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Ex-Bundesbanker im Interview: "Inflation nicht auf leichte Schulter nehmen"


Ex-Bundesbanker Dombret
"Wir dürfen die Inflation nicht auf die leichte Schulter nehmen"

  • Florian Schmidt
InterviewVon Florian Schmidt

Aktualisiert am 30.06.2021Lesedauer: 4 Min.
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Ein voller Einkaufswagen (Symbolbild): Seitdem die reguläre Mehrwertsteuer wieder gilt, ist auch der Supermarkteinkauf teurer geworden.Vergrößern des Bildes
Ein voller Einkaufswagen (Symbolbild): Seitdem die reguläre Mehrwertsteuer wieder gilt, ist auch der Einkauf im Supermarkt teurer geworden. (Quelle: imago-images-bilder)

Die Preise in Deutschland ziehen an. Bleibt das jetzt für immer so? Laut Ex-Bundesbanker Andreas Dombret sprechen vier Gründe für einen langfristigen "Inflationsdruck".

Strom, Benzin und Lebensmittel: Für viele Dinge müssen die Deutschen seit Jahresbeginn mehr Geld ausgeben als früher. Nach fast einem Jahrzehnt ohne nennenswerte Preissteigerungen ist die Inflation zurück.

Zwar ging die Inflationsrate, gemessen am Verbraucherpreisindex, im Juni verglichen mit dem Mai leicht zurück. Aufs gesamte Jahr gesehen jedoch erwarten Experten, dass die Inflationsrate weiter anzieht.

Andreas Dombret, der viele Jahre im Vorstand der Bundesbank saß, geht sogar noch einen Schritt weiter. Im t-online-Interview erklärt er, warum wir uns auch langfristig auf höhere Preissteigerungen einstellen müssen – und was die Europäische Zentralbank (EZB) nun tun sollte.

t-online: Herr Dombret, die Inflationsrate in Deutschland ist im Juni wieder leicht gesunken. Können wir aufatmen?

Andreas Dombret: Nein, leider ganz und gar nicht. Wir dürfen die Inflation nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die angestiegene Inflation ist noch nicht vorbei. Wir sollten unbedingt wachsam bleiben.

Warum?

Weil wir auch langfristig mit weiteren Preissteigerungen rechnen müssen. Sicher, der eine oder andere Effekt ist nur von vorübergehender Natur. Aber der Inflationsdruck steigt weiter. Schuld daran sind vor allem vier Gründe.

Welche sind das?

Erstens: Die Preise können auch schneller steigen als vorhergesagt, zum Beispiel die Energiepreise. Staatliche Eingriffe zur Bekämpfung des Klimawandels werden die Preise für Strom, Benzin oder Heizöl künftig noch stärker erhöhen, als wir es derzeit vielleicht abschätzen können. Diese Einschätzung ist gar nicht so gewagt, wie sie sich anhört, denn nur so kann der Klimawandel ja auch überhaupt abgewendet werden. Der zweite Grund ist, dass die Inflation zuletzt eher unter- als überschätzt wurde.

Was genau meinen Sie damit?

Ich meine damit die ökonomischen Modelle, mit denen Wirtschaftswissenschaftler bei der Vorhersage der Teuerung arbeiten. In den vergangenen Jahren wurde die Inflation eher überschätzt – wir glaubten alle, dass sie steigt, am Ende aber war es dann gar nicht so, und die Preissteigerung verharrte auf dem niedrigen Niveau. Aktuell ist dies nun aber anders: Meiner Meinung nach gehen die Modelle zur Zeit eher von einer zu niedrigen Preissteigerung aus. Die Prognosequalität ist leider alles in allem nicht sonderlich hoch, und die Zentralbanken haben sich in diesem Punkt auch schon in der Vergangenheit immer wieder geirrt. Wir dürfen uns also deshalb nicht zu sehr in Sicherheit wiegen, was die Inflation anbetrifft.

Was ist der dritte Grund?

Da geht es um den sogenannten Verbraucherpreisindex, also die Methode, mit der die Preissteigerung in Deutschland und in Europa gemessen wird. Momentan beziehen die Statistiker dabei noch nicht die Kosten selbst genutzter Immobilien, sondern nur Mietobjekte ein. Das aber könnte sich in naher Zukunft ändern. Sobald die Preissteigerungen selbst genutzter Immobilien bei den Lebenshaltungskosten ebenfalls berücksichtigt werden, macht dies schnell ein Inflationsplus von 0,2 bis 0,3 Prozentpunkten aus.

Hinzukommen dürfte die Steigerung bei den Löhnen.

Richtig, das ist der letzte Grund und ein überaus wichtiger. Dieses Jahr ändert sich bei den Löhnen zwar wahrscheinlich nicht viel, weil viele Tarifverträge noch gelten. Doch schon nächstes Jahr stehen in Deutschland eine Reihe von Neuverhandlungen an. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich Gewerkschaften und Arbeitgeber dabei auf vergleichsweise hohe Abschlüsse einigen. Hinzu kommt: In manchen Branchen schlägt der demografische Wandel zu. Nicht nur der Fachkräftemangel verstärkt sich, auch ungelernte Kräfte, etwa in der Gastronomie, werden händeringend gesucht. Die Arbeitnehmer können also höhere Löhne durchsetzen.

Andreas Raymond Dombret, geboren 1960 in den USA, war von 2010 bis 2018 Mitglied im Vorstand der Bundesbank und gilt heute als einer der einflussreichsten Experten im Bank- und Zentralbankwesen. Vor seiner Zeit bei der Bundesbank arbeitete der Wirtschaftswissenschaftler als Manager für die Bank of America, heute ist er als Berater tätig.

Das heißt, das Schreckgespenst der steigenden Preise wird uns noch länger begleiten?

Ja, ich befürchte schon, wobei es uns aber auch keine allzu große Angst einflößen muss. Denn: Von einer Hyperinflation wie vor knapp 100 Jahren in der Weimarer Republik sind wir noch meilenweit entfernt. Wir sollten deshalb besonnen bleiben und nicht überreagieren.

Sie meinen die EZB als Hüterin der Inflation. Was sollte sie tun?

Aktuell muss die Zentralbank meines Erachtens gar nichts tun, sie kann genauso weiter verfahren wie in den vergangenen Monaten. Konkret: Die lockere Geldpolitik ist weiterhin richtig und auch angezeigt – schließlich sind Corona und die Auswirkungen der Pandemie noch nicht vorbei.

Tatsächlich? In den USA ist die dortige Notenbank Fed schon einen Schritt weiter, deutet bereits eine Zinswende an, um die Inflation einzudämmen.

Das stimmt. Doch in Amerika ist die Inflation auch deutlich höher, dort läuft die Wirtschaft jetzt schon heiß, die Gefahr einer Überhitzung ist dort viel größer als hierzulande. Dieser Zeitpunkt ist in Europa noch nicht erreicht.

Wann wird das der Fall sein?

Das lässt sich jetzt noch nicht sagen. Überhaupt sollten wir uns davor hüten, in einer Krisensituation wie momentan die nächsten Schritte allzu lange im Voraus zu verkünden. Das ist weder seriös noch hilfreich.

Aber dauerhaft kann das Ankaufen von Staatsanleihen doch kaum weitergehen, oder?

Nein. Klar ist: Das momentane Anleihenkaufprogramm ist von der EZB für eine Ausnahmesituation geschaffen worden, nämlich zur Bekämpfung der Corona-Krise. Und sobald diese Ausnahme nicht mehr gilt, sobald die Krise also weitgehend im Griff ist, muss das Programm auch wieder enden.

Wann, glauben Sie denn, wird es dazu kommen?

Dann, wenn die wesentlichen staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wieder auslaufen und sich die Wirtschaft wieder nachhaltig verfestigt. Und das wird hoffentlich in absehbarer Zeit der Fall sein.

Herr Dombret, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Andreas Dombret
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