t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeWirtschaft & FinanzenAktuellesWirtschaft

Reformstau: Warum die Renten nach der Wahl nicht sicher sind


Agenda 2030
Nichts ist nach der Wahl sicher – selbst die Renten nicht

MeinungEine Kolumne von Ursula Weidenfeld

Aktualisiert am 21.09.2021Lesedauer: 4 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Beginnt eine neue SPD-Ära? Falls Scholz Kanzler wird, sollte er sich mehr um die Akzeptanz seiner Reformen bemühen – anders als Schröder.Vergrößern des Bildes
Beginnt eine neue SPD-Ära? Falls Scholz Kanzler wird, sollte er sich mehr um die Akzeptanz seiner Reformen bemühen – anders als Schröder. (Quelle: Grafik: Heike Aßmann/imago-images-bilder)

Die künftige Bundesregierung muss eine Agenda 2030 für die Klima- und die Sozialpolitik beschließen. Dafür muss sie die Bürger gewinnen – nach der Wahl. Schröders Fehler darf sie nicht wiederholen.

Rente, Klima, Industrie, Staatsverschuldung. Das sind die großen Themen für die Bundesregierung, die sich nach den Wahlen am kommenden Sonntag bilden wird. Die schlechte Nachricht: Dass Deutschland 16 Jahre nach der Agenda 2010 wieder eine groß angelegte Reformpolitik braucht, zeigt, was drei große Koalitionen und eine schwarz-gelbe versäumt haben. Die gute Nachricht: Das Regierungsprogramm wird nicht "Agenda 2030" heißen – auch wenn es eine solche braucht.

Die Parteien haben gelernt: Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat ihnen gezeigt, wie man das Richtige wollen und es doch völlig falsch anfangen kann (und die anschließende Wahl verliert). Wenn man die Leute erschreckt, wenden sie sich schnell gegen die nötigen Veränderungen.

Die künftigen Koalitionäre – gleich, in welcher Konstellation – sind wild entschlossen, es besser zu machen. Zu groß ist der Handlungsdruck, als dass man sich einen Krawall à la Agenda 2010 leisten will. Deshalb wird der Reformbedarf im Wahlkampf heruntergespielt, nach dem Motto: "Uns geht es gut, ich sorge dafür, dass es so bleibt, und für den Rest habe ich einen tollen Plan."

Klima und Rente sind die drängendsten Zukunftsthemen

Die beiden Mega-Themen heißen Klima und Rente. Für beide wird es am Ende eine ganz große Koalition geben müssen, um die Probleme auch nur halbwegs zügig in die richtige Richtung zu schieben, ohne die Gesellschaft auseinanderzutreiben. Denn um die beiden Großaufgaben zu finanzieren, braucht das Land in den kommenden Jahren ordentliches Wirtschaftswachstum und einen vernünftigen Umgang mit den Staatsfinanzen.

Für die Klimapolitik verlangt die Wählerschaft nahezu aller Parteien, dass gehandelt wird. Deshalb wird es hier noch am ehesten zu einer Reform kommen, die den Namen verdient – und vielleicht sogar offen trägt.

Die vordringliche Aufgabe ist, für genügend Strom aus erneuerbaren Quellen zu sorgen. Denn im kommenden Jahr wird das letzte deutsche Atomkraftwerk abgeschaltet, danach sollen nach und nach auch die Kohlekraftwerke vom Netz genommen werden.

Energiepreise dürfen für den Klimaschutz nicht durch die Decke gehen

Gleichzeitig verdoppelt sich der Strombedarf – denn wenn Häuser künftig nicht mehr mit Öl und Gas geheizt werden sollen, Stahl nicht mehr mit Steinkohle gekocht werden soll, Verkehr und Industrie ihre Energie weitgehend aus der Steckdose beziehen, reichen weder Kapazitäten noch Leitungen aus.

Damit hier schnell viel passieren kann – und die Energiepreise nicht durch die Decke gehen –, werden die künftigen Koalitionäre nicht nur eine Investitionsoffensive lostreten müssen. Sie werden auch das Genehmigungsrecht und die Einspracherechte von Bürgern abspecken.

Das kann nach hinten losgehen. Denn diese Rechte werden vor allem von denjenigen verteidigt, die eigentlich auf der Seite der Klimaschützer stehen. Wenn die künftige Regierung tatsächlich die Zahl der Windräder im Land in kürzester Frist verdoppeln will, wird sie die heutigen Abstandsregeln zur Wohnbebauung, sowie die heutigen Vogel- und Waldschutzbeschränkungen liberalisieren müssen. Das muss sie klug angehen.

Die Rente kann so nicht bestehen

Bei der Rente sieht das anders aus. Die Altersversorgung ist eine der Großbaustellen für die künftige Bundesregierung. Doch hier haben alle Bürger die Befürchtung, sie könnten verlieren. Zu Recht.

Wer heute verspricht, es werde keine Veränderungen am Rentenniveau und nur moderate Anpassungen bei den Beitragssätzen geben, und zudem das Rentenalter stabil zu halten, verschweigt etwas: Das kann nur funktionieren, wenn ein kräftiger Aufschwung mit einer deutlichen Ausweitung der geleisteten und beitragspflichtigen Arbeitsstunden zusammengeht.

Dafür braucht es Einwanderung, die Versicherungspflicht für Beamte und Selbstständige, mehr Frauenerwerbstätigkeit. Wenn außerdem der Mindestlohn politisch auf 12 Euro nach oben gepusht wird, werden auch die Niedrigverdiener mehr in die Rentenversicherung einzahlen.

Dass aus solchen Maßnahmen in der Zukunft auch höhere Ansprüche entstehen, wird die künftigen Koalitionäre nicht stören. Sie haben in der Sozialpolitik nur die kritischen nächsten Jahre im Auge. Die besonders kritischen Jahre, die dann in zwanzig Jahren folgen werden, müssen andere beackern.

Die Bundesregierung muss Wähler gewinnen – nach der Wahl

Bequeme Auswege für die Umwelt- und Sozialpolitiker gibt es nicht. Die Schuldenbremse, nach der sich Bund, Länder und Kommunen nur noch in sehr begrenztem Umfang Geld leihen können, ist zwar coronabedingt zur Zeit ausgesetzt. Doch zur Mitte der kommenden Legislaturperiode greift sie wieder. Dann müssen Zuschüsse und Ausgaben des Staates weitestgehend aus dem Steuer- und Abgabenaufkommen finanziert werden.

Wollte die künftige Bundesregierung die Schuldenbremse abschaffen oder lockern, benötigt sie die Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag für die notwendige Grundgesetzänderung. Die ist derzeit nicht in Sicht. Setzt sie auf Wirtschaftswachstum, sollte sie sich Steuererhöhungen für Unternehmen tunlichst verkneifen.

Nach 16 Jahren Helmut Kohl (CDU) gähnte sich das Land dem Regierungswechsel entgegen. Im siebten Jahr Gerhard Schröders (SPD) war es in heller Aufruhr. Diesmal, nach 16 Jahren mit Angela Merkel (CDU), weiß es nicht so recht, wo es steht. Der nächsten Bundesregierung muss es gelingen, die Wähler und Wählerinnen für die Reformen zu gewinnen. Nicht vor, sondern nach der Wahl. Denn ein solches Programm wird mit einfachen Mehrheiten nicht zu machen sein.

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Ihr neuer Bestseller heißt: Die Kanzlerin. Porträt einer Epoche. Sie können es jetzt bestellen.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website