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Ukraine-Krieg: Das Brot geht aus – in Ländern, über die wir kaum berichten


Tagesanbruch
Das Brot geht aus

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 08.04.2022Lesedauer: 5 Min.
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Im vergangenen Jahr wurde in der ostukrainischen Region Luhansk noch reichlich geerntet.Vergrößern des Bildes
Im vergangenen Jahr wurde in der ostukrainischen Region Luhansk noch reichlich geerntet. (Quelle: imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wie es wohl Maria Ake geht? Vier Jahre jung war sie, als ich ihr vor zweieinhalb Jahren begegnete. Sie litt an Malaria, Fieber, Diarrhö und Unterernährung. Ob der kleine Bodang noch lebt? Kaum mehr als zwei Kilogramm wog er, konnte kaum atmen. "Ich wünsche mir so, dass meine Kinder irgendwann einmal zur Schule gehen können", sagte seine Mutter Angelina. Ist Alem Mosha noch am Leben? Damals saß der Einjährige hustend auf dem Schoß seines Vaters, seine Mutter war wenige Tage zuvor gestorben. Oder Esther Konga, ein zweijähriges Häuflein Elend auf einem grünen Laken, paralysiert vom Hunger und der Malaria? Als ich die Jungen und Mädchen damals im Kinderkrankenhaus von Juba sah, wie sie unter einem notdürftigen Pavillon in der Hitze und dem Staub dahindämmerten, schrieb ich im Tagesanbruch, dass ich ihre Gesichter nicht mehr vergessen würde.

Nicht alle Prophezeiungen, die ich Ihnen tagein, tagaus im Tagesanbruch auftische, bewahrheiten sich. Diese schon. Ich vergesse die Gesichter der Kinder im Südsudan wirklich nicht mehr. Ich denke oft an sie. An ihre eingefallenen Wangen und ihre stumpfen Augen. Ausgemergelte Ärmchen und Beine, dazwischen bei vielen aufgeblähte Hungerbäuche. Was Nahrungsmangel anrichtet, sah ich damals mit eigenen Augen, und seither ist die Lage in dem bitterarmen Land im Osten Afrikas noch schlimmer geworden. Hunderttausende Menschen sind dort abhängig von Getreidelieferungen aus dem Ausland. Daran muss ich in diesen Tagen denken, wenn ich lese, dass Russland und die Ukraine bislang zu den größten Weizenexporteuren der Welt zählten und halb Afrika mit Getreide versorgten. Wenn ich erfahre, dass die Ukraine aufgrund des Kriegs mit enormen Ernteausfällen rechnet und kaum noch etwas liefern kann. Und dass Russland einen Exportstopp für Weizen verhängt hat.

In den Medien berichten wir jeden Tag über die grausamen Ereignisse in Mariupol, in Charkiw und in Butscha. Über die Folgen des Ukraine-Kriegs für Somalia, Benin oder den Sudan berichten wir kaum. Dabei sind sie brutal. Ostafrika droht eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes. Mehrere Regenzeiten sind ausgefallen, der Klimawandel spielt dabei eine Rolle. Ernten sind verdorrt, Felder liegen brach. Und nun fallen auch noch die ausländischen Getreidelieferungen aus. Die Helfer des Welternährungsprogramms rechnen allein in Äthiopien, Kenia, Somalia, Dschibuti und dem Südsudan mit 20 Millionen Betroffenen. "Die Menschen leiden unter einem Krieg, mit dem sie rein gar nichts zu tun haben", sagt Roland Hansen, der Afrika-Chef von Malteser International.

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Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Es ist schrecklich, was in der Ukraine geschieht. Und ich finde es großartig, dass so viele Deutsche für die ukrainischen Flüchtlinge spenden, habe ich auch gemacht. Doch wir sollten dabei jene nicht aus den Augen verlieren, die immer vergessen werden, die fast nie in der "Tagesschau" auftauchen, die aber ebenfalls bitter leiden. Es sind Millionen, und der Krieg Tausende Kilometer weiter nördlich macht ihr ärmliches Leben nun erst recht zur Hölle. Vielleicht denken Sie ja daran, falls Sie ein paar Euro übrighaben. Die Leute der Welthungerhilfe, von Unicef oder den Maltesern wissen sie sehr gut einzusetzen.


EU-Chefin in Kiew

Heute sehen wir rege Reisetätigkeit im Zeichen des Ukraine-Kriegs: Während Kanzler Olaf Scholz zum späten Antrittsbesuch bei Boris Johnson in London weilt und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Finnland mit seinem Amtskollegen Sauli Niinistö und Ministerpräsidentin Sanna Marin über die Lage berät, setzt Ursula von der Leyen das stärkste Zeichen. Die EU-Kommissionspräsidentin wird zum Solidaritätsbesuch in Kiew erwartet, wo sie Präsident Wolodymyr Selenskyj trifft. Sie ist die erste westliche Spitzenpolitikerin, die seit Bekanntwerden der Massaker in die Ukraine reist. Morgen nimmt sie in Warschau an einer Geberkonferenz teil, bei der Geld für Flüchtlinge gesammelt wird. In der Vergangenheit musste Frau von der Leyen viel Kritik einstecken. Heute verdient sie ein Lob.


Krachend gescheitert

Liest man heute Morgen in der Presse die Kommentare zur gescheiterten Impfpflicht, könnte man meinen, Deutschland stehe vor dem Zusammenbruch. Ich darf Sie beruhigen: Dem ist nicht so. Gewiss, was sich Herr Scholz, Herr Lauterbach, die gesamte Ampelkoalition, aber auch die Oppositionstruppe um Herrn Merz gestern im Bundestag erlaubt haben, war ein Trauerspiel. Unsere Reporter Miriam Hollstein, Tim Kummert und Fabian Reinbold beschreiben hier, wie es so weit kommen konnte. Wir können aber die Kirche im Dorf lassen. In den meisten Ländern gibt es keine allgemeine Impfpflicht gegen Covid, Deutschland sticht da also nicht heraus. Wichtiger ist es doch, dass die Aufklärungskampagnen endlich die richtigen Leute erreichen, da bleibt viel zu tun. Vor allem Facebook, YouTube, Telegram und die anderen Internetkanäle hat das Bundespresseamt bislang sträflich unterschätzt.

Wer sich hingegen bestens mit sozialen Medien auskennt, das ist Twitter-König Karl Lauterbach. Mit klarer Planung hat es der Gesundheitsminister hingegen nicht so. Erst das Hin und Her bei der Quarantäneverordnung, dann das Hickhack um den Genesenenstatus und das Infektionsschutzgesetz, schließlich das Drama um die Impfpflicht: Der Karl sagt heute dies und morgen das, und manchmal bringt er sogar das Kunststück zustande, beides gleichzeitig zu sagen. Heute lädt er mit RKI-Chef Lothar Wieler und dem Intensivmediziner Gernot Marx zur Corona-Pressekonferenz. Mal hören, was er dann so sagt.

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Scherbengericht in Schwerin

Auch Manuela Schwesigs Stern ist verblasst. Als die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern kürzlich nach sechswöchiger Auszeit wegen einer Krebs-Folgebehandlung ihre Amtsgeschäfte wieder aufnahm, bezeichnete sie es als Fehler, so lange an der Gas-Pipeline Nord Stream 2 festgehalten zu haben. Auch räumte sie ein, dass es falsch war, eine ominöse Klimastiftung zu gründen, mit der sie amerikanische Sanktionen gegen die Pipeline austricksen wollte. Mit ein bisschen Bedauern allein dürfte sich die SPD-Frau allerdings nicht aus der Affäre ziehen können. Heute wird die Entscheidung des Landgerichts Schwerin erwartet, ob ebenjene Klimastiftung der Presse gegenüber auskunftspflichtig ist. CDU, Grüne und FDP haben bereits eine Pressekonferenz zur Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses angekündigt. Da kommt noch was.


Was lesen?

Der UN-Sicherheitsrat will das mächtigste Gremium der Welt sein. Aber im Ukraine-Krieg versagt er dramatisch, berichtet unser Washington-Korrespondent Bastian Brauns.



Die Corona-Politik der Bundesregierung ist chaotisch. Trotzdem könnte es dieses Jahr ein Happy End geben, erklärt der Immunologe Andreas Radbruch im Interview mit meiner Kollegin Christiane Braunsdorf.


Bei der Aufarbeitung der Flutkatastrophe in NRW wird das Versagen der damaligen Landesregierung von Armin Laschet immer offensichtlicher. Der Rücktritt der Umweltministerin kommt keinen Tag zu früh, kommentiert die "Süddeutsche Zeitung".


Was erfreut mich?

Ich weiß ja nicht, was Sie schön finden, aber in meinen Augen gibt es keine schöneren Bäume als Magnolien. Nun blühen sie wieder, sogar droben im Norden. Herrlich!

Ich wünsche Ihnen einen herrlichen Tag.

Herzliche Grüße,

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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