Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Um die 24.000 Punkte Einige Dax-Gewinne gehen auf Trumps Konto

Der Dax bei rund 24.000 Punkten – da ist viel Vorschusslorbeer und Hoffnung auf bessere wirtschaftliche Zeiten dabei. Ein Teil der Kursgewinne geht allerdings auf das Konto einer Person.
Gut 20 Prozent Plus im Dax im ersten Halbjahr: Unter den großen europäischen Börsen liefen nur Athen, Madrid und Wien noch besser als Frankfurt. Zum Teil waren das im Ausland Nachholeffekte. Doch zum ersten Mal seit der Finanzkrise entwickeln sich europäische und eben auch deutsche Aktien besser als die US-Leitbörsen. Dabei läuft die Wirtschaft in der weltweit größten Volkswirtschaft doch (noch) viel besser als hier. Wie passen also wirtschaftliche Realität und Kurse zusammen?
In Deutschland wurde an den Kapitalmärkten einiges an Vorschusslorbeer verteilt: für die neue Bundesregierung und ihre geplanten Milliarden-Investitionen. Sie sind zwar schuldenfinanziert, aber endlich kommt wieder Bewegung in die wichtigste Volkswirtschaft der EU. Und Investoren aus dem In- und Ausland haben das schnell bemerkt.
Trump stärkt unfreiwillig deutsche Aktienmärkte
Doch unfreiwillig hat US-Präsident Donald Trump zur Börsenrallye hierzulande beigetragen. Nachdem er sich mit der halben Welt angelegt und am "Liberation Day" Anfang April Zölle gegen viele Länder erhoben und wieder ausgesetzt hatte, drehte sich die Stimmung der meisten Investoren gegen die USA. Nach drei Monaten gibt es "Deals" mit Vietnam, China und Großbritannien. Anderswo dauern die Verhandlungen an. Investoren stellen sich die Frage: Wie viel Risiko bringen die Zölle, die die USA erheben wollen, ihnen selbst? Die Antwort: zu viel.
Zölle, so die allgemeine Lesart, machen Waren teurer, heizen die Inflation an und würgen im Zweifelsfall die Wirtschaft ab. Das passierte in den USA prompt im ersten Quartal: Die Wirtschaft schrumpfte. Dabei waren zu dem Zeitpunkt erst wenige Zölle in Kraft.
Und so kam bei Investoren auf einen Schlag viel zusammen: Überraschung, Unverständnis, Sorge vor einer weltweiten Rezession. Und da Vertrauen eine irre wichtige Währung an den Kapitalmärkten ist, zogen immer mehr Investoren Gelder aus den USA ab. Es war eine der ganz seltenen Situationen, in der Aktien, Anleihen und der Dollar gleichzeitig fielen.

Zur Person
Antje Erhard arbeitet seit rund 20 Jahren als Journalistin und TV-Moderatorin. Ihr Weg führte sie von der Nachrichtenagentur dpa-AFX u. a. zum ZDF. Derzeit arbeitet sie für die ARD-Finanzredaktion in Frankfurt und berichtet täglich, was in der Welt der Börse und Wirtschaft passiert.
Das Geld muss irgendwo hin
Aber das Geld muss ja irgendwo hin, um weiterzuarbeiten und Erträge abzuwerfen. Und so rückte das zerstrittene, wirtschaftsschwache Europa – 2024 wuchs die EU-Wirtschaft nur um 0,8 Prozent – in den Blickpunkt. Während die Kurse der US-Staatsanleihen purzelten und die Renditen bei zehnjährigen Papieren bis auf 4,5 Prozent anstiegen – man kann das als satten Risikoaufschlag werten –, floss das Geld in deutsche Anleihen mit halber Rendite, aber eben (aus Investorensicht) auch geringerem Risiko.
Zugleich investierten immer mehr Großanleger in europäische und deutsche Aktien. Das hievte den Dax auf immer neue Rekorde. Einzelne Branchen wie die Auto-Industrie kamen zwar mächtig unter die Räder, weil ihr die geplanten Zölle von Donald Trump besonders schadeten. Doch im Großen und Ganzen stiegen die meisten Aktien. Dabei war eins sonnenklar: Die Gewinne deutscher und europäischer Unternehmen hielten und halten nicht annähernd Schritt mit den Gewinnen, die US-Konzerne zumeist machten.
Nicht mehr die Fakten sind entscheidend
Aber es ging nicht mehr um Fakten, sondern überwiegend um die Stimmung, und die hatte sich nach der Euphorie rund um die US-Wahl komplett gedreht. Und dann setzte Donald Trump noch einen drauf: Mit der sogenannten "Big Beautiful Bill", einem "großen schönen Gesetz", wurden am Donnerstag Steuerentlastungen in enormem Ausmaß verabschiedet.
Die parteiunabhängige Budgetbehörde in den USA hat daraufhin ausgerechnet: In den nächsten zehn Jahren fehlen 4,5 Billionen US-Dollar Steuereinnahmen, denen nur 1,2 Billionen Einsparungen gegenüberstehen. Macht ein Minus von 3,3 Billionen US-Dollar. Oder anders gesagt: Die höchstverschuldete Volkswirtschaft der Welt erhöht ihren Schuldenberg noch einmal um rund zehn Prozent. Das kam in der Welt gar nicht gut an. Selbst viele Republikaner sind damit nicht einverstanden.
Andere sind schon gescheitert ...
Ein Blick in die jüngere Vergangenheit nach Großbritannien zeigt, warum nicht: Im Herbst 2022 hatte die neue britische Premierministerin Liz Truss enorme Steuersenkungen angekündigt. Sie hatte aber keinen Plan, wie sie dies finanzieren sollte. Am Ende musste sie ihren Posten nach nur 49 Tagen im Amt wieder räumen. Steuergeschenke, die nicht gegenfinanziert werden können, kosten also Vertrauen – und schlimmstenfalls den Kopf.
In den USA könnten erst einmal die Anleihemärkte den Präsidenten disziplinieren, so passiert schon einmal Anfang April. Steigen die Risikoaufschläge weiter, dann wird es für die USA immer teurer, sich zu verschulden – bis zu dem Punkt, dass man sich das mit der zusätzlichen Verschuldung womöglich noch einmal überlegen muss.
Attraktive Bewertungen und niedrige Zinsen
Und der Dax? Hierzulande war zunächst etwas Sorge aufgekommen, was die USA "da so treiben". Doch dann schob, wie erwähnt, die Schwäche der USA den Leitindex erst an: Nach dem Einbruch des Dax im April ging es binnen knapp zwei Monaten fast 5.000 Punkte nach oben.
Erstmals seit der Finanzkrise 2008 laufen europäische Aktien aber auch aus weiteren Gründen besser als ihre US-Pendants. Es ist eine seltene Mischung aus Bewertungsvorteilen, konjunkturellem Rückenwind und geopolitischen Faktoren:
- Attraktive Bewertungen: Europas Aktien waren lange günstig, vor allem günstiger als US-Aktien. Die waren im Hype um Künstliche Intelligenz und die US-Wahl enorm stark gestiegen. Jetzt holen deutsche und europäische Aktien auf.
- Zinsperspektive: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen schneller gesenkt als die Federal Reserve (Fed) in den USA. Das belebt Wirtschaft und Börse. Geht es nach Trump, sollte Fed-Chef Powell schleunigst nachziehen, um einen ähnlichen Effekt in den USA zu generieren. Doch das dürfte so schnell nicht passieren. Gerade hat Powell beim Notenbanker-Treffen im portugiesischen Sintra wieder betont, dass er das "öffentliche Gut der Preisstabilität beschützen" werde – auch unter politischem Druck.
- Geopolitik: Europa rückt etwas besser zusammen, angesichts der erratischen Politik der USA. Und Deutschland wird international wieder eine Führungsrolle zugedacht. Die muss aber auch klug genutzt werden, politisch wie wirtschaftlich.
Fazit: Europa muss sich jetzt beweisen
Der Favoritenwechsel an den Kapitalmärkten ist da – zumindest für den Moment. Anleger schauen wieder über den Atlantik hinaus. Doch die nächste Berichtssaison, die jetzt ansteht, könnte zeigen: Man darf US-Unternehmen und -Börsen nicht vorschnell abschreiben. Und Europa samt Deutschland muss sich erst noch beweisen. Auch Vorschusslorbeer verdorrt, wenn danach nicht abgeliefert wird.
- Eigene Meinung