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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Brustkrebsexpertin "Dieses Risiko wird immer überschätzt"

Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Doch wie groß ist der Einfluss des eigenen Lebensstils und was ist durch die Genetik vorbestimmt? Eine Expertin klärt auf.
Allein in Deutschland erhalten jedes Jahr rund 70.000 Frauen die Diagnose Brustkrebs. Doch dank moderner Vorsorge und verbesserter Therapien steigen die Heilungschancen kontinuierlich. Entscheidend ist, die Krankheit frühzeitig zu erkennen – und die eigenen Risikofaktoren zu kennen, sagt Brustkrebsexpertin Pia Wülfing.
Sie erklärt im t-online-Interview, wie Frauen aktiv Brustkrebs vorbeugen können, welche Rolle Lebensstil und familiäre Veranlagung spielen und welchem Irrglauben sie immer wieder begegnet.
t-online: Frau Professor Wülfing, Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Viele wissen aber nicht, dass sie selbst vorbeugen können. Was sind Ihre drei wichtigsten Empfehlungen?
Pia Wülfing: Frauen können viel über ihren Lebensstil beeinflussen. Ich empfehle vor allem: sich gesund zu ernähren, Übergewicht zu vermeiden und sich regelmäßig zu bewegen. Das gilt nicht nur für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern auch für Brustkrebs.
Was hilft konkret, um das Risiko zu senken?
Die Ernährung sollte möglichst mediterran ausfallen: viel Gemüse, ballaststoffreich, mit pflanzlichen Ölen, Omega-3-Fettsäuren und Nüssen. Bewegung ist ebenfalls zentral – und damit ist kein Leistungssport gemeint. Bereits 150 Minuten moderate Aktivität pro Woche, zum Beispiel zügiges Spazierengehen, kombiniert mit etwas Kraft- und Dehntraining haben einen nachweislich positiven Effekt. Übergewicht ist ein Risikofaktor, den man ernst nehmen sollte. Und auch Alkohol und Nikotin erhöhen das Brustkrebsrisiko.

Zur Person
Prof. Dr. Pia Wülfing ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und seit mehr als 20 Jahren auf das Thema Brustkrebs klinisch und wissenschaftlich spezialisiert. Corona-bedingt hat sie sich 2020 dem Thema "Digital Health" zugewandt und die Onlineplattform "PINK! Aktiv gegen Brustkrebs" gegründet. Diese richtet sich an Brustkrebspatientinnen während und nach der Behandlung.
Welche Rolle spielt Schlaf?
Ausreichend und gesunder Schlaf ist sehr wichtig, aber gerade in den Wechseljahren haben viele Frauen damit Probleme. Das ist aber kein Grund zur Beunruhigung. Ich empfehle in dieser Zeit Achtsamkeits- und Meditationsübungen. Sie stärken das Immunsystem, fördern die Regeneration und helfen am Ende sogar, den Schlaf zu verbessern.
Gibt es denn wissenschaftliche Erkenntnisse dazu?
Ja, es gibt Studien, die zeigen: Wer regelmäßig meditiert, verschafft dem Körper Erholung und unterstützt die Abwehrkräfte. Das kann nicht nur gegen Stress helfen, sondern auch zur Krebsprävention beitragen. Es geht nicht um stundenlange Meditation, sondern um kleine, alltagstaugliche Routinen.
Der Lebensstil ist also die größte Stellschraube. Wie viel Brustkrebsrisiko ist dennoch genetisch oder biologisch festgelegt?
Das erbliche Risiko wird immer überschätzt. Nur rund fünf Prozent aller Brustkrebserkrankungen sind tatsächlich genetisch bedingt. Der Großteil hat andere Ursachen. Natürlich gibt es Faktoren, die man selbst nicht steuern kann: zum Beispiel das Alter bei der ersten und letzten Regelblutung. Je länger die Brust solchen hormonellen Einflüssen ausgesetzt ist, desto höher ist das Risiko, dass sich ein Tumor bildet. Aber: Die wirklich hohen Risiken betreffen nur eine kleine Gruppe. Hier beobachte ich allerdings häufig eine falsche Selbsteinschätzung.
Was meinen Sie damit?
Frauen fühlen sich oft zu sicher, wenn es in ihrer Familie keinen Brustkrebsfall gibt. Doch das ist eine falsche Sicherheit, in der sie sich wiegen. Frauen mit erkrankten Verwandten wiederum haben häufig unnötig starke Ängste und gehen davon aus, auch zu erkranken. Tatsächlich besteht nur dann ein echtes genetisches Risiko, wenn mehrere enge Angehörige früh an Brust- oder Eierstockkrebs erkrankt sind. Dann ist es ratsam, weitere Untersuchungen einzuleiten.
Gut zu wissen
Hier finden Sie eine Checkliste des Deutschen Konsortiums für familiären Brust- und Eierstockkrebs, mithilfe derer Frauen ihr Brustkrebsrisiko abschätzen können.
Welche Mythen oder Irrtümer begegnen Ihnen außerdem häufig?
Das Thema Deos mit Aluminium taucht immer wieder auf. Wissenschaftliche Belege, dass sie Brustkrebs auslösen, gibt es dafür aber nicht. Auch Bügel-BHs stehen schon länger unter Verdacht, was ebenfalls wissenschaftlich nicht haltbar ist.
Beeinflusst die Pille das Brustkrebsrisiko?
Die Pille ist gut untersucht. Wenn überhaupt, erhöht sie das Risiko nur geringfügig. Ähnlich verhält es sich mit der Hormonersatztherapie in den Wechseljahren. Früher dachte man, sie sei stark krebserregend. Das hat sich aber so nicht bestätigt. Das Risiko ist auch hier nur gering erhöht. Heute gilt: Frauen mit einem hohen Leidensdruck und starken Wechseljahresbeschwerden können die Therapie unter ärztlicher Aufsicht bekommen. Das bedeutet nicht automatisch eine Brustkrebserkrankung – und schon gar kein Todesurteil.
Früh erkannt, gilt Brustkrebs als gut behandelbar. Wie effektiv ist das Mammographie-Screening?
Die Mammographie ist die gesetzliche Brustkrebs-Routinevorsorge, die sich an Frauen zwischen 50 und 75 Jahren richtet. Neue Daten zeigen: Sie senkt die Brustkrebssterblichkeit deutlich – etwa jeder vierte Todesfall lässt sich dadurch verhindern. Wichtig ist, dass Frauen diese Termine wahrnehmen.
Natürlich sollte man bei individuellem Verdacht, bei tastbaren Knoten oder familiären Risiken nicht auf das Screening warten. Dann übernehmen Krankenkassen auch frühere und engmaschigere Untersuchungen.
Künstliche Intelligenz hält auch in der Medizin Einzug. Was bedeutet das für die Brustkrebsdiagnostik?
KI wird in der Bildauswertung immer wichtiger. Viele Zentren nutzen bereits Software, die Radiologen unterstützt, etwa beim Erkennen kleiner Auffälligkeiten in der Mammographie. Das könnte bald Standard werden. Auch in der Therapieplanung kann KI helfen: zum Beispiel bei der Auswahl passender Medikamente, die gezielt auf einen Tumor wirken. Da sind große Datenmengen von Vorteil. Ich denke, das Potenzial ist enorm, auch wenn wir gerade erst am Anfang stehen.
Wie personalisiert ist die Brustkrebstherapie inzwischen?
Im Vergleich zu anderen Krebsarten sind wir beim Brustkrebs schon recht weit. Die Therapie richtet sich heute nach biologischen Merkmalen des Tumors, zum Beispiel der Hormonempfindlichkeit oder bestimmten Genveränderungen. In den vergangenen fünf Jahren kamen viele zielgerichtete Medikamente und auch Immuntherapien dazu.
Heißt das, die Heilungschancen bei Brustkrebs steigen?
Absolut. Wir sind heute viel weiter als noch vor 20 Jahren. Auch bei einer metastasierten Erkrankung, also wenn der Krebs bereits gestreut hat, gelingt es uns zunehmend, das Leben der Patientinnen deutlich zu verlängern, oft sogar bei guter Lebensqualität. Zwar gilt man in diesem Stadium nicht mehr als heilbar, aber es gibt inzwischen viele wirksame Therapien, mit denen sich der Krebs über längere Zeit kontrollieren lässt.
Wie gut ist die Prognose im Vergleich zu anderen Krebsarten?
Brustkrebs gehört zu den am besten behandelbaren Krebsarten. Über 80 Prozent aller Betroffenen gelten nach der Behandlung als vollständig geheilt. Und selbst wenn es zu einem Rückfall kommt, haben wir heute mehr Therapieoptionen als je zuvor, um das Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten. Das gibt vielen Frauen berechtigte Hoffnung.
- Telefonisches Interview mit Frau Prof. Dr. Wülfing
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.