Handelsschiffe in Gefahr "Für die Huthis war der Angriff der USA eine Aufwertung"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die USA und Großbritannien haben Stellungen der Huthi-Rebellen im Jemen angegriffen, nachdem diese Handelsschiffe im Roten Meer beschossen hatten. Was das für die Lage im Nahen Osten bedeutet, erklärt der Politikwissenschaftler Thomas Jäger im Interview.
Mehr als 100 Raketen haben die USA Donnerstagnacht von Schiffen und Flugzeugen auf den Jemen abgefeuert, um Stellungen der terroristischen Huthi-Rebellen zu zerstören. Die britische Luftwaffe griff mit vier Kampfflugzeugen, Drohnen und Marschflugkörpern an, weitere Unterstützung leisteten die Niederlande, Kanada und Bahrain. Der britische Premierminister Rishi Sunak sagte dem Sender BBC, der Einsatz sei nötig gewesen, um Handelsschiffe auf dem Roten Meer zu verteidigen.
- Lesen Sie hier nach: USA und Großbritannien greifen Huthi-Rebellen im Jemen an
Seit Ausbruch des Gazakrieges zwischen Israel und der radikal-islamistischen Terrororganisation Hamas greifen die Huthis immer wieder Schiffe mit angeblich israelischer Verbindung im Roten Meer an. Große Reedereien meiden die wichtige Handelsroute zunehmend. Was der Angriff für die Region bedeutet, erläutert der Politikwissenschaftler Thomas Jäger im Interview mit t-online.
t-online: Herr Jäger, die USA und Großbritannien haben 60 Stellungen der Huthi-Rebellen im Jemen angegriffen. Wie bewerten Sie das?
Thomas Jäger: Aus Sicht der Huthis und des Iran handelt es sich um einen Angriff. Die USA und ihre Verbündeten werden hingegen sagen, sie hätten die Freiheit der internationalen Schifffahrt und ihre Sicherheit gegen die seit Monaten andauernden Angriffe der Huthis verteidigt. Der Sinn dieser militärischen Maßnahmen ist es, die Abschreckung wiederherzustellen. Das haben die USA und ihre Verbündeten seit November mit unterschiedlichen Mitteln versucht.
Was meinen Sie damit?
Zur Abschreckung gehörte zunächst, Kriegsschiffe zu entsenden und anfliegende Raketen und Drohnen der Huthis abzuschießen. Anschließend folgte der Versuch, die Huthis international aufzufordern, ihre Angriffe einzustellen. Der UN-Sicherheitsrat hat dazu eine Resolution beschlossen. Das hat aber alles nicht geholfen. Daher sind die USA und ihre Verbündeten eben jetzt eine Stufe weiter gegangen.
Zur Person
Prof. Dr. Thomas Jäger ist ein deutscher Politikwissenschaftler, Hochschullehrer und Autor. Er hat die Professur für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln inne. Zudem ist er Herausgeber der "Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik" und der Buchreihe "Globale Gesellschaft und internationale Beziehungen".
Der britische Premierminister Rishi Sunak spricht davon, dass die Angriffe begrenzt seien. Heißt das, das war eine einmalige Aktion?
Das kommt auf die Rebellen an. Deren Reaktion auf den Einsatz hängt von zwei Faktoren ab, nämlich ihrem Willen und ihren Fähigkeiten. Der Wille zur Reaktion und Eskalation ist da, ohne Frage. Für die Huthis war dieser Angriff eine Aufwertung. Denn die Großmacht USA misst sich hier mit einer regionalen Terrorgruppe. Ob sie auch die militärischen Fähigkeiten für eine Antwort haben, ist schwer zu sagen. Denn wir wissen nicht, was durch die Angriffe alles zerstört wurde.
Die Huthis haben Vergeltung angekündigt, aber wie diese aussehen könnte, ist noch unklar?
Vor dem Angriff hatten die Huthis ein größeres Arsenal an Raketen und Marschflugkörpern. Damit sind sie in der Vergangenheit insbesondere Handelsschiffen sehr gefährlich geworden. Es kommt darauf an, ob die Terroristen noch ausreichend Raketen haben und vom Iran militärische Informationen erhalten. Dann wird es gefährlicher, zumindest für den Moment. Aber beides wissen wir momentan nicht.
Dafür, dass es der erste Angriff der USA und Großbritanniens auf Huthi-Stellungen im Jemen war, erscheint er mir mit 60 Zielen an 16 Orten relativ massiv.
Wenn die Vereinigten Staaten seit dem 7. Oktober iranische Proxys (Stellvertreter, Anmerkung d. Red.) angegriffen haben, etwa im Irak, handelte es sich häufig primär um Akte der Vergeltung. Es waren symbolische Handlungen, um zu zeigen, dass sich die USA wehren können. Beim Angriff gestern spielte das Symbolische keine große Rolle. Es ging vor allem darum, militärische Fähigkeiten zu zerstören. Daher wurde auch davon abgesehen, die politischen Strukturen der Huthis und deren Führung anzugreifen.
Der Iran unterstützt die Huthis mit Waffen, Geld und Ausbildung von Kämpfern. Ist für das Regime in Teheran jetzt eine rote Linie überschritten?
Der Iran hat für seine Verhältnisse zurückhaltend reagiert. Er will nicht in den Krieg mit den USA ziehen, sondern sie aus dem Nahen Osten vertreiben. Dazu versucht er, die Vereinigten Staaten mit den Konflikten im Jemen, im Irak, Libanon und Syrien unter Druck zu setzen. Das Ziel ist, dass irgendwann in den USA die Stimmung kippt und die Bürger dort sich fragen: Was haben wir eigentlich in der Region zu suchen? Warum setzen wir uns als Weltmacht Nummer eins eigentlich mit Stammeskriegern in einem asymmetrischen Kampf auseinander, der sich immer weiter fortsetzt? Zudem spielt der Konflikt mit den Huthis keine Rolle dafür, wer künftig Weltmacht ist. Der Iran zielt also auf einen Strategiewechsel in den USA ab. Ob er die Terroristen der Huthis so genau dahingehend steuern kann, ist aber ebenfalls eine offene Frage.
Fühlt sich der Iran also durch den Angriff auf die Huthis nicht provoziert?
Der Iran hat die Situation auch bei Israels Kampf gegen die Hamas und Hisbollah nicht eskaliert. Die dortige Regierung muss zudem immer darauf achten, dass äußere Konflikte nicht zu Aufruhr im eigenen Land führen. Daher setzt sie auf eine Strategie der Nadelstiche gegen die USA und ihre Verbündeten. Ob das immer so bleibt, weiß man in der Politik nie.
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Deutschland hat sich nicht an dem Einsatz im Jemen beteiligt. Liegt das daran, dass die Bundesregierung bereits Lenkflugkörper an Saudi-Arabien geliefert hat und über eine Erlaubnis für weitere Kampfflugzeuge nachdenkt? Saudi-Arabien kämpft gegen die Rebellen im Jemen.
Deutschland hat sich an den militärischen Maßnahmen im Jemen nicht direkt beteiligt, sie aber politisch unterstützt und gutgeheißen. Das ist sozusagen alles, was die Bundesregierung gerade kann. Vielleicht ist man in Berlin darüber sogar ganz froh.
Aber was hat es mit den deutschen Rüstungsgeschäften mit Saudi-Arabien auf sich?
Aus meiner Sicht haben diese Geschäfte weniger mit den Huthis zu tun als mit der regionalen Ordnung im Nahen Osten. Der Iran ist laut entsprechenden Berichten innerhalb der nächsten zwölf Monate in der Lage, nukleare Waffen herzustellen. Saudi-Arabien als Irans Widersacher will daher Sicherheitsgarantien von den USA – und die Amerikaner fordern im Gegenzug von den Saudis, sich Israel anzunähern. Die deutschen Waffenlieferungen gehören in diesen Kontext. Diese Konstellation ist übrigens auch ein Grund, warum die US-Amerikaner Israel zu einem anderen, zurückhaltenderen Vorgehen im Gazastreifen bewegen wollen und für eine politische Lösung des dortigen Konflikts werben.
Was würden Sie sagen, wie entwickelt sich die Region weiter?
Die Lage ist komplex. Neben dem Iran und Saudi-Arabien spielt noch die Türkei als dritte große Regionalmacht eine wichtige Rolle. Die Konflikte zwischen den dreien spielen sich auf verschiedenen Ebenen ab, einmal auf der machtpolitischen, aber auch auf der religiösen. In der Türkei und Saudi-Arabien dominieren unterschiedliche Formen des sunnitischen Islams, im Iran der schiitische. Hinzu kommen innenpolitische Entwicklungen: Wird es den Saudis gelingen, ihre Wirtschaft umzugestalten, weg vom Öl? Wie entwickelt sich die iranische Gesellschaft angesichts der Proteste gegen die Regierung? Wird vielleicht bald ein nachhaltiger, günstiger Brennstoff erfunden, der Lieferungen von Öl und Gas zu teuer macht? Diese unbeantworteten Fragen machen es so schwierig, die künftige Entwicklung abzuschätzen.
Kann sich der Konflikt zwischen diesen Regionalmächten denn verschärfen?
Die Möglichkeit besteht. Aber der Kampf mit den Huthis wird nicht die Ursache sein.
Herr Jäger, vielen Dank für das Gespräch.
- Telefoninterview mit Thomas Jäger
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa