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Corona-Pandemie: "China-Strategie der Bundesregierung ist gescheitert"


Peking und die Pandemie
"Die China-Strategie der Bundesregierung ist gescheitert"

  • David Ruch
InterviewVon David Ruch

Aktualisiert am 15.05.2021Lesedauer: 7 Min.
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Ein Bild von Xi Jinping im chinesischen Nationalmuseum: Chinas Präsident setzt Pekings Führungsanspruch in der Welt energisch durch.Vergrößern des Bildes
Ein Bild von Xi Jinping im chinesischen Nationalmuseum: Chinas Präsident setzt Pekings Führungsanspruch in der Welt energisch durch. (Quelle: Tingshu Wang/reuters)

Impfstoff gegen Gefälligkeiten: Peking nutzt die Pandemie für seine geopolitischen Ambitionen. Der FDP-Politiker Ulrich Lechte meint, es sei höchste Zeit für den Westen, dem System China die Stirn zu bieten.

Eine Expertengremium hat der Weltgemeinschaft diese Woche ein mangelhaftes Zeugnis für die Reaktion auf den Ausbruch der Corona-Pandemie ausgestellt. Die "katastrophale humanitäre Krise" hätte verhindert werden können, wenn die WHO früher Alarm geschlagen und einzelne Länder konsequenter reagiert hätten, heißt es im Bericht eine unabhängigen Expertengruppe für die Weltgesundheitsorganisation WHO. Mit einigen Staaten geht das Gremium hart ins Gericht, freilich ohne diese namentlich zu nennen. Vielerorts hätten staatliche Institutionen versagt und leugnende Staats- und Regierungschefs das Vertrauen in die nötigen Maßnahmen zersetzt. Die USA oder Brasilien dürften sich angesprochen fühlen.

Kleinlaut bleibt der Bericht hingegen bei China, das der Welt nachweislich Informationen vorenthielt und die weltweite Verbreitung des Virus wohl begünstigte. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Ulrich Lechte spricht von Vertuschung und knallharter Machtpolitik, mit der die Führung in China seine geopolitischen Ambitionen während der Pandemie noch forciert hat. Im Gespräch mit t-online erläutert der Vorsitzende des Bundestags-Unterausschusses 'Vereinte Nationen, internationale Organisationen und Globalisierung', wie Peking seinen Einfluss in den multilateralen Strukturen vergrößert und was das für Deutschland und die anderen westlichen Demokratien bedeutet.

t-online: Versucht China, die Corona-Pandemie außenpolitisch für sich zu nutzen?

Ulrich Lechte: Auf jeden Fall, schon seit Anfang der Pandemie. Nachdem Peking zunächst versucht hatte, die Suche nach der Herkunft des Virus auszubremsen und Informationen zu vertuschen, stilisiert es sich nun zum Retter in der Not mit der Lieferung von Impfstoffen. Dafür verlangt es im Gegenzug allerdings Gefälligkeiten.

Was für Gefälligkeiten?

Zum Beispiel, dass der belieferte Staat Stillschweigen zu den Demokratieprotesten in Hongkong bewahrt. Das Thema bekommt mittlerweile deutlich weniger Aufmerksamkeit, obwohl der Aktivist Joshua Wong inzwischen zum zweiten Mal wegen der 2019er-Proteste zu einer Haftstrafe verurteilt wurde – als 20-Jähriger, der nur für Demokratie kämpft. Oder es werden Staaten unter Druck gesetzt, die zu Taiwan diplomatische Beziehungen unterhalten.

Haben Sie da ein Beispiel?

Paraguay etwa wurde zu verstehen gegeben, dass es seine diplomatische Anerkennung Taiwans zurückziehen solle. Nur dann könne es Impfstoff bekommen. Gott sei Dank ist Indien eingesprungen und hat Paraguay entsprechend versorgt.

Aber es passiert auch in Europa. Serbien z.B. hat große Impfstoff-Chargen von China sowie von Russland erhalten, das im Übrigen das gleiche politische Spiel wie China mit Sputnik V macht. Über Serbien, wie auch über Ungarn, versucht Peking nun, seine Interessen in Europa voranzubringen. Um es klar zu sagen: Ja, China nutzt die Krise, die durch Covid-19 in vielen Ländern entstanden ist, um knallhart Politik zu machen.

Übt China denn auch innerhalb von Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation WHO Druck aus?

Es ist bekannt, dass Taiwan die WHO schon im Januar 2020 auf die Mensch-zu-Mensch-Übertragung des Virus aufmerksam gemacht hatte. Doch das wurde ignoriert, weil Taiwan nicht Mitglied der WHO ist – aufgrund des Einflusses Chinas. Zwischen 2009 und 2016 hatte Taiwan einen Beobachterstatus bei der WHO, seit 2017 aber nicht mehr. Damals hatte der Äthiopier Tedros Ghebreyesus mit Unterstützung Chinas gerade den Posten des Generaldirektors der WHO übernommen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Warum gibt es denn keinen ernsthaften Druck des Westens gegen dieses Auftreten Pekings?

Das ist in der Tat eine spannende Frage. Die Chinesen treten mittlerweile aggressiver auf. Das muss man sagen. Die Zeit, in der China sich nur um sich selbst gekümmert hat, ist lange vorbei. Chinas Neue Seidenstraße-Initiative verfolgt die klare außenpolitische Strategie, Länder wirtschaftlich abhängig von Peking zu machen und in Schuldenfallen zu locken. Man kennt das aus Afrika beim Bau von Infrastrukturprojekten.

Der Westen hat das meines Erachtens endlich erkannt. Die Allianz der Demokratien, die US-Präsident Joe Biden voranbringen will und ähnlich wie die Allianz der Multilateralisten von Außenminister Maas funktionieren soll, ist genau darauf ausgerichtet – dem Drang Chinas nach Einfluss Einhalt zu gebieten. Beim Thema Impfstoff etwa kann der Westen über die COVAX-Initiative Einfluss nehmen und Vakzine in die wirtschaftlich schwächeren Länder bringen.

Wie tief reicht denn der Einfluss Chinas in Europa inzwischen?

Peking hat sich bereits in verschiedene Bereiche eingekauft. Nehmen wir den Hafen von Piräus in Griechenland. Es findet eine enge Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen mit Belgrad statt. Es gibt viele andere Deals mit Staaten vor allem in Südosteuropa, bei denen es um viel Geld geht. Nicht ohne Grund heißt es in Brüssel, dass die Chinesen längst mit an den Ratstischen sitzen, dass sie über ihren Einfluss auf bestimmte Regierungen auch direkten Einfluss auf die Europäische Union nehmen.

Wir müssen als Europäer für unsere demokratische Ordnung einstehen. Oder wollen wir eines Tages in einer chinesischen Welt erwachen, wo der Kommunismus durch die Hintertür gesiegt hat?

Sie haben einen guten Einblick in die internationalen Organisationen. Wie ist es China gelungen, seinen Einfluss dort auszubauen?

Die Führung in Peking hat vor allem die Präsidentschaft von Donald Trump dazu genutzt, Spitzenpersonal in den Organisationen zu besetzen. Beispielsweise Herr Tedros bei der WHO, aber auch diverse Untergeneralsekretäre und Direktoren bei den Vereinten Nationen.

Ist der Westen lange zu blauäugig mit China umgegangen?

Wir müssen uns endlich von der Vorstellung verabschieden, dass unser Modell vom Wandel durch Handel irgendwann zum Erfolg führt. Im Gegenteil: Die Strategie der Bundesregierung ist eigentlich gescheitert. Die Demokratisierung Chinas ist spätestens unter Xi Jinping komplett gestoppt worden und längst ins Gegenteil umgeschwungen. Es fehlt die europäische, die westliche Antwort darauf, dass China wie ein Drogenhändler Geld in den Entwicklungsländern verteilt und so die Staaten in seine Abhängigkeit bringt.

Das Bild vom Drogenhändler müssen Sie genauer erklären.

Man kann auch von einem Kredithai sprechen. Ein einfaches Beispiel: Sie brauchen dringend Geld, aber niemand gibt Ihnen welches, weil Sie überschuldet sind. Dann kommt der Kredithai ums Eck und sagt: Ich zahle Ihnen die Schulden. Dafür müssen Sie mir aber hohe Prozente zahlen. Viele nehmen verzweifelt an. China weiß, wann ein Staat in der Schuldenfalle steckt und legt dann Geld auf den Tisch. Beispiel Uganda: Die westlichen Staaten hatten bei dem Land einen Schuldenschnitt gemacht. Uganda war damit entschuldet, hat sich aber binnen kürzester Zeit wieder bei China verschuldet. Im Gegenzug hat sich Peking den Zugang zu Ressourcen in Uganda gesichert.

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Was kann man denn mit Blick etwa auf die internationalen Organisationen tun?

Man muss versuchen, für Ausgleich zu sorgen. Unser derzeitiger Entwicklungsminister Gerd Müller strebt zum Beispiel die Nachfolge eines Chinesen bei der UNIDO, also der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung, an. Wir fordern aber auch, dass bei der WHO Mitglieder künftig verpflichtet werden, im Fall einer Pandemie mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten. Ein Verhalten wie das Chinas, das erst Monate nach dem Ausbruch der Pandemie ein Untersuchungsteam ins Land gelassen hat, darf sich nicht wiederholen.

Was tut denn die Bundesregierung?

Bislang ist sie viele Antworten schuldig geblieben, was etwa die Frage von chinesischen Investitionen und den Einstieg von chinesischen Firmen in Deutschland und Europa angeht. Denn der Zugang zum chinesischen Markt ist nicht gleich. Deshalb bin ich froh, dass wir im September einen Wechsel im Kanzleramt bekommen, weil wir uns gegenüber China neu aufstellen müssen. Denn inzwischen stellt sich die Systemfrage. Früher ging man davon aus, dass nur die Demokratie einen Staat zu Wohlstand führen kann, siehe die USA, Europa und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. China aber hat einen anderen Weg gefunden über seinen Staatskapitalismus. Wenn chinesische Firmen Geldprobleme haben, dann springt der Staat sofort ein. Das ist bei uns nicht so und das verschafft China in verschieden Bereichen große Wettbewerbsvorteile. Für unsere Wirtschaft muss Waffengleichheit hergestellt werden.

Ihr Bundestagskollege Peter Beyer von der CDU, Transatlantikkoordinator der Bundesregierung, hat in der „Zeit“ eine „Allianz der Stärke“ gegenüber Peking gefordert. Ist eine solche Allianz absehbar?

Zumindest bewegt sich etwas, wie man beim Gipfel der G7-Außenminister gesehen hat. Man sagt endlich, dass man Taiwan dabei haben möchte in der WHO – wenngleich sich die G7 um einen formellen Antrag noch drücken. Das muss natürlich ausgebaut werden. Man muss Antworten finden auf die Bedrohung, die von China und seiner Staatswirtschaft für die Welt ausgeht. Es kann doch nicht sein, dass kleine Staaten in der Pandemie von Peking so dermaßen unter Druck gesetzt werden, um an Impfstoff zu kommen. Da muss die westliche Welt handeln und beispielsweise selbst Impfstoff zur Verfügung stellen. Aber man muss China ebenfalls über Covid hinaus klarmachen, dass wir nicht vorhaben, das chinesische System global zu installieren.

Was erwarten Sie von der Bundesregierung?

Die Bundesregierung muss das Thema Menschenrechte in den chinesisch-deutschen Regierungskonsultationen ernsthaft und nicht nur am Rande auf den Tisch bringen. VW betreibt seit Jahren ein Werk in der Provinz Xinjiang, der Heimat der Uiguren, dass von Umerziehungslagern umgeben ist. Es wird Zeit, hier eine deutliche Sprache zu finden. Deutschland wird China nicht katholisch machen, das ist klar. Aber wir können den Schulterschluss suchen mit Demokratien, die China viel kritischer gegenüberstehen, wie Japan, Australien oder Neuseeland, die die Bedrohung direkt vor der Haustür haben.

Das könnte am Ende in einer Konfrontation mit China münden.

Das 21. Jahrhundert wird wesentlich vom Aufstieg Chinas und der Frage bestimmt werden, welche Supermacht sich letztlich durchsetzt: die USA oder China? Schauen Sie sich an, welche gewaltigen militärischen Kapazitäten China binnen kürzester Zeit aufgebaut hat, Nukleararsenale, die Washington erreichen können, zudem eine riesige Marine. Ein Konflikt ist absehbar.

Gerade deshalb müssen Fragen der Menschenrechte noch viel stärker angesprochen werden. Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass wir bei Taiwan eines Tages vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Wir müssen die multilaterale Ordnung, die im 20. Jahrhundert nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurde, schützen und wieder stärken. Aber dabei dürfen wir uns nicht nur um uns selbst kümmern. Wir müssen die Staaten, die durch den zuvor beschriebenen „Drogenhandel“ in Chinas Abhängigkeit geraten sind, aus der Umklammerung lösen und ihnen ein europäisches und nordamerikanisches Angebot machen. So kann auch der Einfluss Chinas in der Generalversammlung der Vereinten Nationen zurückgedrängt werden.

Herr Lechte, vielen Dank für das Gespräch.

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