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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kanzler Merz Dann wird es plötzlich heikel

Auf seiner ersten Reise als Kanzler besucht Merz wichtige Partner. In Frankreich gibt es eine überschwängliche Umarmung – in Polen eine deutliche Warnung.
Das geht ja mal gut los. Es ist viertel nach zwölf in Paris, Friedrich Merz fährt am Elysée-Palast vor. Monsieur le président, Emmanuel Macron, wartet schon. Er fängt Merz am Auto ab, umarmt ihn, haut ihm mit beiden Händen auf den Rücken, mehrfach und ausdauernd. Es ist ein überschwängliches Hallo.
Ist doch schön, wenn ein Anfang mal leicht ist.
Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz ist zum Antritts-Kurzbesuch nach Paris gekommen. Handshake, Gespräch, Pressekonferenz. Dann geht es weiter nach Warschau, Polen. Dort das Ganze noch mal von vorn, nur diesmal mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk.
Hier bin ich, läuft doch alles nach Plan: Das ist das eine Signal, das Merz mit dieser Reise senden will. Ein bisschen Regierungs-Normalität nach dem chaotischen Start seiner Kanzlerschaft weniger als 24 Stunden zuvor.
Das andere Signal ist: Hier ist Deutschland. Merz will die internationalen Partner umgarnen, die sein Vorgänger Olaf Scholz eher verschreckt hat, so jedenfalls sieht Merz es. Damit Europa schneller voran kommt. Nur ist das mit dem Vorankommen gar nicht so leicht, wenn es ins Detail geht. Es wird sogar schnell heikel. Das wird auf Friedrich Merz’ erster Reise als Bundeskanzler ebenso deutlich.
Merz' Umwege zur Macht
Ob diese Reise überhaupt stattfinden würde, war am Dienstag viele Stunden lang gar nicht klar. Nachdem Merz im ersten Anlauf der Kanzlerwahl gescheitert war, mussten die Fraktionen erst einmal prüfen lassen, ob der zweite Wahlgang noch am selben Tag stattfinden darf. Oder nicht mindestens einen Tag später.
Es ging. Und als Merz um viertel nach vier dann endlich gewählt war, viele Stunden später als geplant, da blieb er erst einmal sitzen, während alle um ihn herum aufstanden und applaudierten. So als brauche er einen Moment, um zu realisieren, dass er es jetzt doch geschafft hatte. Nach diesem Tag.
Als Merz am Dienstagabend mit fünf Stunden Verspätung endlich das Kanzleramt übergeben bekam, zitierte Olaf Scholz auch noch Angela Merkel, ausgerechnet seine ewige Widersacherin. Man wisse in diesem Amt beim Aufstehen nicht, was bis zum Abend passieren werde, habe die ihm bei der Amtsübergabe gesagt. "Recht hatte sie, das hat nicht nur der heutige Tag gezeigt." Da kann Merz schon wieder lachen.
Friedrich Merz ist es gewohnt, Umwege zur Macht nehmen zu müssen, zweite Anläufe und sogar dritte. 2002 verlor er den Machtkampf gegen ebenjene Angela Merkel endgültig, sie drängte ihn vom Fraktionsvorsitz, den er zwei Jahre zuvor gerade erst erreicht hatte.
Merz war ein Geschlagener, musste sich einreihen, und wollte das irgendwann nicht mehr. 2009 stieg er aus, ging in die Wirtschaft. Es dauerte fast zehn Jahre, bis er das Comeback versuchte. Und erstmal wieder scheiterte. In der Konkurrenz um die Nachfolge seiner Widersacherin Merkel verlor er zunächst gegen Annegret Kramp-Karrenbauer und dann gegen Armin Laschet. Erst als der bei der Bundestagswahl 2021 scheiterte, war der Weg für Merz frei.
Jetzt steht er im Elysée-Palast
An diesem Mittwoch, noch einmal vier Jahre später, steht der inzwischen 69 Jahre alte Friedrich Merz nun im Elysée-Palast und lächelt zufrieden. Fast einen Kopf größer als Macron, und ganz oben angekommen.
Europa müsse sicherer werden, sagt Merz auf der gemeinsamen Pressekonferenz, wettbewerbsfähiger und geeinter auftreten. Er habe mit Macron einen "deutsch-französischen Neustart für Europa" vereinbart. Der ist beiden besonders wegen zwei Männern wichtig: Wladimir Putin – und Donald Trump. Wegen Putins Krieg gegen die Ukraine. Und Trumps Unberechenbarkeit.
Merz und Macron wollen Europa stärker machen, und dafür mehr gemeinsam erledigen. Die Liste der guten Absichten ist lang: die Ukraine-Hilfe besser koordinieren, die nationale Beschaffung enger abstimmen, bei mehr Rüstungsprojekten kooperieren, auch strategische Fragen zusammen diskutieren. "3 + 3" heißt ein Format, bei dem die Regierungschefs, die Verteidigungs- und Außenministern beider Länder über das alles und noch viel mehr diskutieren sollen.
Klingt gut, bleibt aber natürlich kompliziert. Wenn es um die Verteidigung geht, sind die nationalen Sensibilitäten groß, gerade in Frankreich.
"Das können die Europäer derzeit nicht ersetzen"
Bei der Ukraine wollen Merz und Macron besonders eng auftreten. Putin dürfte mithören. "Die Ukraine kann sich im Kampf gegen die russische Aggression auf Deutschland und Frankreich verlassen", verspricht Merz. Und macht doch ein schmerzhaftes Eingeständnis: Der Krieg gegen die Ukraine, sagt Merz, könne ohne politisches und militärisches Engagement der USA nicht beendet werden. "Das können die Europäer derzeit nicht ersetzen."
"Wir wollen, dass die Amerikaner an Bord bleiben", sagt Merz. Das wünscht er sich auch für die Sicherheitsgarantien. Sie sollen die Ukraine nach einem Frieden schützen. Wenn es denn Frieden gibt.
"Wir sind bereit, uns an dessen Überwachung zu beteiligen unter Führung der USA", sagt Merz. Wobei auch hier der letzte Teil wichtig ist. Ob das auch deutsche Soldaten einschließt, will er nicht beantworten. Da ist Macron bekanntlich etwas forscher unterwegs. An diesem Tag deutet er das aber nur an.
Differenzen bei Handel und Schulden
Eine überschwängliche Begrüßung aber und ein "deutsch-französischer Neustart für Europa" lassen natürlich nicht alle Differenzen verschwinden, vor allem die wohlgepflegten nicht. Das wird deutlich, als Merz und Macron nach der Handelspolitik gefragt werden – und nach dem Geld.
Das Mercosur-Freihandelsabkommen mit Lateinamerika ist da ein Klassiker. Seit 25 Jahren wird darüber verhandelt, noch immer ist es nicht in Kraft. Merz sagte, seine "persönliche Meinung" sei, dass es "so schnell wie möglich in Kraft gesetzt werden sollte". Motto: Einfach mal machen.
Macron aber will "Schutzklauseln für heimische Produzenten", sagt er. Sonst gebe es bald keine eigenen Produzenten mehr. Er schaut ziemlich ernst drein, als er darüber spricht. Es ist kompliziert, und damit das Gegenteil von: Einfach mal machen.
Beim Geld sieht es ähnlich aus. Merz betont den deutschen Wunsch nach Solidität. "Der Fiskalpakt steht", sagt er, also die europäischen Schuldenregeln, selbst wenn es auch dort nun Ausnahmen für die Verteidigungsausgaben gibt.
Frankreich sieht das traditionell anders, hat nicht so große Schmerzen, wenn es um Schulden geht. Die "Dogmen von gestern", sagt Macron, seien in einer sich ständig verändernden Realität nicht mehr unbedingt gültig. "Ich denke, dass wir mehr öffentliche europäische Investitionen brauchen." Der Weg zu gemeinsamen europäischen Schulden, die Merz ablehnt, ist da sehr kurz.
In Polen wird es heikel
Schon lange bevor Friedrich Merz am frühen Abend in Polen landet, war erwartet worden, dass der Besuch deutlich konfliktreicher werden könnte. Hier gibt es bald Präsidentschaftswahlen. Zu freundlich mit Deutschland umzugehen, hilft traditionell nicht.
Friedrich Merz ist trotzdem da, am ersten Tag seiner Kanzlerschaft. Es soll ja besser werden. Er legt einen Kranz am Grabmal des Unbekannten Soldaten nieder. Dann geht es zu Donald Tusk, dem polnischen Ministerpräsidenten. Zur Begrüßung gibt’s hier für Merz zwar keine Umarmung wie bei Macron, aber immerhin einen schwungvollen Handschlag, ein großes Lächeln und militärische Ehren.
Er habe die "Geste mit großer Freude und Genugtuung aufgenommen", sagt Tusk wenig später in der Pressekonferenz, dass Merz an seinem ersten Tag hergekommen sei. Doch dann wird es nach vielen Freundlichkeiten eben doch heikel.
Die Merz'schen Migrationspläne, besonders die Zurückweisungen an den deutschen Grenzen und damit auch an der Grenze zu Polen, sind hier nicht beliebt. Tusk macht das sehr deutlich. "Die schlimmste Konsequenz wäre, dass jetzt alle Kontrollen einführen", sagt er. "Das macht langfristig keinen Sinn." Da werde er "hart sein", auch wenn er "jetzt nicht die Atmosphäre kaputtmachen" wolle. "Europäische Lösungen dürfen nicht darin bestehen, dass ein Staat dem anderen Probleme bereitet."
Er verstehe das Bedürfnis nach Grenzkontrollen, sagt Tusk. "Aber diese Grenzkontrollen sollten den Außengrenzen gelten." Polen hat seine Grenze nach Belarus dichtgemacht, auch weil Russland dort offenbar gezielt Migranten nach Europa leitet. Tusk sagt, die polnische Grenze nach Belarus sei eine Verantwortung ganz Europas, auch Deutschlands. "Wir erwarten nicht nur Verständnis, sondern auch Unterstützung."
Friedrich Merz bringt das in ein Dilemma. Zu Hause in Deutschland hat er versprochen, die Grenzen "ab Tag eins" dichtzumachen. Nur steht er jetzt eben hier in Polen. Und er will die Beziehungen zum Nachbarn ja verbessern und nicht verschlechtern. Merz versucht deshalb, beidem gerecht zu werden. Man könnte auch sagen: dem Kern des Problems auszuweichen.
Die Migration sei etwas, "was wir gemeinsam in Europa lösen müssen und auch wollen", sagt Merz. Und die Zurückweisungen geschähen in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn, genauso wie es im Koalitionsvertrag stehe. Zugleich verspricht Merz Polen Hilfe an der Grenze zu Belarus. Den Schutz der Außengrenzen, die Deutschland nicht habe, "überlassen wir nicht allein den Staaten wie Polen, die sie haben".
Das aber ist dann wohl ein Problem für Friedrich Merz ab Tag zwei.
- Reise mit Kanzler Friedrich Merz nach Frankreich und Polen