Risiko Laborunfall Hier wird mit den gefährlichsten Viren geforscht

Die Forschung an gefährlichen Viren ist notwendig, um sie besser zu verstehen und vielleicht sogar die nächste Pandemie zu verhindern. Doch es gibt viele Risiken.
War es ein Laborunfall oder doch ein Schuppentier oder eine Fledermaus? Aktuell flammen die Diskussionen um den Ursprung des Coronavirus SARS-CoV-2 wieder auf. Grund dafür sind Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND), der es offenbar für wahrscheinlich hält, dass ein Laborunfall in Wuhan die Corona-Pandemie ausgelöst hat.
Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" und der "Zeit" habe der BND wissenschaftliche Daten aus dem Wuhan-Institut für Virologie beschafft, die Hinweise auf riskante Gain-of-Function-Experimente und Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften enthielten.
Doch wie wahrscheinlich ist es, dass Viren aus einem Labor ausbrechen und eine Pandemie verursachen? Und wie sicher sind vergleichbare Einrichtungen in Deutschland?
Hier wird mit den gefährlichsten Erregern geforscht
Weltweit gibt es etwa 60 Hochsicherheitslabore, verteilt über 26 Länder. Dort forschen Wissenschaftler an den ansteckendsten Viren und Bakterien, die es gibt.
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Fast die Hälfte der Hochsicherheitslabore weltweit befindet sich in Europa. In Deutschland gibt es vier Einrichtungen der höchsten Sicherheitsstufe S4. Das bekannteste ist das Institut für neue und neuartige Tierseuchenerreger (INNT) des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI). Es befindet sich auf der Ostseeinsel Riems. Für Besucher ist das Betreten der Insel streng verboten.
Denn auf dieser Insel werden Krankheiten untersucht, die für Tiere tödlich sein können – etwa die Maul- und Klauenseuche oder die Afrikanische Schweinepest. Da einige dieser Viren hochgradig ansteckend sind, arbeitet das Institut unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen:
- Luftfilterung: Die gesamte Luft wird doppelt gefiltert, damit keine Erreger nach außen gelangen.
- Unterdruck: Innerhalb des Labors herrscht Unterdruck – das heißt, Luft kann nur nach innen strömen, aber nicht nach außen.
- Sterilisierung: Abwasser und Abfälle werden auf über 100 Grad erhitzt, bevor sie das Labor verlassen.
- Schutzanzüge: Wissenschaftler tragen Vollschutzanzüge mit eigener Luftzufuhr. Vor dem Verlassen müssen sie durch eine Chemiedusche.
Ein weiterer Bereich des FLI beschäftigt sich mit Zoonosen – also Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden können. Einige dieser Erreger, wie das Ebola- oder Krim-Kongo-Virus, sind für Menschen tödlich. Hier gelten daher noch strengere Sicherheitsmaßnahmen.
Wie riskant ist die Forschung wirklich?
Die Forschung an gefährlichen Erregern ist unverzichtbar, um Krankheiten besser zu verstehen und Impfstoffe und Behandlungsmethoden zu entwickeln. Gleichzeitig ist sie aufgrund vieler Risiken auch umstritten. Dazu zählen:
- Laborunfälle: In der Vergangenheit kam es weltweit immer wieder zu Unfällen mit gefährlichen Erregern. Auch SARS-CoV-1, der Vorgänger des heutigen Coronavirus, entwich mehrmals aus Laboren.
- Zweckentfremdung: Theoretisch könnten Staaten oder Terrorgruppen die Forschung für Biowaffen missbrauchen.
- Mangelnde Kontrolle: Es gibt zwar internationale Sicherheitsstandards für Labore, doch diese werden kaum überprüft. Experten fordern schon lange strengere Kontrollen, um sicherzustellen, dass diese Labore verantwortungsvoll genutzt werden.
Gain-of-Function-Forschung
Sogenannte Gain-of-Function-Experimente sind besonders umstritten. Ihr Ziel ist es, gefährliche Mutationen frühzeitig zu erkennen. Kritiker warnen jedoch: Solche Methoden könnten Erreger ungewollt noch gefährlicher machen. Und: Bei den Experimenten steigt das Risiko, dass Viren irrtümlich entweichen. In den USA gab es deshalb bereits Debatten über ein Verbot der Gain-of-Function-Forschung.
Laborunfälle sind keine Seltenheit
In Hochsicherheitslaboren kommt es immer wieder zu Zwischenfällen. Denn selbst unter strengsten Sicherheitsmaßnahmen können nicht alle Risiken ausgeschlossen werden.
Einige Beispiele:
- In den 1960er- und 1970er-Jahren führten mehrere Laborfreisetzungen von Pockenviren in Großbritannien zu Infektionen und Todesfällen.
- 1987 konnte ein gefährlicher Erreger aus einem australischen Labor entweichen. Einer Laborantin platzte ein Gefäß mit dem Newcastle-Virus. Obwohl sie alle Sicherheitsvorkehrungen eingehalten hatte, gelangte es über ihre Augenbindehaut in den Körper. Glücklicherweise führte die Infektion nur zu einer Bindehautentzündung – für den Menschen ist das Newcastle-Virus weitgehend ungefährlich, für manche Tiere jedoch tödlich.
- 1995 gab es einen großen Ausbruch der Venezolanischen Pferdeenzephalitis in Venezuela und Kolumbien mit zehntausenden Infizierten und über 300 Todesfällen. Genetische Untersuchungen deuteten darauf hin, dass das Virus aus einem Labor entkommen war.
- 2004 kam es im Nationalen Institut für Virologie in Peking (China) zu einem SARS-Ausbruch. Zwei Studenten infizierten sich bei Experimenten mit dem Virus. Insgesamt neun Menschen erkrankten, einer starb. Es war bereits der dritte von vier laborbedingten SARS-Ausbrüchen.
- 2007 wurde der Erreger der Maul- und Klauenseuche aus einem Hochsicherheitslabor in Großbritannien freigesetzt. Baufahrzeuge verbreiteten das Virus, was zur Keulung von über 1.500 Tieren führte.
Diese Fälle zeigen, dass Laborausbrüche selbst in hochsicheren Einrichtungen kein seltenes oder rein hypothetisches Risiko sind. Laborunfälle könnten also Viren freisetzen und Pandemien verursachen, die sonst nie entstanden wären. Dennoch sehen die meisten Fachleute sogar die Gain-of-Function-Forschung als sicher und essenziell an, um gefährliche Erreger besser verstehen und bekämpfen zu können.
Ursprung der Corona-Pandemie bis heute nicht geklärt
Und was ist nun mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und der Laborthese? China hält weiterhin wichtige Labordaten unter Verschluss. Fest steht aber: Bereits vor der Pandemie wurden in Wuhan Gain-of-Function-Experimente durchgeführt und Coronaviren in Laboren verändert. Die Frage, ob diese Forschung zum Ursprung der Pandemie beigetragen haben könnte, bleibt zum jetzigen Stand ungeklärt.
- fli.de: "Hochsicherheitslabore am FLI"
- pmc.ncbi.nlm.nih.gov "The Consequences of a Lab Escape of a Potential Pandemic Pathogen" (englisch)
- slate.com: "A Brief, Terrifying History of Viruses Escaping From Labs" (englisch)
- n-tv.de: "Laborunfälle sind keine Seltenheit"
- sueddeutsche.de: "Wenn Viren aus dem Labor ausbrechen"
- swr.de: "Viren aus dem Labor – Wie riskant ist Gain-of-Function-Forschung?"
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.