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Finanzskandal um Cum-Ex: "Das ist Staatsversagen auf allen Ebenen"


Finanzskandal in Deutschland
"Das ist Staatsversagen auf allen Ebenen"

Von Mauritius Kloft

Aktualisiert am 21.10.2021Lesedauer: 4 Min.
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Olaf Scholz: Der scheidende SPD-Finanzminister hat gute Chancen, bald Kanzler zu werden.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Der scheidende SPD-Finanzminister hat gute Chancen, bald Kanzler zu werden. (Quelle: Chris Emil Janßen/imago-images-bilder)

In Deutschland schwelt ein neuer, alter Finanzskandal: Jahrelang konnten Investoren und Banken den Staat um Milliarden betrügen, ohne dass die Finanzbehörden eingegriffen haben. Was steckt dahinter?

150 Milliarden Euro: Um diese Summe sollen Steuerbetrüger Deutschland und weitere Staaten weltweit gebracht haben, wie neue Recherchen von "Correctiv", dem ARD-Magazin "Panorama" und anderen Medien zeigen. Konkret geht es dabei um sogenannte Cum-Cum/Cum-Ex-Geschäfte, bei denen Banken versuchten, den Fiskus zu täuschen.

Eigentlich sollten solche Geschäfte seit 2016 nicht mehr möglich sein. Der Bund verabschiedete damals ein entsprechendes Gesetz dazu. Aber: Nach Aussage des Rechercheverbundes halten sie weiter an. Wie konnte es dazu kommen? Und wie funktionieren diese Geschäfte eigentlich? t-online erklärt es Ihnen.

Was sind Cum-Cum-Geschäfte?

Sowohl bei Cum-Ex als auch bei Cum-Cum-Geschäften sprechen Fachleute vom sogenannten Dividendenstripping. Denn hier geht es um Tricksereien rund um Aktien, bei denen eine Dividende, also ein Teil des Gewinns, an die Aktionäre ausgeschüttet wird.

Bei Cum-Ex-Geschäften inszenierten Aktienhändler gegenüber dem Fiskus ein Verwirrspiel mit Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Dividendenansprüche. Anleger ließen sich eine einmal gezahlte Kapitalertragsteuer auf Aktiendividenden mithilfe von Banken mehrfach erstatten. Dazu wurden diese Aktien rund um den Dividendenstichtag zwischen mehreren Beteiligten hin- und hergeschoben. Finanzämter erstatteten dann Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Mehr zu Cum-Ex lesen Sie hier.

Ähnlich sieht es bei Cum-Cum aus: Hier geht es darum, dass ausländische Investoren ihre Aktien vor dem Dividendenstichtag ins Inland verschieben. Konkret funktioniert das so: Ein ausländischer Investor muss in Deutschland 15 Prozent Kapitalertragsteuern auf die Dividende eines deutschen Unternehmens zahlen.

Um das zu verhindern, "verleiht" der Investor seine Anteilsscheine an einen deutschen Dienstleister, beispielsweise eine Bank. Nachdem die Dividende ausgezahlt wurde, gibt die Bank die Anteilsscheine wieder zurück – den Gewinn, also die gesparten Steuern – teilen sich die Beteiligten.

Sind die Betrugsgeschäfte strafbar?

Cum-Ex-Geschäfte sind strafbar, wie der Bundesgerichtshof im Juli dieses Jahres urteilte. Für Cum-Cum-Geschäfte steht ein höchstrichterliches Urteil bislang allerdings noch aus.

Steuerrechtlich betrachtet sind sie auf jeden Fall illegal, fraglich ist aber, ob die Beteiligten dafür eine Gefängnisstrafe erhalten, oder lediglich die Forderungen nachzahlen müssen. Helmut Lotzgeselle, Richter am Hessischen Finanzgericht, geht davon aus, dass die Geschäfte strafbar sind: "Für mich sind Cum-Cum-Geschäfte nicht nur ein Gestaltungsmissbrauch und eine Steuerumgehung, für mich als Jurist sind Cum-Cum-Geschäfte auch eine Straftat", sagte er "Panorama".

Wie hoch ist der Schaden für Deutschland?

Die Steuertricks mit Namen wie Cum-Ex, Cum-Cum oder Cum-Fake verursachten alleine in Deutschland seit 2009 mindestens 192 Millionen Euro Schaden, wie ein Team von Wirtschaftswissenschaftlern der Universität Mannheim errechnete.

Im Zeitraum 2000 bis 2020 habe sich der Gesamtschaden in Deutschland auf 35,9 Milliarden Euro belaufen, davon stammen 28,5 Milliarden Euro aus Cum-Cum-Geschäften. Bis Ende 2020 seien erst 135 Millionen Euro aus den Cum-Cum-Geschäften zurückgeholt worden, sagt Konrad Duffy, Experte bei der Bürgerbewegung Finanzwende, t-online. "Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein."

Weltweit belaufe sich der Schaden auf rund 150 Milliarden Euro. Ursprünglich war man von rund 55 Milliarden Euro ausgegangen. Gut möglich aber, dass diese Summe noch weiter steigt. Denn Cum-Cum-Betrug ist hierzulande immer noch möglich (siehe unten).

"Während bei einfachen Steuerzahlern jeder Euro dreimal umgedreht wird, konnten Steuerräuber einfach Milliarden vom Fiskus stehlen", so Duffy. "Hier ist die Welt verkehrt."

Warum ist Cum-Cum immer noch möglich?

2011 wurde eine Gesetzeslücke geschlossen, um Cum-Ex-Geschäfte zu verhindern. Und 2016 brachte der Bund ein Gesetz auf den Weg, um Cum-Cum-Geschäfte zu unterbinden. Aber: Ähnliche Geschäfte sind immer noch möglich. Denn Steuerbetrüger sind kreativ und nutzen die Unwissenheit der Finanzbehörden aus.

"Das Problem wurde nie wirklich dort behoben, wo es nötig gewesen wäre: an der Schnittstelle zwischen Finanzinstituten und dem Staat", sagt Verbraucherschützer Duffy. Denn: "Bisher können Finanzinstitute selbst Kapitalertragsteuer-Bescheinigungen ausstellen, ohne dass der Staat die Richtigkeit leicht prüfen konnte".

Wichtig sei daher, dass die Informationen beim Staat gebündelt werden. "Es gibt IT-Lösungen, um dem Staat genaue Übersichten zu geben", so Duffy. "In anderen Ländern werden solche Lösungen seit Jahren erfolgreich angewandt. In Deutschland traut man sich nicht richtig daran."

Finanzministerium: Nach 2016 keine Hinweise auf Cum-Cum-Fälle

Das Bundesfinanzministerium wies indes den Eindruck zurück, "Cum-Cum"- und ähnliche Geschäfte würden bis heute nicht effektiv bekämpft. "Das Bundesfinanzministerium hat gehandelt – vor und in dieser Legislaturperiode", hieß es. Mehrere Regelungen seien verschärft und Missbrauch abgestellt worden.

Seit 2016 etwa gebe es schärfere Anforderungen zur Anrechnung der Kapitalertragsteuer auf Dividendenzahlungen. Danach sei noch ein Fall bekannt geworden – woraufhin Regeln weiter verschärft worden seien. Weitere Hinweise aus den Ländern auf "Cum-Cum"-Fälle nach 2016 habe es nicht gegeben – und auch keine Erkenntnisse, dass geltende Regelungen unzureichend wären.

Wer trägt die Verantwortung für den Skandal?

Das ist die entscheidende Frage. Duffy kritisiert hier vor allem die Politik. "Das ist schlicht Staatsversagen auf allen Ebenen", sagt er. "Der Staat schützte Banken lange systematisch vor Rückforderungen."

Die Steuergeschäfte seien seit Jahrzehnten bekannt, aber der Staat habe es schlicht unterlassen, zu handeln. "Die politische Verantwortung tragen auch Olaf Scholz und sein Vorgänger Wolfgang Schäuble. Die beiden haben es versäumt, den Finanzbehörden klare Anweisungen zum Steuerbetrug zu geben."

Erst im Sommer 2021 hat das Bundesfinanzministerium ein Schreiben an die Finanzministerien der Länder geschickt, das den Weg freimacht, den Cum-Cum-Steuerbetrug vollumfänglich aufzuarbeiten. "Scholz hat hier viel zu spät gehandelt", sagt Experte Duffy. "Viele Fälle sind mittlerweile verjährt – und es ist teils nur noch schwer, an die Gelder zu kommen." Jetzt seien die Bundesländer dran. Im Moment sehe es hier aber düster aus.

"Ich glaube noch nicht daran, dass sich zeitnah etwas ändern wird", so Duffy. "Es gilt, dass wir auch als Gesellschaft hier den Druck erhöhen."

Verwendete Quellen
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