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SPD – Wo ist die Erneuerung? Ein "Weiter so" führt nicht aus der Krise


Wo ist die Erneuerung?
Mit einem "Weiter so" kommt die SPD nicht aus der Krise

  • Johannes Bebermeier
Eine Analyse von Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 05.06.2018Lesedauer: 4 Min.
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Andrea Nahles: Die Bundesvorsitzende und Fraktionsvorsitzende der SPD ist zuletzt nicht mit mutigen Vorschlägen aufgefallen.Vergrößern des Bildes
Andrea Nahles: Die Bundesvorsitzende und Fraktionsvorsitzende der SPD ist zuletzt nicht mit mutigen Vorschlägen aufgefallen. (Quelle: Michael Kappeler/dpa-bilder)

Eigentlich will sich die SPD erneuern. Dafür hat die Partei heute schon wieder eine wichtige Chance verpasst. Das liegt auch an Parteichefin Nahles, deren Motto zu sein scheint: weiter so.

Wenn Andrea Nahles gefragt wird, was sie anders machen will als andere SPD-Vorsitzende vor ihr, um den Absturz der Partei in die Bedeutungslosigkeit zu stoppen, dann antwortet sie darauf genau das, was so ziemlich alle vor ihr auch geantwortet hätten. "Die Leute erwarten von uns, dass wir jeden Tag eine soziale Politik machen, eine Politik für den Zusammenhalt unseres Landes", sagte sie am Sonntag im ARD-Sommerinterview.

Wenn Andrea Nahles gefragt wird, wie sie angesichts der miesen Umfragewerte und Vorbehalte gegen die große Koalition in der eigenen Partei für Ruhe sorgen will, dann antwortet sie: "Ich bin froh, dass wir in Deutschland eine stabile Regierung haben." Das sei ein Pfund für sich, das auch die Bürger wertschätzten. Und: Man müsse schneller die Projekte aus dem Koalitionsvertrag abarbeiten, auch gegen Widerstände aus der Unionsfraktion.

Nahles' Antwort auf die beispiellose Krise der deutschen Sozialdemokratie lautet also grob gesagt: weiter so.

Debatte um Erneuerung lebt von mutigen Vorschlägen

Das wird kaum funktionieren. Eine stabile Regierung? Das war auch die letzte große Koalition. Ein fleißig abgearbeiteter Koalitionsvertrag mit vielen SPD-Projekten wie etwa dem Mindestlohn? Den hatte die SPD ebenfalls vorzuweisen. Das Ergebnis: 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2017, das bisher schlechteste Ergebnis der SPD überhaupt.

Die Sozialdemokraten kommen nicht aus ihrem Tief heraus, und das liegt eben auch an der Parteiführung. Nahles betont zwar, dass es eine Debatte um die notwendige und vielzitierte Erneuerung der Partei geben müsse. Doch eine Debatte lebt von mutigen Vorschlägen, über die diskutiert werden kann. Und damit ist sie bislang nicht aufgefallen. Stattdessen gab es missglückte Wortmeldungen – und verpasste Chancen.

Debattenhoheit bei der EU-Reform? Chance verpasst

Das war erst heute wieder zu besichtigen. Es hätte ein großer Tag werden sollen. Schon Mitte Mai hatte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil angekündigt, SPD-Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz wolle eine starke Antwort auf die EU-Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron präsentieren. Eine Antwort, um die sich Kanzlerin Angela Merkel bis dahin gedrückt hatte.

Es wäre eine Chance für die SPD gewesen, bei diesem für die Partei wichtigen Thema die Richtung vorzugeben. Doch als Andrea Nahles heute nach einer SPD-Fraktionsklausur vor die Presse trat, konnte sie wieder nur reagieren. Merkel hatte tags zuvor in einem Interview mit der
"Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" ihre eigene Antwort auf Macron präsentiert.

Nahles blieb nicht viel mehr übrig, als die Äußerungen Merkels zu begrüßen und zwei Punkte zu nennen, die die Kanzlerin in dem Interview nicht angesprochen hatte: Man wolle soziale Mindeststandards in Europa etablieren, etwa durch einen Korridor für Mindestlöhne, die sich an der Wirtschaftskraft der jeweiligen Länder orientieren. Und man wolle eine gerechtere Besteuerung in Europa durchsetzen, die die Digitalkonzerne miteinbezieht, ebenso wie eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftssteuer und die Einführung einer Finanztransaktionssteuer.

Viele Detailfragen, viel Klein-Klein, und: Ohnehin alles schon im Koalitionsvertrag verabredet, wie Nahles selbst sagte. Von einer kraftvollen Zukunftsvision im Stile Macrons ist das sehr weit entfernt. Selbst die Kanzlerin ist bei den Details schon konkreter geworden in ihrem Interview, etwa bei der Frage, mit wie viel Geld ein Investitionshaushalt ausgestattet werden solle.

Das Problem mit: "Wir können nicht alle bei uns aufnehmen"

Statt mit einem mutigen Vorschlag fiel Nahles zuletzt mit missglückten Wortmeldungen auf. Ende Mai sagte sie in einem Interview mit der "Passauer Neuen Presse" mit Blick auf die Flüchtlinge: "Wir können nicht alle bei uns aufnehmen." Das brachte ihr heftige Kritik in der eigenen Partei ein, wo man nicht nur die humanitäre Flüchtlingspolitik in Gefahr sah, sondern auch darauf hinwies, dass man mit solchen Wortmeldungen Rhetorik und Agenda der AfD übernehme. Alle aufzunehmen habe niemand gefordert.

Nahles hält weiterhin an ihrem Satz fest. Sie will gegen das "Gefühl" der Leute angehen, dass man Probleme "weggedrückt" habe, sagte sie im ARD-Sommerinterview. Das gehe nur, indem man benenne, was ist.

Das kann man durchaus so sehen. Nur tut sie damit zugleich so, als habe die SPD zuvor eine andere Politik vertreten, was nicht stimmt. Schon 2015 haben etwa der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier in einem Gastbeitrag im "Spiegel" geschrieben, Deutschland könne nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen.

Nahles hat mit ihrer Wortmeldung zwei Dinge erreicht: Sie hat den linken Flügel ihrer Partei gegen sich aufgebracht. Und sie hat die SPD ohne Not (und unbegründet) als Umfaller präsentiert – was etwa die AfD genüsslich auskostet.

Nicht erreichen wird sie ihr offensichtliches Ziel: die Menschen zu erreichen, die sich eine (etwas) härtere Linie in der Flüchtlingspolitik wünschen. Denn zugleich will Nahles weiterhin nicht, dass der Skandal um das Flüchtlingsamt Bamf in einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt wird. Auch das kann man für sich genommen nachvollziehen, immerhin ist und war die SPD selbst an der Regierung. Doch eine schlüssige "neue" Linie in der Flüchtlingspolitik entsteht so eben nicht – egal für wie erfolgversprechend man eine solche Linie für die SPD hält.

Mutige Vorschläge gibt es in der SPD durchaus

Wie man mutige Vorschläge zur Erneuerung der SPD macht, hat derweil eben jene erboste Parteilinke heute demonstriert – und zwar bei einem Schlüsselthema für die Sozialdemokraten: dem Umgang mit der Agenda 2010. In einer gemeinsamen Erklärung fordern verschiedene linke Zusammenschlüsse in der Partei: "Hartz IV überwinden und durch einen modernen Sozialstaat ersetzen". Unter anderem schlagen sie eine "deutliche Erhöhung der Mindestlöhne", einen neuen "sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose" und ein "sanktionsfreies Existenzminimum" vor.

Ist das der richtige Kurs für die SPD? Das bleibt abzuwarten. Doch es ist immerhin ein weitreichender Vorschlag, wie die SPD ihn braucht. Und wesentlich mehr als: weiter so.

Verwendete Quellen
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