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China-Experte: "Die jetzige Situation ist extrem gefährlich"


China-Experte
"Die jetzige Situation ist extrem gefährlich"

InterviewVon Frederike Holewik, Patrick Diekmann

Aktualisiert am 18.02.2023Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Wladimir Putin und Xi Jinping: Die beiden betonen immer wieder ihre Freundschaft. (Quelle: Mikhail Svetlov/Getty Images)

Mutmaßliche Spionageballons belasten derzeit die Beziehungen zwischen den USA und China. Im Interview erklärt Experte Mühlhahn, wie problematisch das ist.

Bei der Münchner Sicherheitskonferenz treffen chinesische und US-amerikanische Diplomaten nach den Abschüssen der mutmaßlichen Spionageballons aufeinander. Auf ein erstes Gesprächsangebot von US-Präsident Joe Biden hatte die chinesische Seite eher kühl reagiert.

Klaus Mühlhahn, Sinologe und Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, ist skeptisch, ob es in München zu einer Annäherung kommt. Im Interview mit t-online erklärt er, warum die Kommunikation so schwerfällt, inwiefern Nordkorea vom Ukraine-Krieg profitiert und was die China-Strategie der Bundesregierung gefährlich macht.

t-online: Die Spannungen zwischen den USA und China sind auf einem Höhepunkt, aber zur Sicherheitskonferenz kam immerhin auch eine chinesische Delegation nach München. Herr Mühlhahn, wie bewerten Sie die aktuellen Gesprächskanäle zwischen dem Westen und China?

Klaus Mühlhahn: Die Gesprächskanäle funktionieren nicht sehr gut. Nach dem Abschuss des chinesischen Ballons gab es zwar Gespräche zwischen US-Außenminister Anthony Blinken und dem wichtigsten chinesischen Außenpolitiker Wang Yi, aber da sind scheinbar nur Positionen ausgetauscht worden. Eigentlich hätte man diese Gespräche früher erwartet. Die Kanäle sind also sehr belastet.

Warum provoziert China die USA, Kanada oder Länder in Südamerika mit angeblichen Spionageballons? Das scheint politisch kein schlauer Zug gewesen zu sein.

Es ist fraglich, ob diese Ballonaktion in der chinesischen Regierung gut koordiniert und abgestimmt war. Es gab davor Bemühungen seitens Pekings, die außenpolitische Rhetorik zu dämpfen und der Besuch von Blinken war in Planung. Ausgerechnet in dieser Phase flog der Ballon über die USA und es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder war die Abstimmung zwischen Militär und Politik nicht gut oder Teile des chinesischen Militärs haben absichtlich den Ballon geschickt, um die Gespräche zu torpedieren.

Welches Szenario ist wahrscheinlicher?

Letzteres. Wie ich China einschätze, wäre die politische Führung mit solchen Aktionen eher vorsichtig, besonders im Vorfeld des Blinken-Besuchs. In beiden Fällen sieht China aber nicht besonders gut aus.

Der Ballon hat die Chance auf eine Entspannung für geraume Zeit erst einmal zerstört.

Die jetzige Situation ist extrem gefährlich. Der Ballon hat sofort zu einer hitzigen Debatte in den USA geführt und dann haben die Amerikaner ihren modernsten Kampfjet – eine F-22 – geschickt, um ihn mit einer teuren Rakete abzuschießen.

Immerhin konnten viele Amerikaner tagelang zusehen, wie der Ballon langsam über das Land flog. Ist der Vorfall für Washington ein zusätzliches Argument, um die Europäer zu einer härteren China-Politik zu bewegen?

Klar. In dem großen Konflikt und in dem Ringen um eine neue globale Ordnung bemühen sich China und die Vereinigten Staaten darum, jeweils möglichst viele Staaten auf ihren Kurs zu bringen. Interessant war, wie manche Staaten zum Beispiel in Lateinamerika auf den Ballonvorfall reagiert haben. Venezuela hat etwa den Abschuss des Ballons durch die USA verurteilt.

Klaus Mühlhahn

1963 in Konstanz geboren, studierte er in Berlin Sinologie und wurde dort promoviert. Es folgten Forschungsstationen in Berlin und im US-amerikanischen Berkeley. 2004 wurde Mühlhahn als Professor an die Universität Turku in Finnland berufen. 2014 wurde er Vizepräsident der Freien Universität Berlin, seit 2020 ist er Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.

Wie sieht es für den Westen allgemein in diesem Konflikt aus?

China ist sehr aktiv in vielen Regionen auf der Welt, wir nehmen das oft leider nicht wahr. In Südamerika, auf dem afrikanischen Kontinent. In vielen Regionen wächst der Druck auf Länder, sich entscheiden zu müssen. Das sieht man auch in Bezug auf den Ukraine-Krieg.

Warum?

Europa ist in der Verurteilung der russischen Invasion relativ geschlossen, aber darüber hinaus stimmt das überhaupt nicht. Südafrika, Brasilien oder Indien sind große Länder, die sich nicht klar positionieren möchten.

Aber Indien hat maßgeblich dazu beigetragen, dass der Krieg beim G20-Gipfel in Indonesien so scharf verurteilt wurde.

Das stimmt. Aber es stellt sich trotzdem die Frage, warum Indien weiterhin in großem Umfang Rohstoffe aus Russland kauft und die aktuelle Situation nicht nutzt, um sich deutlich zu positionieren. Das tun sie nicht und das ist sehr auffällig. Indien verweigert sich, obwohl das Land auch Konflikte mit China hat.

Das hat vielleicht auch mit dieser Zeit der globalen Unsicherheit zu tun. Besonders in Asien rüsten viele Mächte militärisch massiv auf: Japan, China, Indien, Südkorea. Inwiefern steigert das die Gefahr einer möglichen militärischen Eskalation?

Die Gefahr ist deutlich gewachsen. China hat zwar auch mit Japan Streit, aber der Brennpunkt ist eigentlich Taiwan. Wir sind da weiterhin in einer Eskalationsspirale und es sieht nicht wirklich gut aus.

Neben dem Ukraine-Krieg gibt es mit Taiwan noch einen weiteren Konfliktherd. Von westlicher Seite gab es in den vergangenen Monaten immer wieder Besuche in Taiwan, was zu Kritik von chinesischer Seite geführt hat. Wie gefährlich ist die Situation dort?

Ein Krieg dort ist nicht unwahrscheinlicher geworden in den vergangenen Monaten. Taiwan ist ganz gefährlich, denn dort verändert sich gerade die innenpolitische Situation. Die westlichen Besuche haben die Unabhängigkeitsbewegung gestärkt. Eine solche Dynamik ist schwer zu kontrollieren.

Was würde passieren, wenn der Westen Abstand von der Ein-China-Politik nehmen würde, der zufolge es nur ein China gibt – inklusive Hongkong, Macau und Taiwan?

Das wäre zwar ein großer Konflikt, aber ich würde eine offene Diskussion einer schleichenden Aushöhlung vorziehen. Denn ich gehe nicht davon aus, dass China auf eine transparente Diskussion mit kriegerischen Handlungen antworten würde. Viel gefährlicher ist hingegen das langsame Zündeln am Pulverfass, also verbal an der Ein-China-Politik festzuhalten, sie de facto aber zu unterlaufen.

Die China-Strategie der Bundesregierung sieht vor, an genau dieser Ambivalenz festzuhalten.

Das halte ich für gefährlich.

"Wolfskrieger"-Außenpolitik

Die Formulierung bezieht sich auf einen chinesischen Kinofilm aus dem Jahr 2017. Unter dem Slogan "Auch tausend Meilen entfernt – wer China angreift, wird dafür bezahlen" tritt darin die chinesische Armee aus Befreier auf. Mit der "Wolfskrieger"-Außenpolitik ist somit ein aggressives Auftreten mit nationalistischem Unterton gemeint, das in den vergangenen Jahren von immer mehr Diplomaten angenommen wurde.

Ist die aggressive "Wolfskrieger"-Außenpolitik der chinesischen Führung in der Volksrepublik umstritten? Sie scheint eher den Westen im Ringen mit China zu einen.

Die "Wolfskrieger"-Außenpolitik ist umstritten. In der Partei und auch anderswo gibt es Personen, die meinen, dass diese Politik der Volksrepublik geschadet habe. Sie sehen neben der Kriegsgefahr auch das Risiko einer internationalen Isolation. Deswegen werten sie die chinesische Außenpolitik der letzten Jahre als großen Fehler, der das Land verletzlich gemacht hat.

Ist die Angst vor Isolation berechtigt?

Durchaus! Welche wirklichen Freunde oder Bündnispartner hat Peking in der Region? Nordkorea vielleicht. Mittlerweile wachsen zwischen China und seinen Nachbarn überall die Spannungen. Die Gefahr ist demnach real und diese Politik wird daher auch in der Partei kontrovers diskutiert.

Was sind die Argumente der Fürsprecher der "Wolfskrieger"-Politik?

Sie gehen vor allem davon aus, dass die USA den weiteren Aufstieg der Volksrepublik blockieren wollen. Dabei setzen sie vor allem auf Härte gegenüber dem Westen und der Nato. Während sich Wirtschaftskreise einen gemäßigten Kurs wünschen, kann die Außenpolitik für das Militär und die Geheimdienste gegenüber dem Westen nicht hart genug sein.

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Wo steht der chinesische Präsident Xi Jinping in dem Richtungsstreit?

Er hatte von Anfang an seiner Karriere sehr enge Beziehungen zum Militär und hat die Armee mit seinen eigenen Leuten besetzt. Außerdem identifiziert sich Xi mit der aggressiven Außenpolitik und er hat sie im vergangenen Jahrzehnt auch persönlich vorangetrieben. Das Militär ist seine Machtbasis, denn das hat er völlig unter Kontrolle.

Aber diese Außenpolitik läuft doch katastrophal für China. Denn der Konflikt mit den USA und dem Westen könnte für Peking nun viel früher kommen als gewünscht.

Das stimmt, die chinesische Führung hat viele Fehler gemacht. Und eines bestätigen mir Kollegen in der Volksrepublik immer wieder: In China gibt es große Angst vor einem Krieg. Natürlich gibt es die Fraktion der Ultranationalisten in der chinesischen Gesellschaft, die einen militärischen Konflikt bejubeln würden. Aber besonders entsetzt hat mich, dass viele Menschen in China Angst haben, dass es zu einem Krieg kommen könnte.

Woher kommt diese Angst?

Aus der globalen Eskalation und aus dem Krisengefühl. China hat aktuell eine Menge Probleme, etwa die wirtschaftlichen Probleme aufgrund der Null-Covid-Politik oder Lokalregierungen, die kein Geld mehr haben. Eskalation und die Betonung militärischer Stärke erscheinen als Ausweg.

Im Laufe des Ukraine-Krieges hat sich Peking immer deutlicher hinter Russland gestellt. Hat Xi damit nicht die globale Blockbildung zementiert?

Die neue Blockbildung ist eigentlich schon Realität. Am Anfang war China sich unsicher und wollte Russland nicht scheitern sehen. Jetzt zeigt sich, dass dieser Krieg noch lange gehen wird und es läuft irgendwann wahrscheinlich auf eine Art Patt wie in Korea hinaus. In diesem Szenario geht es für Peking darum, Putin zu stützen. Je mehr sich Moskau in diesem Krieg verzettelt, desto mehr glaubt China, die russische Macht stützen zu müssen, damit Russland nicht implodiert.

War eine solche Blockbildung unausweichlich?

Nein. In den Sozialwissenschaften hat man lange Zeit in Strukturen und Prozessen gedacht, dem einzelnen Menschen wurde wenig Gewicht beigemessen. Mit Blick auf Personen wie Putin und Xi und ihren großen Einfluss auf den Gang der Ereignisse, stellt sich natürlich schon die Frage, inwiefern es hätte anders laufen können. Zumal der Aufstieg von Xi 2013 auch innerparteilich umstritten und damit keineswegs alternativlos war.

Welche Rolle spielt dabei auch die Beziehung von Putin und Xi untereinander?

Sie sagen immer, dass sie beste Freunde seien. Es sieht so aus, dass beide auf persönlicher Ebene ein gutes Verhältnis haben.

In Asien profitiert ausgerechnet Nordkorea von diesem Krieg. Warum?

Nordkorea liefert Waffen an Russland, und China möchte wahrscheinlich verhindern, dass Kim Jong-un mit seinen Raketen für weiteres Eskalationspotenzial sorgt. Die sicherheitspolitische Lage hat die Stellung Nordkoreas gestärkt.

Könnte China über Nordkorea eigene Waffenlieferungen für Russland verschleiern?

Sicher. China tut aus wirtschaftlichen Gründen einiges dafür, dass es nicht so aussieht, als würden sie westliche Sanktionen verletzen. Gleichzeitig möchte man eine russische Niederlage auf jeden Fall abwenden. Daher sind auch eigene Waffenlieferungen über Nordkorea eine Möglichkeit.

Warum stabilisiert China dagegen Russland?

Peking ist mittlerweile die dominierende Macht in dem russisch-chinesischen Bündnis. China will mit allen Mitteln verhindern, dass Russland eine Niederlage erleidet. Denn für Putin würde eine Niederlage in der Ukraine eine erhebliche Schwächung seiner Position bedeuten und er würde das politisch wahrscheinlich nicht überleben.

Was bedeutet das für die wirtschaftlichen Beziehungen?

Vor allem bei Rohstoffen haben sich die Beziehungen intensiviert, China nimmt beispielsweise viel russisches Gas mit entsprechenden Abschlägen ab.

China ist natürlich nicht nur für Russland ein wichtiger Handelspartner. Weltweit haben die chinesischen Corona-Lockdowns zu unterbrochenen Lieferketten geführt. Nun hat die chinesische Regierung umgeschwenkt. Wieso?

Der wirtschaftliche Schaden durch die Null-Covid-Strategie war immens. Viele Menschen hatten keine Arbeit, haben aber weder Entschädigungen noch Sozialhilfe erhalten. Die einzige Gruppe, die davon nicht betroffen war, waren Regierungsmitarbeiter, an die wurden weiter Löhne gezahlt. Gleichzeitig konnte trotz ständiger Tests und Lockdowns das Virus nicht mehr eingedämmt werden.

Das dürfte doch zu großer Unzufriedenheit in der Bevölkerung führen. Wie instabil ist die Machtbasis der Regierung nach der Corona-Krise?

In der städtischen Mittelklasse sind die Unzufriedenheit und die Kritik sehr groß. Diese Menschen leiden unter der Zensur und der Überwachung. Das geht so weit, dass sie selbst bei privaten Treffen im Familien- und Freundeskreis ihre Handys ausschalten und vor die Tür legen, damit sie nicht abgehört werden können. Auf dem Land ist die Lage weniger angespannt, dort gab es auch nicht so scharfe Lockdowns.

Die Corona-Krise und nicht zuletzt auch der Ukraine-Krieg haben die Anfälligkeit globaler Lieferketten vorgeführt. Wie blickt China auf die nun immer wieder beschworene "Diversifizierung", also eine Verteilung auf verschiedene Produktionsstandorte und damit auch eine potenzielle Abkehr von China?

Zunächst einmal stehen diese Aussagen in einem gewissen Kontrast zu den neusten Handelszahlen, denn die Importe aus China haben deutlich zugelegt. Zudem gibt es auch einen verstärkten Austausch auf Unternehmensebene und es gibt wieder mehr Besuche von chinesischen Delegationen. Auf diesem Weg versucht China die wirtschaftlichen Beziehungen wieder zu stärken.

Wie kommt es denn zu so hohen Importzahlen?

Dahinter steht eine kluge Preispolitik Chinas: Es wird in großen Massen produziert und dann billig abgegeben. Das war auch schon bei der Solarindustrie die Strategie.

Die Produktionsbedingungen sind auch beim Lieferkettengesetz im Fokus. Inwiefern hat sich das auf die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und China ausgewirkt?

Wie ich bisher aus der Wirtschaft gehört habe, haben die meisten deutschen Unternehmen einen Weg gefunden, mit dem Gesetz umzugehen. Daher wirkt es sich bislang kaum aus.

Vielen Dank, für das Gespräch, Herr Mühlhahn.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Klaus Mühlhahn
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