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Darum gilt Deutschland als Geldwäscheparadies – Kritik an Olaf Scholz


Kritik an Olaf Scholz
Experte: "Geldwäsche wird zu einem Massenphänomen"


Aktualisiert am 22.09.2021Lesedauer: 5 Min.
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Finanzminister Olaf Scholz in der Sondersitzung des Finanzausschusses: Er verteidigte die Arbeit der Geldwäsche-Einheit.Vergrößern des Bildes
Finanzminister Olaf Scholz in der Sondersitzung des Finanzausschusses: Er verteidigte die Arbeit der Geldwäsche-Einheit. (Quelle: Michele Tantussi/reuters)

Olaf Scholz steht in der Kritik, weil seine Geldwäscheaufsicht offenbar Verdachtsmeldungen nicht rechtzeitig nachgegangen ist. Schon seit Längerem mahnen Experten: Deutschland sei ein Paradies für Geldwäscher. Woran liegt das?

Für den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz hätte es nicht ungünstiger laufen können: Am Montag musste der Politiker vor dem Finanzausschuss erscheinen – und Fragen der Opposition beantworten.

Das Thema ist brisant: Ermittlungen gegen Mitarbeiter der FIU, einer Anti-Geldwäsche-Spezialeinheit des Zolls in Köln, die Scholz' Finanzministerium zugeordnet ist. Scholz ließ zwar alle Vorwürfe an sich abprallen, verteidigte die Arbeit der Anti-Geldwäsche-Einheit.

Doch unabhängig von den jüngsten Ermittlungen mahnen Experten schon länger, dass es Geldwäsche in Deutschland leicht hat, auch die Kritik an der FIU ist laut. Mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr könnten gewaschen werden, wie eine Studie 2016 berechnete. Woran liegt das? t-online erklärt Ihnen die Hintergründe.

Warum hat Deutschland ein Geldwäscheproblem?

Dafür gibt es laut Experten mehrere Gründe. Wie Mohamad El‐Ghazi, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Uni Trier, erklärt, liegt es unter anderem daran, dass Deutschland ein starker Wirtschaftsstandort ist. "Das mag ironisch klingen: Aber auch Kriminelle wollen ihr Geld sicher anlegen", sagt El-Ghazi, der außerdem Direktor des Trierer Instituts für Geldwäsche- und Korruptionsstrafrecht ist.

In einem wirtschaftlich sicheren Staat wie Deutschland und einem, der international stark vernetzt ist, wäre es für Kriminelle daher sehr einladend, sagt er. Auch Andreas Krautscheid, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), sieht das: "Mit jedem Land dieser Welt gibt es Austausch und damit auch Zahlungen."

Dazu kommt der Deutschen Liebe zum Bargeld, sagt El-Ghazi. "In Deutschland können Sie im Grunde alles bar zahlen. Kriminelle haben hier ein leichtes Spiel, schmutziges Geld in den Kreislauf zu schleusen. Denn die Spur des Geldes verliert sich so deutlich schneller als bei Kartenzahlungen."

Tatsächlich kann man in Deutschland etwa Schmuck, Autos oder gar Häuser mit Münzen und Scheinen bezahlen. Ab 10.000 Euro muss man zwar einen Personalausweis vorlegen. Doch Kriminelle umgingen das einfach, indem sie Mittelsmänner schickten, wie El-Ghazi erklärt.

Was ist Geldwäsche genau?
Bei der Geldwäsche schleusen Kriminelle illegal erwirtschaftetes Geld oder illegal erworbene Vermögenswerte in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf ein. Geld, das etwa aus Zwangsprostitution, Menschen- und Waffenhandel, Drogengeschäften oder Erpressung stammt. Durch die Geldwäsche soll die Herkunft des Geldes verschleiert werden.

"Geldwäsche wird zu einem Massenphänomen"

Zudem gilt die Aufsicht als zahnlos, weil zu wenig Personal vorhanden ist, so El-Ghazi (siehe unten). "Bestimmte Verdachtsmeldungen müssen innerhalb drei Tagen bearbeitet werden. Das ist für die FIU kaum schaffbar – besonders, wenn es sich um hochkomplizierte Fälle handelt."

Verschärft werde das Problem noch, weil der Straftatbestand der Geldwäsche im Frühjahr 2021 deutlich ausgeweitet wurde, so der Experte. "Doch das macht es der FIU, den Aufsichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft nicht gerade leichter, die ganzen Meldungen zu verfolgen. Im Gegenteil: Geldwäsche wird so zu einem Massenphänomen", sagt El-Ghazi. "Wichtige Ressourcen in der Justiz werden für die Verfolgung von Bagatellen verschwendet."

Wer kämpft in Deutschland gegen Geldwäsche?

Hierzulande ist die sogenannte Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zuständig. Sie wird auch als Financial Intelligence Unit (FIU) bezeichnet.

Sie sammelt und wertet Verdachtsmeldungen zu möglichen Geldwäsche-Tatbeständen aus. Bis Sommer 2017 war sie ein Teil des Bundeskriminalamtes, seitdem ist sie aber Part der Generalzolldirektion – und damit dem Bundesfinanzministerium angegliedert.

Wie die Geldwäschebekämpfung funktioniert

So funktioniert die Geldwäschebekämpfung konkret: Bestimmte Unternehmen und Berufsgruppen der Privatwirtschaft sind verpflichtet, zu melden, wenn sie den Verdacht haben, dass Geld eines Auftrags beispielsweise schmutzig ist, also aus kriminellen Geschäften stammt.

Zu diesen sogenannten Verpflichteten gehören vor allem Firmen aus dem Finanzsektor, etwa Kreditinstitute und Finanzdienstleister, aber auch Versicherungen, Rechtsanwälte, Glückspielanbieter und Immobilienmakler.

Diese Unternehmen melden ihren Verdacht an die FIU, die ihn wiederum aufnimmt, sammelt und überprüft. An dieser Stelle kann sie dann die Staatsanwaltschaft einschalten.

Dass die Unternehmen einen Anfangsverdacht auch melden, überwacht bei Banken und anderen Finanzunternehmen die Finanzaufsicht Bafin. Bei allen anderen Firmen sind dafür Bezirks- und Landesbehörden zuständig – ein kompliziertes Konstrukt, das fehleranfällig ist (siehe nächster Ankerpunkt).

Was ist das Problem an der Anti-Geldwäsche-Einheit?

Wie Geldwäsche-Experte El-Ghazi erklärt, gibt es bei der Geldwäschebekämpfung und der FIU mehrere Probleme. Grundsätzlich könne das Zusammenspiel zwischen der Privatwirtschaft und der FIU zum Problem werden. "Für den Meldenden bedeutet eine Verdachtsanzeige aber auch immer die Gefahr, dass er auf ein lukratives Geschäft verzichten muss. Wenn jemand ein Haus mit inkriminierten Geld kaufen möchte, überlegt sich ein Immobilienmakler womöglich zwei Mal, ob er auf die Provision verzichten möchte", so der Experte.

Dazu komme, dass der Informationsaustausch zwischen den Behörden, die die Verdachtsmeldungen der Unternehmen überwachen, oftmals nicht funktioniere. "Die eine Behörde weiß nicht, welche Informationen zu den Verdächtigen bereits anderen Behörden vorliegen", sagt der Experte.

Und ein drittes – und das entscheidende – Problem sei die extrem enge Personaldecke. Kritisiert wurde auch, dass die FIU zum Zoll wechselte. "Ich sehe den Umzug der Behörde in eine andere Zuständigkeit gar nicht als das zentrale Problem", so El-Ghazi. "Ein solcher Wechsel bringt natürlich immer Probleme mit sich. Wenn im gleichen Zuge aber massiv neue Stellen aufgebaut worden wären, hätte das ein Erfolg werden können."

Worum geht es bei den aktuellen Scholz-Vorwürfen?

FIU-Mitarbeiter sollen Hinweise auf Geldwäsche oder Terrorfinanzierung nicht rechtzeitig an Justiz und Polizei weitergeleitet haben. In diesem Zusammenhang hatte die Staatsanwaltschaft Osnabrück beim Finanz- und beim Justizministerium angeklopft, um Unterlagen einzusehen.

Scholz musste daher am Montag vor dem Finanzausschuss aussagen – eigentlich wollte er das nur telefonisch machen. Am Ende war er persönlich da – und wies die Vorwürfe gegen die FIU zurück.

Die Behörde habe in den vergangenen drei Jahren mehr hinbekommen als in den 30 Jahren zuvor. Sie sei personell aufgestockt worden und habe eine moderne IT-Struktur bekommen. Das Meldungsaufkommen werde weiter steigen. Die Kriterien, welche Geldwäschemeldungen an Behörden weitergeben werden, würden weiter verbessert.

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"Man muss Olaf Scholz zu Gute halten: Er tut schon etwas", so El-Ghazi. "Doch leider reicht das kaum aus. Es gab im vergangenen Jahr fast 150.000 Verdachtsmeldungen, einige Hundert Mitarbeiter mehr werden hier kaum helfen. Es braucht deutlich mehr gut ausgebildete Leute, die bei der FIU arbeiten. Ansonsten bleibt die Behörde ein zahnloser Tiger."

Spekulationen über Wahlkampfhintergrund der Ermittlungen

Die Grünen warfen dem Finanzminister vor, die Sitzung zur Selbstdarstellung genutzt zu haben. "Wieder hat Scholz als Finanzminister alle Verantwortung für das Chaos bei der Anti-Geldwäsche-Behörde FIU und bei der Geldwäschebekämpfung von sich gewiesen", erklärte die Finanzpolitikerin Lisa Paus. "Olaf Scholz hat nicht genug getan zur Bekämpfung von Geldwäsche."

Die Durchsuchung in Scholz' Ministerium nur wenige Tage vor der Bundestagswahl hatte auch Fragen aufgeworfen. So gab es auch Spekulationen über einen Wahlkampfhintergrund.

Der Grund: Der Chef der Osnabrücker Staatsanwaltschaft, Bernard Südbeck, ist ebenso CDU-Mitglied wie Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza. Der Sprecher der Ermittlungsbehörde wies diese Spekulationen zurück: Die Ermittlungen würden nicht von Südbeck geleitet, sagte er. Mehr dazu lesen Sie hier.

Wie kann Geldwäsche besser bekämpft werden?

Das ist die entscheidende Frage. Derzeit läuft bereits eine Initiative der EU-Kommission, eine europaweite Bargeldobergrenze einzuführen. Ende Juli legte die zuständige Kommissarin einen entsprechenden Vorschlag vor.

El-Ghazi sieht das Vorhaben mit Skepsis. "Noch glaube ich nicht daran, dass über die EU-Gesetzgebung ein europaweites Bargeldlimit eingeführt werden wird. Auch weil sich gerade Deutschland dagegen stemmen wird", sagt er. "Kein Politiker, der gewählt werden möchte, will das Bargeld limitieren oder gar abschaffen. Sollte ein Limit aber tatsächlich kommen, kann das ein Beitrag zur Bekämpfung von Geldwäsche in Deutschland sein."

Mit dem Vorschlag eines Bargeldlimits will die EU-Kommission auch eine EU-weite Aufsichtsbehörde etablieren. Die Anti-Geldwäsche-Behörde ALMA (Anti-Money Laundering Authority) soll bis Anfang 2023 geschaffen werden. Sie soll die Aufsicht über bestimmte Finanzunternehmen übernehmen können, wenn ein erhöhtes Risiko für Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung besteht.

"Deutschland ist bemüht. Doch ohne einen grundlegenden Strategiewechsel wird Deutschland noch lange ein Geldwäscheparadies bleiben", sagt El-Ghazi.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Mohamad El-Ghazi
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