Section 899 Deutsche Anleger im Visier des US-Steuerrechts

"Section 899" rückt plötzlich ins Zentrum im Zollstreit zwischen den USA und Europa. Was wie eine juristische Randnotiz klingt, könnte zum Milliardenproblem für Anleger werden.
Was bislang wie ein technisches Detail im US-Haushaltspaket wirkte, könnte sich jetzt als erhebliche Bedrohung für deutsche Unternehmen, Investoren und Anleger entpuppen: Eine unscheinbare Passage mit dem Titel "Section 899" stiftet seit einigen Tagen Unruhe an den Finanzmärkten und in Vorstandsetagen.
Wie das "Handelsblatt" berichtet, will die US-Regierung künftig höhere Steuern auf Einkünfte von Investoren und Firmen aus sogenannten "diskriminierenden Ländern" erheben – dazu dürften laut US-Kanzleien auch Deutschland und andere EU-Staaten zählen.
Die Regelung sieht eine schrittweise Steuererhöhung um jährlich fünf Prozentpunkte vor, gedeckelt bei maximal 20 Prozentpunkten. Betroffen wären Einkünfte wie Zinsen, Dividenden oder Erträge aus US-Geschäften. Besonders für große, international tätige Konzerne könnte das teuer werden.
Folgen für Unternehmen und Kapitalmärkte
Schon jetzt warnen Unternehmen in internen Mitteilungen vor den möglichen Folgen der geplanten Steuer – von Investitionsrückgängen bis zu einem Rückzug aus den USA. "Section 899 ist nichts anderes als der erste Schritt, ausländisches Kapital in Geiselhaft zu nehmen", analysiert Ulrich Leuchtmann, Währungsexperte der Commerzbank.
Die neue Steuer würde auch Kapitalerträge betreffen, was die Attraktivität von US-Aktien und Unternehmensanleihen für ausländische Anleger deutlich senken könnte. Ob der US-Dollar und US-Anleihen in diesem Umfeld weiterhin als sichere Häfen gelten, erscheint laut Experten zweifelhaft.
Dem "Handelsblatt" zufolge sieht der Devisenexperte George Saravelos von der Deutschen Bank in dem Gesetz sogar die Möglichkeit, dass die USA ihren bisherigen Handelskrieg zu einem "Kapitalkrieg" ausweiten könnten. Auch Marktanalysten wie Michael Brown vom Forex- und CFD-Broker Pepperstone Group berichten von zunehmender Nervosität unter Investoren.
Politischer Hintergrund: Vergeltung für EU-Steuern
Die Maßnahme hat laut "Handelsblatt" eine klare politische Stoßrichtung: Sie richtet sich gegen Steuerregeln, die aus Sicht der US-Regierung amerikanische Unternehmen und außerhalb der USA lebende US-Bürger benachteiligen. Besonders im Visier: die globale Mindeststeuer von 15 Prozent, auf die sich die OECD-Staaten geeinigt hatten.
Auch die jüngst durch Aussagen der Merz-Regierung erneut entfachte Diskussion über die Einführung einer Digitalsteuer auf die Umsätze von US-Konzernen wie Google, Amazon oder Meta sowie über strengere Datenschutzverordnungen könnte den transatlantischen Finanzkonflikt weiter anheizen.
Zudem ist die Mehrwertsteuerpraxis in Europa Washington seit Langem ein Dorn im Auge. Donald Trump sieht darin ein verdecktes Handelshemmnis – weil Importe damit belastet, Exporte aber von der Steuer befreit würden.
Fachleute vermuten hinter der Maßnahme gezielte wirtschaftspolitische Interessen: "Section 899" könnte offenbar genutzt werden, um andere Staaten unter Druck zu setzen – etwa solche, die Digitalsteuern auf US-Tech-Konzerne erheben oder sich für eine globale Mindestbesteuerung einsetzen, berichtet die "Welt". Kritiker warnen vor einem gefährlichen Signal an die internationalen Kapitalmärkte.
Gravierende Folgen für Kleinanleger
Bislang ist die Klausel nicht in Kraft, doch sollte sie aktiviert werden, könnte sie auch für ausländische Kleinanleger gravierende Konsequenzen haben – insbesondere für jene, die US-Aktien halten.
Eine hypothetische, aber legal mögliche Anwendung von "Section 899" könnte sein, dass deutsche Anleger wie steuerliche Ausländer ohne sogenannte DBA-Vergünstigungen behandelt werden, also ohne steuerliche Ermäßigungen aus dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen Deutschland und den USA.
US-Dividenden an ausländische Aktionäre unterliegen zwar einer Quellensteuer von 30 Prozent, die vom Heimatland des Unternehmens automatisch einbehalten wird, wenn es eine Dividende ausschüttet. Aber durch das DBA werden diese Steuern auf 15 Prozent reduziert.
Mit "Section 899" könnte dieser Satz deutlich steigen – auf bis zu 35 Prozent. Das heißt konkret: Bei 1.000 Euro Dividende werden statt 150 Euro künftig bis zu 350 Euro direkt von den US-Steuerbehörden einbehalten. Der Anleger erhält also netto nur 650 Euro statt bisher 850 Euro – ein Verlust von 200 Euro allein durch zusätzliche Steuern.
Zwar kann die gezahlte US-Quellensteuer grundsätzlich auf die deutsche Einkommensteuer angerechnet werden, aber nur bis zur Höhe des geltenden Doppelbesteuerungsabkommens (15 Prozent). Ein höherer Satz (z. B. 35 Prozent) führt dazu, dass die Differenz (hier: 20 Prozent) nicht anrechenbar ist – sie ist für deutsche Anleger also ein endgültiger Verlust.
Bereits spürbare Auswirkungen
Sollte "Section 899" tatsächlich in geltendes Recht überführt werden, könnte das der Offenheit des US-Kapitalmarkts ernsthaft schaden – und ausländische Anleger, die bislang gerne in amerikanische Aktien investieren, nachhaltig vergraulen, weil sie die Steuerlast scheuen. Das kann zu Kursverlusten führen, selbst bei grundsätzlich guten Unternehmen.
Fachleute befürchten, dass eine Umsetzung der Pläne insgesamt zu einem Rückzug von Kapital aus den USA führen könnte – in einer Zeit, in der die US-Finanzpolitik ohnehin als unberechenbar gilt. Donald Trumps frühere Handelspolitik, hohe Schuldenstände und protektionistische Tendenzen haben das Vertrauen in den US-Markt bereits angekratzt.
Volker Treier vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnt vor Investitionsstopps und abnehmender Planungssicherheit: "Investitionen werden aufgeschoben oder ganz gestrichen, tradierte Handelsbeziehungen neu bewertet", sagte er dem "Handelsblatt".
Noch im Jahr 2023 hatten deutsche Unternehmen rund 658 Milliarden US-Dollar in den Vereinigten Staaten investiert – ein Rekordwert. Doch nun droht ein Kurswechsel. Treier fordert deshalb eine klare wirtschaftspolitische Antwort aus Berlin und Brüssel: "Die Politik muss die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Standorte wieder auf Vordermann bringen."
- handelsblatt.com: "Neues US-Steuergesetz trifft deutsche Firmen und Investoren hart" (kostenpflichtig)
- welt.de: "Section 899“ und die teuren Folgen für ausländische Besitzer von US-Aktien" (kostenpflichtig)