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China und Russland: "Putin will beweisen, dass er nicht außer Kontrolle ist"


"Putin will beweisen, dass er nicht außer Kontrolle ist"

Von Patrick Diekmann und Marc von Lüpke

Aktualisiert am 16.05.2022Lesedauer: 8 Min.
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Xi Jinping und Wladimir Putin: China wird Russland auch in der Zukunft stützen, sagt Experte Klaus Mühlhahn.Vergrößern des Bildes
Xi Jinping und Wladimir Putin: China wird Russland auch in der Zukunft stützen, sagt Experte Klaus Mühlhahn. (Quelle: Kremlin Pool PUBLICATION/imago-images-bilder)

Russland bekriegt die Ukraine, ein noch größerer Konflikt könnte dem Westen allerdings mit Peking drohen. Warum China aber zurzeit schwächer ist, als es Staatspräsident Xi Jinping wünscht, erklärt Experte Klaus Mühlhahn.

Viel Sympathie genießt Russland seit dem Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine weltweit nicht mehr. Selbst China, das ein enges Verhältnis zu Wladimir Putin pflegt, lehnt den Konflikt ab. Eigentlich. Denn eine komplette russische Niederlage kann Peking kaum zulassen.

Das sagt mit Klaus Mühlhahn einer der angesehensten deutschen China-Experten. Warum China für den Westen eine noch größere Herausforderung als Russland bedeutet, weshalb der chinesische Staatspräsident Xi Jinping weit weniger fest im Sattel sitzt, als ihm lieb ist, und weshalb die Demokratiebewegung in Hongkong viel stärker unterstützt werden müsste, erklärt Mühlhahn im Gespräch.

t-online: Professor Mühlhahn, Russland hat die Ukraine attackiert, der Westen hat die Reihen erstaunlich weit geschlossen. Wird diese Entschlossenheit auch für eine mögliche Konfrontation mit China reichen?

Klaus Mühlhahn: Das wird die Zukunft zeigen. Hoffen wir, dass es nicht zur Machtprobe mit Peking kommt. Denn China ist langfristig gesehen für den Westen eine wesentlich größere Herausforderung als es Russland ist.

Weil wir uns vom russischen Gas unabhängig machen können, aber nicht vom gigantischen chinesischen Wirtschaftsmarkt?

Russlands Bedeutung für unsere Energieversorgung nimmt bereits ab, unsere Abhängigkeit von der chinesischen Industrie und den dortigen Märkten ist hingegen weiterhin gewaltig. In Deutschland wie im Westen insgesamt ist man sich zudem höchst uneinig, wie man mit Peking umgehen soll. Eine einheitliche Linie ist aber dringend zu empfehlen, um möglichen zukünftigen Krisen schnell und entschlossen begegnen zu können.

Stichwort Krise: In Sachen Ukraine war der Westen lange ungläubig, dass Wladimir Putin das Land angreifen würde. Wie steht China zum russischen Krieg im Osten Europas?

China kann durch Putins Krieg nichts gewinnen. Deshalb sieht das Land den russischen Angriffskrieg aller öffentlicher Propaganda zum Trotz durchaus kritisch. Selbstverständlich beobachtet Peking das Geschehen auch genau – und zieht seine Schlüsse daraus.

Klaus Mühlhahn, Jahrgang 1963, ist Professor für Sinologie und Präsident der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Zuvor war er Vizepräsident der Freien Universität Berlin. Mühlhahn gilt als führender China-Experte, 2009 wurde der Forscher mit dem John-King-Fairbank-Preis der American Historical Association ausgezeichnet. Gerade erschien Mühlhahns neues Buch "Hongkong. Umkämpfte Metropole: Von 1841 bis heute" (mit Julia Haes), einmal im Monat ist er in seinem kostenfreien Podcast "China ungeschminkt" (mit Anja Blanke und Julia Haes, erhältlich überall wo es Podcasts gibt) zu hören.

Welche sind das?

China weiß ganz genau, dass die Weltmärkte immer noch Märkte sind, die im Wesentlichen westlicher Kontrolle unterstehen. Diese Erfahrung macht Moskau gerade. Deshalb wird China für Putin keine Risiken eingehen, solange sich das vermeiden lässt. Die Folgen wären einfach kaum kalkulierbar. Im Gegenzug unternimmt die chinesische Regierung Versuche, sich zumindest teilweise von der westlichen Abhängigkeit abzukoppeln. Indem etwa Unternehmen aufgespaltet werden in einen chinesischen und einen internationalen Teil.

Um so die Auswirkungen etwaiger westlicher Sanktionen abzufedern.

Genau. Außerdem versucht man mit gentechnischen Mitteln Saatgut so zu verbessern, dass das Land nicht mehr so stark auf den globalen Markt für die Versorgung mit Lebensmitteln angewiesen ist.

Nun hat Staatspräsident Xi Jinping, der das Land seit fast zehn Jahren führt und das auch weiterhin tun will, große Probleme: Der Wirtschaft geht es zum Beispiel für chinesische Verhältnisse schlecht, die Null-Covid-Strategie mit der Stilllegung etwa Shanghais ist immer umstrittener.

China befindet sich zweifelsohne nicht in der Form, in der Xi Jinping das Land gerne sähe. Das sorgt selbstverständlich auch für Unmut, der sich allerdings nicht öffentlich äußert. Vieles hängt davon ab, ob Xi Jinping die Situation wieder beruhigen kann. Baustellen gibt es genug, vor allem muss die Wirtschaft wieder richtig laufen. Covid-19 wird Xi Jinping weniger schaden, auch wenn nun herauskommt, dass bei der Bekämpfung von Corona in China viel Schlamperei passiert ist.

Xi Jinping strebt vor allem eine weitere Amtszeit als Generalsekretär der Kommunistischen Partei an. Nun berichtete die durchaus umstrittene "Washington Times" kürzlich, dass Xi Jinping möglicherweise sogar zurücktreten wird wegen der Kritik an seiner harten Corona-Politik. Was ist davon zu halten?

Xi Jinping wird wiedergewählt werden, daran besteht zurzeit wenig Zweifel. Aber unumstritten wird dies kaum sein. Tatsächlich ist die Kommunistische Partei keineswegs ein derart monolithischer Block, wie es die Propaganda gerne darstellt. Die Geschichte des Kommunismus in China ist von erbitterten Machtkämpfen geprägt – und ich kann mir nicht vorstellen, dass das vorbei sein soll. Vor allem hat Xi Jinping aber eines bewiesen bei seinem Aufstieg an die Spitze: Er ist bereit, überaus unnachgiebig zuzuschlagen. Mit der Anti-Korruptionskampagne hat er seine Rivalen einsperren lassen. Ob sich seine Widersacher daher aus der Deckung trauen werden, ist ungewiss.

Genau wie voraussichtlich Xi Jinping hatte auch John Lee, der neue Regierungschef in Hongkong von Pekings Gnaden keinen Gegenkandidaten. Was lässt das für die Stadt am Perlfluss ahnen, in der Regierung und Behörden die Demokratiebewegung drangsalieren?

John Lee ist definitiv ein Hardliner, der Pekings Interessen weiter energisch verfechten wird. Für die Demokratiebewegung in Hongkong ist das ein schlechtes Zeichen.

Mit "Hongkong. Umkämpfte Metropole" haben Sie gerade ein Buch zur Geschichte dieser so großen, aber im Vergleich zum übrigen China so winzigen Stadt veröffentlicht. Was ist das Besondere an Hongkong?

Hongkong ist ein faszinierender Sonderfall, für den es in der Geschichte kaum eine Parallele gibt. 156 Jahre hatten die Briten Hongkong beherrscht, bis sie die Stadt 1997 an China zurückgaben. In diesem Zeitraum war Hongkong ein wichtiges Ein- und Ausgangstor für China. Durch Hongkong sind selbst unter den Bedingungen des Kalten Krieges Informationen, Technologie und Kapital auf das chinesische Festland geflossen. Das Wirtschaftswunder, das China seit einigen Jahrzehnten erlebt, wäre ohne das Kapital und die Investitionen aus Hongkong gar nicht möglich gewesen.

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Was bedeutet, dass den kommunistischen Machthabern die britische Kronkolonie an ihrer Flanke gar nicht so unlieb gewesen ist?

Peking wusste das britische Hongkong durchaus zu schätzen. Mao Zedong war etwa bekannt dafür, dass er als begeisterter Tänzer immer wieder zu entsprechenden Veranstaltungen lud. Und woher bezog er im isolierten China Plattenspieler und Schallplatten? Aus Hongkong selbstverständlich. Dazu passte, dass die Briten zwar autoritär in Hongkong geherrscht haben, aber gegen keinerlei politische Richtung einschritten, solange sich diese friedlich verhielt. So wurden in Hongkong Nationalisten, Kommunisten und Demokraten geduldet. Zugleich hat Großbritannien als traditionsreiche europäische Demokratie wenig dafür getan, in Hongkong demokratische Strukturen zu etablieren.

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Das wollten viele Einwohner Hongkongs nach der Rückgabe der Stadt an China stattdessen tun. Zum Missfallen der Kommunistischen Partei.

Das britische Modell einer autoritären Kolonialregierung hat den Kommunisten eigentlich ganz gut gefallen. Deswegen hatten sie bei der Übernahme Hongkongs auch nicht erwartet, dass die Stadt sich auf irgendeine Weise jemals zu einem Einfallstor für demokratische und freiheitliche Gedanken nach China entwickeln könnte. Diese Denkweise haben sie dann schnell revidieren müssen.

2019 kam es in der sogenannten Sonderverwaltungszone Hongkong zu schweren Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten. Grund war ein Gesetzentwurf, der Auslieferungen von Hongkong an die Volksrepublik möglich machen sollte.

Die überaus berechtigten Forderungen der Demonstranten nach Beachtung der Freiheitsrechte wurden vom Westen rhetorisch unterstützt, ansonsten ist allerdings nicht viel passiert. Und das war ein Fehler. Wenn wir im Westen die Demokratie predigen, müssen wir auch stärker dafür einstehen. Statt Hongkong sich selbst zu überlassen, wie es nach 1997 geschehen ist.

Wie kann und wie soll der Westen aber mit Mächten umgehen, die derart aggressiv bei der Verfolgung ihrer Ziele agieren? Russland etwa kann sich weiterhin der Unterstützung Pekings sicher sein.

Interessant ist, was in China selbst vorgeht. Einerseits versucht die chinesische Führung die öffentliche Meinung zugunsten Russlands zu manipulieren. Andererseits gibt es zum Beispiel im chinesischen Internet immer wieder Kritik an Putin und Solidaritätsbekundungen für die Ukraine.

Derart abweichende Beiträge werden von der Zensur sicher schleunigst gelöscht?

Selbstverständlich werden sie gelöscht. Aber gleichwohl sind diese Äußerungen ein Zeichen, dass es abweichende Meinungen im öffentlichen Raum gibt. Und die Propaganda der chinesischen Regierung nicht so überzeugend ist, wie sie es gerne hätte.

Für Russland ist die Nato der Erzfeind. Wie sieht man das Verteidigungsbündnis im weit entfernten China?

China sieht eine lange Kontinuität westlicher Aggressionen. Diese reicht vom Krieg in Vietnam über die Konflikte in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen bis hin zur Ukraine der Gegenwart. Auch wenn viele Chinesinnen und Chinesen den russischen Angriff auf die Ukraine für falsch halten, existiert in der Volksrepublik trotzdem ein großes Misstrauen, dass die Nato diesen Konflikt provoziert haben könnte. Ein Beispiel wäre der amerikanische Krieg gegen den Irak 2003, der mit der Existenz von Massenvernichtungswaffen in irakischer Hand begründet worden ist. Nur gab es diese eben nicht.

An dem Irakkrieg war die Nato aber nicht beteiligt.

China macht keinen Unterschied zwischen den USA und der Nato angesichts der militärischen und politischen Dominanz der Vereinigten Staaten im Verteidigungsbündnis. Die Staatsmedien bedienen diese Vorstellung auch immer wieder: So haben sie erst dieser Tage daran erinnert, dass die Nato die chinesische Botschaft in Belgrad am 9. Mai 1999 während des Kosovokrieges irrtümlich bombardiert hatte. Die Überschrift eines Artikels lautete: "China wird nicht vergessen, was vor 23 Jahren geschah".

Der Kosovokonflikt verband Russland und China damals. Beide Staaten waren überrascht und fühlten sich übergangen, als die Nato 1999 Belgrad angriff.

Uns ist bewusst, dass die Nato damals richtig handelte, um Schlimmeres im Kosovo seitens der serbischen Seite zu verhindern. Diese Wahrnehmung wird in China aber nicht geteilt. Allein der Angriff auf die Botschaft zählt dort.

Wäre es möglich, dass China Russland doch stärker im heutigen Konflikt mit der Ukraine unter die Arme greifen könnte? Die russische Armee agiert nicht so erfolgreich wie vom Kreml erhofft.

China befindet sich in einem Dilemma. Es hofft zweifellos auf ein baldiges Ende dieses Konfliktes, will Russland aber nicht als Verlierer sehen. Die Volksrepublik und Russland haben eine lange gemeinsame Grenze, ein Zusammenbruch des Putin-Regimes würde wahrscheinlich zu einem Machtvakuum und großer Instabilität in der Russländischen Föderation führen. Deshalb wird China um jeden Preis versuchen, Putins Niederlage zu verhindern. Wie gesagt, alles unter der Vorgabe, selbst nicht allzu viel zu riskieren.

Sind aber trotzdem militärische Optionen für China zur Unterstützung Moskaus denkbar?

Höchstens im wirklich äußersten Notfall. Wie dies aussehen könnte, ist aber ungewiss. Wahrscheinlich in Form der Lieferung von militärischem Gerät. Vorher wird China aber sicher danach trachten, Russland zu einer Art "ehrenvollem" Rückzug zu bewegen. Ein für Putin verkraftbarer Gesichtsverlust wäre für Peking akzeptabel, solange der Kremlchef Russland weiter stabil halten könnte.

Gibt es schon Anzeichen dafür, dass Peking auf Putin einwirkt?

Vielen Erwartungen zum Trotz hat Putin kürzlich in seiner Rede zum "Tag des Sieges" keine große Eskalation des Krieges angekündigt. So können seine Worte auch so interpretiert werden, dass der Kremlchef Länder wie China oder Indien beruhigen wollte. Moskau ist auf diese Partner angewiesen – und weiß genau, dass sie kein Interesse an einer weiteren Eskalation haben. Putin will beweisen, dass er nicht außer Kontrolle ist. Und rational handelt.

Auf internationale Gäste musste Putin am 9. Mai bei der Parade in Moskau verzichten. Auch Xi Jinping war nicht vor Ort.

China hätte in der gegenwärtigen Situation dort auch wenig zu gewinnen gehabt. So groß ist die Zuneigung zwischen China und Putin doch nicht.

"Gewinnen" will Peking aber im Konflikt mit Taiwan. Immer wieder wird befürchtet, dass China die Insel angreift. Ist dieses Szenario realistisch?

China würde zum jetzigen Zeitpunkt keinen Krieg riskieren. Peking verfügt auch über subtilere Mittel, um seine Interessen durchzusetzen. In Hongkong hat man Parteien gegründet, die Geschäftselite gekauft und Unterstützer aufgebaut. Ein ähnliches Vorgehen in Taiwan ist denkbar.

Militärische Drohungen aus China gegen die Demonstranten in Hongkong gab es allerdings auch.

Richtig. 2019 hat Peking im Zuge der Proteste in Hongkong paramilitärische Truppen zusammengezogen, aber sie letztlich nicht eingesetzt. Was die schwerbewaffnete Polizei dort angerichtet hat, war auch schon schlimm genug. Aber wie gesagt, Taiwan dürfte im Augenblick vor einem militärischen Angriff durch China relativ sicher sein.

Über Hongkong und Taiwan könnte es zum Konflikt zwischen China und dem Westen kommen. Wie lässt sich ein möglicher Ernstfall vermeiden?

Für Hongkong und seine Demokratiebewegung habe ich wenig Hoffnung. Es ist eine traurige Tatsache, dass die besondere Vielfalt und Vitalität dieser außergewöhnlichen Stadt verschwunden sind. Allerdings sollte der Westen alles in seiner Macht Stehende tun, um die dortigen Demokraten zu unterstützen. In Taiwan sollten alle Beteiligten hingegen tunlichst vermeiden, den Status quo zwischen der Volksrepublik China und dem Inselstaat zu verändern, denn dieser kommt vor allem der Demokratie auf Taiwan zugute. Die Region ist auch so schon ein einziges Pulverfass.

Lässt sich aus dem Schicksal Hongkongs denn eine Lehre ziehen?

Europa und Amerika reagieren auf Konflikte aller Art in der Regel erst, wenn es brennt. Das müssen wir ändern.

Professor Mühlhahn, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Klaus Mühlhahn via Videokonferenz
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