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Brustkrebs-Test: Was sich im Schweiß des Fingerabdrucks nachweisen lässt


Neuer Test zur Diagnose
Wie ein einfacher Fingerabdruck Krebs sichtbar machen kann

InterviewVon Heike Vowinkel

05.03.2023Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Der Fingerabdruck des Menschen ist unverwechselbar. Er erzählt aber auch viel über unsere Lebensweise.Vergrößern des Bildes
Der Fingerabdruck des Menschen ist unverwechselbar. Er erzählt aber auch viel über unsere Lebensweise.

Eine Forscherin hat einen Test entwickelt, mit dem Brustkrebs bald einfacher erkannt werden soll. Das Verfahren hilft schon jetzt bei der Verbrechersuche.

Jeder Mensch hinterlässt täglich unzählige Fingerabdrücke: Am Trinkglas, am Türgriff, auf der Computertatstatur. Weil der Fingerabdruck einzigartig ist, dient er als wichtiger Identifizierungsnachweis.

Doch er verrät auch viel über die Gewohnheiten und das Leben eines Menschen, sagt Simona Francese. Sie forscht und lehrt als Professorin für Forensik und bioanalytische Massenspektrometrie an der Sheffield Hallam Universität in Westengland. Dort hat sie mit ihrem Team ein Verfahren zur Analyse entwickelt, bei dem Moleküle im Schweiß von Fingerabdrücken genutzt werden, um der Polizei bei der Suche nach Verbrechern zu helfen.

Jetzt hat Francese eine Studie veröffentlicht, in der sie zeigt, dass mit dem Verfahren auch Brustkrebs nachgewiesen werden kann.

t-online: Haben Sie jemals Ihren eigenen Fingerabdruck analysiert?

Simona Francese: Ja, tatsächlich im Jahr 2011. Damals stand ich noch am Anfang meiner Forschung und versuchte zu beweisen, dass Fingerabdrücke viel über den Lebensstil einer Person erzählen. Ich bin ja Italienerin, lebte aber schon länger in England – und dort gibt es keinen guten Kaffee. Ich hatte ihn mir deshalb schon abgewöhnt. Damals machte ich mir dann aber zum ersten Mal seit Langem selbst einen Espresso, trank ihn und nahm meine Fingerabdrücke nach zehn, nach 30 Minuten und nach einer Stunde. Tatsächlich konnte ich mithilfe meines Verfahrens sehen, wie das Koffein immer stärker darin sichtbar wurde.

Simona Francese
Simona Francese

Expertin für die Analyse von Fingerabdrücken

Die Italienerin Simona Francese ist Professorin für forensische und bioanalytische Massenspektrometrie an der Sheffield Hallam University in Großbritannien. Die promovierte Chemikerin leitet dort eine bioanalytische Forschungsgruppe und ist stellvertretende Leiterin des Zentrums für massenspektrometrische Bildgebung. Als Expertin für die molekulare Analyse von Fingerabdrücken mithilfe einer Technologie namens Maldi (Matrix Assisted Laser Desorption Ionization Mass Spectrometry) unterstützt sie die Polizei in Großbritannien in ausgesuchten Fällen.

Wie genau funktioniert das Verfahren?

Fingerabdrücke bestehen aus Molekülen, die zu drei Klassen gehören: Schweißmoleküle, die wir alle in unterschiedlichen Mengen produzieren. Moleküle, die wir in Form von Essen, Getränken oder anderen Substanzen unserem Körper zuführen und dann ausschwitzen. Und schließlich Moleküle, die von Substanzen stammen, welche unsere Fingerspitzen berührt haben. All diese Moleküle erzählen Geschichten über uns und unser Leben.

Wenn man sie lesen kann.

Genau. Dafür müssen wir sie identifizieren. Wir haben ein Verfahren entwickelt, dass eine Form der Massenspektrometrie nutzt, mit der vereinfacht gesagt die Masse einzelner Moleküle gemessen werden kann. Weil jedes Molekül eine spezifische Masse hat, lässt es sich dann genau zuordnen.

Welche Stoffe lassen sich so nachweisen?

Wir können anhand der Schweißmoleküle Koffein, Alkohol, Medikamente oder Drogen nachweisen. Aber auch das Geschlecht einer Person können wir so bestimmen. Als wir uns diese Moleküle, mit denen sich das Geschlecht bestimmen lässt, genauer ansahen, stießen wir auf noch etwas: Moleküle, die als sogenannte Biomarker auf Brustkrebs hinweisen. Wir können damit unverwechselbare Profile von Krebs in verschiedenen Stadien erstellen: für gutartigen Krebs, für Krebs im Frühstadium, für metastasierende, also sich ausbreitende Tumore.

Mit welcher Genauigkeit?

Mit 98-prozentiger Genauigkeit. Das hat mich selbst sehr überrascht. Wir haben für die Identifizierung der Krebsprofile maschinell lernende Algorithmen verwendet, die wir zuvor darauf trainiert hatten, die verschiedenen Profile zu erkennen. Das haben wir dann auf Fälle angewandt, von denen wir die Diagnosen zuvor nicht kannten.

Mit dieser Studie, die gerade veröffentlicht wurde, haben sie für viel Aufsehen gesorgt. Allerdings wurden darin nur 15 Frauen getestet. Wie aussagekräftig ist das?

Für eine größere Testgruppe hat unser Forschungsetat nicht ausgereicht. Von diesen Frauen hatten fünf gutartige Knoten, fünf hatten Brustkrebs im Frühstadium und fünf hatten metastasierenden Brustkrebs, der sich im ganzen Körper ausgebreitet hatte. Alle konnten wir genau nachweisen. Es war eine sogenannte "Proof of Concept"-Studie, mit der wir bewiesen haben, dass das Konzept, also das Verfahren funktioniert. Ich versuche gerade, für eine großangelegte Studie mit einer deutlich größeren Fallgruppe Forschungsgelder aufzutreiben.

Das bedeutet, in Zukunft könnte ich Ihnen meinen Fingerabdruck geben, und Sie könnten mir sagen, ob ich Brustkrebs habe oder nicht?

Genau, das ist die Idee. Patientinnen müssten dann nur ihre Fingerspitze dreimal auf eine spezielle Probenplatte drücken und die Abdrücke würde dann untersucht.

Könnte der Test dann die bisherige Früherkennungsmethode Mammographie ersetzen? Sie ist ja oft unangenehm und schmerzhaft, weil die Brust dafür zwischen zwei Platten eingeklemmt wird?

Derzeit ist unser Ansatz, die Anzahl der Frauen zu reduzieren, die sich unnötig einer Mammographie unterziehen müssen. Aber wenn sich dieser Test in Zukunft als genauso empfindlich und spezifisch erweist wie die Mammographie, könnte diese tatsächlich auch ersetzt werden. In einem nächsten Schritt könnten wir dann den Test sogar so entwickeln, dass Patientinnen ihn zu Hause machen und einschicken, also nicht einmal mehr eine Praxis oder Klinik aufsuchen müssten. Aber das ist noch ein langer Weg.

Von welchem Zeitraum reden wir?

Wenn es nur um den wissenschaftlichen Prozess geht, vermutlich zwischen drei und vier Jahren. Aber es geht ja auch um Zulassungsverfahren und einiges mehr. Daher vermutlich noch länger.

Ist das Verfahren in Zukunft auch für andere Krebsarten denkbar?

Im Moment wäre das reine Spekulation.

Wie waren die Reaktionen auf Ihre Veröffentlichung vor drei Wochen?

Fantastisch. Nicht nur aus der Wissenschafts-Community bekam ich unendlich viele Anfragen, sondern mir haben auch sehr viele Frauen geschrieben, die an unseren Studien teilnehmen wollen. Viele habe mir ihre persönlichen, teilweise sehr bewegenden Geschichten erzählt.

Was hat das mit Ihnen gemacht?

Als Wissenschaftlerin habe ich plötzlich noch mal viel intensiver die große Verantwortung gespürt für das, was ich tue. Verantwortung auch dafür, die Hoffnungen und Erwartungen dieser Frauen nicht zu enttäuschen. Und entsprechend spüre ich jetzt den Druck, bald die weiteren Studien durchzuführen.

Sich selbst haben Sie aber nicht auf Brustkrebs getestet, oder?

Nein. Das wäre unethisch und für unsere Studie auch nicht sinnvoll gewesen.

Eigentlich haben Sie Ihr Verfahren ja entwickelt, um der Polizei bei der Aufklärung von Verbrechen zu helfen. Wie kam es dazu?

Mich fasziniert die forensische Polizeiarbeit schon seit ich ein Teenager war. Als Chemikerin habe ich mich dann früh auf die Analysetechnik der Massenspektrometrie konzentriert, weil sie so vielfältig ist. Um das Verfahren für die Polizeiarbeit anwenden zu können, haben mein Team und ich dann eng mit der Polizei von West Yorkshire zusammengearbeitet, das Innen- und Verteidigungsministerium haben unsere Forschung unterstützt.

Und wie wird es in der Polizeiarbeit eingesetzt?

Wir können mit unserer Methode zwei Dinge tun: Zum einen eine Art Verhaltensprofil anhand des molekularen Fingerabdrucks erstellen, also sagen: Hat der Mann oder die Frau Drogen genommen, Alkohol oder Kaffee getrunken oder bestimmte Medikamente geschluckt? Das kann hilfreich sein, wenn es Fingerabdrücke an einem Tatort gibt und mehrere Verdächtige. Wir haben zum Beispiel Spuren von Kondomgleitmitteln in den Fingerabdrücken eines Verdächtigen in einem Vergewaltigungsfall gefunden. Ein Fingerabdruck an einem Tatort kann aber auch Blutspuren enthalten, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Wir können sie sichtbar machen und feststellen, ob es menschliches Blut ist oder nicht.

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Und was ist das andere, das Sie mit der Methode tun können?

Fingerabdrücke von schlechter Qualität lassen sich mit unserer Methode verbessern. Denn wir können nicht nur sagen, welche Moleküle sich auf einem Abdruck befinden, sondern mithilfe eines Bildgebungsverfahrens auch feststellen, wo sie auf dem Abdruck sitzen. So können wir zum Beispiel helfen, mehrere Fingerabdrücke, die übereinander liegen, voneinander zu unterscheiden und zu sagen, ob sie von derselben oder von mehreren Personen stammen. Wir können die einzelnen Abdrücke sichtbar machen und dadurch zuordnen. Und wenn es mehrere schlechte Abdrücke gibt, können wir diese zu einem Fingerabdruck von besserer Qualität zusammenführen.

In welchen Fällen konnten Sie mit Ihrem Verfahren weiterhelfen?

Ich darf keine Namen nennen, aber wir haben zum Beispiel in einem schwereren Missbrauchsfall mithilfe des Fingerabdrucks nachgewiesen, dass der Mann, von dem er stammte, alkoholisiert war und Kokain genommen hatte. In einem anderen Fall ging es um einen Mord. Eine verschwundene Frau war nach einem halben Jahr in einem Teich gefunden worden, um ihren Hals war ein Band gewickelt. Dieses Band war in einem schrecklichen Zustand, trotzdem konnten wir darauf Fingerabdrücke visualisieren. Leider passten sie zu keinem der Verdächtigen.

Bekommen Sie viele Anfragen von der Polizei?

Noch ist es überschaubar, obwohl das Verfahren ins Handbuch der britischen Polizei für Fingerabdrücke übernommen worden ist und allen Polizeieinheiten deshalb bekannt sein sollte. Es hängt aber vom Einsatzleiter ab. Ohnehin sollte das Verfahren nur für schwere Verbrechen eingesetzt werden, für andere wäre es zu aufwendig und zu teuer. Wir haben auch schon an Fällen aus den Niederlanden und Dänemark mitgearbeitet.

Haben Sie auch Anfragen aus Deutschland?

Nein. Aus Deutschland noch nicht. Ich weiß nicht, warum. Die Deutschen müssten unsere Arbeit zumindest kennen, weil ich auch im europäischen Netzwerk der forensischen Wissenschaftsinstitute bin und weiß, dass da auch die deutsche Polizei bei der Fingerabdruck-Gruppe dabei ist.

Frau Francese, vielen Dank für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Video-Gespräch mit Simona Francese
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