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Grüne sind für die SPD nun die größte Konkurrenz


Ende einer langen Freundschaft
Die Grünen wildern jetzt bei der roten Konkurrenz

dpa, Georg Ismar, Teresa Dapp

Aktualisiert am 06.08.2018Lesedauer: 5 Min.
1998 unterzeichneten Gerhard Schröder und Joschka Fischer den rotgrünen Koalitionsvertrag mit den Grünen als Juniorpartner: 20 Jahre später hat sich der Wind gedreht – überholen die Grünen bald die SPD?Vergrößern des Bildes1998 unterzeichneten Gerhard Schröder und Joschka Fischer den rotgrünen Koalitionsvertrag mit den Grünen als Juniorpartner: 20 Jahre später hat sich der Wind gedreht – überholen die Grünen bald die SPD? (Quelle: Reuters-bilder)
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Die Grünen drohen, die Roten zu überholen. Und wollen die "linke Mitte" kapern. Das könnte den SPD-Niedergang beschleunigen – die Nervosität wächst.

Robert Habeck ist ein erfrischender, lockerer Typ, der gern in Talkshows gesehen ist. Doch für SPD-Chefin Andrea Nahles ist er hochgefährlich. Hartnäckig wildern die Grünen mit ihren neuen Vorsitzenden Habeck und Annalena Baerbock im Terrain der roten SPD.

Im jüngsten ARD-"Deutschlandtrend" liegen sie mit 15 Prozent nur noch drei Punkte hinter den Sozialdemokraten. In Bayern könnten sie am 14. Oktober bei der Landtagswahl hinter der CSU sogar klar zweitstärkste Kraft werden – der SPD droht hinter der AfD sogar nur Platz vier.

Die "Kellner" sind bald vielleicht die "Köche"

Es ist eine schleichende Verschiebung im linken Lager. Gerhard Schröders Dogma könnte sich umkehren. Der Kanzler hatte zu den Grünen zu Beginn von Rot-Grün im Bund gesagt: "Der Größere ist der Koch, der Kleinere der Kellner." Die SPD holte 1998 noch 40,9 Prozent, die Grünen 6,7 Prozent. Nun könnten die Kellner die Köche bald überholen.

"Führende Kraft der linken Mitte" wollen die Grünen werden, so lautet die offizielle Sprachregelung. Kann man eine Kampfansage an die SPD und ihre Vorsitzende Nahles eindeutiger formulieren? Beide Parteien, die mal als so etwas wie natürliche Partner galten, müssen in einer sich rasant verändernden politischen Landschaft ihren Platz finden. Wie in anderen Ländern auch zersplittert das Parteiensystem.

Erst kamen im linken Lager die Grünen 1980 dazu, und 2007 die Partei Die Linke durch die Fusion der WASG und der Linkspartei/PDS. Abzuwarten bleibt, ob die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht mit ihrer neuen Sammlungsbewegung "Aufstehen" das Parteiengefüge links weiter zerbröseln wird. Sie könnte gerade die SPD weitere Wähler kosten, wo Parteichefin Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz klar auf einen Mitte-Kurs setzen, während sich viele Mitglieder und Anhänger der SPD nach linker Politik sehnen.

Aber nicht Wagenknecht und die Linke sind der größte und gefährlichste Konkurrent – das sind die Grünen.

Grüne positionieren sich geschickt

Der Zeitgeist ist mehr rechts als links, die Grünen wollen nun auch enttäuschte Wähler der liberalen Mitte einsammeln, auch die, die nicht mehr wissen, wofür die zerrissene SPD noch steht. Und bei der nach rechts rückenden Union wildern, das konservative Lager ist auch von einer Polarisierung erfasst. Die immer noch recht junge AfD liegt im "Deutschlandtrend" bei 17 Prozent, die Union ist auf 29 Prozent abgesackt. Der Bundesrat, die Länderkammer, ist von den Koalitionen her bereits bunt wie nie. Und die Grünen stellen sich geschickt auf die neue Zeit ein, setzen Themen, während die SPD auf Sinnsuche ist.

Einerseits umarmen Habeck und Baerbock, die zum Realo-Lager ihrer Partei zählen, die Linken. Sie sprechen von Umverteilung und von Gerechtigkeit. Andererseits reisen sie unter dem Motto "Des Glückes Unterpfand" auf der Suche nach Einigkeit, Recht und Freiheit durchs Land, um den Begriff Heimat als "Anti-AfD" positiv zu besetzen.


Wenn Habeck an historische Orte fährt, zum Hermannsdenkmal, auf die Wartburg, zur Frankfurter Paulskirche und zum Hambacher Schloss, dann sendet er damit auch eine eindeutige Botschaft an die Liberalen im konservativen Lager: Wenn euch die sprachliche und thematische Annäherung eurer Leute an die rechtspopulistische AfD nervt, kommt zu uns. Nicht zur SPD. Nahles registriert diese Kampfansage ganz genau.

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In seinem Blog berichtet Habeck über die Reise. Er streift dabei auch das Leib- und Magenthema Klimawandel, das gerade deutlich wie selten ins Bewusstsein der Bürger rückt. "Auf der Fahrt nach Rheinland-Pfalz fahre ich durch glühende Landschaften. Die Felder Brandenburgs sind ausgetrocknet, der Weizen, der Mais nur halb so hoch wie sonst. Zu Hause in Schleswig-Holstein werden die Kühe vorzeitig geschlachtet, weil das Futter nicht mehr reicht." Dann kommt er beim Hambacher Schloss an, Symbol der Revolution 1848, das die AfD für sich in Beschlag nimmt. "Die Hambacher wehren sich", berichtet Habeck. "Oben auf dem Turm weht neben der Deutschlandflagge die Europafahne."

Das wollen die Grünen – aber was die SPD?

Die Grünen setzen Botschaften gegen einen Rechtsruck, verbreiten Aufbruchstimmung – während Nahles' Sommerreise keine Überschrift hat. Es ist ein Sammelsurium aus Besuchen bei SPD-Kommunalpolitikern, in einer Brauerei, bei Siemens, in einem Mühlenmuseum und bei einem Mehrgenerationenhaus. In der Flüchtlingspolitik stehen die Grünen für einen humanitären Helferansatz. Im Gegensatz zu Union und SPD ist die Linie hier klar; wie auf der anderen Seite des Spektrums die der AfD.

Nahles sagt, sie wolle Kommunen nicht überfordern, aber geflüchteten Menschen auch helfen. Gerade im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland fordern Genossen aber einen schärferen Asylkurs, da die Gesellschaft sich immer stärker spalte. Und durch die SPD geht auch ein Riss, ob man private Seenotretter unterstützen soll, oder ob diese nicht am Ende das Geschäft der Schlepper mit betreiben, da die Hilfseinsätze die Fluchten übers Mittelmeer förderten. Was will "die SPD"? Unklar.

Doch wer Positionen nicht klar klärt, kann der Wähler überzeugen? Die Zeiten gemeinsamer rot-grüner Lagerkämpfe gegen Union und FDP sind bei der Zersplitterung des Parteiensystems längst vorbei – und die Grünen schielen Richtung Union. Nahles wirkt ratlos: "Die Imitation der Grünen hilft uns nicht weiter". Sie will mehr Abgrenzung – wie?

Trittin: SPD ist in "babylonischer Gefangenschaft"

"Wer Abgrenzung nur taktisch einfordert, wird schlicht nicht verstanden", kritisiert ein einflussreicher SPD-Abgeordneter. Klar, mit den Grünen gibt es weiter die größten Gemeinsamkeiten, gerade in der Europa-, Steuer- und Sozialpolitik. Einer, der den Kurs der SPD-Spitze mit großer Sorge betrachtet, ist der alte rot-grüne Stratege Jürgen Trittin, damals unter Schröder Umweltminister.

"Nahles und Scholz scheinen sich in einer babylonischen Gefangenschaft mit CDU und CSU einrichten zu wollen." Nahles grenze sich von den Grünen schärfer ab als von der CSU. Dabei sei etwas Anderes notwendig: SPD, Linke und Grüne müssten diejenigen wieder mobilisieren, die sich von der Politik zurückgezogen hätten. "Erst dann kann man wieder über eine Mehrheit jenseits der CDU nachdenken", glaubt Trittin. Wenn Nahles aber den Streit zwischen den Kräften links der Mitte bevorzuge, dann gebe sie diese Idee auf.

Bleiben die Umfragen für die SPD so schlecht, könnte es in der Partei wieder richtig rumoren und der Richtungsstreit offen ausbrechen. Seit Jahren versucht die SPD-Spitze es mit einem moderaten Kurs – und sackt weiter ab. Den kurzfristigen Höhenflug mit Martin Schulz gab es ausgerechnet, als er auf einen Linkskurs setzte und Hartz-Korrekturen ankündigte – doch dann wurde er eingenordet.

Nahles und Scholz trauen der Linkspartei, gerade Wagenknecht und ihrem Mann Oskar Lafontaine, nicht über den Weg – ihre einzige Machtoption könnte mittelfristig eine Ampel-Koalition mit Grünen und FDP sein. Oder die ewige Groko. Dort sind sie ja schon lange die Kellner von Köchin Angela Merkel.

Verwendete Quellen
  • dpa
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