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Selenskyjs Vertrauter Andrij Smirnow: "Putin hat kein Gewissen"


Selenskyj-Vertrauter verrät Pläne
So soll Putin zum Geächteten werden

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 02.03.2023Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Ist von Putin Einsicht zu erwarten?Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Die Ukraine erwartet keine Einsicht von dem russischen Präsidenten. (Quelle: Alexander Vilf/imago images)

Gespräche mit Wladimir Putin sind aktuell keine Option für die Ukraine. Selenskyjs Vizestabschef Andrii Smyrnov sieht den Kremlchef im Gefängnis, nicht am Verhandlungstisch.

Für ihn hat sich durch die russische Invasion alles verändert. Nach Beginn von Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine hat Andrii Smyrnov seinen Arbeitsplatz im Präsidialamt in Kiew lange Zeit nicht verlassen. "Für zwei Monate", sagt er. Er habe auf dem Sofa in seinem Büro geschlafen, noch immer liege in einem Nebenraum viel von seiner Kleidung, auch ein Sportoutfit für gelegentliche Trainingseinheiten.

Der Jurist ist Vizestabschef des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seit Kriegsbeginn an den Planungen beteiligt, die russische Führung für ihre Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Im Interview mit t-online erklärt er, wie Putin verurteilt werden soll und warum er aktuell keine Chance für Friedensgespräche mit Moskau sieht.

t-online: Herr Smyrnov, nun kam auch von Deutschland der Vorstoß, die russische Führung durch ein Sondertribunal verurteilen zu lassen. Ist das auch aus der ukrainischen Perspektive sinnvoll?

Andrii Smyrnov: Die Idee eines Sondertribunals, um das Verbrechen der Aggression verurteilen zu können, gibt es seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022. Wir haben alle historischen Beispiele studiert und sind uns sicher, dass wir ein Sondertribunal zur Verurteilung der russischen Kriegsverbrechen relativ schnell implementieren können.

Andrii Smyrnov ist stellvertretender Leiter des ukrainischen Präsidialamtes unter Wolodymyr Selenskyj. Der Jurist war früher Aufsichtsratsmitglied der staatlichen Ukrainischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

Warum ein Sondertribunal?

Weil die anderen zwei Optionen nicht funktionieren. Die erste Möglichkeit wäre ein Tribunal, das auf einer Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen basiert. Das birgt allerdings Risiken, weil Russland es im UN-Sicherheitsrat blockieren könnte. Die zweite Option wäre, mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu arbeiten. Aber auch das ist schwierig, weil weder Russland noch die Ukraine das Römische Statut ratifiziert haben. Das macht diesen Weg unmöglich.

Die einzige Möglichkeit, um Russland zu verurteilen, ist also ein Sondertribunal?

Genau. Im Rahmen einer Koordinationsgruppe, die aus 21 Ländern besteht, haben wir nun drei unterschiedliche Modelle ausgearbeitet. Zwei Modelle der Bildung eines Sondertribunals basieren ausschließlich auf internationalem Recht, das dritte – ein hybrides Modell – schließt vor allem auch die nationale Gerichtsbarkeit der Ukraine mit ein. Den dritten Weg würden wir aber gerne vermeiden.

Warum?

Das hybride Modell wäre ein Zeichen von Schwäche. Wir möchten, dass Russland für seine Verbrechen von der gesamten zivilisierten Welt international verurteilt wird.

Worauf wartet die internationale Kontaktgruppe denn aktuell?

Im März wird es eine Resolution der Vereinten Nationen über die Notwendigkeit geben, Russland für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bestrafen. Wir hoffen, dass in dem Zusammenhang im Angesicht dieser Verbrechen einige Länder ihre Skepsis aufgeben. Das wäre wichtig.

Es gibt Skepsis bei der Verurteilung von Putin und seinem Krieg?

Ja. Es gibt in dem Zusammenhang skeptische Positionen, und einige dieser Länder bestehen auf dem hybriden Modell eines Tribunals.

Warum das?

Nun, es ist kein Geheimnis: Eines dieser Länder sind die USA. Die US-Regierung sieht zum Beispiel das Risiko, dass nach einem westlich dominierten Sondertribunal für die Ukraine auf Basis internationaler Verträge auch Russland, China oder der Iran alternative Tribunale aufstellen könnten, um US-Einsätze im Ausland zu verurteilen. Aber ich halte die Sorge für unbegründet. Die USA haben im Gegensatz bei internationalen Missionen nie Genozide verübt oder fremdes Territorium annektiert. Das unterscheidet die Vereinigten Staaten von Russland.

Laut internationalem Recht könnten zum Beispiel der russische Präsident und sein Außenminister gar nicht verurteilt werden. Glauben Sie, dass Putin und Sergej Lawrow tatsächlich einmal vor Gericht stehen werden?

Natürlich wird die russische Führung um Putin und Lawrow uns nicht das Recht einräumen, über sie zu richten. Aber wenn 50 Länder sich darauf verständigen, ein Sondertribunal zu bilden, und Putin in Abwesenheit schuldig gesprochen wird, dann hat seine Immunität auf dem Territorium dieser Staaten keine Geltung mehr. Das ist die Logik, die hinter der Idee steht.

Könnte am Ende für Putin seine Immunität vielleicht ein Preis für Frieden sein?

Ich lade Sie ein. Kommen Sie gerne nach Kiew und unterhalten Sie sich hier mit Menschen auf der Straße darüber. Dann werden Sie verstehen, dass Frieden nur um des Friedens willen keine Option für die Ukrainerinnen und Ukrainer ist. Wir sehen Frieden nur im Rahmen des Sieges für unser Land. Einen Sieg gegen einen Feind, der uns angegriffen hat, um uns zu töten. Wir möchten, dass die Schuldigen dafür bestraft werden. Wir möchten Gerechtigkeit, und das ist die einzige Option, die für uns infrage kommt.

Das bedeutet?

Die Ukraine möchte nicht nur ihr Territorium wiederherstellen. Wir könnten unserer Bevölkerung nicht mehr in die Augen schauen, wenn all die russischen Verbrechen keine Folgen hätten. Für all die Menschen, die wir verloren haben, müssen diejenigen bestraft werden, die die Befehle zum Morden, Foltern und Vergewaltigen gegeben haben.

Das könnte auch für die Staaten eine Hilfe sein, die selbst fürchten, das Opfer russischer Aggression zu werden. Denken Sie, dass Putins Kolonialismus noch über die Ukraine hinausgeht?

Putin ging es nie nur um die Ukraine. Es gibt eine ganz klare staatliche Doktrin, die eine imperialistische Außenpolitik vorgibt: "Russkij Mir", also "Russische Welt". Die "Russische Welt" ist ein ideologisches und zugleich politisches Konzept, das vorsieht, dass Russland uneingeschränkten Einfluss überall dort hat, wo russischsprachige Menschen sind und russische Kultur verortet wird. Allen Staaten, die unter diese Definition fallen, wird das Existenzrecht abgesprochen, da sie mitunter als Teil der sogenannten Heiligen Rus verstanden werden. Wenn wir Putin nicht in der Ukraine stoppen, ist der nächste Angriff, um die "Russische Welt" wiederherzustellen, nur eine Frage der Zeit.

Wie hat sich Ihr Leben seit Beginn der russischen Invasion verändert?

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges arbeiten wir hart an dem geplanten Sondertribunal. Wir bekommen sehr viele Anfragen, Briefe von Ukrainerinnen und Ukrainern, von nationalen und internationalen Organisationen, die in unterschiedlichen Angelegenheiten um Hilfe bitten. Als der Krieg anfing, habe ich zwei Monate mein Büro nicht verlassen. Das ist meine neue Realität.

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Das klingt fürchterlich. In welchem Bereich braucht die Ukraine aktuell besonders dringend internationale Unterstützung?

Die zivilisierte Welt muss aufwachen und das Verbrechen der russischen Aggression muss auch international als solches benannt werden. Diese Verbrechen haben nicht im Jahr 2022 angefangen, sondern bereits 2014. In Georgien haben wir die russische Aggression bereits 2008 erlebt. Putin muss gestoppt und bestraft werden – dabei zählen wir auch auf Deutschland. Die deutsche Wirtschaft gehört zu den größten weltweit, und ihr Land ist ein wichtiger Akteur in Fragen der globalen Sicherheit. Das macht die deutsche Unterstützung so wichtig.

Aber sehen Sie Deutschland aktuell in einer internationalen Führungsrolle?

Unglücklicherweise nicht. Wir möchten Deutschland aber gerne in dieser Position sehen. Derzeit sind wir in intensiven Gesprächen mit den USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland und arbeiten daran, dass sie ihre Zweifel und ihre Skepsis verlieren.

Von welchen Zweifeln sprechen Sie?

Momentan scheinen sich einige Länder noch politischen Raum für Manöver mit Putin zu lassen. Wir verstehen, dass die Führungsmächte Europas sich diesen Raum für Friedensverhandlungen offenlassen möchten. Aber für uns Ukrainer sind Verhandlungen mit einem Aggressor unmöglich. Wir möchten einen Sieg, indem wir die russischen Verbrechen vor Gericht bringen und bestrafen. Friedensverhandlungen mit den Kriegsverbrechern ergeben keinen Sinn für uns, aber die europäischen Staats- und Regierungschefs scheinen noch an Putins Gewissen appellieren zu wollen.

Das hat keinen Sinn?

Nein. Putin hat kein Gewissen, und es ist sinnlos, sich mit ihm an einen Tisch zu setzen, um zu verhandeln. Er lügt immer, und die ganze Welt hat das erlebt.

Putin will momentan auch nicht verhandeln. Aber sehen Sie keinen Raum für Gespräche mit Moskau?

Wir glauben Putin kein Wort. Es ist unmöglich zu verstehen, was er überhaupt sagt. Man kann seinen Reden als internationaler Beobachter zuhören, aber die Menschen, die in dem von ihm angegriffenen Land leben, haben eine andere Perspektive. Putin hat so oft gelogen, nicht nur gegenüber der Ukraine, sondern er hat auch den gesamten Westen belogen. Trotzdem möchten einige europäische Staaten die Tür zu Putin für Verhandlungen nicht schließen. Sie glauben noch immer, dass sie den Kurs des russischen Präsidenten korrigieren können.

Ist das auch ein Problem der Bundesregierung?

Nein. Ich sage nicht, dass es ein Problem ist. Deutschland hat das berechtigte Ziel, dass es irgendwann auf zivilisierte Art zu Verhandlungen mit Putin kommen wird. Wir können die deutsche Perspektive nicht übelnehmen, aber andererseits haben wir in den vergangenen zwölf Monaten auch sehr viel Unterstützung bekommen. Wir sind sehr dankbar für die Panzer und die ganze Ausrüstung. Deutschland hat das Recht, eigene Erwartungen zu haben, aber wir erleben hier in der Ukraine die Realität und den Versuch Russlands, unseren Staat zu zerstören. Sie wollen uns auslöschen, und Putin gibt sich keine Mühe, seine Motive zu verbergen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Smyrnov.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Andrii Smyrnov
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