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Michael Kretschmer (CDU) traf Gerhard Schröder kurz vor russischem Angriff


Kretschmer-Treffen mit Schröder
Ein heikler Termin zu heikler Zeit

  • Jonas Mueller-Töwe
Von Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 19.02.2024Lesedauer: 5 Min.
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Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD): Eine Stunde lang traf er sich mit Michael Kretschmer in Dresden. (Quelle: Sean Gallup/Getty Images)

Auf der Höhe der russischen Kriegsvorbereitungen empfing Sachsens Ministerpräsident den wichtigsten deutschen Lobbyisten Putins in der Staatskanzlei. Um Russland, Nord Stream 2 oder die drohende Invasion sei es dabei nicht gegangen, heißt es.

Dezember 2021: Seit Monaten zieht der Kreml seine Invasionstruppen an der Grenze zur Ukraine zusammen. Über hunderttausend russische Soldaten sind zu einem angeblichen Wintermanöver mobilisiert worden. Panzer, Haubitzen, Militärfahrzeuge werden zu Tausenden mit Güterzügen nach Westen verlegt. Im Schwarzen Meer werden russische Kriegsschiffe zusammengezogen. Der Kreml stellt Forderungen, die Ukraine bittet die Nato um Hilfe. Wenige Wochen später werden die Invasoren einmarschieren.

In diesen Tagen, als Europa vor der schwerwiegendsten Bedrohung seiner Freiheit und Sicherheit seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion steht, empfängt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) laut Recherchen von t-online in der Dresdner Staatskanzlei einen besonderen Gast. 60 Minuten sind Anfang Dezember angesetzt für ein Gespräch mit jemandem, der viel zur Situation an der russisch-ukrainischen Grenze zu sagen hätte. Kretschmer hat ihn Monate zuvor den "intensivsten Kontaktmacher zu Moskau" genannt. Gemeint ist Gerhard Schröder, Putins wichtigster deutscher Lobbyist.

"Terminanfrage Herr Gerhard Schröder"

Umso erstaunlicher ist, dass bei dem Treffen die aktuelle weltpolitische Lage nicht besprochen worden sein soll, auch wenn die Staatskanzlei das heute auf Anfrage von t-online nicht gänzlich ausschließt. "Bezüge zu Russland oder Nord Stream 2 während des Gesprächs sind nicht dokumentiert", teilt Kretschmers Regierungssprecher mit. Ganz unabhängig von Schröders Lobbyarbeit für russische Energiekonzerne war das Treffen womöglich trotzdem nicht.

Der Altkanzler ist 2021 noch nicht der öffentlich in Ungnade gefallene Paria von heute. Trotz seiner langjährigen Bemühungen, gute Miene zum bösen Spiel des Kremls zu machen, und der Kritik daran ist er damals gern gesehener Interviewpartner, er schreibt Gastbeiträge auch für t-online und wird in Teilen der Politik, vor allem in Reihen der SPD, geradezu hofiert. Wenn Schröder klopft, öffnen sich für ihn und seine Geschäftspartner Türen – auch die zu Michael Kretschmer, als bei ihm eine E-Mail mit dem Betreff "Terminanfrage Herr Gerhard Schröder, Bundeskanzler a.D." eingeht, die t-online vorliegt.

Kretschmer und Putin

Nicht in gleichem Maße, aber doch ebenfalls seit Jahren, ist damals Sachsens Ministerpräsident wegen seiner Russland-Positionen in der Kritik: Er will Putin bereits 2018 treffen, 2019 dann trifft er Putin, er will ihn einladen, er will ihn nochmal treffen, schließlich darf er bei einem Russlandbesuch im April 2021 immerhin mit dem Kremlchef telefonieren. Er selbst sieht das als Erfolg.

Stets ist er dabei ein Verfechter der Position, Russland einseitig entgegenzukommen: Sanktionen aufgrund der völkerrechtswidrigen Krim-Annexion 2014 will er abschaffen, den Giftanschlag auf den Oppositionellen Alexej Nawalny nicht politisieren, Nord Stream 2 will er auf jeden Fall fertigstellen und in Betrieb nehmen. Sachsen sieht er als "Brücke zu Osteuropa" und mit Osteuropa meint er, so wie Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, vor allem Russland.

Russlands Wasserstoffpläne

Dort werden damals große Pläne geschmiedet: Die staatlichen Energiekonzerne wollen in den europäischen Wasserstoffmarkt einsteigen. Gewonnen werden soll der Energieträger auf Basis ihres Erdgases, für den Export die bestehende Gasinfrastruktur genutzt werden. Dafür brauchen sie einen Markt in Deutschland, der mit Pilotprojekten angekurbelt werden soll. Da kommt Nord-Stream-Lobbyist Schröder ins Spiel, wie t-online mehrfach exklusiv berichtete.

Gemeinsam mit der Euref AG und der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern ruft er 2021 die "Wasserstoff-Hanse" ins Leben, die Geschäftsanbahnungen mit Gazprom verschleiert. Eine Expansion nach Hamburg ist geplant, wo der Ex-Bahn-Chef Rüdiger Grube dafür Kontakte in die Politik knüpft. Und in Düsseldorf kümmert sich Schröders Frau als NRW-Wirtschaftsförderin um Wasserstoffprojekte für den dortigen Euref-Standort. Da trifft es sich, dass auch der sächsische Ministerpräsident sich für die russischen Wasserstoffpläne begeistern kann.

Eine bemerkenswerte Parallele

Auf seiner Reise im April 2021 hat Kretschmer Putins Sonderbeauftragten für Klimafragen getroffen. Sein besonderes Interesse habe in dem Gespräch unter anderem die Entwicklung der russischen Wasserstoffwirtschaft geweckt, heißt es im späteren Dankesbrief, der t-online vorliegt. Daher vermittelt er einen Kontakt zur Energiebörse European Energy Exchange (EEX) in Leipzig, "für mögliche Kooperationsgespräche". Wenig später stellen russische Offizielle ihre Pläne auf der von Kretschmer als Schirmherr begleiteten "Deutsch-Russischen Rohstoff-Konferenz" vor.

Und es ist eine bemerkenswerte Parallele, dass es sich auch beim Termin mit Schröder Anfang Dezember in der Staatskanzlei um das Thema dreht. Denn Schröder ist nicht allein angereist, sondern mit Vertretern des Leipziger Bauunternehmers Christoph Gröner, der in ganz Deutschland umfangreiche Immobilienprojekte entwickelt, auch in Leipzig.

Prominenz und Pilotprojekt

Gröner hat im Umfeld seiner Unternehmensgruppe politische und wirtschaftliche Prominenz versammelt: Ex-Bahnchef Grube ist damals im Beirat und hat heute den Vorstandsvorsitz der Euref AG inne. Als Berater fungiert damals der ehemalige EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der heute auch Aufsichtsratschef ist. Und seit Mitte 2021 hat damals Gerhard Schröder ein Beratungsmandat. Dessen Netzwerk will Gröner nutzen, um mit "seinen Produkten Politik zu machen", sagt er damals dem "Handelsblatt".

Es liegt nicht fern, den Termin in der sächsischen Staatskanzlei als Teil dieser Ambitionen zu sehen. Im einstündigen Gespräch wollen Vertreter der Unternehmenstochter CG Elementum AG und Schröder dem Ministerpräsidenten ihren "CO2-Zero-Emission-Ansatz" für ein Pilotprojekt in Leipzig vorstellen. Der soll es ermöglichen, die Wohn- und Gewerbequartiere der Gruppe bundesweit klimaneutral zu betreiben. Und zentrales Element dafür ist Wasserstoff.

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Dezentrale Wasserstoffproduktion

Direkt in den Quartieren, so die damaligen Pläne, solle Wasserstoff gewonnen werden, der in Blockheizkraftwerken für die Strom- und Wärmeproduktion genutzt werden soll. Als Grundlage dafür geeignet erachtet die Gröner Group laut einer damaligen Unternehmenspräsentation auch fossile Brennstoffe, also Erdgas. Da scheint sich Schröders Lobbyarbeit für die Gröner Group mit seinen übrigen Mandaten für die deutsch-russischen Gas-Pipelines und die Euref AG zu treffen.

Jedenfalls beabsichtigen Schröder und die Immobiliengruppe damals, Kretschmer für die Pläne in Leipzig zu gewinnen. "Wir würden uns freuen, (...) das angestrebte Pilotprojekt gemeinsam zu realisieren", heißt es in einer t-online vorliegenden E-Mail. Nur auf diesem Wege sei es möglich, bereits im Laufe des Jahres 2022 "die erste im Betrieb CO2-neutrale Versorgungsanlage Deutschlands zu errichten".

Kretschmers Sprecher gibt heute auf Anfrage von t-online an, aus dem Gespräch seien keine weiteren Aktivitäten zwischen der Staatskanzlei und dem Unternehmen entstanden. Die Gröner Group und der Altkanzler nahmen keine Stellung. Schröder verlor nach Kriegsbeginn seinen Beraterposten bei der Gröner Group. Geschäftsführer dort ist heute der ehemalige Bahnchef Ronald Pofalla. Er war bis 2022 Vorsitzender des Petersburger Dialogs, der einst von Gerhard Schröder ins Leben gerufen wurde. Anders als Schröder befürwortet er Sanktionen gegen Russland.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Antrag nach dem Sächsischen Transparenzgesetz an die Sächsische Staatskanzlei
  • Presseanfragen an Staatskanzlei, Gröner Group und Gerhard Schröder
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