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Russland und die Taurus-Abhöraffäre: Putin löst Lawine in Deutschland aus


Russlands geheimer Angriff auf Deutschland
Putin löst eine Lawine aus


04.03.2024Lesedauer: 6 Min.
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Wladimir Putin im Winterurlaub 2021 (Archivbild): Russland hat mit der Veröffentlichung der Bundeswehr-Leaks politische Debatten in Deutschland ausgelöst. (Quelle: SPUTNIK/reuters)

Ein abgehörtes Gespräch deutscher Luftwaffenoffiziere bringt Kanzler Scholz in Bedrängnis. Wladimir Putin hat Deutschland gezielt mit einer Aktion aus dem KGB-Spionagehandbuch getroffen.

Die Aufregung ist noch immer groß. Hochrangige Offiziere der deutschen Luftwaffen tauschen sich in einem Gespräch über den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern in der Ukraine aus – und Russland hört mit. Als russische Staatsmedien das komplette Gespräch dann am Samstag veröffentlichen, löst Kremlchef Wladimir Putin eine politische Lawine in Deutschland aus. Experten und viele Politiker sind sich einig: Der Vorfall ist eine Blamage für die Bundesrepublik. Mehr zum Bundeswehr-Leak lesen Sie hier.

Video | Russischer Propagandist lobt Kanzler
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Quelle: t-online

Besonders in der Kritik steht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Denn das abgehörte Gespräch belegt das, was ein Großteil der deutschen Militärexperten in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder erklärten: Es braucht keine Beteiligung deutscher Soldaten für den Einsatz von Taurus in der Ukraine. Scholz hat seine Absage zur Lieferung der Marschflugkörper also mit falschen Gründen untermauert und daneben auch noch für große Wut in Großbritannien und in Frankreich gesorgt.

Putin ist der Gewinner. Russland hat es geschafft, einen Keil in die deutsche Politik zu treiben. Es ist nun noch unwahrscheinlicher geworden, dass Deutschland zeitnah Taurus an die Ukraine liefern wird und das internationale Vertrauen in die Bundesrepublik ist beschädigt. Besser hätte es für den Kremldespoten kaum laufen können.

Russland verstärkt den hybriden Krieg gegen Deutschland

Die westlichen Partner der Ukraine befinden sich in einem hybriden Krieg mit Russland. Der Kreml nutzt dafür aggressive Desinformationskampagnen, um auch die deutsche Politik unter Druck zu setzen. Putin weiß, dass ein relevanter Teil der deutschen Bevölkerung Angst vor einer Eskalation des Ukraine-Krieges und vor einer deutschen Kriegsbeteiligung hat. Das nutzt er schamlos aus.

Russland möchte eine mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine verhindern. Denn obwohl der Kanzler dies ausgeschlossen hatte, ist die Sorge in Moskau vor diesem Szenario noch immer groß. Immerhin wollte Deutschland zunächst auch keine Panzer liefern, tat es am Ende aber doch. Taurus wäre eine Gefahr für russische Logistiklinien in dem Krieg und für die Kertsch-Brücke, die vom russischen Festland zur von Russland völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim führt.

Die von Russland veröffentlichten Bundeswehr-Leaks sind also vor allem eines: ein gezielter russischer Spionageangriff auf Deutschland.

In der abgehörten Besprechung, an der auch der Chef der Luftwaffe Ingo Gerhartz teilnahm, ging es jedoch im Kern darum, ein Engagement deutscher Soldaten bei einer möglichen Lieferung von Taurus zu verhindern. Als mögliche Ziele für Taurus in der Ukraine wurden dabei russische Waffendepots und die Kertsch-Brücke genannt. Diese Ziele würden aber von der ukrainischen Armee festgelegt werden und sie sind für die öffentliche Debatte wenig überraschend.

Der stellvertretende Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Christian Mölling, sagt zu t-online: "Putin wollte, dass diese Informationen gesendet werden und das ist entscheidend." Moskau wolle diese innenpolitischen Auseinandersetzungen in Deutschland. Der Sicherheitsexperte weiter: "Kanzler Scholz hat eine rote Linie gezogen und Putin hat diesen wunden Punkt erkannt. Es stand niemals zur Debatte, dass Deutschland Kriegspartei wird. Aber Teile der deutschen Politik haben 'Kriegspartei' zum Kampfbegriff gemacht."

"Putin freut sich"

Die russische Führung versucht immer wieder, mit gezielten Nadelstichen die Kriegsangst in Deutschland zu nähren. Bestes Beispiel dafür sind die Ausführungen des ehemaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew. Versuche, das Gespräch der Bundeswehroffiziere als ein bloßes Gedankenspiel über Raketen und Panzer darzustellen, seien "böswillige Lügen", hatte der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats am Sonntag im Onlinedienst Telegram geschrieben. "Deutschland bereitet sich auf einen Krieg mit Russland vor", behauptet er.

Der Kreml gibt natürlich nicht zu, dass russische Geheimdienste für die Abhöraktion verantwortlich sind. Der Rückschluss liegt allerdings nahe, da russische Staatsmedien den Mitschnitt zuerst veröffentlichten und vor allem Russland von dem gegenwärtigen Chaos in Deutschland profitiert.

Kremlsprecher Dimitri Peskow legt am Montag nach. Er nennt die abgehörten Gespräche einen angeblichen Beleg für die direkte Beteiligung westlicher Staaten an dem Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Der Mitschnitt zeige, dass die Bundeswehr konkrete Schläge gegen russisches Gebiet plane. Nun sei wichtig, herauszufinden, ob die Bundeswehr auf eigene Initiative solche Planspiele veranstalte, oder ob dies Teil der staatlichen deutschen Politik sei.

Dieses Spiel der hybriden Kriegsführung beherrscht Russland laut Experten ausgesprochen gut. Der Militär- und Russlandexperte Gustav Gressel sagt t-online: "Putin freut sich." Er befeuere die Angst in Deutschland vor einer Eskalation des Krieges. "Der Kreml verdreht Tatsachen und stellt das abgehörte Gespräch in einen völlig falschen und unsinnigen Zusammenhang."

Scholz hat sich in ein Dilemma manövriert

Trotzdem ist der politische Schaden in Deutschland groß, auch weil sich der Bundeskanzler in der Taurus-Debatte zuvor schon verfahren hatte. "Der Grund des Kanzlers für die Absage an Taurus-Lieferungen ist nicht mehr haltbar", meint Mölling. "Scholz kommt nun aber aus der politischen Ecke nicht mehr heraus. Das weiß aber auch Russland und deswegen streuen sie die Information. Sie verstärken die Debatte in Deutschland, indem sie ihr noch einmal Futter geben."

Scholz hat sich selbst in ein Dilemma manövriert. Nun steht von der Opposition im Bundestag der Vorwurf im Raum, dass er die deutsche Öffentlichkeit getäuscht habe und die Union bringt einen Untersuchungsausschuss ins Gespräch. "Putin manipuliert uns, indem er die Debatte in Deutschland maßgeblich beeinflusst. Für ihn ist das ein großer Erfolg", sagt Mölling. "Scholz könnte jetzt Stärke demonstrieren und Taurus liefern. Aber das wäre politisch eine 180-Grad-Wende."

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Aber wenn sich Scholz in der Taurus-Frage umentscheiden würde, sähe es so aus, als hätte er sein Nein auf Basis falscher Informationen getroffen. Der politische Schaden wäre enorm und von dieser Situation profitiert vor allem Russland. Militärexperte Gressel sagt dazu: Die Bundesregierung habe ihre Entscheidung auf einer "falschen Fakten-Basis" getroffen. "Damit hat Scholz eine Lawine der emotionalisierten Fehlinformationen losgetreten, auf die die Russen jetzt natürlich wie auf einem Klavier spielen."

Vertrauen in Deutschland beschädigt

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Russlandmit der Veröffentlichung des Gesprächs auf eben diese Konsequenzen gesetzt hat. Aber für Putin kommt es noch besser: Denn auch innerhalb des westlichen Bündnisses steht Deutschland in der Kritik.

Schon mit seinen Ausführungen auf der dpa-Chefredaktionskonferenz hatte der Kanzler eine kleine diplomatische Krise ausgelöst. Scholz erklärte am 26. Februar: "Das, was die Briten und Franzosen an Zielführung und Zielbegleitung machen, kann Deutschland nicht leisten." Das Problem dabei: Er hatte damit angedeutet, dass Frankreich und Großbritannien Soldaten vor Ort, also im Kriegsgebiet, stationiert haben und stieß damit die Nato-Mitgliedstaaten vor den Kopf.

In Großbritannien reagiert man selten auf deutsche Politik, dieses Mal aber war die Empörung groß. Höchste politische und militärische Kreise sprachen von "Unprofessionalität" oder von "Geheimnisverrat". Der ehemalige britische Verteidigungsminister Ben Wallace meinte: Scholz sei "der falsche Mann im falschen Job zur falschen Zeit". Auch die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im britischen Parlament, Alicia Kearns, wurde besonders deutlich: Die Äußerungen des Kanzlers seien "falsch, unverantwortlich und ein Schlag ins Gesicht der Verbündeten".

"Das ist eine gravierende Entwicklung"

Die abgehörten Gespräche gießen nun noch mehr Öl ins Feuer, denn auch darin unterhalten sich die Luftwaffenoffiziere über britische oder französische Lieferkapazitäten für Marschflugkörper. "Die Briten kritisieren die Bundesregierung dafür, dass sie Geheimdienstinformationen oder geheime Informationen quasi veröffentlichen", sagt Mölling t-online. Es gebe da mindestens ein unterschiedliches Verständnis von der Sensibilität solcher Daten. "Das ist eine gravierende Entwicklung, die an der ein oder anderen Ecke nachteilig für uns sein kann."

Der Sicherheitsexperte meint damit vor allem den Vertrauensverlust, der das künftige Teilen von Geheimdienstinformationen mit Deutschland negativ beeinflussen könnte. "Der Flurschaden ist groß, das Vertrauen in Deutschland ist beschädigt. Wir müssen uns vor Augen führen, dass Anschläge in der Bundesrepublik verhindert werden konnten, weil es Informationen von amerikanischen oder britischen Diensten gab", so Mölling. "Wenn nun Großbritannien oder die USA ihre Informationsweitergabe an Deutschland hinterfragen, wird das zum Problem."

Der Profiteur scheint klar: Es ist Putin. Sein Geheimdienstangriff auf Deutschland hat wahrscheinlich einen größeren Effekt gehabt, als der Kreml selbst erwarten konnte. Das zeigt auch, dass Deutschland in vielen Bereichen die aktuelle Bedrohungslage durch Russland nicht verinnerlicht hat. Im Bundesverteidigungsministerium geht es auch darum, Lücken zu schließen, um derartige Spionageangriffe nicht mehr zu ermöglichen. Doch das abgehörte Gespräch ist "ein Zeichen dafür, dass die Bundeswehr an vielen Punkten einfach noch nicht fit für das neue Umfeld ist", so Mölling – auch zwei Jahre nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine.

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Christian Mölling und Gustav Gressel
  • Nachrichtenagenturen dpa, rtr und afp
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