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Berliner Kultwirt in Not: "Corona hat mir meinen Ruhestand versaut"


Berliner Kultwirt in Not
"Corona hat mir meinen Ruhestand versaut"


Aktualisiert am 25.05.2021Lesedauer: 4 Min.
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"So können wir nicht überleben": Berliner Kultwirt Jürgen Villwock erzählt im Video, was er von den Lockerungen in der Außengastronomie hält. (Quelle: t-online)

Stille statt Jubel: Die Corona-Krise hat vielen Sportgaststätten den Stecker gezogen. Auch von den Lockerungen profitieren nicht alle Gastronomen. Mit Blick aufs Alter bleibt es für sie eng.

Damals, vor Corona, war die Welt für Jürgen Villwock noch in Ordnung. Wochenende für Wochenende drängelten sich Hunderte Fußballfans in seiner Sportkneipe "Denkmal Lounge" in Berlin-Mitte, manchmal war es drinnen und draußen so voll, dass gar die Polizei die Straße sperren musste.

Von alldem ist heute nur wenig übrig. Große Fernseher hängen an den Wänden, daneben alte Blechschilder, die die Musiker von ACDC und historische Autos zeigen oder für irische Biere wie Kilkenny und Guinness werben. Ganz hinten, im Regal hinter der Bar, ruht ein kleiner Fußball mit BVB-Logo – dem Lieblingsverein von Villwock.

Zwar steht er selbst dieser Tage wieder hinter dem Tresen, darf eine Handvoll Gäste bedienen, die auf der kleinen Außenfläche der Kneipe Platz finden. Gedrängel und Jubel im Fußballfieber aber, das passt weiter nicht zum Corona-Modus. "Dass ich hier zuletzt viele Gäste hatte, ist schon ein bisschen her", sagt der 61-Jährige. "Das war nach der ersten Corona-Welle, als wir für drei Monate mal kurz öffnen konnten."

Doch auch damals galten, ähnlich wie jetzt, strenge Auflagen: Gerade einmal 30 Prozent seiner eigentlichen Kapazität durfte Villwock nutzen. "Mit 30 Prozent Umsatz kann ich aber nicht 100 Prozent der Kosten erfüllen", sagt das Berliner Urgestein trocken.

Wie Villwock geht es vielen Gastronomen. Deutschlandweit müssen Tausende Wirte, Restaurantbetreiber und Gastronomen seit Monaten jeden Cent einzeln umdrehen, trotz Staatshilfen, trotz Öffnungsperspektiven und Lockerungen, die nun einsetzen. "Viele unserer Betriebe sind am Ende ihrer Kräfte – finanziell, psychisch, emotional", erklärte zuletzt der Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), Guido Zöllick, in einer Mitteilung.

75 Prozent weniger Einnahmen

Denn die meisten Gastronomen machen in der Pandemie kaum Umsatz: Im April 2021 nahmen die Gastronomen laut einer Dehoga-Umfrage 75 Prozent weniger Geld ein als im April 2019, also vor der Pandemie.

Die laufenden Kosten bleiben für die Wirte aber unverändert hoch, auch für Villwock. Die Miete für die urige Sportsbar in zentraler Lage in Berlin-Mitte kostet einen vierstelligen Betrag pro Monat, dazu kommen die Ausgaben für Strom, seine drei Mitarbeiter und – für eine Sportsbar ein ganz großer Faktor – auch die Zahlungen an den Sportsender Sky.

Zwar erhalte er staatliche Hilfen, doch gerade am Anfang seien die mit der "Gießkanne" verteilt worden, berichtet Villwock. Und obwohl die Überbrückungshilfen im laufenden Jahr größer ausfielen, liefen die Zahlungen der Behörden nur sehr schleppend an. "Meine Kosten wie Miete und Co. muss ich aber jeden Monat bezahlen", sagt er.

Von der Altersvorsorge ist nicht mehr viel übrig

Der Branchenverband Dehoga kann das bestätigen. Noch Anfang Mai warteten 10 Prozent der Gastronomen auf Gelder aus der sogenannten Novemberhilfe und weitere 10 Prozent auf die vollständige Auszahlung der Dezemberhilfen.

Die Folge: Bei vielen Wirten geht es nun ans Eingemachte. Auch Villwock hat wegen der schleppenden Zahlungen seine Rücklagen angefasst. "Meine komplette Altersvorsorge steckt in dieser Bar. Alles, was ich besitze, habe ich in den Betrieb gesteckt. Ehrlich gesagt bin ich sogar im Minus", sagt er und schaut durch den Raum. "Corona hat mir meinen Ruhestand versaut."

Er ist damit keine Ausnahme. Gastronomen, die zu Beginn der Pandemie noch Rücklagen hatten, hätten diese nun laut dem Armutsforscher Christoph Butterwegge in vielen Fällen aufgebraucht. Das bringe viele Gastronomen in Bedrängnis bei ihrer Altersvorsorge.

Einige Wirte hätten daher bereits den Schlussstrich gezogen, berichtet Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Dehoga-Bundesverbandes. "Mir sind Fälle bekannt, bei denen Gastronomen über 60 Jahre ihr Lebenswerk aufgegeben haben, um ihre Altersvorsorge nicht auch noch dem Betrieb zu opfern", sagt sie im Gespräch mit t-online. "Das ist traurig."

Vom Außenbereich kann der Kultwirt nicht leben

Bis sie die Folgen der Corona-Krise ausgeglichen haben, wird es bei vielen Gastwirten lange dauern, falls es überhaupt gelingt: Laut einer Dehoga-Umfrage dachte noch Anfang Mai rund jeder vierte Gastronom über eine Betriebsaufgabe nach.

Bei Jürgen Villwock hat die Pandemie ein tiefes Loch in seine Finanzen gerissen, das auch Kredite und Überbrückungshilfen nicht stopfen können. Drei Jahre, schätzt er, bräuchte er, um wieder bei null zu sein. "Mit fast 65 Jahren könnte ich dann wieder etwas für das Alter zurücklegen", sagt er – wenn er denn bald wieder richtig loslegen könnte.

Für Jürgen Villwock geht es aber so schnell nicht wieder los. Zumindest nicht richtig. Zwar dürfen seit Ende Mai die Gastronomen ihren Außenbereich wieder öffnen – sofern sie denn einen haben. Bei Villwocks "Denkmal Lounge" sind aber nur 14 Plätze zu vergeben, dann ist Schluss. Ein Problem, das laut Dehoga-Geschäftsführerin Hartges eine Vielzahl seiner Kollegen teilt. "Viele Gastronomen haben zu wenig Außenplätze, um damit betriebswirtschaftlich zu arbeiten", sagt sie.

Dazu kommen Villwock zufolge weitere Gebühren und die Wirte müssen einige Restriktionen einhalten, etwa dass die Gäste einen negativen Coronatest vorzeigen können. Für Villwock ist klar: "Mit den 14 Tischen kann ich nicht überleben."

Mit 67 in Rente? Wohl kaum

Die Konsequenzen der Corona-Krise wird er deshalb noch lange spüren: Eine Rente mit 65 oder 67 Jahren? Die ist für den Wirt durch die Corona-Pandemie nun in weite Ferne gerückt. "Ich war immer selbstständig – von der gesetzlichen Rente kann ich nicht existieren", sagt er.

"Durch Corona muss ich deutlich länger arbeiten, als ich eigentlich wollte. Ich hoffe, dass ich meinen Job auch bis 70 machen kann – aber Fässer hoch, Fässer runter, das ist schwere Arbeit. Und mein Rücken ist auch nicht mehr der beste."

Sauer macht ihn das mangelnde Verständnis, das vor allem in der ersten Welle geäußert wurde. "Alle fragten uns nach Rücklagen, aber meine Bar hatte gerade erst begonnen, Gewinne abzuwerfen", erklärt der Gastronom.

Ohne geöffnete Innenräume geht es nicht

Vor drei Jahren war er in die neuen Räume gezogen, hatte alles umgebaut und sein Kapital in die neue Immobilie gesteckt. In der BVB-Szene hat die Bar laut Villwock einen guten Ruf, die Bewertungen auf Onlineportalen sind ausgezeichnet. Selbst Ex-Dortmunder wie Patrick Owomoyela und BVB-Maskottchen Emma waren bei ihm schon zu Gast.

Gerade als er die Früchte davon ernten konnte, kam Corona. Und damit ein großes Loch. Für Villwock ist so während der Pandemie auch ein Stück Lebensgefühl verloren gegangen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jürgen Villwock
  • Gespräch mit Ingrid Hartges
  • Dehoga Pressemitteilung
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