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Niedersachsen-Innenminister Pistorius: "Wir sollten das Vermögen von Oligarchen einziehen"


Boris Pistorius fordert
"Wir sollten das Vermögen von Oligarchen einziehen"

InterviewVon Miriam Hollstein

01.06.2022Lesedauer: 7 Min.
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Die Luxusjacht des russischen Oligarchen Farchad Achmedow in einem Dock im Hamburger Hafen: Boris Pistorius schlägt vor, das Vermögen von sanktionierten Putin-Unterstützern nicht nur einzufrieren, sondern zu enteignen.Vergrößern des Bildes
Die Luxusjacht des russischen Oligarchen Farchad Achmedow in einem Dock im Hamburger Hafen: Boris Pistorius schlägt vor, das Vermögen von sanktionierten Putin-Unterstützern nicht nur einzufrieren, sondern zu enteignen. (Quelle: Hanno Bode/imago-images-bilder)

Niedersachsens Innenminister Pistorius verteidigt den Ukraine-Kurs von Kanzler Scholz. Im Interview fordert er ein härteres Vorgehen gegen Oligarchen und einen besseren Schutz der Bevölkerung vor Krieg und Katastrophen.

t-online: Am heutigen Mittwoch kommen die Innenminister in Würzburg zusammen. Sie haben ein Bund-Länder-Pakt für einen besseren Zivil- und Katastrophenschutz vorgeschlagen. Wie sieht der aus?

Boris Pistorius: Der Zivil- und Katastrophenschutz muss dringend aufgewertet und enger verzahnt werden. Ich habe die Grundzüge bereits im letzten Dezember auf der Innenministerkonferenz eingebracht – damals vor dem Hintergrund der schrecklichen Flutereignisse. In Niedersachsen haben wir gerade ein erstes Ad-hoc-Paket über 40 Millionen Euro zur Härtung der Strukturen gestemmt. Ich fordere ganz konkret vom Bund, insgesamt zehn Milliarden Euro zu investieren – und das zusätzlich zur Aufwertung der Bundeswehr durch das nun beschlossene Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro.

Wofür soll das Geld eingesetzt werden?

Die erste Stufe beim Bevölkerungsschutz besteht beispielsweise in einem guten Warnsystem. Deshalb schlage ich vor, dass das Sirenen-Förderprogramm auf acht Jahre ausgelegt und auf eine Milliarde Euro aufgestockt wird. Hinzu kommt ein Ausbau der Warnsysteme durch die NINA-Warn-App, das sogenannte MoWaS-System und Cell-Broadcast. Das würde 400 Millionen Euro kosten. Außerdem brauchen wir ein digitalisiertes 360-Grad-Lagebild beim Katastrophenschutz, Kostenpunkt rund 20 Millionen Euro. Beim Zivilschutz soll die Betreuung ausgebaut werden, was 440 Millionen Euro kosten würde. Entscheidend ist, dass das Programm auf bis zu zehn Jahre angelegt sein soll und noch viele weitere Ansätze und Maßnahmen enthält. Es ist also kein Schnellschuss und gut durchdacht.

Wie groß sind die Chancen, dass der Pakt kommt?

Ich gehe davon aus, dass wir das auf der IMK gemeinsam auf den Weg bringen. Zumal mein nordrhein-westfälischer Kollege Herbert Reul meine Initiative von der Sonder-IMK in Brüssel im März auf seine eigene Art inzwischen aufgegriffen hat.

Im Zuge des Klimawandels werden wir immer häufiger mit Naturkatastrophen zu tun haben. Wie können wir uns darauf besser vorbereiten?

Ein großes Thema sind – und das zunehmend – Wald- und Vegetationsbrände in Europa. Hier sollten wir uns europäisch deutlich mehr koordinieren. Es gibt regelmäßig große Brände in Süd- und Südwesteuropa wie Portugal und Südfrankreich, aber auch in Griechenland sowie Teilen des Balkans und immer öfter auch in Nord- und Osteuropa. Der Harz ist knochentrocken, eine Folge des Klimawandels. Ich habe kürzlich in Vancouver eine Firma besucht, die auf den Bau und Betrieb von Löschflugzeugen spezialisiert ist. In Kanada sind allein im vergangenen Jahr fast 870.000 Hektar Wald verbrannt. Das ist natürlich noch mal eine andere Dimension. Ich glaube, es wäre gut, wenn wir uns bald über eine Art europäische Brandschutzeinheit Gedanken machen würden.

Wie würde die aussehen?

Eine Idee könnte sein, in der Europäischen Union drei Standorte mit speziellen Löschflugzeugen einzurichten, die europaweit Brände bekämpfen könnten. Frankreich hat bereits so einen zentralen Standort in Nîmes. Diesen könnte man für den Süden Europas etablieren. Für die beiden anderen würde sich der südliche Balkan einerseits oder das nördliche Mitteleuropa andererseits anbieten. An diesen drei Standorten könnten dann jeweils Flugzeuge vorgehalten werden. Diese würden bei entsprechender Ausstattung, nach einem kleinen Umbau, auch den Transport von Schwerverletzten oder Hilfsgütern gewährleisten können. Die Idee habe ich bereits vor einigen Jahren mit dem damals zuständigen EU-Kommissar besprochen – ich denke, es ist höchste Zeit, das anzupacken.

Deutschland wurde im letzten Jahr von einer Flutkatastrophe heimgesucht. Kann das noch mal passieren oder haben wir genug aus der Katastrophe gelernt?

Das Ereignis selbst kann man leider nicht verhindern. Ich bin mir aber sicher, dass viele Fehler nicht mehr passieren würden. Wichtig ist, dass die Warnsysteme besser funktionieren. Deshalb müssen wir unser Sirenenförderprogramm ausbauen. Bei der Innenministerkonferenz werden wir außerdem die Verträge für die Inbetriebnahme des bereits vor einem Jahr vereinbarten, gemeinsamen Kompetenzzentrums beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe unterschreiben. Dieses Zentrum dient der Verbesserung der Koordination zwischen den Ländern und dem Bund.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hat sich mit Blick auf Amokläufe außerdem für ein schnelleres Eingreifen der Polizei ausgesprochen. Sie soll nicht erst auf das Eintreffen von Spezialeinheiten warten. Hat er Recht?

Bei Amokläufen sind Schutzkonzepte, die Polizei und Schulen miteinbeziehen, sehr wichtig. Aber die Einsatzkompetenz der Polizei durch politische Entscheidungen ersetzen zu wollen, halte ich für gefährlich. Ob die Polizei vor Ort sofort eingreift oder auf eine Spezialeinheit wartet, können nur die Einsatzleiter selbst entscheiden. Ein Team der Streifenpolizei, das gar nicht entsprechend dafür ausgestattet ist, kann nicht pauschal in eine Amoklage geschickt werden. Da sollte sich die Politik raushalten.

Sind wir auf einen Nuklearschlag ausreichend vorbereitet?

Viele verbinden diese Frage zuallererst mit der Anzahl der Bunker in Deutschland. Zur Einordnung: Selbst zu Zeiten des Kalten Krieges hatten wir bei weitem nicht genügend Schutzräume für die gesamte Bevölkerung, weniger als zehn Prozent der Menschen hätten dort Schutz gefunden.

Es geht aber nicht darum, für jeden Einwohner einen Bunkerplatz bereitzustellen. Vielmehr müssen die Schutzraumkapazitäten wieder erhöht werden, was etwas anderes ist. Zu den Vorbereitungen auf so einen Ernstfall gehören jedoch viele weitere Aspekte. Zum Beispiel ist für den Bedarfsfall dafür gesorgt, dass eine Ausgabe von Jodtabletten über die örtlich zuständigen Katastrophenschutzbehörden in jeder Gemeinde und jeder größeren Ortschaft erfolgt.

Was also kann man tun?

Wir müssen die Resilienz der Bevölkerung und unserer Infrastruktur gegen Krisen und Katastrophen insgesamt stärken. Dazu gehört, durch Aufklärung und Prävention ein besseres Bewusstsein für Gefahren und Vorsorge zu schaffen. Und dann müssen wir die möglichen Folgen einer solchen Lage abmildern, indem wir die Strom- und Trinkwasserversorgung im Katastrophenfall sichern, die Verletzten versorgen und die wichtigsten Schritte dabei zentral koordinieren. Zudem sollte ein Kataster für Schutzräume angelegt werden. Das beinhaltet auch, Gebäude, die einen Schutzraum haben, besser zu markieren und damit für die Menschen besser sichtbar zu machen. Beim Bau neuer Gebäude sollte überdies der Schutzaspekt miteinbezogen werden. Hier können wir beispielsweise viel von den Japanern lernen.

Ein Wort zur Ukraine-Politik Ihrer Partei. Bundeskanzler Olaf Scholz ist gerade massiver Kritik ausgesetzt, weil er den Satz "Wir wollen, dass die Ukraine gewinnt" nicht aussprechen möchte. Zu Unrecht?

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Olaf Scholz hat ganz klar gesagt, dass Russland nicht gewinnen und dass es keinen "Diktatfrieden" geben darf. Damit spricht er sich eindeutig für einen Sieg der Ukraine aus. Ein Unentschieden gibt es bei einem solchem Krieg nicht, ich weiß gar nicht, warum da überhaupt ein Interpretationsbedarf gesehen wird.

Es zahlt ein auf den Eindruck, dass die deutsche Regierung sich in diesem Konflikt sehr zögerlich verhält. Kann das schlechte Image noch korrigiert werden?

Das glaube ich schon, weil Olaf Scholz einen guten Job macht, und das setzt sich am Ende immer durch. Ich verstehe, dass insbesondere die östlichen EU-Länder und natürlich auch die Ukraine sehr unruhig und erregt sind. Sie sind die direkten Nachbarn von Russland und fühlen sich bedroht. Aber man darf nicht vergessen: Deutschland hat während des Krieges, und auch bereits davor, die Ukraine mehr als die allermeisten anderen Länder unterstützt, ganz besonders auch wirtschaftlich – jetzt auch militärisch.

Was kann Deutschland noch tun, um die Ukraine zu unterstützen?

Ein guter Vorstoß kommt dazu aus Kanada: Wir sollten dessen Beispiel folgen und bei Oligarchen, die auf der Sanktionsliste der EU gegen Russland stehen, das Vermögen nicht nur einfrieren, sondern einziehen und für humanitäre Hilfe und beim Aufbau der Ukraine einsetzen. Dies sollte nicht nur für Oligarchen gelten, sondern auch für alle, die ihnen dabei helfen, die Sanktionen zu umgehen.

Was kann getan werden, um die Integration der ukrainischen Flüchtlinge zu beschleunigen?

Mein Eindruck ist, dass das schon sehr gut läuft. Allein in Niedersachsen haben wir mehr als 10.000 ukrainische Kinder und Jugendliche an den Schulen aufgenommen und erleben bereits eine große Solidarität und Unterstützung für zu uns kommende Menschen. Für die Zivilgesellschaft finde ich noch ein Projekt aus Kanada spannend: ein Patenschaftsprogramm für Geflüchtete. Dabei übernehmen Firmen oder Vereine, aber keine Einzelpersonen, für ein Jahr die Patenschaft für einen Geflüchteten oder eine geflüchtete Familie. Sie finanzieren einen bestimmten Teil seiner Kosten, zum Beispiel die Erstausstattung der Unterkunft, Kleidung, monatliche Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr und so weiter. Vor allem begleiten sie die ankommenden Menschen durch den Alltag, zum Beispiel bei Behördengängen. So ein ähnliches Projekt gibt es auch bei uns in Deutschland, das vom BMI gemeinsam mit dem BAMF initiierte Pilotprojekt "NesT - Neustart im Team". Das ist aber zahlenmäßig noch unbedeutend und sollte durch veränderte Rahmenbedingungen ausgebaut werden Dadurch wird nicht nur Geflüchteten geholfen, sondern das schärft auch das Bewusstsein der Gesellschaft, vor welchen Herausforderungen Migrantinnen und Migranten stehen.

Eine persönliche Frage zum Abschluss: Sie heißen Boris, das ist ein im Russischen häufiger Name. Hat das bei Ihnen auch einen Bezug zu Russland?

Meine Mutter verehrte den russischen Schriftsteller Boris Pasternak, hatte alles von ihm gelesen. 1958 wurde Pasternak der Nobelpreis für Literatur verliehen. Die Annahme des Preises wurde ihm jedoch von den Sowjets untersagt. Darüber war sie so erzürnt, dass sie, als sie ein Jahr später mit mir schwanger war, beschloss, ihr Kind, wenn es ein Junge würde, Boris zu nennen.

Wie oft haben Sie Pasternaks "Doktor Schiwago" gelesen?

Das Buch habe ich zweimal gelesen, den Film mit Omar Scharif und Julie Christie bestimmt zehnmal gesehen. Er ist kitschig und ein bisschen lang, aber immer noch ein großer Hollywoodfilm der Kinogeschichte.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Boris Pistorius
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