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Stechuhr: "Eine Entmündigung der Arbeitnehmer" | Lesermeinungen


Stechuhr entfacht Leserdebatte
"Eine Entmündigung der Arbeitnehmer"

Von Mario Thieme

Aktualisiert am 22.09.2022Lesedauer: 3 Min.
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Eine verpflichtende Arbeitszeiterfassung für alle Arbeitnehmer wird kommen.Vergrößern des Bildes
Eine verpflichtende Arbeitszeiterfassung für alle Arbeitnehmer wird kommen. (Quelle: IMAGO / Sascha Steinach/imago images)

Künftig müssen geleistete Arbeitszeiten genau erfasst werden. Ob die Rückkehr zur Stechuhr eine gute Sache ist, bewerten t-online-Leser unterschiedlich.

Nachdem das Bundesarbeitsgericht vergangene Woche festgelegt hat, dass Arbeitszeiten erfasst werden müssen, ist nun die Bundesregierung am Zug, zeitnah ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden.

Wie eine von t-online beauftragte repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey ergab, befürwortet die Mehrheit der Deutschen die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Die genauen Ergebnisse der Befragung lesen Sie hier.

Auch die Rückmeldungen der t-online-Leser zeigen: Die meisten begrüßen die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Es gibt jedoch auch reichlich Widerspruch.

"Ausbeutung vergrault viele engagierte Menschen"

"Ich finde es gut, wenn die Arbeitszeit digital erfasst wird", schreibt t-online-Leserin Michaela Kreutz. Die Heilerzieherin arbeitet im sozialen Bereich, genauer gesagt in der Kinder- und Jugendhilfe.

"Dort enden moralische Erwartungen des Arbeitgebers immer in Überstunden. Früher kommen, später gehen sind quasi keiner Würdigung, geschweige denn einer Erfassung bei den Überstunden wert. Das ist Ausbeutung und vergrault viele engagierte Menschen aus diesen Berufen", glaubt sie.

"Stechuhren haben keine Berechtigung mehr"

t-online-Leser Juergen Ruthenburg mailt: "Ich arbeite in der IT und habe dazu eine ganz klare Haltung: Stechuhren haben keine Berechtigung mehr. In Zeiten von Homeoffice und Remote-Arbeiten ist Flexibilität angesagt und kein starrer Rahmen! Die Wirtschaft heute kennt keine zeitliche oder räumliche Begrenzung mehr. Dank Internet sind Anfragen und Auftragsvergabe zu jeder Zeit möglich. Das verlangt dann aber auch, genauso darauf regieren zu können."

"Das ist längst überfällig"

"Das ist längst überfällig", findet hingegen t-online-Leser Fred Freundenberg. "Bei meinem Arbeitgeber ist es normal, dass Überstunden weder bezahlt noch durch Freizeit ausgeglichen werden. Ich bin deshalb seit Langem wegen Burnout krank und habe riesige Probleme mit dem Alltag. Wenn man zehn Stunden oder länger arbeitet, kommt nur der Spruch: 'Die Arbeit muss gemacht werden.'"

Mit der Stechuhr würden Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz wenigstens dokumentiert, erwähnt er und berichtet von seiner in der Pflege arbeitenden Partnerin, von der ebenfalls erwartet werde, zur Übergabe früher da zu sein und länger zu bleiben, wenn bei Feierabend doch etwas dazwischenkommt.

"Es muss definitiv eine Verpflichtung zur Zeiterfassung für normale Angestellte geben, die einen Vertrag über eine bestimmte Anzahl von Wochenstunden und entsprechendem Lohn haben. Nur so fällt auf, dass gegebenenfalls Personal fehlt", sagt Freundenberg.

"Eine Entmündigung der Arbeitnehmer"

Auch wenn laut t-online-Leser Thomas Adler in einigen Bereichen und Berufen wie der Produktion oder im Gesundheitswesen die Berechtigung zur Zeiterfassung bestehe, hält er sie insgesamt für antiquiert. "Die Zeiterfassung für alle ohne Rücksicht auf die Tätigkeit einzuführen, ist eine Entmündigung der Arbeitnehmer."

Er beklagt, dass wieder einmal Richterrecht gelte. "Kann es sein, dass sich mit diesem Urteil jemand in den Geschichtsbüchern verewigen wollte? Denn dass man eine Zeiterfassungspflicht aus den aktuellen gesetzlichen Regelungen ableiten kann, finde ich schon sehr gewagt."

"Sehr gut – zum Schutz der Arbeitnehmer"

t-online-Leserin Anja Urbinger berichtet von ihren schlechten Erfahrungen, als sie vor etlichen Jahren bei einer Firma arbeitete, die an einen US-Konzern verkauft wurde. "Dort war es üblich, dass man uns auch im Büro reichlich Überstunden machen ließ und auch samstags und sonntags ins Büro bestellte. Aufgrund der damaligen Arbeitszeiterfassung gab es dann deshalb Probleme mit der Berufsgenossenschaft, da Gesetze eklatant missachtet wurden.

Die Lösung für den Konzern war: die Abschaffung der Geräte zur Arbeitszeiterfassung und die Einführung des 'selbstverantwortlichen Mitarbeiters'. So konnte man nämlich die gearbeiteten Stunden nicht mehr nachweisen, auch die Berufsgenossenschaft konnte die Verstöße nicht mehr nachweisen. Denn hätte man gegen die Firma ausgesagt, so wäre der Job weg gewesen." Daher findet sie die zwingende Einführung der Stechuhr für alle Firmen sehr gut – "zum Schutz der Arbeitnehmer".

"Als Nächstes kommen noch Kameras"

t-online-Leser Andreas Stabenow hingegen glaubt aufgrund gegebener Umstände nicht an die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer: "Wir haben doch sowieso einen Arbeitnehmermarkt, weshalb es für den Arbeitgeber umso wichtiger ist, diese gut zu behandeln."

Er halte die Stechuhr für eine theoretische Möglichkeit, "die in der Praxis nur Aufwand und sinnlose Kosten bedeutet. Vertrauen ist und sollte die Grundlage einer Zusammenarbeit sein und nicht Kontrolle, wo nur geht. Als Nächstes kommen noch Kameras, um jeden Mitarbeiter zu überwachen. Meiner Meinung nach zeigt hier ein Gericht nur wieder, wie weit es von der Realität entfernt lebt."

Verwendete Quellen
  • Zuschriften von t-online-Lesern
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