US-Experte über den Ampel-Koalitionsvertrag "Diese Formulierungen zu China sind bedeutsam"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Lange wirkte die deutsche Außenpolitik in Bezug auf Russland und China eher unentschieden. In den USA nimmt man darum den neuen Ton im Ampel-Koalitionsvertrag sehr genau wahr.
Jeffrey Rathke ist der Direktor des in Washington ansässigen "American Institute for Contemporary German Studies", das mit der berühmten Johns Hopkins Universität verbunden ist. Wir erreichten den Deutschland-Experten kurz vor Thanksgiving in Virginia, wo er den neuen Ampel-Koalitionsvertrag genau studiert hat.
t-online: Herr Rathke, jetzt kennen wir den Koalitionsvertrag der wahrscheinlichen neuen deutschen Regierung. Was denkt man in Washington nach 16 Jahren Angela Merkel über dieses Mitte-Links-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP?
Jeffrey Rathke: Was die Biden-Regierung angeht, wird sie angesichts einer sozialdemokratisch geführten Regierung ganz klar den Weg der engen Kooperation suchen. Ein Projekt wie die globale Mindeststeuer, die der deutsche Finanzminister Olaf Scholz und auch die Biden-Regierung vorangetrieben haben, wäre dafür ein Beispiel.
Worauf hofft man noch mit der Ampel?
Die sozialpolitischen Aspekte werden von großer gemeinsamer Bedeutung sein. Ebenso die Klimapolitik, digitale und ökonomische Regulierungen, Investitionen in die Infrastruktur und die Stärkung der demokratischen Strukturen. In all diesen Bereichen streben die USA mehr internationale Zusammenarbeit an. Die neue deutsche Regierung wird dafür ein wichtiger Partner sein.
Sind die Amerikaner überrascht, wie einvernehmlich die Übergabe der Regierungsmacht vonstattengeht?
Für die USA ist es wichtig, dass Deutschland für Kontinuität steht. Dem scheint so zu sein, und das liegt nicht nur daran, dass Angela Merkel ihren Vizekanzler Olaf Scholz bereits mit Joe Biden beim G20-Gipfel bekannt gemacht hat. Schon im Wahlkampf haben er und die SPD klargemacht, dass es ihnen um Kontinuität und Stabilität geht. Auch wenn das nicht heißt, dass es ein und dieselbe Politik ist.
Können Sie diese für die USA wichtige Kontinuität etwas näher beschreiben?
Angela Merkels Stärke war es immer, ob im europäischen, transatlantischen oder im globalen Kontext, Kompromisse zu schmieden. Olaf Scholz hat es nun geschafft, diese drei sehr verschiedenen Parteien relativ konfliktfrei zusammenzubringen. Die USA sehen Deutschland als eine unentbehrliche europäische Macht. Auch, um die wichtigen Kompromisse auf der Ebene der Europäischen Union zu erzielen. Diese Konsensfähigkeit ist für die USA insbesondere in Zeiten wichtig, in denen die EU und die Nato mit großen Herausforderungen an ihrer Ostgrenze konfrontiert sind und auch mit den internen Auseinandersetzungen in Bezug auf Polen oder Ungarn.
Es gibt aber auch Dissens, etwa beim Thema Nord Stream 2. US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben hierzu kürzlich eine Vereinbarung getroffen. Aber Sanktionen sind vonseiten der USA längst nicht vom Tisch.
Das ist richtig. Die Biden-Regierung versucht, in Sachen Russland mit Deutschland eine breiter aufgestellte, verlässliche und beständige Herangehensweise zu erreichen. Nord Stream 2 ist zwar nur ein kleiner Teil davon, bleibt aber ein bestimmendes Thema. Die größere Herausforderung wird aber sein, das immer problematischere Verhalten Russlands gemeinsam zu beantworten. Der Koalitionsvertrag ist in Bezug auf die Beziehungen zu Russland allerdings bemerkenswert nüchtern.
Inwiefern ist das erfreulich für die USA?
Es wird deutlich, dass der Fokus nicht auf einer neuen Ära der Zusammenarbeit mit Russland liegt. Offensichtlich geht es um eine klare Haltung, eingebettet in die Europäische Union, wenn es um die Einhaltung von Menschenrechten und internationalem Recht geht. Zusammenarbeit mit Russland wird angestrebt, etwa bei der Bekämpfung des Klimawandels oder der Produktion von Wasserstoff. Der Koalitionsvertrag scheint in Bezug auf Russland und die Sicherheit Europas aber insgesamt ein Dokument ohne Illusionen zu sein. Es ist eine gute Basis für eine stärkere deutsch-amerikanische Zusammenarbeit.
Ist das ein echter Unterschied zur Außenpolitik unter Angela Merkel oder hat sich die Welt einfach gewandelt?
Ich denke, beides ist richtig. Unsere Welt hat sich in den vergangenen vier Jahren dramatisch verändert. Und diese Entwicklung wird weiter voranschreiten. Es ist also ganz natürlich, dass sich auch die Positionen der deutschen Politik weiterentwickeln. Aber es ist auch klar erkennbar, dass hier nun zwei Parteien mit an die Regierung kommen, die es längere Zeit nicht gewesen sind. Die Grünen und die FDP bringen neue Perspektiven hinein. Und auch die SPD hat meiner Feststellung nach die eigenen Positionen in Bezug auf Russland und auch auf China weiterentwickelt.
Die Grünen waren einst eine Partei, die den Nato-Austritt forderte. Der erste grüne Außenminister Joschka Fischer sagte der amerikanischen Bush-Regierung, die Argumente für einen Irakkrieg überzeugten ihn nicht. Welchen Eindruck haben die USA jetzt von der möglichen neuen grünen Außenministerin Annalena Baerbock?
Auch in der Zeit von 1998 bis 2005 gab es nicht nur Unstimmigkeiten. Unter einem grünen Außenminister wurde gemeinsam gehandelt im Kosovo, um ethnische Säuberungen und einen Völkermord zu beenden.
Der gemeinsame Nato-Einsatz in Afghanistan …
Richtig, die Grünen haben also schon früh eine sehr konstruktive Rolle gespielt. Insofern ist das kein neues Phänomen. Dennoch würde ich sagen, dass die Partei in der Opposition und besonders in den vergangenen Jahren sehr hart daran gearbeitet hat, ihre politischen Wurzeln weiterzuentwickeln und zu modernisieren. Es gibt eine neue Generation von Politikern, die sich sehr auf Sicherheitspolitik spezialisiert haben. Viele Grüne sind in Washington sehr bekannt und gut vernetzt. Sie haben viel Zeit und Energie investiert, hier Beziehungen aufzubauen.
Sind die Grünen aus Sicht der USA also die wünschenswerteste Besetzung im Auswärtigen Amt?
Washington sieht die Grünen als eine Partei, die tatsächlich bereit ist, eine von demokratischen Werten geleitete Außenpolitik auch wirklich umzusetzen. Aus amerikanischer Sicht haben sie es verstanden, wie groß die Herausforderungen durch autoritäre Regime wirklich sind. Aber klar, wenn es etwa um Atomwaffen geht, dann dürften sich die grünen Positionen sehr deutlich von den amerikanischen Positionen unterscheiden.
China wird in einem deutschen Koalitionsvertrag erstmals als systemischer Rivale bezeichnet. Taiwan wird zweimal erwähnt, und dass dessen Wiedereingliederung nach China nur friedlich und in beidseitigem Einverständnis erfolgen dürfte. Auch hierbei scheint die Ampelkoalition nun deutlicher zur US-Position zu passen als unter Angela Merkel.
Diese Haltung ist an sich nicht neu, auch weil sie bereits auf europäischer Ebene so verankert wurde. In Deutschland wachsen die Bedenken in Bezug auf China schon länger. Die Volksrepublik wird nicht mehr nur als wirtschaftliche Chance wahrgenommen. Dennoch: Die Biden-Regierung wird zur Kenntnis nehmen, dass sich die Priorisierungen geändert haben. Diese Formulierungen zu China sind bedeutsam und zeigen einen weitreichenden Ansatz, der sowohl die Chancen als auch die Herausforderungen zusammenbringt und sie nicht voneinander trennt.
Damit dürften Demokraten und Republikaner dann gleichermaßen zufrieden sein, oder?
Republikaner und Demokraten haben zwar unterschiedliche Vorschläge in Bezug auf China. Aber sie sind in der Tat in der Annahme vereint, was die Einschätzung der Gefahren angeht. Die Biden-Regierung einerseits und beide Parteien im Kongress andererseits sind sehr interessiert daran, bald mit der Arbeit zu beginnen, hierzu gemeinsame Antworten zu finden, auch mit den Deutschen.
- Eigene Recherchen
- Telefon-Interview mit Jeffrey Rathke