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Verteidigung: So gefährdet die marode Infrastruktur die deutsche Sicherheit


Panzerdrehkreuz Deutschland
Diese Schwäche ist brandgefährlich


08.06.2025 - 11:04 UhrLesedauer: 7 Min.
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Niederländische Soldaten vor Militärfahrzeugen im sachsen-anhaltinischen Sülzetal (Archivbild): Deutschland kommt bei der militärischen Mobilität der Nato eine wichtige Rolle zu. (Quelle: IMAGO/Vincent Jannink/imago)
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Deutschland gilt in der Nato als Panzerdrehkreuz Europas. Im Ernstfall ist der Transport militärischer Ausrüstung über Schienen, Straßen und Wasserwege entscheidend – doch die marode Infrastruktur steht dem im Weg.

Wer oft auf deutschen Autobahnen unterwegs ist, hat vermutlich schon einen militärischen Transport oder eine lange Kolonne aus Militärfahrzeugen überholt. Laster, die Kampf- oder Schützenpanzer auf ihrer Ladefläche transportieren, Fahrzeuge in Tarnfarben und sogar Radpanzer sind seit dem russischen Angriff auf die Ukraine keine Seltenheit mehr auf deutschen Straßen.

Am Donnerstag beschloss die Nato das größte Aufrüstungsprogramm seit dem Ende des Kalten Krieges. Die Fähigkeiten der Partnerstaaten zur Abschreckung und Verteidigung sollen deutlich ausgebaut werden. Ende Juni soll auf dem Nato-Gipfel zudem eine neue Vorgabe für Verteidigungsausgaben beschlossen werden: 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär und zusätzliche 1,5 Prozent für verteidigungsrelevante Ausgaben, etwa Infrastruktur.

Die Nato rüstet sich. Militärisches Gerät muss aus dem In- und Ausland seinen Weg zu Übungen finden – oder im Ernstfall gen Osten verlegt werden. Aufgrund seiner geografischen Lage kommt Deutschland bei der militärischen Mobilität der Nato eine wichtige Rolle zu. Doch es gibt ein Problem: Die Infrastruktur in Deutschland ist veraltet. Gefährdet das die Sicherheit Europas? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zum "Panzerdrehkreuz Deutschland".

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Quelle: reuters

Warum ist Deutschland so wichtig für die Mobilität der Nato?

Der offensichtlichste Grund fällt beim Blick auf eine Landkarte des europäischen Kontinents sofort ins Auge: Deutschland liegt im Herzen Europas und ist zudem ein flächenmäßig großes Land. Für die militärische Mobilität bedeutet das: Wollen Armeen aus Nato-Staaten an internationalen Truppenübungen teilnehmen, führt sie ihr Weg mit großer Wahrscheinlichkeit durch Deutschland.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 ist diese Rolle als Transitland noch wichtiger geworden: Im Verteidigungs- oder Bündnisfall plant die Nato, große Truppenverbände an ihre Ostflanke zu verlegen – etwa ins Baltikum, nach Finnland oder nach Rumänien. Der Transport soll per Straße, Schiene, See- und Luftweg erfolgen. Auf dem Landweg müssen diese Einheiten Deutschland passieren und entsprechend logistisch unterstützt werden.

Diese Pflicht zur Unterstützung verbündeter Truppen ist per Nato-Truppenstatut im sogenannten Host Nation Support (HNS) geregelt. Als Mitgliedsland im Militärbündnis ist Deutschland demnach verpflichtet, alliierte Streitkräfte während ihres Transits oder Aufenthalts in der Bundesrepublik zu unterstützen – durch die Versorgung mit Kraftstoff und Verpflegung, durch militärische Begleitung sowie weitere Sicherheitsleistungen.

Innerhalb der Nato ist das Joint Support and Enabling Command (JSEC) für Truppen- und Materialtransporte zuständig. In dieser Rolle stellte JSEC Anforderungen an die Bundesrepublik, die in den "Operationsplan Deutschland" eingeflossen sind. Der geheime Plan soll seit Ende März fertiggestellt sein. JSEC bezeichnet den Plan auf Anfrage von t-online als "sehr wertvollen Beitrag für die Gesamtverteidigung der Nato".

Was genau ist Dual-Use-Infrastruktur?

Damit Deutschland diese Unterstützungsaufgaben leisten kann, ist die entsprechende Infrastruktur wichtig. Eisenbahn- und Straßenbrücken müssen nicht nur zivile Zwecke erfüllen, sondern auch militärisch nutzbar sein – so werden die Bauten zu sogenannter Dual-Use-Infrastruktur (DUI). Der Begriff "Dual Use" bezeichnet Produkte, Software oder Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können.

Dual-Use-Infrastrukturen umfassen Straßen, Bahnstrecken, Wasserstraßen, Häfen, Flughäfen sowie deren digitale Steuerungs- und Kommunikationssysteme. Sie müssen so gestaltet sein, dass sie sowohl den Anforderungen des zivilen Personen- und Güterverkehrs als auch militärischen Einsätzen genügen. Dazu gehören tragfähige Brücken für schwere Fahrzeuge, ausreichend große Tunnel, passende Umschlaganlagen an Häfen und Flughäfen, sichere Kommunikationsverbindungen und ein hoher Schutz vor Angriffen.

Panzerdrehkreuz Deutschland: Wo liegen die Probleme?

Jannik Hartmann, Experte für militärische Mobilität bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) malt hinsichtlich des Zustands der DUI in Deutschland ein düsteres Bild. Er hat drei konkrete Bereiche ausgemacht, die bei der Sanierung der DUI zum Problem werden könnten: "Der Zustand der Infrastruktur an sich, die bürokratischen Hürden und Kapazitätsengpässe."

Zur Person

Jannik Hartmann arbeitet als Associate Fellow am Zentrum für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). In seiner Forschung beschäftigt er sich insbesondere mit kritischer Infrastruktur und ihren Anforderungen und Bedrohungen.

Wie ist der Zustand der deutschen Dual-Use-Infrastruktur?

Auch das Nato-Kommando JSEC sieht Nachbesserungsbedarf in Deutschland: "Die größten infrastrukturellen Herausforderungen für Deutschland liegen derzeit beim Transport schwerer Panzer", heißt es von dort auf Anfrage. "Nicht alle Straßenbrücken sind für das Gewicht vorbereitet und nicht alle Eisenbahnstrecken ermöglichen den Transport der überbreiten Panzer."

Viele Straßen und Brücken wurden zur Zeit des Kalten Krieges gebaut. Ausgelegt waren sie etwa für Kampfpanzer wie den Leopard 1, der etwas mehr als 40 Tonnen wiegt. Sein Nachfolger, der Leopard 2, ist rund 20 Tonnen schwerer – dafür sind manche Verkehrswege in Deutschland nicht ausgelegt.

Laut dem Experten Hartmann sind etwa 4.500 von rund 40.000 Brücken in einem unzureichenden oder mangelhaften Zustand.

Dieser Umstand ist der Bundeswehr bewusst. Auf Anfrage von t-online erklärte eine Sprecherin des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr, dass über das Bundesverteidigungsministerium bereits "eine Liste von Brücken mit hoher Priorität" bei der EU-Kommission vorgelegt worden sei. Diese diene dazu, "eine Grundlage für ein Förderprogramm zur Instandsetzung von Brücken mit Dual-Use-Eigenschaften zu schaffen". Um welche Brücken es sich dabei handelt, gab die Sprecherin auf Nachfrage mit Verweis auf Geheimhaltung nicht bekannt.

Marode Brücken haben direkte Folgen für die militärische Mobilität: "Ein Panzerkonvoi, der auf Schienen transportiert wird, kann nicht den kürzesten Weg nehmen, sondern muss große Umwege in Kauf nehmen, wenn die Strecken nicht die notwendige Traglast haben", sagt Hartmann. Das Schienensystem an sich sei ebenfalls in einem "desolaten Zustand", führt der Experte weiter aus.

Das zeigt auch der Netzzustandsbericht der Deutschen Bahn aus dem April 2025. Jedes zweite der rund 4.000 Stellwerke in Deutschland wird als "schlecht", "mangelhaft" oder "einschränkend" bewertet – muss also dringend instand gesetzt oder erneuert werden. Manche Anlagen sind mehr als 100 Jahre alt und müssen noch von Hand bedient werden. Auch viele Signalsteuerungen und Oberleitungen sind in einem schlechten Zustand.

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Doch das Problem liegt nicht nur bei den Straßen und Schienen. "Viele Schleusen und Wehre, die Höhenunterschiede in Gewässern regeln, sind bis zu 60 Jahre alt – der Kielkanal stammt sogar noch aus der Zeit des Kaiserreichs", erklärt Jannik Hartmann. Gehe so ein altes Wehr kaputt, müsse der gesamte Wasserweg gesperrt werden. "Konkret heißt das, dass diese Teile der Infrastruktur besonders anfällig für Störungen oder gar Sabotageakte sind", sagt der DGAP-Experte.

Die EU-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann nimmt die Behörden der Länder in die Pflicht. "Der Bund darf nicht selbst für die Bundeswehr bauen; dies ist verfassungsrechtlich geregelt", erklärt die FDP-Politikerin auf Anfrage von t-online. Stattdessen greife der Bund auf die Bauverwaltungen der Länder zurück – "und genau da liegt der Hase im Pfeffer", kritisiert die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im EU-Parlament.

Wolle die Bundesregierung die neuen Nato-Ziele erfüllen, so müsse sie dafür Sorge tragen, "dass militärische und sicherheitspolitische Investitionen oberste Priorität haben", fordert Strack-Zimmermann. "Wenn es um Investitionen in Infrastruktur geht, die auch essenziell für die militärische Mobilität sind, darf es kein Durchdeklinieren mehr geben. Nur einer darf den Hut aufhaben." Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland müsse oberste Priorität haben "und darf nicht abgearbeitet werden wie Business as usual.".

Warum ist die Bürokratie eine Hürde?

Mit Blick auf die Bürokratie spricht Hartmann von einem "erheblichen Lähmungsverfall" – sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene. "Es gibt Doppelungen, etwa weil man Genehmigungen sowohl von der EU als auch von der Nato einholen muss", erklärt der Experte. "Bei militärischen Durchquerungen ist die Genehmigung jedes durchquerten Landes erforderlich, was unterschiedlich lange dauert."

Was das in der Praxis bedeuten kann, macht ein Bericht des Europäischen Rechnungshofs vom vergangenen Februar deutlich. Ein nicht näher genannter EU-Mitgliedsstaat benötigte für die Genehmigung militärischer Durchquerungen eine Mitteilung 45 Tage im Voraus. "Das ist natürlich absolut haarsträubend", sagt Hartmann. "In dringenden Fällen", etwa für die Bewegung militärischer Ausrüstung in die Ukraine, war die Genehmigung laut EU-Rechnungshof jedoch binnen eines Tages möglich.

Hartmann nennt auf Deutschland bezogen drei Faktoren, die die Genehmigung erschweren: "Lärmschutzzonen, Beeinträchtigung des Nachtverkehrs, besondere Genehmigungen, die bei der Durchquerung einzelner Bundesländer fällig werden." Es bestehe "dringend Handlungsbedarf".

Im Verteidigungsfall gestalten sich die Genehmigungen jedoch leichter, da Artikel 115a des Grundgesetzes die Bürokratie in Deutschland dann aushebelt. Ist Deutschland erst unter Beschuss, könnte dieser Schritt jedoch zu spät sein. Experte Hartmann verweist dabei auf den Beginn der russischen Vollinvasion in die Ukraine: Damals hatte Russland schon Monate vor dem Überfall militärisches Gerät und Truppen an die Grenze verlegt.

"Wenn wir so etwas mitbekommen, muss Deutschland akut handlungsfähig sein", fordert der Experte. Den Verteidigungsfall ruft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats aus, die Bundesregierung muss zuvor einen Antrag stellen. "Es besteht also Reformbedarf für einen Verdachtsfall, welcher diese Hürden senkt", sagt Hartmann.

Welche Kapazitätsengpässe gibt es in Deutschland?

Mit Kapazitätsengpässen meint Hartmann unter anderem fehlendes Gerät, welches für den Transport von Militärfahrzeugen benötigt wird. Das betreffe etwa sogenannte Wechselladerfahrzeuge – "also Lkw, die einen mobilen Kran dabeihaben und Container transportieren und schnell abladen können". Außerdem fehlten Flachwagen zum Transport von Panzern, Laderampen und entsprechendes Personal, um die Fahrzeuge zu bedienen.

Der Experte beziffert den Engpass auf 32.000 Transportfahrzeuge, die bis 2027 benötigt würden, und 60.000 Fahrzeuge, die drei Jahre später bereit sein müssten. "Das ist schon enorm", sagt Hartmann.

Auch die Schiene ist betroffen, denn sie ist der wichtigste Weg für die Bewegung militärischer Güter. Die Bundeswehr müsse aktuell Zeitfenster für den Transport von der Deutschen Bahn mieten: "Derzeit sind mehrere Slots pro Tag für eventuelle Notlagen reserviert – und das ist ziemlich teuer", erklärt Hartmann. "Der aktuelle Vertrag zwischen DB und Bundeswehr umfasst einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag."

Kann deutsche Infrastruktur gegen Sabotage geschützt werden?

Laut Hartmann ist die deutsche Dual-Use-Infrastruktur "sehr anfällig" für Sabotage. Das betreffe nicht nur die Transportwege, sondern auch die Informations- und Energieinfrastruktur sowie die industrielle Verteidigungsbasis Europas. Im vergangenen Jahr hatte es einen Brandanschlag auf eine Produktionsanlage des Rüstungskonzerns Diehl in Berlin gegeben. Im vergangenen Juli wurden zudem Anschlagspläne gegen den Rheinmetall-Chef Armin Papperger bekannt. In beiden Fällen werden russische Geheimdienste verdächtigt.

"Das ist problematisch, weil wir diese Angriffe nicht verhindern können, da sie auf vielen verschiedenen Sektoren, die weit über Transport und Logistik hinausgehen, passieren", erklärt der Experte Hartmann.

Er fordert daher eine Diskussion in Deutschland darüber, wie solche Angriffe eingedämmt werden können. Das Ziel dabei: Die Kosten, die für Russland durch solche Angriffe entstehen, deutlich zu erhöhen.

Auch auf europäischer Ebene fordert Hartmann eine "kohärente Reaktionsfähigkeit". Das bedeute etwa, Saboteure hart zu bestrafen. Zudem befürwortet Hartmann, die Gesellschaft mithilfe von Informationskampagnen über Sabotagefälle aufzuklären.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Jannik Hartmann
  • Anfragen an Marie-Agnes Strack-Zimmermann, das Operative Führungskommando der Bundeswehr und das Joint Support and Enabling Command (JSEC) der Nato

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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