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Sigmar Gabriels Einsatz für Tönnies: Das Kumpel-Modell hat ausgedient


Was heute wichtig ist
Das Kumpel-Modell hat ausgedient

MeinungVon Daniel Fersch

Aktualisiert am 03.07.2020Lesedauer: 4 Min.
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Clemens Tönnies und der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Jahr 2015.Vergrößern des Bildes
Clemens Tönnies und der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Jahr 2015. (Quelle: dpa-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier kommt der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Es ist noch gar nicht so lange her, da nannte Sigmar Gabriel die Zustände in der Fleischindustrie eine "Schande für Deutschland". Etwas mehr als fünf Jahre, um genau zu sein. Damals, Anfang 2015, war Gabriel SPD-Chef, Vizekanzler und Wirtschaftsminister. Und als Minister wollte er etwas unternehmen – gegen die miesen Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen, gegen die Werkverträge für Leiharbeiter, gegen Hygienemängel, gegen Etikettenschwindel beim Hackfleisch. Heraus kam damals ein für die Große Koalition typischer Kompromiss. Die Fleischkonzerne unterschrieben am Schreibtisch des SPD-Ministers eine Selbstverpflichtung und versprachen, alles besser zu machen. Ein gesetzliches Verbot von Werkverträgen sei am Widerstand der Union gescheitert, sagte Gabriel.

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Heute, fünf Jahre später, führt der Fall Tönnies vor Augen, was diese Selbstverpflichtung wert war. Ziemlich wenig, um genau zu sein. Die Arbeits- und Wohnbedingungen der Vertragsarbeiter in Rheda-Wiedenbrück und Umgebung begünstigten einen der größten regionalen Coronavirus-Ausbrüche in Deutschland. Der Kreis Gütersloh – und vorübergehend auch der Nachbarkreis Warendorf – wurde zurück in den Lockdown geschickt. Eine ganze Region, ein ganzes Land ist sauer auf die Fleischindustrie und im Besonderen auf Schlachterei-Chef Clemens Tönnies.

Und was macht Sigmar Gabriel? Gestern deckte das ARD-Magazin "Panorama" auf, dass der frühere Vizekanzler von März bis Mitte Mai 2020 – mitten in der Pandemie – als Berater für Tönnies arbeitete. Dabei habe er pro Monat ein Honorar von 10.000 Euro erhalten. Wohlgemerkt von einem Unternehmen in einer Branche, die Gabriel früher kräftig gescholten hatte.

Nach der Enthüllung ging Gabriel in die Offensive und rechtfertigte sich mit Interviews bei "Spiegel" und "Bild". Er könne "nichts Problematisches" an dem Beraterverhältnis erkennen. Auch die Höhe seines Honorars verteidigte er: "Für normale Menschen sind 10.000 Euro viel Geld", sagte er dem "Spiegel". "Aber in der Branche ist das kein besonders hoher Betrag. Ich bin kein Politiker mehr."

Tatsächlich hat Gabriel jedes Recht, als Berater für Firmen aktiv zu werden und dafür zu verlangen, was er für angemessen hält. Gleichzeitig stehen sein Einsatz für Tönnies und seine Reaktion für eine überholte Form der Politik. Der Versuch, die Regulierung der Arbeitsbedingungen der Fleischindustrie selbst zu überlassen, ist – das zeigen die vergangenen Wochen – eindeutig misslungen. Und dass ausgerechnet der Ex-Minister, der den Deal eingefädelt hat, nun für die Branche tätig wird, hinterlässt zumindest einen seltsamen Beigeschmack.

Heute berät der Bundestag über einen "grundlegenden Umbau" der Tierhaltung. Egal, was dabei herauskommt: Klar ist, dass das Kumpel-Modell der Selbstregulierung ausgedient hat. Der Umbau der Fleischindustrie braucht gesetzliche Regeln. Sonst wird er nicht gelingen.


Die Nerven liegen blank in Bremen: Im ersten Relegationsspiel der Bundesliga gelang es den Werder-Spielern gestern Abend nicht, ein Tor gegen den Zweitliga-Dritten Heidenheim zu erzielen. In der 87. Spielminute kam es für die Werderaner noch schlimmer. Kapitän Niklas Moisander grätschte einen Gegenspieler weg und sah die gelb-rote Karte. Er fehlt den Bremern nach dem 0:0 vom Donnerstag im Rückspiel am Montag. "Es war ein sehr schlechtes Spiel von uns", gab Bremens Trainer Florian Kohfeldt zu. Sein Team muss sich mächtig steigern, um den Abstieg in Liga zwei abzuwehren.


WAS STEHT AN?

Deutschland steht vor einer wegweisenden Entscheidung: Bundestag und Bundesrat stimmen heute über den Kohleausstieg ab. Bis spätestens 2038 sollen schrittweise alle Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, so sieht es das Gesetz vor. Klimaschützer kritisieren jedoch: Der vollständige Ausstieg dauere viel zu lange.


Remdesivir ist eines der wenigen Medikamente, die nachweislich bei der Behandlung von Covid-19 helfen. Es kann den Verlauf der Erkrankung mildern und so den Krankenhausaufenthalt von Betroffenen verkürzen. (Wie Remdesivir wirkt, erklärt dieses Video.)

Die EU-Kommission wird heute voraussichtlich die Zulassung des Mittels für Covid-19-Patienten bekannt geben. Sie folgt damit einer Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA. Der Ansturm auf Remdesivir ist riesig: Berichten zufolge haben die USA fast die gesamte Produktionsmenge der nächsten drei Monate aufgekauft. Die Bundesregierung versuchte prompt Befürchtungen zu zerstreuen, deutsche Patienten könnten deshalb leer ausgehen. Man habe ausreichend Dosen des Mittels auf Lager, so Gesundheitsminister Jens Spahn.


Es war eines der erschreckendsten Verbrechen der vergangenen Jahre: Am 2. Oktober 2018 folterte und tötete ein Geheimkommando aus Saudi-Arabien den Regimekritiker Jamal Khashoggi in Istanbul auf grausame Art und Weise. Nach dem Mord im saudischen Konsulat zerstückelten und entsorgten die Täter die Leiche des Journalisten.

In Istanbul beginnt heute der Prozess gegen 20 Tatverdächtige, darunter auch zwei damalige Berater des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. In einem türkischen Gefängnis wird wohl keiner landen: Alle Angeklagten befinden sich außer Landes. Fünf Männer wurden wegen des Mordes bereits in Saudi-Arabien zum Tode verurteilt. Bin Salman, der mutmaßlich eigentliche Drahtzieher, bleibt dagegen unbehelligt: Er streitet ab, die Bluttat selbst angeordnet zu haben.


WAS LESEN?

52.898 Corona-Neuinfektionen an einem einzigen Tag: Diesen traurigen Rekord meldete die Johns Hopkins-Universität am Mittwoch für die USA. Besonders im Süden des Landes steigen die Fallzahlen rasant an. Fünf Gründe dafür, warum die Vereinigten Staaten das Coronavirus überhaupt nicht in den Griff bekommen, haben meine Kollegen Patrick Diekmann und Sophie Loelke aufgeschrieben.

Auf einem anderen Kontinent stehen die Chancen für eine erfolgreiche Eindämmung der Pandemie derzeit wesentlich besser, wie David Ruch herausgefunden hat. Die afrikanischen Länder haben im Vergleich zu den USA einen entscheidenden Vorteil, der ihnen jetzt zugutekommt. Viele von ihnen haben – etwa wegen der Ebola-Ausbrüche – jahrelang Erfahrung in der Bekämpfung von gefährlichen Infektionskrankheiten gesammelt und wenden dieses Know-how jetzt auf die Corona-Krise an.

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Gestern hat der Bundestag die Einführung der Grundrente zur Bekämpfung der Altersarmut beschlossen. Alles, was Sie dazu wissen müssen, haben meine Kollegen aus dem Team Wirtschaft und Finanzen zusammengefasst.


WAS AMÜSIERT MICH?

Was unterscheidet Finanzminister Olaf Scholz vom Hamburger Sportverein?

Ich wünsche Ihnen ein entspanntes Wochenende mit viel Sonne und blauem Himmel – die Aussichten für Letzteres stehen in weiten Teilen des Landes gut. Am Montag schreibt an dieser Stelle mein Kollege Carsten Werner.

Ihr

Daniel Fersch
Chef vom Dienst t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Twitter: @danielfersch

Mit Material von dpa.

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