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DSW-Chef Marc Tüngler: Darum ist die Aktienrente die Lösung


DSW-Chef
"Geld auf zinslosen Sparkonten liegen zu lassen, ist fatal"


23.08.2021Lesedauer: 8 Min.
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Seniorin erhält ihren Rentenbescheid (Symbolbild): Damit die Rente auskömmlich sein soll, müssen viele Deutsche zusätzlich privat vorsorgen.Vergrößern des Bildes
Seniorin erhält ihren Rentenbescheid (Symbolbild): Damit die Rente auskömmlich sein soll, müssen viele Deutsche zusätzlich privat vorsorgen. (Quelle: Christin Klose/dpa)

In der Corona-Krise ist die Zahl der Aktionäre gewachsen. Nicht genug, findet der Chef der Aktionärsvereinigung DSW. Er erklärt, was er von einer Aktienrente hält und wen er gerne als Finanzminister hätte.

Offenbar musste erst die Krise kommen, damit sich die Deutschen für Aktien interessieren. Mehr als zwölf Millionen Anleger sind es mittlerweile. Doch um die Rentenlücke auszugleichen, müssten es noch deutlich mehr werden, sagt Marc Tüngler, Chef der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).

t-online sprach mit ihm darüber, warum es fatal ist, sein Erspartes auf dem Konto liegen zu lassen, wie auch Menschen mit kleinen Einkommen von der Börse profitieren können und welche Probleme der neue Finanzminister angehen muss.

t-online: Herr Tüngler, der Dax hat vor Kurzem die 16.000-Punkte-Marke geknackt. Ist das noch ein guter Zeitpunkt, um in den Aktienmarkt einzusteigen?

Marc Tüngler: Definitiv. Wer bisher noch nicht mit Aktien angefangen hat, sollte sich von Rekordständen nicht abschrecken lassen. Wir werden auch die 17.000, 18.000 und 19.000 Punkte sehen. Allerdings wird das nicht so bald der Fall sein.

Dürfte es nicht eher wieder heruntergehen, wenn im Herbst die vierte Corona-Welle droht?

Wer der Meinung ist, dass Corona uns noch mal stärker belastet und es einen Dip nach unten gibt, wartet womöglich noch ab. Aber genau das ist das Problem: Viele sind eher taktisch als strategisch unterwegs und auf kurzfristige Gewinne aus. Sie denken, nächste Woche kriege ich die Aktie für einen Euro weniger. Am Ende sind es aber leider zwei Euro mehr. Man sollte sich nicht zum Sklaven der Dax-Stände machen.

Viele Sparer haben aufgehört zu warten und in der Krise den Sprung an die Börse gewagt. Sind zwölf Millionen Aktionäre genug?

Nein. Wir haben real Negativzinsen. Die Inflation wird wieder auf drei, vier Prozent steigen, die Zinsen aber nicht. Das bedeutet: Am Ende eines Jahres haben die Deutschen real 75 Milliarden Euro weniger Kaufkraft als noch zu Jahresbeginn. Es wäre daher fatal, das Geld nur auf zinslosen Sparkonten liegen zu lassen.

Marc Tüngler, geboren 1968, ist seit 2011 Chef der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Deutschlands führender Aktionärsvereinigung. Sie vertritt jährlich in etwa 700 Hauptversammlungen Aktionäre gegenüber den Unternehmensverwaltungen. Tüngler arbeitet seit 1999 für die DSW, wurde 2005 Geschäftsführer der DSW Service GmbH, 2007 Geschäftsführer der DSW und 2011 schließlich Hauptgeschäftsführer. Er ist auch Mitglied der Regierungskommission zum Deutschen Corporate Governance Kodex.

Ganz anders sieht es bei Aktien aus: Die kennen derzeit nur den Weg nach oben. Lernen Anleger hier nicht einen vollkommen unrealistischen Markt kennen?

Absolut. Man fühlt gerade zu wenig Risiko, weil es seit 2009 fast nur bergauf geht. In den vergangenen zwei Jahren sahen die Kurse zwar aus wie ein Zitteraal, aber die Tendenz ist trotzdem weiter steigend. Ich bin deshalb in Sorge, dass viele Neueinsteiger denken, die Bäume würden weiter in den Himmel wachsen.

Und beim nächsten Absturz sind sie schnell wieder weg?

Ganz genau. Wir müssen bedenken, warum sich viele der Börse genähert haben: Zum einen ist es in den vergangenen zehn Jahren gut gelaufen, zum anderen haben aber auch Fälle wie Gamestop eine regelrechte Euphorie entfacht. Gerade bei denen, die über Neobroker an die Börse kamen, sehe ich die Erwartungshaltung, schon morgen ganz oben auf der Siegertreppe zu stehen. Diese Anleger könnten wir so schnell wieder verlieren, wie sie gekommen sind.

Sie halten Aktien-Apps also für den falschen Zugang zur Börse?

Ich verurteile Neobroker überhaupt nicht – im Gegenteil. Und ich werde mich wahrlich nicht darüber beschweren, dass wir jetzt zwei, drei Millionen Anleger mehr haben. Ich glaube nur, dass dieses Spielerische den eigentlichen Sinn der Börse bei dem einen oder anderen übertüncht. Der richtige Weg wäre, gerade Anfängern mehr Wissen zu vermitteln, um sie langfristig fit zu machen für die Börse.

Oder man bringt die Leute automatisch an Aktien. Einige Parteien schlagen eine Aktienrente vor. Was halten Sie davon?

Das finde ich sehr positiv. Denn spätestens, wenn die Babyboomer in Rente gehen, wird unser Rentensystem nicht mehr funktionieren. Die Renten werden sinken, die Beiträge steigen – es sei denn, wir fangen endlich an, das System zu reformieren. Die Aktienrente ist die Lösung.

Dann werden wir mal konkret: Wenn Sie könnten, was würden Sie ganz oben auf die To-do-Liste des neuen Finanzministers schreiben?

Seit 30 Jahren diskriminieren die Bundesregierungen die private Vorsorge. Sie haben die Freibeträge gesenkt, teilweise Steuersätze von über 50 Prozent eingeführt. Gerade linke Politiker fordern immer wieder: Reiche müssten mehr Steuern zahlen, um damit untere Einkommen zu entlasten. Man kann es aber auch umdrehen: Warum sorgen wir nicht dafür, dass alle von Aktien profitieren?

Gegenfrage: Werden die Reichen so nicht immer reicher und die Armen ärmer?

Wer kein Geld übrig hat zum Investieren, kann es nicht vermehren, das ist richtig. Aber die Reichen sind nicht böse, weil sie Aktien haben – vielmehr könnten alle etwas reicher sein, wenn alle Aktien hätten. Wir werden es nie schaffen, dass alle dieselbe Ausgangslage haben, aber: Wir sollten es schaffen, dass alle von der Börse profitieren können. Da schließt sich der Kreis zur Aktienrente. Auch die unteren Einkommen profitieren davon automatisch. Und gerade die wurden in den vergangenen Jahren sehr belastet. Nehmen wir nur mal den Sparerfreibetrag: Der wurde von deutlich vierstellig auf 801 Euro gesenkt. Es ist traurig, dass man die Bundesbürger so kleinhält.

Ein weiteres Streitthema ist der Soli, der noch nicht komplett abgeschafft ist. Sollte er auch bei Aktiengewinnen weichen?

Ja. Wer für seine Altersvorsorge spart und eigentlich gefördert werden müsste, muss diesen Zuschlag weiterhin zahlen. Das ist bitter. Überhaupt fordern wir von der Politik, die Leute vermehrt zur langfristigen Vorsorge zu animieren. In Amerika gibt es dafür spezifische Sparpläne. Eine andere Möglichkeit: Den Sparerpauschalbetrag so zu gestalten, dass er langfristige Sparer belohnt. Nutze ich einen Teil in einem Jahr nicht, bekomme ich ihn im nächsten Jahr obendrauf. Das motiviert langfristig.

Sie werben sehr für langfristiges Anlegen, statt kurzfristiger Gewinnmitnahmen. Muss die Spekulationsfrist also ein Comeback feiern?

Ja. Das wäre eine noch einfachere Maßnahme. Wie bei Immobilien oder Gold wären Erträge aus Aktien dann nach einer bestimmten Anzahl an Jahren komplett steuerfrei. Es hat aber einen Trugschluss: Eine Spekulationsfrist widerspricht für viele dem Gedanken, bewusst langfristig für die Altersvorsorge anzulegen.

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Das müssen Sie genauer erklären. Eine Spekulationsfrist soll doch gerade kurzfristiges Kaufen und Verkaufen verhindern.

Schon, aber: Nehmen wir an, Sie kaufen Biontech-Aktien und werden damit hoffentlich reich. Wenn Sie die jetzt nach fünf Jahren steuerfrei verkaufen können, wenn Sie das wollen, werden Sie das auch tun. Mit Ihrer Altersvorsorge hat das dann aber eher wenig zu tun. Deshalb hat Berlin bei dem Thema bisher die Handbremse angezogen.

Apropos schneller Reichtum: Der Mangel an lukrativen Investments hat viele neue Anleger auch in die Krypto-Branche gezogen. Sind Bitcoin, Ether und Co. die Zukunft oder halten Sie das für Zockerei?

Ich glaube, Kryptowährungen sind für die breite Masse nicht geeignet – gerade, wenn es um Altersvorsorge geht. Kurse steigen und fallen, nur weil Elon Musk etwas twittert. So etwas Emotionales habe ich selten erlebt. Bevor Kryptowährungen ein solides Investment sein können, muss erst mal der regulatorische Rahmen abgesteckt werden. Die Zentralbanken haben allerdings keinen Grund, parallele Währungen zu akzeptieren, die sie nicht kontrollieren können.

Stichwort Regulation: Was haben Sie gegen die Finanztransaktionssteuer?

Im Kern habe ich noch nicht einmal unbedingt was gegen eine Finanztransaktionssteuer. Ich finde sie in der Form, wie sie Herr Scholz jetzt mit der Brechstange durchdrücken will, aber nur sehr schlecht gemacht.

Warum?

Am liebsten hätte ich ein Steuersystem, in dem Sie für volkswirtschaftlich sinnvolle Anlagen weniger Steuern zahlen müssen als für volkswirtschaftlich sinnlose Anlagen. Der reine Zock und die Derivateblase sind zum Beispiel eine Gefahr für uns alle. Da profitieren Anleger auf eine Weise, die mit der realen Wirtschaft gar nichts zu tun hat. Gerade diese risikoreichen Transaktionen sollten daher von einer Transaktionssteuer umfasst sein, weniger die Aktientransaktionen. Da ist doch auch mehr Musik drin für den Staat. Deshalb ist es auch so absurd, dass sich Herr Scholz nur auf Aktien konzentriert.

Warum tut er das?

Vermutlich, weil die Industrie Bedenken hat. Die Unternehmen sichern ihre Waren über Derivate ab und das würde dann alles teurer machen. Aber: Auch das könnte man regulatorisch lösen.

Klingt für uns so, als hätte er die Firmen stärker im Blick als die kleinen Privatanleger.

So könnte man es sagen, ja. In dem Fall ist Scholz den Unternehmen sehr nah.

Ein Unternehmen hängt Olaf Scholz noch immer nach: Wirecard. Im September wächst der Dax wegen des Skandals auf 40 Unternehmen. Reicht Ihnen diese Reform?

Wir hätten uns da mehr gewünscht. Die Zahl 40 ist an sich okay. Unser Hauptkritikpunkt ist ein anderer: Die Unternehmen müssen immer noch nicht zeigen, dass sie auch unterm Strich und nicht nur auf EBITDA-Ebene Geld verdienen. Delivery Hero ist so ein Beispiel. Aus Sicht der Börse ist das Unternehmen gar nicht Dax-würdig und trotzdem ist es als Nachrücker von Wirecard in den Dax gehuscht.

Solche Aktionen dürften Anleger nicht gerade beruhigen. Wie stark ist das Vertrauen der Anleger durch den Skandal noch beschädigt?

Nach Wirecard war das Vertrauen weg – und zwar nicht nur in den Dax, sondern allgemein in das Thema Börse und Anlegen. Wir hatten teilweise sehr schlimme Gespräche mit den Anlegern. Von daher ist es eigentlich interessant, dass wir nun so viele Börsenneulinge haben. Die sind von Wirecard offensichtlich vollkommen unbeeindruckt. Aber Wirecard hatte auch eine Besonderheit.

Und die wäre?

Das war oftmals eine ganz eigene Klientel. Wir haben bei uns etwa 20.000 geschädigte Wirecard-Anleger registriert. Und eines fällt auf: Ein durchschnittlicher Wirecard-Anleger hat fünf- bis siebenmal mehr in den Titel investiert, als sonst pro Aktie investiert wird.

Wie kommt das?

Die Anleger ließen sich stark emotionalisieren. Jeder Angriff auf Wirecard oder Herrn Braun war in der Wirecard-Gemeinde ein Grund mehr, sich einzukapseln und noch mehr an die Geschichte zu glauben. Es gab nur schwarz oder weiß, für Wirecard oder dagegen. Wer der Wirecard-Gemeinde angehörte, kam schnell zu dieser All-in-Mentalität. Sehr viele haben in diesen einen Wert wahnsinnig viel Geld investiert.

Was bedeutet das nun für das Vertrauen in die Börse?

Wirecard war schlimm, auch für das Vertrauen der Anleger insgesamt, aber den Verlust spürt nur eine Gruppe an Anlegern besonders schmerzvoll.

Der Fall Wirecard ist also gar nicht aussagekräftig für das Börsengeschehen?

Ich will den Fall Wirecard wahrlich nicht verharmlosen. Alles, was wir heute wissen, zeigt uns: Dieser Betrugsfall war höchst erschreckend auf vielen Ebenen. Aber: Das Gros der Anleger war von Wirecard nicht direkt betroffen und viele Leute haben auch gelernt, dass Wirecard eben nicht überall ist. Ein derartig massiver Bilanzbetrug ist zum Glück eine Ausnahme. Einen größeren Wandel gab es bei den Wirtschaftsprüfern. Nach dem Versagen von EY sind die Wirtschaftsprüfer nun sehr genau – Wirecard hat die WP-Branche extrem aufgerüttelt.

Also wird es einen Fall wie Wirecard nie wieder geben?

Nein, das kann ich so leider nicht voraussagen. Wir werden wieder einen Fall ähnlicher oder ganz anderer Art sehen. Ob das auch so ein Krimi wie Wirecard wird, ist eher unwahrscheinlich. Aber fest steht: Es gab immer diese Fälle. Sei es Flowtex vor 30 Jahren, der neue Markt oder eben Wirecard. Betrugsfälle wird es an der Börse vereinzelt immer geben, dennoch ist Wirecard in der Größe und Tiefe der Verfehlungen einmalig.

Kommen wir noch einmal auf die anstehende Wahl zurück: Wer ist der bessere Finanzminister: Christian Lindner oder Friedrich Merz?

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit DSW-Chef Marc Tüngler
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