belasten vor allem die arbeitende Mitte. Das sind zum Beispiel Facharbeiter und Angestellte in meinem Wahlkreis, die jeden Tag Dutzende Kilometer pendeln. Das ist eine Belastung, die ich gar nicht wegreden will. Gerade für diese Gruppe haben wir im letzten Jahr schon viele Maßnahmen ergriffen: die Gas- und Strompreisbremse, Kindergelderhöhung, die Ausweitung des Wohngeldes. Zum 1. Januar gibt es weitere Steuerentlastungen, von denen vor allem Familien mit Kindern profitieren.

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"Es ist gut, dass wir in schwierigen Zeiten Verantwortung für dieses Land tragen. Trotzdem verfalle ich jetzt bei dem Kompromiss nicht in Jubel und Euphorie."


SPD-Chef, Lars Klingbeil


Hätte man nicht statt der arbeitenden Mitte lieber die Spitzenverdiener und Vermögenden stärker zur Kasse bitten sollen?

Als SPD wollen wir 95 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler entlasten. Dafür haben wir konkrete Vorschläge gemacht. Die Superreichen in diesem Land müssten dann mehr Verantwortung übernehmen, damit wir das Geld in Bildung, in vernünftige Schienen für die Bahn oder in die Digitalisierung stecken können. Das scheitert nicht an der SPD.

Christian Lindner machte bei der Verkündung der Ergebnisse einen recht zufriedenen Eindruck. Zu Recht?

Er kann als Finanzminister zufrieden sein, dass er dazu beigetragen hat, dass es einen Haushalt gibt. Das sind wir alle in der Ampel. Gegen die Angriffe der Union und das Gerede von Neuwahlen in den vergangenen Wochen hat die Ampel gezeigt, dass sie handlungsfähig ist. Es ist gut, dass wir in schwierigen Zeiten Verantwortung für dieses Land tragen. Trotzdem verfalle ich jetzt bei dem Kompromiss nicht in Jubel und Euphorie.

Haben Sie die Befürchtung, dass die Union erneut gegen den Haushalt klagt?

Friedrich Merz bürstet seine Partei und Fraktion auf Krawall, insofern ist das nicht ausgeschlossen. Wir haben jetzt das gemacht, was wir für richtig halten.

Aber kann eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse für die Ahrtal-Flut auch gut begründet werden? Die Katastrophe war 2021, die Aufräumarbeiten können kaum als "unvorhersehbares Ereignis" gelten, wie es das Gesetz vorsieht.

Ich bin neulich durch Bad Münstereifel gelaufen und habe die massiven Schäden gesehen, die teilweise noch immer nicht beseitigt sind. Die Belastung für die Kommunen ist dort weiterhin enorm. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht gesagt, dass das unvorhersehbare Ereignis in diesem Jahr passiert sein muss, sondern nur, dass eine Notlage jedes Jahr neu begründet werden muss.

Olaf Scholz sprach am Mittwoch von einem "Überschreitungsbeschluss". Gemeint ist die Aufnahme neuer Kredite, mit denen man die Schuldenbremse überschreitet. Sagt man jetzt nicht mehr Notlage aus Rücksicht auf Lindner?

Mir geht es nicht um Begriffe, sondern um Politik für die Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft, die unsere Unterstützung brauchen. Aber ja, ein Überschreitungsbeschluss ist nichts anderes als die Möglichkeit, die Notlage zu erklären. Das gilt für den Fall, dass sich die Lage in der Ukraine verschärft.

Aber hat sich die Lage in der Ukraine nicht längst verschärft? Experten warnen davor, dass Kiew gerade dabei ist, den Krieg zu verlieren.

Ich erlebe seit Kriegsbeginn, dass ganz viele Experten genau zu wissen glauben, wie sich der Krieg entwickelt. Vor dem Februar 2022 haben mir Sicherheitsexperten gesagt, Putin greift nicht an. Danach sagte man mir, die Ukraine werde in wenigen Tagen fallen. Mittlerweile bin ich bei solchen Prognosen skeptisch.

Aber die militärische Lage sieht düster aus: Der ukrainische Gegenstoß ist gescheitert, während Russland auf Kriegsproduktion umgestellt hat und wieder in der Lage ist, Offensiven zu führen. Könnte es im Sommer 2024 nicht zu spät sein?

Ich wäre dafür gewesen, schon jetzt eine Notlage zu erklären, um die Ukraine-Unterstützung abzusichern. Wir sind trotzdem vorbereitet: Es gibt eine klare politische Verabredung, dass in dem Moment, wo die Ukraine weitere Unterstützung braucht, weil zum Beispiel andere Partner abrücken, wir dann auch die entsprechenden Entscheidungen treffen werden. Es gibt kein Wackeln in unserer Solidarität für die Ukraine, übrigens auch nicht bei der Union. Das ist ein wichtiger politischer Konsens in der demokratischen Mitte dieses Landes.

Wie sollte Deutschland darauf reagieren, wenn die USA ihre Ukraine-Hilfen zurückfahren?

Ich war selbst jetzt vor Kurzem in Washington und habe gesehen, wie die Republikaner die Ukraine zum politischen Spielball machen. Deswegen sage ich: Wir müssen uns darauf einstellen, dass auf Deutschland und Europa mehr Verantwortung zukommen kann: politisch, humanitär, aber auch militärisch. Ich setze auf die Achse Deutschland–Frankreich–Polen. Mit der neuen polnischen Regierung stehen die Chancen auch gut. Aber ob das bedeutet, dass wir eins zu eins ausgleichen können, wenn die USA ausfallen, muss sich dann zeigen.

Sollte es dazu kommen, muss Deutschland dann das Zugpferd im westlichen Bündnis werden?

Wir sind das Zugpferd. Ich habe Präsident Selenskyj auf meiner Kiew-Reise persönlich getroffen und kann sagen: Es gibt dort keinerlei Zweifel, dass Deutschland einer der verlässlichsten Unterstützer der Ukraine ist.


Quotation Mark

"Unter Friedrich Merz tritt die CDU allerdings auf wie eine Horde kleiner Jungs, die sich freut, dass Angela Merkel weg ist."


Lars Klingbeil


Oppositionschef Friedrich Merz hat Kanzler Scholz beim Haushalt 2024 "übliche Trickserei" vorgeworfen, zuvor hat er ihn einen "Klempner der Macht" genannt. Ist die CDU in Ihren Augen eine konstruktive Opposition?

Ich habe die CDU die letzten Jahre immer als konstruktive Partei wahrgenommen, die ihre demokratische Verantwortung ernst nimmt. Unter Friedrich Merz tritt die CDU allerdings auf wie eine Horde kleiner Jungs, die sich freut, dass Angela Merkel weg ist und man deswegen endlich das machen darf, was man schon immer wollte, aber nie die Macht oder den Mut dazu hatte. Das ist Krawallmentalität. Bei den Ministerpräsidenten der CDU, die Verantwortung in ihren Ländern tragen, nehme ich das anders wahr.

Dass Altkanzlerin Angela Merkel nicht mehr Parteivorsitzende ist, merkt man am neuen Grundsatzprogramm der CDU. Haben Sie mal reingeschaut?

Das, was ich gelesen habe, ist eine Art Sehnsucht nach vorgestern. Ich glaube, dass die aktuelle CDU-Führung vor allem sich selbst therapiert und ihr Verhältnis zu Angela Merkel aufarbeitet. Es geht also weniger um die Bürgerinnen und Bürger im Land und deren Sorgen als um das eigene konservative Ego.

Ein Satz, der viel Kritik hervorrief, lautet: "Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland." Was halten Sie davon?

Das ist eine rhetorische Ausgrenzung von einer ganzen Bevölkerungsgruppe in Deutschland. Muslime gehören zu Deutschland, Punkt. Genauso wie Christen, Juden, Atheisten, andere Religionen. Es ist schon bezeichnend, dass die Union das Teilen von Werten nur einer Religion vorschreiben will. Diese Art der Vorverurteilung von Menschen hätte es in der Merkel-CDU nicht gegeben. Das ist eine ideologische Kehrtwende, die Merz hier vornimmt.

Letzte Frage: Was schätzen Sie an Friedrich Merz?

Fast hätte ich gesagt, sein Interesse für Fußball, leider hat er mit dem BVB den falschen Verein. Also schätze ich, dass er die vielen Gespräche, die wir geführt haben, immer vertraulich behandelt hat. Und, dass er mit dem Kurs zurück in die Vergangenheit die Unterscheidbarkeit zu einer modernen Politik, wie wir sie für das Land machen, sehr deutlich macht.

Herr Klingbeil, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Lars Klingbeil
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