Gefährlicher Krisenmix Börsenwahnsinn: Jetzt die nächste Rallye nicht verpassen
Die internationalen Börsen erlebten am Montag massive Einbrüche: in Asien, Europa und in den USA. Doch seitdem haben sich die Märkte stabilisiert und zeigen wieder Zuversicht. Startet jetzt die nächste Rallye?
Am Montag rutschte der japanische Leitindex Nikkei-225 um 12 Prozent nach unten. Das war der heftigste Ausverkauf seit 37 Jahren. Im Sog der Panik an den asiatischen Märkten brachen auch die US-Indizes S&P 500 und Nasdaq ein. Vor allem Technologiewerte wie Nvidia, Alphabet oder Microsoft verloren in der Spitze bis zu 10 Prozent.
Auch der Dax konnte sich dem Abwärtssog nicht entziehen, die Verluste hielten sich jedoch in Grenzen. Nach den jüngsten Ereignissen stabilisierte sich der deutsche Leitindex schnell wieder. Das Börsenbarometer überwand die viel beachtete 200-Tage-Durchschnittslinie, die den langfristigen Börsentrend anzeigt.
Auch an der New Yorker Börse griffen wieder zunehmend Käufer zu. Zum Handelsende am Dienstag baute der Dow Jones seine Gewinne aus und schloss 0,76 Prozent höher bei 38.997 Punkten. Der marktbreite S&P 500 kletterte letztlich um 1,04 Prozent auf 5.240 Punkte. Und am spekulativen Markt für Kryptowährungen machte der Bitcoin einen Teil seiner massiven Verluste wett.
Alles wieder in Ordnung an den Börsen? Als wäre nichts gewesen? Und vor allem: Beginnt jetzt die nächste Rallye?
Japanische Börse als Auslöser
Die Sorgen, die über den internationalen Märkten schweben, sind nicht erst am Montag aufgetaucht, sondern haben sich schon seit einiger Zeit abgezeichnet. Am Montag fanden sie nur einen Auslöser: Und das war die japanische Börse. Doch die Konjunkturschwäche in den USA bleibt – auch wenn es Hoffnung auf Besserung gibt.
Die Lage habe sich erst einmal beruhigt, schrieb Analyst Jochen Stanzl vom Handelshaus CMC Markets. Auch wenn es das Rezessionsgespenst wieder zurück auf das Parkett geschafft habe, finde diese Furcht vor einem wirtschaftlichen Abschwung momentan nur in den Köpfen der Anleger statt. Wirklich belastbare Beweise gebe es nicht.
"Weiche Landung" wahrscheinlich
Die Experten von Capital Economics äußerten sich ebenfalls zuversichtlich. Sie halten in den Vereinigten Staaten trotz der zuletzt schwachen Daten vom Arbeitsmarkt eine "weiche Landung" der Wirtschaft noch immer für das wahrscheinlichste Szenario. Im Falle weiterer Marktturbulenzen könnte sich die US-Notenbank dazu veranlasst sehen, die Geldpolitik schneller zu lockern als gedacht, hieß es weiter.
Fachleute bezweifeln, dass die USA wirklich in eine Rezession abgleiten könnten. Es gebe keinen Grund zur Panik, schrieb Robert Greil, Chefstratege der Privatbank Merck Finck. Die Zahlen des US-Arbeitsmarktberichtes mögen auf ein nachlassendes Tempo hinweisen, doch andere Frühindikatoren, wie der Einkaufsmanagerindex des Institute for Supply Management für den US-Dienstleistungssektor zeige mit Blick sowohl auf die Beschäftigungsquote als auch auf die Auftragseingänge in eine positive Richtung.
Schwache Konjunkturdaten belasten Märkte
Doch die Lage an den Kapitalmärkten bleibt herausfordernd. Und die Belastungsfaktoren bleiben vielfältig. Für die jüngste Talfahrt gibt es Experten zufolge mehrere Gründe. Einer für den Ausverkauf an den Börsen war unter anderem eine Serie schwacher Konjunkturdaten rund um den Globus.
Die nach den USA zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt in China kämpft nach der Corona-Krise mit einer schleppenden Erholung. Trotz intensiver Bemühungen der chinesischen Regierung, die Inlandsnachfrage zu beleben, bleibt das Wachstum hinter den Erwartungen zurück. Eine andauernde Immobilienkrise und die Angst vor Jobverlusten beeinträchtigen das Verbrauchervertrauen erheblich.
Auch für die deutsche Wirtschaft sei laut Angaben des Statistischen Bundesamtes eine konjunkturelle Belebung vorerst nicht zu erwarten. Der Export von Waren aus Deutschland hat im Juni weiter nachgelassen. Die sich eingetrübten Geschäftserwartungen im verarbeitenden Gewerbe deuteten auf eine weiterhin verhaltende Industriekonjunktur hin. Eine Trendwende für wichtige Branchen der deutschen Wirtschaft sei nicht in Sicht, so die Experten.
Schwelender Konflikt zwischen Israel und Iran
Investoren und Anleger sind besorgt, dass die hohen Zinsen dies- und jenseits des Atlantiks zu einer Rezession in den international wichtigsten Volkswirtschaften führen könnten. Zusätzlich belasten negativ aufgenommene Finanzberichte von US-Technologieriesen wie Amazon und Intel die Stimmung. Auch die anfängliche Begeisterung für Künstliche Intelligenz (KI) schwindet. Was zuvor als Revolution der Arbeitswelt gefeiert wurde, muss sich nun den harten Fakten und Geschäftszahlen stellen.
Außerdem sollten Anleger die geopolitischen Risiken im Blick behalten: Das Risiko eines Konflikt-Flächenbrands in Nahost ist reell, mahnt Jan Viebig, Chefanlagestratege der Privatbank Oddo BHF. Israel und die USA wappneten sich für eine Eskalation, nachdem der Iran und seine Verbündeten Hamas und Hisbollah Vergeltung für den Tod wichtiger Anführer angekündigt hatten. Sollte sich der Iran offen an Kampfhandlungen gegen Israel beteiligen, dürfte dies auch an den Finanzmärkten schwere Verwerfungen zur Folge haben.
Gefährliche Carry Trades
Bei den Zinsspekulationsgeschäften, in der Fachwelt unter dem Begriff "Carry Trades" bekannt, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. "Ich denke, dass uns gerade die Carry Trades um die Ohren fliegen", sagt Roman Przibylla, Investmentexperte beim Wertpapierhaus Maverix Securities. Als der Yen vor wenigen Wochen auf den niedrigsten Stand gegenüber dem US-Dollar seit 1986 gefallen war, hätten sich viele Investoren Geld im Niedrigzinsland Japan geliehen und in ein Hochzinsland wie die USA investiert.
- Milliarden in Gefahr: Darum sind die Carry Trades so gefährlich
Die Bank of Japan hat die Zinsen in einem ersten Schritt angehoben, während schwache US-Wirtschaftsdaten auf mögliche Zinssenkungen hindeuten. Diese gegenläufigen Entwicklungen führen zu Fehlspekulationen und Verlusten bei vielen Investoren, was sie zum Verkauf von Vermögenswerten wie Aktien zwingt. Um die Märkte zu beruhigen, hat die japanische Notenbank beschlossen, vorläufig auf höhere Leitzinsen zu verzichten. "Wir werden die Zinsen nicht erhöhen, wenn die Finanzmärkte instabil sind", sagte der Vize-Chef der Bank of Japan Shinichi Uchida am Mittwoch in der nordjapanischen Stadt Hakodate.
Die Auflösung der "Carry Trades" sollte jedoch laut Przibylla keine übermäßigen Sorgen bereiten. Er vergleicht die aktuellen Verwerfungen mit einem Sommergewitter und nicht mit einem Tornado. Solche Umwälzungen dauern in der Regel mehrere Tage und führen zu erhöhten Schwankungen am Aktienmarkt. Anleger hätten die Möglichkeit, die niedrigeren Kurse zu nutzen, um bei hochwertigen Aktien neu einzusteigen oder nachzukaufen.
Hedge-Fonds nutzen Ausverkauf
Bereits zu Wochenbeginn hatten Investoren laut Handelsdaten von Goldman Sachs die Kursverluste bei Technologieaktien für Käufe genutzt. "Viele Hedge-Fonds sehen den Ausverkauf als Kaufgelegenheit", erklärte Jonathan Caplis vom Research-Unternehmen Pivotalpath. Die Mehrheit der Anleger, mit denen er gesprochen habe, betrachte die aktuellen Probleme als kurzfristig und stimmungsabhängig und nicht als langfristiges Problem der Fundamentaldaten börsennotierter Unternehmen oder der Wirtschaft insgesamt.
Möglicherweise reagiert die Börse zu kurzsichtig und ignoriert die Gefahren. Die japanische Notenbank wird weiter an der Zinsschraube drehen müssen, um dem steigenden Preisniveau im Land gerecht zu werden, meint Jochen Stanzl. "Eine weitere Zinserhöhung bis zum Jahresende ist in Japan nicht vom Tisch, auch wenn die Notenbank kurzfristig bemüht ist, die blank liegenden Nerven zu beruhigen". Noch immer sind viele Milliarden Yen, die in Dollar umgetauscht wurden, in Wertpapieren angelegt.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
- Eigene Recherche