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Tagesanbruch: Außenpolitik mit dem Vorschlaghammer


Tagesanbruch
Was heute Morgen wichtig ist

Meinung
Aktualisiert am 24.10.2018Lesedauer: 8 Min.
Donald Trump auf einer Wahlkampfveranstaltung in Houston.Vergrößern des BildesDonald Trump auf einer Wahlkampfveranstaltung in Houston. (Quelle: Jonathan Ernst/Reuters-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

WAS WAR?

Außenpolitik à la Obama: Eine rhetorisch brillante Rede, große Visionen – und dann ein zäher Prozess der Diplomatie, der Verhandlungen, des Hin und Her, bis am Ende vielleicht ein Ergebnis herauskam. Oder vielleicht auch nicht.

Außenpolitik à la Trump: Eine drastische Ankündigung, die Freunde und Gegner gleichermaßen verunsichert, Aktienmärkte und politische Allianzen erschüttert – und dann eine turbulente Abfolge von Drohen und Locken, um das Gegenüber zu zermürben, bis der Präsident am Ende seinen Willen durchgesetzt hat. Oder er so tun kann als ob. So hat es Trump beim Pariser Klimavertrag gemacht, bei den internationalen Handelsabkommen, im Koreakonflikt und beim Nato-Haushalt.

Und so macht er es nun auch wieder beim wichtigsten atomaren Abrüstungsvertrag mit Russland. So bestimmt er die Schlagzeilen, so platziert er seine Botschaft "America first" in den Köpfen seiner Anhänger. Dass beide Seiten – Russen wie Amerikaner – in den vergangenen Jahren atomar wieder aufgerüstet haben, fällt da schon kaum mehr auf. Führende Sicherheitsexperten, darunter die Deutschen Wolfgang Ischinger und Volker Rühe, warnten unlängst vor einem neuen nuklearen Wettrüsten. Der weitsichtige Historiker Yuval Noah Harari sieht in einem Atomkrieg eine der drei größten Gefahren für die Menschheit, und der Friedensforscher Sascha Hach sagt im Interview mit meinem Kollegen David Ruch: "Das erste Opfer einer Eskalation zwischen den USA und Russland wäre Europa."

Besorgte Stimmen, die wir sehr ernst nehmen sollten. Unsere globalisierte Welt ist einerseits so klein, andererseits so konfrontativ geworden, dass selbst regionale Konflikte schnell zu einem Flächenbrand eskalieren können. Siehe Syrien, siehe Jemen, siehe Venezuela. Wir Deutschen haben uns daran gewöhnt, in einem demokratischen, geordneten und friedlichen Rechtsstaat zu leben; die wenigsten von uns haben noch selbst Diktatur, Krieg und Elend erlebt. Manchmal habe ich den Eindruck: So schön dieser jahrzehntelange Wohlstand ist, er trübt auch unseren Blick darauf, wie kostbar und zugleich zerbrechlich unser schönes Leben ist, wie schnell es gefährdet werden kann.

Der Siegeszug des Westens nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hat nicht zu einem Triumph der demokratischen Systeme geführt, im Gegenteil: Heute sind die Demokratien weltweit auf dem Rückzug, wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung gezeigt hat. Bürgerrechte, politische Freiheiten und rechtsstaatliche Prinzipien werden in immer mehr Ländern ausgehöhlt. Auch in vielen Staaten der EU und der OECD hat sich die Qualität der Demokratie in den vergangenen vier Jahren verschlechtert. Wo aber die Demokratie verliert, da gewinnen meist die Diktatur oder die Autokratie, das Ressentiment, die Benachteiligung von Minderheiten, die Einschränkung von Meinungs- und Pressefreiheit, die Rechtlosigkeit und die Korruption.

Deshalb kann es uns nicht kaltlassen, dass in Brasilien ein rechter Scharfmacher drauf und dran ist, am nächsten Sonntag die Präsidentschaft zu erobern. Deshalb müssen wir genau hingucken, wenn die italienische Regierung mit einer unverantwortlichen Haushaltspolitik die Stabilität des Euro-Raums gefährdet. Deshalb sollten wir unruhig werden, wenn die Regierungen in Polen und Ungarn versuchen, die Gewaltenteilung auszuhebeln. Und deshalb sollten wir uns dafür interessieren, was die Anhänger Donald Trumps sagen, die sich in diesen Tagen auf die Halbzeitwahlen vorbereiten. "Sie sind hochmotiviert, ja geradezu aufgeputscht", berichtet unser US-Reporter Fabian Reinbold von einer Wahlkampfveranstaltung in Houston, Texas. "Von innen wirkt eine Trump-Rally wie ein großes Happening – das aber draußen im Land viele in Angst und Schrecken versetzt. Wenn Trump hier ruft 'Ich bin ein Nationalist', erntet er Jubel."

Ein gefährlicher Satz, eine merkwürdige Stimmung. Aber so manches, was dieser Tage in Amerika geschieht, kommt mir befremdlich vor. Auch eine Entwicklung, die unser US-Kolumnist Gerhard Spörl analysiert hat: Trumps beste Wahlhelferin ist nicht etwa die anziehende Wirtschaft oder der Konflikt an der mexikanischen Grenze. Nein, es ist Hillary Clinton.

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Neues hatte er nicht zu berichten, aber sein Auftritt war trotzdem bemerkenswert: Der türkische Präsident Erdogan hat gestern seine lang erwartete Rede zum Mord an dem Publizisten Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul gehalten. Nun ist es offiziell: Die Türkei setzt fürs Erste nicht darauf, den Saudis entgegenzukommen, die Tat herunterzuspielen und sich die Freundlichkeit teuer bezahlen zu lassen. Stattdessen nutzt Erdogan die Gunst der Stunde, um den Druck auf den Gegner in Riad weiter zu erhöhen. Saudi-Arabien setzt er auf die Anklagebank. Allerdings nicht ohne zu ergänzen, er sei zuversichtlich, dass König Salman kooperieren werde. Die Tür für spätere Deals (und saudische Investitionen in der wirtschaftlich gebeutelten Türkei) bleibt einen Spalt offen.

Gegenüber Informationen aus dem Munde Erdogans, aus dem türkischen Sicherheitsapparat und dem, was an die staatsnahe Presse durchgestochen wird, sind wir normalerweise sehr kritisch – etwa, wenn es um Vorwürfe gegen inhaftierte deutsche Journalisten geht. Es gibt keinen Grund, diesen Quellen beim Mord an Jamal Khashoggi mehr Glauben zu schenken, nur weil es besser in unser Weltbild passt. Doch die türkischen Enthüllungen zwingen die Saudis, selbst immer mehr zuzugeben, und so schält sich inzwischen ein Kern gesicherter Fakten heraus: Der Tod Khashoggis war in der Tat ein Mord, gab Saudi-Arabiens Außenminister zu. Ebenso ist die Anwesenheit des 15-köpfigen Killerkommandos bestätigt, auch die Identität von dessen Chef und die des Autopsie-Spezialisten. Neue Bilder zeigen nicht nur, wie Khashoggi und seine Verlobte ihre Wohnung verlassen und sich auf den Weg zum saudischen Konsulat machen, sondern auch eine verdächtige Diplomatenlimousine.

Unter den Sündenböcken, die nun in Riad ein klein wenig zurücktreten mussten, befindet sich eine weitere schillernde Gestalt: Saud al-Qahtani, ein enger Vertrauter des saudischen Kronprinzen. Eine türkische und eine arabische Geheimdienstquelle werfen ihm vor, den Mord per Skype-Zuschaltung live befohlen zu haben. Wie immer ist die türkische Version der Ereignisse besonders pikant: "Bringt mir den Kopf des Hundes", soll er gesagt haben.

Wenig ist in diesem düsteren Spiel so wie es scheint. Genauso wenig wie das Opfer nur ein Journalist war –, sondern zugleich ein hochkarätiger Insider, der über die saudischen Geheimnisse viel, vielleicht zu viel wusste –, so irreführend ist auch das, was bei al-Qahtani auf der Visitenkarte steht. Medienberater des Kronprinzen ist er zuletzt gewesen. Vielleicht, weil "Mann für’s Grobe" sich nicht so gefällig liest. Bis zum Hals war er in die Entführung des libanesischen Premiers Saad al-Hariri im letzten Jahr verwickelt. Erniedrigt und geschlagen wurde Hariri in den Tagen seiner Gefangenschaft in Riad, auf Befehl und in Anwesenheit des "Medienberaters". So berichtet es die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf gleich acht verschiedene Quellen. Nun ist der Mann des Kronprinzen abberufen worden, aber weich gefallen. Aktuell beschreibt er seine Position als "Vorsitzender der Saudischen Föderation für Cybersicherheit, Programmierung und Drohnen". Nur die Visitenkarte ist also neu.

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WAS STEHT AN?

Die Bundesregierung wird das leidige Dieselthema nicht mehr los. Nachdem sie es drei Jahre lang ausgesessen, dann die ersten Fahrverbote in Kauf genommen und schließlich unter Druck der Gerichte eine halbgare Lösung zusammengedengelt hat, stellen Autokanzlerin Merkel, Autokonzernminister Scheuer und die wieder einmal überforderte SPD fest, dass das alles bei den Wählern überhaupt nicht gut ankommt. Also hat sich Merkel von ihren Beratern einen neuen Plan aufschreiben lassen: Um Dieselfahrerwähler nicht zu verprellen, könnte man ja weitere Fahrverbote dadurch verhindern, dass man einfach die Grenzwerte anhebt. Wären die absehbaren Folgen nicht so gravierend, wir müssten über dieses fadenscheinige Manöver laut lachen. Verlässlichkeit für Autofahrer? Die Gesundheit von Stadtbewohnern? Eine nachhaltige Verkehrspolitik? Scheinen unter der Führung dieser Kanzlerin nachrangig zu sein.

Nach dem Asylstreit und dem Fall Maaßen zeigt auch die Dieselkrise, dass diese Bundesregierung mit ihrem Latein am Ende ist. Nicht einmal den grundlegenden Umgang mit Fakten scheint sie mehr hinzubekommen. "Zwingende europarechtliche Vorgaben – und das sind die Grenzwerte ja ohne Frage – können nicht einfach durch einen Federstrich des deutschen Gesetzgebers beiseite geräumt werden", erklärt der Verfassungs- und Verwaltungsrechtsexperte Michael Brenner im Gespräch mit meinem Kollegen Markus Abrahamczyk. Hinzu kommen die Hürden einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Die ist genauso kompliziert, wie sie klingt, aber das Ergebnis ist ganz einfach: Es dürfte nichts werden mit Merkels Befreiungsschlag. Simple Fakten entlarven ihren Vorstoß als ein verzweifeltes Wahlkampfmanöver einer abstürzenden Partei.

Die Folgen können wir heute in Mainz betrachten. Dort verhandelt am Morgen das Verwaltungsgericht über Stickoxide in der Luft. Beobachter rechnen auch hier mit einem Dieselfahrverbot. Und so folgt eine Stadt nach der anderen, bis irgendwann eine Bundesregierung an die Macht kommt, die das Thema wirklich ernst nimmt und lang statt kurzfristig handelt.

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Bis es so weit ist, beschäftigen wir uns mit dem Wahlkampffinale in Hessen, und das ist wirklich spannend. Den Menschen in diesem wunderschönen Bundesland brennen laut einer Umfrage von Infratest Dimap vor allem diese Themen unter den Nägeln:

"Dem Land geht es gut, die Wirtschaft entwickelt sich positiv, der Tourismus boomt, die Arbeitslosigkeit ist gering", schreiben meine Kollegen von Statista. "Die Kehrseite sind aber auch hier steigende Mieten und die überlastete Infrastruktur."

Viel zu tun also für die neue Landesregierung. Wie genau diese aussehen wird, könnte allerdings auch am Sonntagabend um 18 Uhr noch vollkommen unklar sein. Das prognostizierte Wahlergebnis lässt mehrere mögliche Koalitionen zu. Eine Schlüsselrolle könnte dabei trotz absehbarer Stimmverluste CDU-Spitzenkandidat Volker Bouffier spielen: Ein Mann, der sich vom konservativen Falken zum ausgleichenden Landesvater gewandelt hat. Als im Sommer Horst Seehofer die Kanzlerin herausforderte, war einige Tage lang nicht klar, ob die entscheidenden Kräfte in der CDU noch hinter Angela Merkel stehen. Einer ihrer wichtigsten Unterstützer in diesen Tagen war: Bouffier. Was ist sein Kalkül und wie wurde er, was er heute ist? Mein Kollege Jonas Schaible beschreibt den Werdegang des Mannes, an dessen Schicksal jetzt auch das Merkels hängt.

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WAS LESEN?

Manchmal liegt das Schicksal der Welt in den Händen weniger Menschen. Einer von ihnen ist nun gestorben: Joachim Ronneberg, der den Lauf der Geschichte für immer änderte. Vielleicht haben Sie noch nie von ihm gehört. Doch wäre die Mission fehlgeschlagen, die er als junger Mann anführte, würden vielleicht noch heute über Deutschland und Europa die Hakenkreuze wehen.

Auf Skiern fuhren die acht Männer zu ihrem Ziel, mit Zyankalikapseln im Gepäck, die sie im Fall einer Gefangennahme geschluckt hätten. Dem Häuflein norwegischer Widerstandskämpfer gelang es, sich an Wachen und Kasernen voll deutscher Soldaten vorbeizuschleichen, in eine streng gesicherte, geheime Anlage einzudringen und unbemerkt ihre Sprengsätze zu platzieren. Als diese zündeten, zerfetzten sie nicht nur die Gerätschaften zur Erzeugung von "schwerem Wasser", einem Stoff zur Förderung nuklearer Kettenreaktionen. Auch die Aussicht auf eine Atombombe in den Händen der Nazis ging in diesem Moment in Rauch auf. Lesen wir also den Nachruf auf einen Mann, dem wir unser freies Europa wesentlich verdanken.

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WAS VERBLÜFFT MICH?

Russland ist riesig. Wissen wir alle. Aber nicht so groß, wie es uns normalerweise erscheint – zumindest auf Weltkarten. Ja, sagen Sie jetzt und gähnen ein bisschen, das hatten wir mal in Erdkunde. Merkator-Projektion oder so. Irgendwas mit Verzerrungen im hohen Norden und Süden. Wissen wir. Aber wie sehr ist unser Weltbild wirklich verzerrt? Wissen Sie was? Das wissen Sie nicht.

Ich wünsche Ihnen einen erkenntnisreichen Tag.

Ihr Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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