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Anti-Corona-Unternehmer: Aufstand auf der Zwergenwiese


Anti-Corona-Unternehmer
Aufstand auf der Zwergenwiese


02.06.2020Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Vegan-Koch Attila Hildmann: Wegen seiner umstrittenen Ansichten über die Corona-Krise haben einige Bioläden seine Produkte ausgelistet.Vergrößern des Bildes
Vegan-Koch Attila Hildmann: Wegen seiner umstrittenen Ansichten über die Corona-Krise haben einige Bioläden seine Produkte ausgelistet. (Quelle: imago-images-bilder)

Es gibt viel Zustimmung zu Boykottmaßnahmen gegen militante Anti-Corona-Unternehmer. Doch es ist anmaßend, Produkte von Menschen wie Attila Hildmann oder Joseph Wilhelm aus dem Markt zu drängen.

Manche Menschen werden in Krisenzeiten seltsam. Sie fühlen sich gegängelt und protestieren deshalb – gelegentlich unangemessen – gegen staatliche Regeln. Auch einige Unternehmen reagieren in Krisenzeiten seltsam.

Sie verteidigen die amtlichen Corona-Maßnahmen und üben wirtschaftlichen Druck aus: indem sie die Produkte der Aufmüpfigen aus den Regalen nehmen. Das hört sich zwar gut an und stößt auf breite Zustimmung. Doch auch das ist unangemessen.

In den vergangenen Wochen sind zwei Unternehmer an der Spitze der Anti-Corona-Bewegung gesehen worden. Es sind der Vegan-Koch und Kochbuch-Autor Attila Hildmann und der Bio-Nahrungsmittel-Produzent Joseph Wilhelm (Rapunzel, Zwergenwiese). Aus unterschiedlichen Gründen haben sich die beiden Geschäftsleute kritisch (um es vorsichtig auszudrücken) mit der Regierungspolitik zu Corona auseinandergesetzt.

Anti-Corona-Unternehmer sind auf dem Holzweg

Hildmann führt Anti-Corona-Demos an, hält Bill und Melinda Gates für die Urheber des Coronavirus und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für den Wegbereiter eines Überwachungsstaates. Wegen der Missachtung vorgeschriebener Maßnahmen gegen das Virus wurde er im Mai sogar einmal festgenommen.

Joseph Wilhelm wiederum fürchtet sich vor allem vor dem Corona-Impfstoff. Er argwöhnt, "zwangsgeimpft" zu werden, wenn es erst einmal eine Impfung gegen das Virus gibt. Der Chef von rund 380 Mitarbeitern hat vor einigen Jahren mit Attila Hildmann zusammengearbeitet – und tut sich nun schwer, Distanz zu dem veganen Anti-Corona-Agitator zu finden.

Beide Unternehmer sind auf dem Holzweg. Man kann darüber mutmaßen, wie Menschen in solche merkwürdigen Ecken geraten. Man muss auch fragen, ob und wo solche Ansichten für ein Gemeinwesen gefährlich werden können. Wenn sie sich strafbar machen, sollen sie wie alle anderen auch angeklagt werden und sich vor Gericht verantworten müssen.

Boykott ist falsch und anmaßend

Doch ihre Unternehmen deshalb wirtschaftlich anzugreifen und ihre Produkte auszulisten, ist falsch und anmaßend. Falsch ist der Boykott, weil er auch Mitarbeiter und Kunden trifft. Die können nichts dafür, dass ihr Chef seltsame Ansichten vertritt. Ihnen deshalb den Arbeitsplatz zu nehmen oder sie als Kunden zu bevormunden, wäre völlig überzogen. Wenn ein Verbraucher keine Lust mehr hat, Rapunzel-Marmelade oder vegane Shakes zu kaufen, muss er selbst entscheiden können, es zu lassen.

Er braucht sich diesen Verzicht aber nicht vom Einzelhändler vorschreiben zu lassen. Wer einem Unternehmen den Vertriebskanal abschneidet, nimmt Mitarbeiter und Kunden als Geiseln, um die eigene Haltung durchzusetzen.

Anmaßend ist der Boykott, weil die Firmen, die Hildmanns Produkte und Wilhelms Fruchtaufstriche jetzt aus den Regalen räumen wollen, durch nichts legitimiert sind. Anders als demokratische Nationalstaaten, die einen anderen Staat mit Sanktionen bestrafen wollen, werden Handelsunternehmen nicht durch Parlamente oder internationale Organisationen kontrolliert. Hier entscheiden die Vorstände und Einkäufer über das Sortiment.

Konsumenten sollen selbst entscheiden

Im Moment bekommen sie reichlich Beifall für ihre aufrechte Gesinnung. Doch der Mainstream ist ein schwieriger Weggefährte: Wie wäre es mit der Zustimmung, wenn ein Einzelhändler auf einmal auf den Gedanken käme, einen Lieferanten auszusperren, weil er keinen Sport treibt, übergewichtig ist – oder die falsche Partei wählt? Die Konsumenten sollen entscheiden, wann, warum und wem sie etwas abkaufen wollen.

Dass die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) nicht mehr in der "Bild"-Zeitung inserieren wollen, weil sie deren Umgang mit dem Virologen Christian Drosten infam finden, zeugt von einem ähnlichen Missverständnis, was die Rolle der Unternehmen in der Gesellschaft betrifft. Und die Forderung von Familienministerin Franziska Giffey (SPD), Corona-Hilfen davon abhängig zu machen, ob bedürftige Firmen brav die Frauenquote einhalten, zeigt, dass auch ein hohes politisches Amt nicht immer hilft, die Dinge in der richtigen Ordnung zu sehen.

Gegen strafbares Verhalten gibt es Gesetze, Staatsanwaltschaften und Gerichte. Gegen unerwünschtes Verhalten dagegen helfen Argumente. Das ist zwar manchmal bitter. Aber nur so bewahrt man den Rechtsstaat.

(Die Autorin merkt an dieser Stelle an, dass sie veganem Essen nichts abgewinnen kann, Bio-Produkte in aller Regel überteuert findet, und aggressives Machogehabe auch im Beruf abstoßend findet. In der Sache "Bild"-Zeitung vs. Drosten denkt sie, dass die Kollegen von der "Bild" falsch liegen.)

Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. Gemeinsam mit t-online.de und der Leibniz-Gemeinschaft produziert sie den Podcast "Tonspur Wissen".

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