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Gazprom: Der Gas-Goliath geht in die Knie


Strategische Krise
Gazprom: Der Gas-Goliath geht in die Knie

Von spiegel-online
01.02.2013Lesedauer: 5 Min.
Gazprom-Raffinerie: Rohstoff-Gigant rutscht in die KriseVergrößern des Bildes
Gazprom-Raffinerie: Rohstoff-Gigant hat Modernisierung verpennt (Quelle: reuters)
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Einst galt Gazprom als Inbegriff russischer Rohstoffmacht, jetzt rutscht der Konzern in die Krise: In Europa sinken die Marktanteile, in Russland erstarken die Wettbewerber, Kartellwächter durchleuchten den Konzern. Der Stern von Konzernchef Miller soll im Kreml bereits sinken.

Anfang der Woche flatterte der ukrainischen Regierung und dem staatlichen Gasunternehmen Naftogaz eine Rechnung ins Haus. Absender war der russische Gaskonzern Gazprom, und der offene Rechnungsbetrag las sich wie eine Kriegserklärung: Sieben Milliarden Dollar fordern die Russen. Für 16 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die die Ukraine gar nicht verbraucht hat.

Russland will seine Marktmacht durchsetzen

Das Zauberwort heißt "take or pay" und bezeichnet eine althergebrachte Vertragsklausel in Gazproms Lieferverträgen. Kunden verpflichtet sie zur Abnahme einer vertraglich bestimmten Mindestmenge Erdgas. Selbst wenn der Käufer weniger verbraucht, muss er den vollen Preis nach Moskau überweisen - eine im Gasgeschäft bislang gängige Praxis und Ausweis russischer Marktmacht. Jetzt aber will die Ukraine nicht mehr zahlen, und die Chancen, dass sich das Land am Ende durchsetzt, stehen gut.

Der Streit zeigt das ganze Dilemma des russischen Energieriesen. Der technologische Fortschritt bedroht Gazproms Geschäftsmodell, und der Monopolist hat zu lange gezögert, sich darauf einzustellen. "Friss oder stirb" lautete bislang die Devise seiner Preispolitik. Viele Länder, so auch die Ukraine, waren jahrzehntelang auf Gazproms Lieferungen angewiesen; nun wird der Markt immer globaler. Das Erdgasangebot steigt, die Preise fallen - und Gazproms Monopol bröckelt.

Druck von allen Seiten

Das Geschäftsmodell des Konzerns gerät durch drei Entwicklungen unter Druck:

  • Im Nahen Osten bauen Konkurrenten Anlagen, mit denen sich Gas verflüssigen lässt. Dazu eine Flotte Spezialtanker, mit denen das verflüssigte Gas tausende Kilometer weit transportiert werden kann - weiter als mit der längsten Pipeline und auf weit flexibleren Handelsrouten. Dieses Flüssiggas macht Gazprom in Europa und Asien zusehends Konkurrenz. Vor allem Katar hat seine LNG-Lieferungen nach Europa massiv gesteigert: 2006 verschiffte das Wüstenreich fünf Milliarden Kubikmeter, 2011 schon 44 Milliarden.
  • Norwegen weitet seine Gasförderung aus und trotzt den Russen in Europa Marktanteile ab. Nach Angaben von Eurostat hat sich Norwegens Gasabsatz in Europa 2012 um 16 Prozent erhöht, der von Gazprom dagegen sank um acht Prozent.
  • Neue Bohrverfahren machen die Förderung von Erdgas in Permafrostböden und dichten Tonschichten, vor allem aber in Schieferschichten erschwinglich. Gasproduktion ist plötzlich in vielen Regionen möglich. Vor allem in den USA hat diese Fördertechnik einen Gasrausch ausgelöst - was den Russen den Einstieg in den Markt erschwert. Eigentlich wollte Gazprom in den USA einen Zehn-Prozent-Anteil erobern, jetzt scheint dieses Ziel utopisch.

Die Entwicklungen am Gasmarkt treffen auch den Kreml: In den kommenden Jahren wollen EU-Länder wie Polen die Förderung von Gas aus unkonventionellen Quellen ebenfalls ausbauen, um sich unabhängiger von russischen Lieferungen zu machen. Wenn aber die russischen Exporte sinken, trifft das auch Moskau: Gas und Öl machen 50 Prozent der Staatseinnahmen aus. Zudem sinkt das Erpressungspotential gegenüber Abnehmerländern wie der Ukraine, Polen, Litauen und anderen Staaten, die einst ganz oder teilweise zum Gebiet der Sowjetunion gehörten. Der Energie-Hegemon Russland werde an Macht verlieren, prognostiziert der Bundesnachrichtendienst.

Die Trägheit des Monopolisten

Das Weltunternehmen Gazprom, das immer auch ein politisches Faustpfand des Kreml war, ist dadurch in eine bedenkliche Schieflage geraten. Doch das Management, von Jahrzehnten fehlenden Wettbewerbs träge geworden, machte einfach wie gehabt weiter. Es versuchte weiterhin, seinen Abnehmern langfristige und teure Lieferverträgen zu diktieren, obwohl der Gaspreis am Spotmarkt schon seit langem die Preise von Gazproms Lieferverträgen unterbietet. Gazprom leistete sich auch weiterhin ineffiziente Bauprojekte, deren Kosten oft zwei- bis dreimal so hoch lagen wie vergleichbare Projekte der Konkurrenz.

Nun bricht die Realität umso brutaler in die Welt des Konzerns ein. Immer öfter muss sich der Energie-Hegemon von einst von seinen Abnehmern Rabatte abtrotzen lassen. Kürzlich drückte das polnische Unternehmen PGNiG den Lieferpreis für russisches Erdgas von 500 auf 450 Dollar pro 1000 Kubikmeter. Der deutsche Marktführer E.ON Ruhrgas holte allein für 2012 einen Preisnachlass von mehr als einer Milliarde Euro heraus. Auch kaufen die Kunden immer mehr Gas bei der Konkurrenz.

In Gazproms Bilanz macht sich das bemerkbar. Zwischen Januar und September 2012 machte der Konzern umgerechnet gut 20,2 Milliarden Euro Gewinn, zwölf Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Der Umsatz mit Gas sank um acht Prozent auf gut 44,9 Milliarden Euro. Nach Angaben des ehemaligen Vize-Energieministers und heutigen Oppositionspolitikers, Wladimir Milow, sank die Gasförderung des Konzerns im vergangenen Jahr um 6,7 Prozent auf 478 Milliarden Kubikmeter.

Der wankende Gigant

Die Wirtschaftskrise im Kernmarkt Europa sei schuld, sagt Gazprom dazu. Dort erwirtschaftet der Konzern zwei Drittel der Gewinne. Tatsächlich aber ist die Nachfrage nach Gazprom-Gas weit stärker gesunken als die Nachfrage allgemein. In Italien beispielsweise ging die allgemeine Nachfrage in den ersten drei Quartalen des Jahres 2012 um 2,6 Prozent zurück, die Lieferungen von Gazprom aber brachen um elf Prozent ein. In den Niederlanden sank der Gesamtabsatz um neun Prozent, der von Gazprom dagegen um 42,6 Prozent. In Polen stieg der Verbrauch sogar um 6,2 Prozent, Gazprom aber lieferte 11,5 Prozent weniger Gas in das Land.

Der Konzern verliert an Marktmacht - und die EU-Kommission schickt sich an, diese noch weiter zu begrenzen: Seit Anfang September prüft sie, ob Gazprom seine Position auf dem europäischen Markt zum eigenen Vorteil missbraucht. Die Untersuchung ist ein Generalangriff auf das Geschäftsmodell der Russen: Sie stellt unter anderem die in langfristigen Verträgen festgehaltene Bindung des Gaspreises an den Ölpreis in Frage.

Druck von Ukraine

Auch jenseits der EU-Grenzen gerät Gazprom unter Druck. Die Ukraine, chronisch klammer Schlüsselkunde der Russen, drosselt den Gasimport. Die 2009 abgeschlossenen "take or pay"-Verträge sahen Lieferungen von jährlich 41,6 Milliarden Kubikmeter vor. Tatsächlich führte Kiew 2012 aber nur noch 25,9 Milliarden Kubikmeter ein, 2013 sollen es sogar nur 20 Milliarden sein.

Die hohen Energiekosten drohen, die ukrainische Wirtschaft abzuwürgen. Noch zahlt die Ukraine für 1000 Kubikmeter Gas einen Wucherpreis von 425 Dollar. Mögliche Preisnachlässe knüpfen die Russen an politische Forderungen. Moskau hat Kiew klargemacht, dass die Ukraine nur dann mit Rabatten rechnen kann, wenn sich das Land der von Russland geführten Zollunion anschließt. So wie das willfährige Weißrussland - das für 1000 Kubikmeter Gas gerade mal 185 Dollar zahlt.

Die Ukraine aber arbeitet bereits an Wegen, solche Erpressungen künftig zu umgehen. In der Hafenstadt Odessa soll ein Terminal für Flüssiggas-Tanker entstehen. Und nur wenige Tage, bevor Gazprom seine Sieben-Milliarden-Dollar-Rechnung präsentierte, unterzeichnete Kiew ein Abkommen mit Shell über die Erschließung von Schiefergas-Lagerstätten im eigenen Land. Abkommen mit Chevron und Exxon sollen ebenfalls kurz vor dem Abschluss stehen.

Ärger daheim

Selbst in Russland steht Gazprom unter Druck. Die Regierung will die Förderung von Öl und Gas im arktischem Schelf auch kleineren Firmen erlauben - ein Affront gegenüber Gazprom und dem staatlichen Ölkonzern Rosneft.

Novatek, zweitgrößter Gasproduzent des Landes und ausgestattet mit einem exzellenten Draht zu Kreml, jagt Gazprom inzwischen Marktanteile und Großkunden ab. Allein 2011 stieg Novateks Gasabsatz um 45 Prozent. Moskauer Politologen sehen den Stern von Gazprom-Chef Alexej Miller bereits sinken. Sie konstatieren eine "Schwächung seiner Position" in Wladimir Putins Machtzirkel.

Gazproms Export-Monopol wackelt

Auch Russlands Premierminister Dmitrij Medwedew - selbst lange Jahre Chef des Gazprom-Aufsichtsrates - fürchtet das Ende der russischen Gas-Hegemonie und erwägt offenbar Alternativen. Zuletzt schreckte er den Gasgiganten mit öffentlichen Gedankenspielen auf.

Russland werde zwar in Ruhe weiter die Gewinne aus dem Rohstoffexport einstreichen, müsse sich aber gleichzeitig auf einen Paradigmenwechsel in der Energiewirtschaft einstellen, sagte er. Man müsse "Grundsteine für die Zukunft legen". Selbst das Ende von Gazproms Export-Monopol sei "potenziell möglich".

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